Autorinnen und Gastbeiträge →

  • »Demokratie wichtiger als Verfassung.«

    Autor:a

    ai

    |

    2 Comentârs → on »Demokratie wichtiger als Verfassung.«

    Das katalanische Nachrichtenportal Vilaweb hat mit Prof. Huw Evans, der an der Cardiff Metropolitan University Recht doziert, ein Interview über das Thema Selbstbestimmung geführt (englische Fassung). Der Autor der Studie mit dem Titel »Law and Legitimacy: The denial of the Catalan Voice« (Gesetz und Rechtmäßigkeit: Die Verweigerung der katalanischen Stimme) argumentiert, dass eine Verfassung nicht losgelöst von den Prinzipien, auf denen sie gründet, betrachtet werden kann. Er stellt eine Parallele zu Québec her, wo schon mehrmals über die Loslösung von Kanada abgestimmt wurde: Das kanadische Verfassungsgericht hatte dies zugelassen, da es nicht nur den Wortlaut der Verfassung berücksichtigt hatte, die eine einseitige Abtrennung verbietet, sondern die allgemeinen demokratischen Prinzipien. Wenn ein Land dagegen der Bevölkerung einer Region eine Abstimmung mit Verweis auf die Verfassung verweigere, schränke es das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und verliere an demokratischer Legitimierung: Eine demokratische Verfassung könne nicht die Demokratie aufheben.

    Siehe auch: 01 02 03



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • Kronbichler per l’autodeterminazione.

    Autor:a

    ai

    |

    5 Comentârs → on Kronbichler per l’autodeterminazione.

    Quel che in Sudtirolo viene negato, nel caso del passaggio di un comune da una regione all’altra appare invece chiarissimo: è così che — come riferisce il quotidiano A. Adige — il deputato sudtirolese Florian Kronbichler ha convinto la commissione bicamerale per le questioni regionali a consentire al comune di Plodn/Sappada l’aggregazione alla Regione autonoma Friuli-Venezia Giulia. Alcuni suoi colleghi avevano sostenuto la necessità di porre un freno ai movimenti «secessionisti», anche perché altrimenti il Veneto rischierebbe una fuga di comuni verso il Trentino, il Sudtirolo e il Friuli. Secondo Kronbichler però

    un Parlamento che nutrisse simili preoccupazioni, darebbe un cattivo esempio di democrazia. Equivarrebbe ad usare una legge costituzionale e gli Statuti di autonomia come clava contro la volontà dei suoi propri cittadini, avendo questi votato per il cambio di regione a stragrande maggioranza con referendum popolare. [Sarebbe] un attentato alla democrazia di base, sabotare con cavilli giuridici quanto esplicitamente voluto dal Comune e dai Consigli regionali competenti.

    Analogamente si potrebbe dire — e lo va dicendo da anni — che rifiutare un referendum sul futuro del Sudtirolo equivale a usare la costituzione come clava contro la volontà dei cittadini; sarebbe un attentato alla democrazia di base sabotare la volontà popolare con cavilli giuridici. Strano che invece ci sia chi con tanta disinvoltura applica due pesi e due misure.



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • Der neue LH: Unmöglich.

    Autor:a

    ai

    |

    30 Comentârs → on Der neue LH: Unmöglich.

    Könnten Sie sich einmal eine politische Zukunft Südtirols bei Österreich bzw. einen Freistaat vorstellen?

    Ich kann mir sehr vieles vorstellen, wenn es die europäischen Entwicklungen zulassen. Derzeit sind diese Möglichkeiten aber nicht gegeben.

    Arno Kompatscher, der heute vom Landtag zum neuen Südtiroler Landeshauptmann gewählt wurde, im TT-Interview. Auch er wiederholt also das Argument der Unmöglichkeit, während in Europa mehrere Regionen dafür sorgen, dass sich die Rahmenbedingungen bzw. deren Wahrnehmung und Auslegung ändern.

    Im Landtag sagte er (laut Südtirol Online) außerdem an Eva Klotz gewandt:

    Andere Regionen beneiden uns um unser Niveau an Autonomie — auch Katalonien.

    Siehe auch: 01 02 03 04 05



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • (Renzis) Neozentralismus.

