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»Sezession ist Sezession.«

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ai

Gastbeitrag für das Onlineportal Telepolis, dort erschienen am 25.03.2014.

Die ebenso einfache wie trügerische Gleichung »Sezession ist Sezession« scheint den meisten Kommentaren zugrunde zu liegen, die die Vorgänge der letzten Wochen auf der Krim in einem Atemzug mit Schottland, Katalonien oder Südtirol erwähnen. Keinem Kommentator käme in den Sinn, nach einer ebenso vereinfachenden Maxime (in etwa »Staat ist Staat«) die USA, Deutschland oder die Schweiz mit Nordkorea gleichzusetzen, bloß weil es sich in all diesen Fällen um staatliche Gebilde handelt. Oder, um bei der Ukraine zu bleiben: Würde jemand ernsthaft mit Verweis auf die Gewalteskalation am Maidan vor einer friedlichen Kundgebung in Brüssel warnen? Wohl kaum — trotzdem soll die Krim nun angeblich als abschreckendes Beispiel für demokratische Prozesse in der EU dienen.

Seriöse und differenzierte Vergleiche lassen, kratzt man etwas an der Oberfläche, eklatante Unterschiede zwischen den Sezessionsbestrebungen auf der Krim und in der EU zutage treten, die eine Gleichsetzung als völlig realitätsfremd enttarnen. Was sich derzeit in der Ukraine abspielt, sind geopolitische und geostrategische Nachbeben des Kalten Krieges. Seit Jahren trachten die EU und Russland danach, ihren Einflussbereich auf die ehemalige Sowjetrepublik zu erweitern, wobei sie sich nur dann um die Einhaltung internationalen Rechts scheren, wenn es ihnen nützlich erscheint. So begünstigte die Europäische Union einen demokratisch spärlich legitimierten prowestlichen Machtwechsel in Kiew und nahm dabei, wie bemerkt wurde, auch neofaschistische Verbündete in Kauf.

Um nicht tatenlos zusehen zu müssen, wie ihm sein geografischer Vorhof wegbricht, inszenierte Putin ein Plebiszit für die Annexion der Krim: Die ist für Russland vor allem als Zugang zum Schwarzen Meer von militärstrategischer Bedeutung. Nichtsdestoweniger waren die jüngsten Ereignisse ein offenkundiges Beispiel für diplomatische Heuchelei: Den Putsch in Kiew legitimierten Vertreter der EU zunächst noch als Ausdruck von Selbstbestimmung. Als auch Putin, der ähnliche Ansprüche im eigenen Land (Tschetschenien) gern mit Panzern niederwalzt, das Selbstbestimmungsrecht für sich entdeckte, geißelte dies der Westen plötzlich mit Verweis auf die staatliche Integrität — obwohl man diese selbst nicht immer achtet (Irak, Afghanistan).

Kurzum: Sowohl in Kiew, als auch auf der Krim dürften Demokratie und Interessen der heimischen Bevölkerung im besten Fall eine Nebenrolle gespielt haben. Dasselbe gilt übrigens auch für die ukrainische Verfassung, die von der EU strapaziert wird, um die Abspaltung der Schwarzmeer-Halbinsel zu verurteilen, während sie beim Putsch in Kiew geflissentlich übersehen wurde.

Die Sezessionsbewegungen in der EU sind aus geostrategischer Sicht nachrangig. Es geht vielmehr um die »innenpolitische« Frage, ob die Union gewillt und imstande ist, einen weiteren, entscheidenden Schritt hin zur Überwindung der Nationalstaaten zu vollziehen, die die großen Verwerfungen des letzten Jahrhunderts, einschließlich des Kalten Krieges, erheblich mitverursacht haben.

Abgrenzung aufgrund angeborener Eigenschaften, Vortäuschung ethnischer Homogenität und der Anspruch, alle Mitglieder eines »Volkes« in einem Staat zu vereinigen (Gründe, die auch Russland für die Angliederung der dreisprachigen Krim vorschob), schufen jene explosive Mischung, die zwei »europäische« Weltkriege verursachte.

In mehrsprachigen Gebieten, zumal an den Grenzen der Nationalstaaten, sind die Widersprüche dieser historischen Entwicklungen am deutlichsten sicht- und spürbar, weshalb es Regionen wie Schottland, Katalonien und Südtirol sind, die sich jetzt dem homogenisierenden Anspruch der Nationalstaaten, durch den sicheren Rahmen der EU geschützt, am schnellsten entziehen möchten. Da sie nicht das Ziel verfolgen, neue Nationalstaaten zu bilden, sind diese territorialen, keineswegs expansionistischen Bewegungen kein Widerspruch, sondern konsequente Folge des Einigungsprozesses: Nicht mehr übergeordnete Interessen großer Weltmächte sollen die innereuropäischen Grenzverläufe bestimmen, sondern der freie Wille der Bevölkerung.