    Autor:a

    ai

    |

    2 Comentârs → on (Renzis) Neozentralismus.

    In Italien wird derzeit niemand im öffentlichen Diskurs auch nur annähernd sosehr mit der sogenannten Erneuerung in Verbindung gebracht, wie der neue PD-Vorsitzende Matteo Renzi. Um herauszufinden, wie sich der Staat während der kommenden Jahre wandeln könnte, ist es also durchaus sinnvoll, auf Renzis Vorschläge zu hören: So hat er kürzlich, als Teil seines Programmes, vorgeschlagen, den 5. Teil der italienischen Verfassung zu reformieren, der die lokalen Körperschaften (Gemeinden, Provinzen, Regionen) und ihr Verhältnis zum Staat regelt. Klare Ansage: Einige Zuständigkeiten, die in letzter Zeit an die Regionen übertragen worden seien, müssten — so Renzi — zurück an den Zentralstaat. Konkret nannte er etwa den Energiebereich.

    SVP-Senator Karl Zeller verlautbarte, dies werde Südtirol nicht betreffen, da unserem Land die Zuständigkeit für die Energie gesondert übertragen wurde, und zwar bevor sie auch alle anderen Regionen erhalten haben. Wahrscheinlich hat er damit Recht, sicher ist in diesem Staat — wie wir gerade während der letzten Jahre schmerzlich erfahren mussten — jedoch nichts.

    Ebenso wichtig wie die Verteidigung unserer Zuständigkeiten ist jedoch die künftige Entwicklung dieses Staates — und da scheint sich links wie rechts sehr vieles in Richtung Rezentralisierung zu bewegen. Spätestens seit Mario Monti wurde die Wirtschaftskrise genutzt, um zaghafte föderalistische Experimente zurückzunehmen, die Machtkonzentration in Rom zu stärken und über die Lokalkörperschaften rücksichtslos »drüberzufahren«.

    Dass Südtirol aufgrund seiner Autonomie besser dasteht, ist zweifelsohne richtig. Trotzdem wird eine derartige gesamtstaatliche Entwicklung unsere Bestrebungen nach mehr Eigenständigkeit konterkarieren. Schon jetzt nämlich zeigen angrenzende Regionen, vor allem Venetien, dass sie nicht gewillt sind, zusätzliche Ungleichbehandlungen hinzunehmen. Wenn aber der Trend weiter eindeutig in Richtung zentralistischem Einheitsstaat geht — und dieser Kurs sogar von einem Erneuerer und Hoffnungsträger mitgetragen wird — sieht es für die Hoffnungen auf mehr Autonomie, ja sogar »Vollautonomie« ziemlich schlecht aus.

    Weder kann Südtirol die Umwandlung Italiens in einen föderalistischen Staat bewirken, noch ist dies unsere Aufgabe. Wenn aber die Vorstellungen in Hinblick auf Eigenregierung und Subsidiarität so diametral unterschiedlich sind, wäre es an der Zeit, endlich ernsthaft über Alternativen zu sprechen und die BürgerInnen entscheiden zu lassen.


    Verschiedentlich war in letzter Zeit — besonders im Internet — zu lesen, eine Rezentralisierung der Energie wäre gar keine schlechte Idee, da Südtirol doch mit der SEL-Affäre gezeigt habe, mit diesem Bereich überfordert zu sein. Hierzu einige Überlegungen:

    • Der Staat hat über Jahrzehnte unsere natürlichen Ressourcen ohne wirkliche Entschädigung und Beteiligung Südtirols ausgebeutet. Die »Heimholung« der Energie war also ein längst überfälliger Schritt, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
    • Kein Land der Welt, auch nicht der Weltmeister Dänemark, ist völlig frei von Korruption. Wird irgendwo ein Fall von Miss- und Freunderlwirtschaft öffentlich, ist es wichtig, ihn restlos aufzuarbeiten und die Betroffenen zur Verantwortung zu entziehen.
    • Italien ist kein Land der absoluten Transparenz und Legalität, weshalb eine Rückgabe oder Rücknahme der Zuständigkeit ohnehin keine Garantie für weniger Korruption wäre. Statistisch gesehen wohl eher das Gegenteil.
    • (Halb-)Freiwillig eine Zuständigkeit zurückzugeben, nur weil es einen Korruptionsfall gegeben hat, würde nicht nur von demokratischer und rechtsstaatlicher Unreife und Unfähigkeit zur Übernahme von Verantwortung zeugen — man würde damit auch das Kind mit dem Bade ausschütten, denn
    • wenn wir von Autonomie und Eigenregierung sprechen, müssen wir uns einig sein, dass niemand so gut über die Bedürfnisse der Südtiroler bescheid weiß und in ihrem Sinne entscheiden kann, wie unsere eigenen Politiker (solange sie nicht korrupt sind, doch darüber zu wachen ist auch unsere Aufgabe).


    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • Studie bezweifelt EU-Ausschluss.

    Autor:a

    ai

    |

    10 Comentârs → on Studie bezweifelt EU-Ausschluss.

    Wie das katalanische Nachrichtenportal Vilaweb berichtet, stellt eine französische Studie den EU-Ausschluss separatistischer Regionen nach Abtrennung von ihrem Mutterstaat in Frage.

    Die renommierte Zeitschrift Politique étrangère habe einen entsprechenden Beitrag von Yves Gounin veröffentlicht, der bis 2012 Stabschef des französischen Ministeriums für Europaangelegenheiten war. Gounin stelle darin fest, dass die Situation sezessionistischer Regionen durchaus komplex, aber nicht mit anderen Beitrittskandidaten, wie Montenegro oder Türkei, gleichsetzbar sei. Aufgrund einer logischen Schlussfolgerung empfehle er, in redlicher Absicht miteinander zu verhandeln: »Sobald der Rubikon der Unabhängigkeit überschritten wurde, kann Europa nur verlieren, wenn es einen neu enstandenen Staat unter Quarantäne stellt.« Man müsse eine realitätsnahe und effiziente Lösung finden, die er in einer gleichzeitigen Umsetzung von Unabhängigkeit und Wiedereintritt in die EU sieht. Somit wären neue Staaten zwar nicht »automatisch« EU-Mitglieder, in der Praxis jedoch könnten sie sich am selben Tag vom alten Staat loslösen und als neuer Staat wieder in die Union aufgenommen werden.

    Für eine derartige Lösung sehe Gounin verschiedene Gründe:

    • Ein zeitweiliger EU-Ausschluss zur Verhandlung des Wiedereintritts hätte negative Auswirkungen auf Europa als Ganzes, beispielsweise aufgrund der vorläufigen Wiedererrichtung von Binnengrenzen.
    • Die Zulassung eines Staates, dessen Gebiet niemals Teil der EU war könne nicht mit der Wiederzulassung eines Gebietes gleichgesetzt werden, das zwar einen neuen Staat gebildet hat, wo jedoch EU-Gesetze bereits angewandt wurden.
    • In Anbetracht der Gründungswerte der Union (Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit) wäre die Ablehnung der Selbstbestimmung eine »demokratische Regression«.
    • Die EU sei vertraglich nicht nur als eine Union von Staaten, sondern auch als Union von Bürgerinnen definiert. Bisherigen EU-Bürgerinnen diese erweiterte Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH.

    Siehe auch: 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • Warten auf staatliche Kürzungen.

    Autor:a

    ai

    |

    2 Comentârs → on Warten auf staatliche Kürzungen.

    Die Unsicherheit besteht in der Frage, wieviel Geld am Ende die 13,5% Prozent sein werden, die das Land insgesamt an die Gemeinden ausschüttet, da die Höhe des Landeshaushaltes heute noch unklar ist. Das Land weiß heute noch nicht, welche Kürzungen der Staat zur Sanierung des Staatshaushaltes vornehmen wird — und davon hängen natürlich auch die Zuwendungen an die Gemeinden ab. Derzeit ist vereinbart, dass die Gemeinden mit den Zahlen von 2013 arbeiten sollen — sowohl für die laufenden Ausgaben als auch für die Investitionen. Bis zur Verabschiedung des Landeshaushaltes im März [!] gibt es also eine unsichere Situation — vor allem eben deshalb, weil heute noch niemand die Gesamtsumme kennt.

    Gemeindenverbandspräsident Andreas Schatzer im »Brixner« von Dezember 2013

    Rom muss also erst entscheiden, welche Kürzungen es Südtirol einmal mehr aufbrummen will — und nimmt sich dafür auch noch so viel Zeit, dass der Landeshaushalt erst im März verabschiedet werden kann. Zum Schaden durch den (unfreiwilligen) Verzicht auf Steuermittel gesellt sich also der Zwang zur Improvisation, die ein ganzes Vierteljahr währt, während eigentlich wichtige Impulse vonnöten wären.



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • 2014.