Brüssel sollte eigentlich daran interessiert sein, diese demokratischen Prozesse im Sinne einer unumkehrbaren Verflechtung des kontinentalen Raums zu unterstützen, statt am bisherigen Club der Nationalstaaten festzuhalten. Wenn nun aber gezeigt wird, dass Sezessionen auch im 21. Jahrhundert nur dann möglich sind, wenn expansionistische Bestrebungen einer Atommacht im Spiel sind, die im besten Fall über ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat verfügt, ist dies eindeutig das falsche Signal.

Die EU hätte als Friedensprojekt die Chance, alternative und wirklich demokratische Wege aufzuzeigen, wenn sie den Willen ihrer BürgerInnen höher bewertet, als überkommene Prinzipien wie die Einheit von Staaten. Statt sich aus wirtschafts- und machtpolitischem Eigeninteresse in anderen Ländern einzumischen, könnte sie dann weltweit glaubwürdig für Demokratie eintreten. Am Maidan ist dies gescheitert.



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Comentârs

8 responses to “»Sezession ist Sezession.«”

  1. Jonny avatar
    Jonny

    Sorry, aber das verstehe ich jetzt gerade nicht.
    Was wird denn dann aus Schotlland oder Katalonien, wenn es kein Staat sein will(soll?)? Was wäre denn im heutigen Europa die Alternative zum Staat? Und gibt es die im moment überhaupt, die Alternative?

    1. pérvasion avatar

      Staat ≠ Nation bzw. Nationalstaat

      1. Jonny avatar
        Jonny

        Und was heisst das jetzt??

      2. pérvasion avatar

        Südtirol wäre, wenn es sich von Italien abspaltet, ein unabhängiger Staat, aber keine Nation/kein Nationalstaat.

        Ein Nationalstaat definiert sich aufgrund der (angeblichen) sprachlich-kulturellen Homogenität seiner Bewohner und erhebt i. d. R. den Anspruch, das gesamte »Volk« in einem Staat zu vereinen. Sprich: Alle Franzosen (Bürger mit französischer Sprache und Kultur) leben in Frankreich, alle Spanier (Bürger mit spanischer Sprache und Kultur) leben in Spanien, alle Deutschen (Bürger mit deutscher Sprache und Kultur) leben in Deutschland.

      3. Libertè avatar
        Libertè

        .. wie die Einheit von Staaten.

        Hier wäre wohl Nationalstaaten angebrachter gewesen.
        http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalstaat
        und
        http://de.wikipedia.org/wiki/Staatsmodell

        Beim Wikipediaartikel zum Nationalstaat fällt folgender Satz auf:

        Zwischen den Begriffen Separatismus und Nationalismus besteht häufig nur ein perspektivischer Unterschied, abhängig vom Standpunkt des bestehenden Staates oder der Abspaltungsbefürworter.

        :?:

      4. pérvasion avatar

        .. wie die Einheit von Staaten.

        Hier wäre wohl Nationalstaaten angebrachter gewesen.

        Nein, denn die Einheit von Staaten (Unzerteilbarkeit) ist ein obsoletes Prinzip, egal ob der Staat, dessen Einheit beschworen wird, sich auf Grundlage der »Nation« definiert oder nicht.

        Zwischen den Begriffen Separatismus und Nationalismus besteht häufig nur ein perspektivischer Unterschied, abhängig vom Standpunkt des bestehenden Staates oder der Abspaltungsbefürworter.

        »Häufig«, das stimmt — nämlich dann, wenn der Separatismus sich auf den philosophischen Nationenbegriff beruft. BBD tut das nicht.

        Vgl. FAQ Nr. 15

      5. Libertè avatar
        Libertè

        Unzerteilbarkeit… Punkt an dich.

        Zum Wikipediaartikel das ist nicht meine Meinung, mich wundert nur was für Meinungen auf Wikipedia alles durchgehen!

        »Häufig«, das stimmt …

        Nein eben nicht, selbst wenn man sich auf den Nationenbegriff beruft (Katalonien macht das auch teilw.) muss man noch lange nicht Nationalistisch (im Sinne von man ist der beste) sein.

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