    Autor:a

    ai

    |

    5 Comentârs → on 2014.

    Das noch junge Jahr wartet mit einigen zukunftsweisenden Terminen auf, die die Entwicklung der europäischen Staatengemeinschaft nachhaltig prägen könnten.
    Am 18. September 2014 stimmt Schottland darüber ab, ob es beim Vereinigten Königreich bleiben möchte oder ein unabhängiges Land wird. Für den 9. November 2014 hat Katalonien ein Selbstbestimmungsreferendum angekündigt.
    Beide Ereignisse stehen unter unterschiedlichen Vorzeichen. London setzt dadurch demokratiepolitisch Maßstäbe, dass es sich mit Schottland einvernehmlich auf ein Referendum geeinigt hat. Das Resultat wird von London in jedem Falle respektiert. Auch die EU wird sich damit auseinandersetzen müssen und bis dato sakrosankte Dogmen aufbrechen müssen.
    Die Katalanen wiederum haben den Termin trotz Widerständen aus Madrid und Brüssel festgesetzt. Der Artikel aus der spanischen Verfassung über die Unantastbarkeit der Grenzen ist für Katalonien kein juristisches sondern ein politisches Problem. Wenn dem demokratischen Willen der Katalanen Rechnung getragen wird, dann können/müssen (in Madrid) Wege gefunden werden, juristische Paragraphen diesen neuen Entwicklungen anzupassen. Gerade auch deshalb sind die Entwicklungen in Katalonien für Südtirol höchst interessant.
    Für die EU könnten diese Entwicklungen der Schlüssel zu einer wirklich tiefgreifenden politischen Integration sein, die bis dato allzuoft von kurzsichtigen nationalstaatlichen Egoismen behindert wird.

    Burkhard Müller äußert sich am 8.11.2012 in der Süddeutschen Zeitung wie folgt:

    Die Unabhängigkeitsbestrebungen bedrohen laut ihm nicht Europa, sondern sind eine Konsequenz der Integration. Konkret: Nicht nur die Vernetzung, auch die Entmachtung und Entmündigung der Staaten ist durch die krisenhaften Vorgänge der vergangenen Jahre so stark vorangetrieben worden, dass die neuen Regionalstaaten nicht so sehr aus ihrem bisherigen Mutterstaat heraus – als vielmehr in den Schoß Europas mit seinen innig verschlungenen Wirtschaftsbeziehungen hineinfallen würden. […] Solch ein Staatenverfall wäre nicht Ausdruck von Desintegration, sondern im Gegenteil als Folge gesteigerter Integration zu werten.

    Ähnliche Ansätze lassen sich aus dem bemerkenswerten Beitrag, »Eine Tragödie von Aufstieg und Untergang« von Robert Cooper in der Neuen Zürcher Zeitung vom 16.09.2013 herauslesen. Er vergleicht die Habsurgermonarchie mit der EU:

    Beide, Habsburgermonarchie und EU ermöglichen den Kleinen das Überleben, indem sie ihnen Grössenvorteile verschaffen, dies aber in unterschiedlichen Bereichen. Während der fünf Jahrhunderte des Bestehens der Habsburgermonarchie war deren zentraler Beitrag die Sicherheit, die sie gegen Bedrohungen von aussen bot, beginnend beim Osmanischen Reich und dann übergehend auf Nationalstaaten, gegenüber deren destruktiver Dynamik sie weniger erfolgreich war. Dank der Existenz der Nato und dem Ende des Kalten Krieges ist Sicherheit in Europa kein zentrales Thema mehr.

    Der sichtbarste «Grössenvorteil» der EU ist stattdessen der Wohlstand, den sie durch ein Europa ohne Grenzen ermöglicht hat; der unsichtbare – und vielleicht noch wichtigere – Vorteil war und ist die Stabilität guter Beziehungen. Diese entstehen durch die gemeinsame Ausarbeitung der Gesetze, die Europa regieren. Die Zusammenarbeit mag in der Praxis ermüdend und zeitraubend sein, doch sie schafft Beziehungen zu den diversen Nachbarn, wie sie kein einzelnes Land jemals zuvor hatte. Die EU war bei der Herstellung eines politischen Ambiente, in dem kleine Staaten bequem leben können, so erfolgreich, dass die Versuchung Flanderns, Schottlands, Kataloniens und anderer, in den Luxus eines eigenen Staates zu kommen, in Zukunft Schule machen dürfte.

    Solches stellt keine Überraschung dar, denn kleine Staaten schlagen sich in vielen Belangen besser als grosse. Sie sind heimeliger, bindungsstärker und näher an den Bedürfnissen der Bürger. Nur zwei Dinge machen grosse Staaten wünschenswert: Sicherheit durch eine grosse Armee und Wohlstand durch einen grossen Markt. Die Habsburgermonarchie garantierte Sicherheit, während sie verschiedenen Nationalitäten ein Aufblühen erlaubte; die EU schuf Wohlstand und ermöglicht kleinen Staaten Prosperität und Mitsprache bei der Festlegung der gemeinsamen Regeln.

    Der Vergleich Robert Coopers zwischen Habsburgermonarchie und EU wirft unseren Blick auf ein weiteres Großereignis des Neuen Jahres. 2014 jährt sich mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges zum hundertsten Male die europäische Urkatastrophe. Mit ihr versank das alte Europa. Die Habsburgermonarchie verschwand von der Bildfläche.

    In einem lesenswerten Interview mit dem Kabarettisten Josef Hader (Süddeutsche Zeitung, 01.01.2014) finden sich zu diesem Thema einige interessante Aussagen:

    SZ: Österreich-Ungarn wirkte auf viele so morsch wie Kaiser Franz Joseph greise war. Sind Sie anderer Meinung?

    Hader: Es gab Pläne, den Vielvölkerstaat zu einer Föderation umzubauen. Einige Politiker, die nach 1919 an der Spitze ihrer Nationalstaaten standen, sprachen sich vor dem Krieg für eine Eigenstaatlichkeit aus – aber unter dem Mantel der Habsburgermonarchie. Weil die Zugehörgkeit zu einem größeren Staatengebilde für sie ja auch Schutz bedeutet hätte. Ich glaube, erst der Weltkrieg hat die Idee der Monarchie erst richtig ruiniert.

    SZ: Die Polen wären immer noch geteilt gewesen zwischen Deutschland, Österreich und Russland. Nach dem Krieg hatten sie endlich wieder ihren Staat.

    Hader: Die Polen haben ihren Staat bekommen, und in zwei Kriegen unendlich dafür bezahlt. Und auch alle anderen Staaten auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie haben ihre heutige Erscheinungsform mit vielen Millionen Toten bezahlt. Es wäre zynisch zu sagen, dass sich das 20. Jahrhundert für sie so richtig gelohnt hat.

    SZ: Inwiefern?

    Hader: Wenn wir einmal nicht von Nationalstaaten ausgehen, sondern von der Bevölkerung, hat der Ausgang des Krieges die Zündschnur für Kriege und blutige Konflikte gelegt, die teilweise bis heute andauern. Es gab so viele gemischtsprachige Regionen wie Galizien, Bosnien, Friaul. In solchen Gegenden waren Nationalstaaaten damals schlichtweg nicht sinnvoll. Aus sprachlicher und kultureller Sicht machten die Ländergrenzen nach dem Ersten Weltkrieg gar keinen Sinn. Während des Zweiten Weltkrieges wurde dann die Bevölkerung in Osteuropa so furchtbar effizient ausgerottet und ausgewechselt. Seitdem ist festgelegt, wo welche Sprache wohnen darf. Und jetzt sind wir alle wieder miteinander in Europa – da darf man schon fragen: Wofür war das Ganze?

    Fatalerweise ist auch unser Europa ein fragiles Gebilde. Nicht umsonst vergleicht Robert Cooper die EU mit der Habsburgermonarchie. Die EU hat es während ihrer Geschichte immer geschafft Wohlstand zu schaffen. Dies scheint mittlerweile keine Selbstverständlichkeit zu sein. Dazu Cooper:

    Wir leben heute in einer Welt unkontrollierter globaler Finanzmärkte, deren Mechanismen wenige begreifen. Und die Krise betrifft das Herz der EU: Wenn die EU aufhört, Wohlstand zu schaffen und gar zu Verarmung führt, wird auch sie zusammenbrechen. Da sie im Gegensatz zur Habsburgermonarchie kein Staat, sondern eine Gemeinschaft von Staaten ist, wird ihr Zusammenbruch nicht im Zentrum beginnen, sondern an den Rändern.

    Was Robert Cooper nicht anspricht, aber von Robert Menasse thematisiert wird, ist die mangelnde Fähigkeit der EU-Politik »europäisch« zu handeln. Auf dem Weg von Brüssel in die nationalen Hauptstädte verwandeln sich die Vertreter des EU-Ministerrates in nationale Politiker, die in ihren nationalen Hauptstädten das jeweils für ihr Land erreichte Verhandlungsergebnis hervorheben.

    Für Menasse muss etwas Neues entstehen, keine Übernation, sondern ein Kontinent ohne Nationen, eine freie Assoziation von souveränen Regionen.

    Dieses neue Europa kann dort seinen Anfang nehmen, wo die vielfach willkürlich und gegen den Willen der Bevölkerungen festgelegten nationalstaatlichen Grenzen nie Sinn machten. Mit europaregionalen Sonntagsreden ist es allerdings nicht getan. Gerade deshalb kommt Regionen, wie Katalonien und Schottland in der europäischen Integration von unabhängigen, freien Regionen eine Schlüsselrolle zu.

    Und wie schafft es diese Entwicklung, den für Robert Cooper so wichtigen Wohlstand zu garantieren? Resilienz heißt das Zauberwort. Darunter versteht man die Toleranz eines Systems auf Störungen. Der entfesselte Turbokapitalismus reagiert nicht tolerant auf Störungen. Während der Brixner Nachhaltigkeitstage im Mai 2013 bricht Niko Paech, ein Postwachstumsökonom, eine Lanze für die Regionalisierung Europas. Kleine, überschaubare politische Einheiten lassen sich nicht nur bürgernah und transparent verwalten, in ihnen lassen sich auch volkswirtschaftliche Kreisläufe etablieren, die auf Störungen tolerant reagieren. Das Schuldenproblem einer europäischen Region bringt (anders als jenes großer Nationalstaaten) nicht den gesamten Kontinent an den Rand des Abgrunds.

    Die EU bildet die Klammer und garantiert gemeinsame Spielregeln. Die Regionen verwalten im Rahmen der in Brüssel verhandelten Spielregeln, ohne nationalstaatliche Bevormundung, ihr Allgemeinwesen. 2014, 100 Jahre nach der europäischen Urkatastrophe, ausgelöst von nationalstaatlicher Hybris, besteht die Chance die Folgen der beiden europäischen Bürgerkriege nachhaltig zu überwinden.



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
  • Rechte Tiroler?
    Quotation

    Autor:a

    ai

    |

    17 Comentârs → on Rechte Tiroler?
    Quotation

    Die Tiroler weigern sich zum Beispiel, bei Straßenschildern, die den Weg nach Süden weisen, auch den italienischen Namen für “Bozen” anzugeben — nicht unähnlich den rechten Kärntnern bei ihrem Ortstafelstreit.

    Prof. Max Haller, Soziologe, ff Nr. 1/2014

    Ein wahrlich sonderbares Beispiel, das hier angeführt wird, um zu belegen, dass den Südtiroler Italienern im Falle einer Angliederung unseres Landes an Österreich »keine guten Aussichten« beschieden wären:

    • Aus welchem Grund sollte gemäß Territorialprinzip in einer einsprachig deutschsprachigen Region wie Nordtirol ein anderer als der amtliche deutsche Ortsname angegeben werden? Der Vergleich mit Kärnten ist unbrauchbar, da dort einer slowenischen Minderheit ihre Ortsnamen in ihrem eigenen Siedlungsgebiet verweigert wurden (und teils noch immer verweigert werden).
    • Wurde Nordtirol bzw. Österreich jemals von jemandem dazu aufgefordert, »auch den italienischen Namen für “Bozen” anzugeben«? Andernfalls kann man wohl schlecht von einer »Weigerung« sprechen.
    • Hätte das von Prof. Haller angeführte Beispiel Aussagekraft, könnte man es umgekehrt auch anführen, um die »schlechten Aussichten für deutschsprachige Südtiroler in Italien« zu untermauern — denn schließlich wird schon im Trentino der deutsche Name unserer Landeshauptstadt nicht auf Straßenschildern angeführt, obschon das Autonomiestatut, das dies ausdrücklich vorsähe, in der gesamten Region gültig ist.

    Autobahnschilder Vergleich.

    Auch aus -Sicht wäre die Angliederung Südtirols an Österreich keine erstrebenswerte Lösung. Das von Prof. Haller in seinem Beitrag angeführte Argument ist jedoch völlig sinnfrei.

    Siehe auch: 01 02



    Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL