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Autorinnen und Gastbeiträge

Stoppt die türkischen Angriffe auf Afrin!
Appell

Seit dem 20. Jänner 2018 greift das türkische Militär gemeinsam mit dschihadistischen Gruppierungen das Gebiet Afrin in Rojava/Nordsyrien an. Kurden muslimischen, alevitischen und yesidischen Glaubens stellen die Bevölkerungsmehrheit Afrins. Darüber hinaus ist es Heimat christlicher Assyrer und syrischer Araber. Die Stadt Afrin mit ihren umliegenden Dörfern im äußersten Nordwesten Syriens konnte seit Beginn des Kriegs trotz wiederholter Angriffe durch die Nusra-Front, den Islamischen Staat (IS) oder andere islamistische Gruppen sowie das türkische Militär relative Stabilität und den Frieden bewahren. Mehr noch wurde Afrin vor allem ab 2015 für hunderttausende Binnenflüchtlinge aus Aleppo und den umliegenden Gebieten trotz Embargo und Isolation ein sicherer Hafen. Bis jetzt. Denn die türkische Armee und ihre dschihadistischen Hilfstruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) greifen momentan nicht nur Flüchtlinge gezielt an, sondern verursachen auch neue Fluchtbewegungen.

Die türkische Armee führt in Afrin einen Angriffskrieg gegen ein Gebiet innerhalb von Syrien. Diese Invasion soll zur Besetzung des gesamten Kantons Afrin führen, Vertreibungen von Kurden aus dem Kanton sind vom türkischen Kriegsherrn schon angekündigt worden. Das ist ein äußerst schwerwiegender Bruch des Völkerrechts. Erschwerend kommt hinzu, dass der Aggressorstaat Mitglied der NATO und des Europarats ist, dass dieser Angriff mit deutschen Leopard-Panzern und anderen, von NATO-Partnern gelieferten Waffen durchgeführt wird. Es geht um einen Angriff gegen die Selbstverteidigungseinheiten von Rojava/Nordsyrien, die die Türkei nicht bedrohen, die sich nicht nur gegen den IS heldenhaft verteidigt haben, sondern die entscheidende Kraft für die Befreiung der vom IS besetzten Gebiete Syriens waren. Nun sind genau jene Kräfte unter türkischem Beschuss, die in Syrien auch für die Sicherheit Europas gekämpft haben.

Afrin ist eine der drei selbstverwalteten Einheiten der „Demokratischen Föderation von Nordsyrien“. Schon seit 2012 baut die dortige Bevölkerung trotz Bürgerkrieg und dem von allen Kriegsparteien verhängten Embargo ein demokratisches Autonomiemodell auf. Es geht um ein für die gesamte Nahostregion innovatives Gesellschaftsmodell, das demokratische Selbstbestimmung mit Minderheitenschutz und Gleichberechtigung der Volksgruppen, der Religionen und der Geschlechter verbindet. Rojava/Nordsyrien kann als Modell für ein friedliches, demokratisches und föderales Syrien dienen, die große Hoffnung für Millionen von Syrern, die nach 7 Jahren Bürgerkrieg völlig am Ende sind.

Dieses Modell verdient unsere Solidarität. Die türkischen Angriffe machen jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung zunichte, destabilisieren vielmehr auch den bisher verschonten Norden Syriens, verschlimmern die humanitäre Lage von Millionen von Menschen, die bisher von direkten Angriffen verschont geblieben sind und verursachen neue Flüchtlingswellen, auch nach Europa. Darüber hinaus laufen die verschiedenen Minderheiten — Kurden, Christen, Aleviten, Yesiden — ernsthaft Gefahr, vertrieben und vernichtet zu werden.

In der Türkei werden alle Menschen, die gegen diese Invasion protestieren und sich für Frieden aussprechen, als Terroristen und Verräter gebrandmarkt. Bisher sind mehr als 600 Menschen in der Türkei verhaftet worden, weil sie sich öffentlich und in sozialen Medien gegen den Angriffskrieg gegen Afrin ausgesprochen haben.

Alle europäischen Regierungen, alle Europäer, die für Frieden, Demokratie und Menschenrechte eintreten, sind aufgerufen, sich gegen diesen Krieg des Erdoğan-Regimes zu stellen. Die Regierungen Europas, auch jene Italiens, müssen in der UNO, in der EU, in der NATO und im Europarat sofort klar und deutlich das Ende des türkischen Angriffs fordern. Die Regierungen Europas und vor allem der NATO-Staaten müssen die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO suspendieren und alle Rüstungslieferungen an die Türkei einstellen. Die Friedensverhandlungen zwischen der Türkei und den politischen Vertretern der Kurden, die 2015 unterbrochen worden sind, müssen genau wie die internationalen Friedensverhandlungen zur Beendigung des Bürgerkriegs in Syrien wieder aufgenommen werden.

Südtirol, Italien und die übrigen Staaten Europas müssen die demokratische Föderation Rojava/Nordsyrien anerkennen und deren Autonomie unterstützen. Sie müssen humanitäre Hilfe für Afrin und die übrigen Kantone leisten. Die Verteidigung dieser Region ist nicht nur in unserem Interesse, sondern auch moralisch geboten für Menschen, die nichts als den Schutz ihrer Grund-, Menschen- und Minderheitenrechte fordern. Auch wenn Dankbarkeit keine Kategorie der internationalen Politik ist, auch wenn in Europa größte Indifferenz gegenüber den Menschen in Syrien herrscht, ist heute menschliche Solidarität mit all jenen geboten, die sich unter enormen Opfern jahrelang gegen den Terror des IS gestellt haben, auch zum Schutz der Europäer.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Angriff auf ein demokratisches Experiment.
Türkei geht militärisch gegen Rojava vor

Seit 20. Jänner bombardiert und beschießt die türkische Armee den Kanton Afrin in Syrien, den westlichsten Teil des multiethnischen Autonomiegebiets Rojava-Nordsyrien, in dem vor allem Kurden leben. Rojava-Nordsyrien war militärisch erfolgreich in den letzten Jahren. Es hat sich unter größten Opfern verteidigt, z.B. in der Stadt Kobane an der türkisch-syrischen Grenze, hat die Hauptlast in der Zurückdrängung des IS getragen, war entscheidend bei der Rückeroberung von Raqqa, der Hauptstadt des IS-Gebiets. Hat der Mohr jetzt seine Schuldigkeit getan und darf gehen?

Rojava-Nordsyrien hat im Bürgerkriegsland Syrien noch mehr geleistet als eine Zone von relativem Frieden und Stabilität zu sein, die hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen hat. Es hat ein für den Nahen Osten neuartiges Gemeinwesen organisiert: demokratisch, multiethnisch, autonom, säkular mit Trennung von Islam und Staat und mit Gleichberechtigung der Frauen. Die Geschlechter sind nicht nur gleichberechtigt in den politischen Rollen, die Frauen Rojavas bilden einen Teil der Streitkräfte und eigene Polizeieinheiten. Der demokratische Konföderalismus, so nennen die Kurden dieses System, bildet eine Hoffnung für Millionen von Syrern gleich welcher Ethnie oder welchen Glaubens.

Das alles stört die Erdoğan-Türkei gewaltig, muss sie stören. Das Erdoğan-Regime hat die Kurden im eigenen Land, in Syrien und im Irak zum Hauptfeindbild überhaupt gemacht. Durch Rojava-Nordsyrien wird die Türkei nicht bedroht. Es stimmt zwar, dass die PKK sich immer noch militärisch wehrt, aber die große Mehrheit der kurdischen Bevölkerung ist für eine demokratische Autonomie innerhalb der Türkei. Rojava hat keine bewaffneten Anschläge in der Türkei durchgeführt, das wäre wie Selbstmord, würde den Vorwand für sofortige Invasion liefern. Die Selbstorganisation der Kurden in Syrien ist nicht gegen die Türkei gerichtet.

Die Kurden zu bekämpfen ist vielmehr das Hauptprogramm von Erdoğan. Rojava-Nordsyrien soll dafür bestraft werden, dass es sich autonom organisiert. Erdoğan braucht den Hass gegen die Kurden, um die eigene Macht zu zementieren. Wie ein typisch faschistisches Regime will er den türkischen Nationalismus nach außen wenden und startet einen völlig völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, um seine Macht zu zementieren und als großer Führer der Nation zu den Präsidentschaftswahlen 2019 anzutreten. Dann ist er seinem Ziel eines autoritären islamischen Sultanats näher.

Eine große Verantwortung trifft in diesem Zusammenhang Russland. Putin hat in diesen sieben Kriegsjahren in Syrien das Überleben des Assad-Regimes ermöglicht. Mit seiner Hilfe konnte Assad Aleppo in Schutt bomben, ganze Städte der Opposition aushungern, große Teile des Landes wieder zurückerobern. Da der von Russland gestützte Assad die Lufthoheit über Afrin hat, liegt es in der Verantwortung von Damaskus, dieses Gebiet gegen eine völkerrechtswidrige Invasion zu schützen. Doch hat Putin im Vorfeld der internationalen Syrien-Konferenz in Sotschi vom 30. Jänner anscheinend einen Deal mit Erdoğan getroffen. Das Assad-Regime soll weitere Gebiete, z.B. das von Rebellen gehaltene Idlib im Nordwesten, erhalten. Dafür wird der Kanton Afrin, Teil des autonomen Rojava-Nordsyrien, geopfert und entweder direkt Assad oder als „Pufferzone“ der Türkei mit ihren arabischen Hilfstruppen des NSA überlassen.

Die Kurden und anderen Minderheiten in Rojava, die als Bodentruppen gegen den IS den höchsten Blutzoll leisten mussten, werden in diesem zynischen Schachspiel den Interessen der Achse Assad-Iran-Russland einerseits und dem neuen Putin-Freund Erdoğan andererseits geopfert. Wenn überhaupt auf jemand, können Afrin und Rojava nur mehr auf die USA zählen, die sie bisher militärisch unterstützt haben. Doch auch die USA interessiert die demokratische Selbstorganisation dieses Teils Syriens nicht.

Ganz zu schweigen von der ohnmächtigen und unfähigen EU, die sich bisher nicht einmal zu einer klaren Verurteilung des Angriffs der Türkei auf Afrin aufgerafft hat. Der deutsche Außenminister, unter Kritik wegen der Ausrüstung der türkischen Armee mit den jetzt in Afrin eingesetzten Leopard-Panzern, hat sich nicht einmal dafür bereitgefunden, einen sofortigen Rüstungslieferungsstopp an die Türkei anzuordnen. Nur Frankreich hat sich an den UN-Sicherheitsrat gewandt. Schnell hat man in Europa die entscheidende Rolle vergessen, die Rojava im Kampf gegen den IS gespielt hat. Das ist bitter, das ist undankbar. Niemand fordert den Ausschluss der Türkei aus der NATO, aus der zollfreien Zone mit der EU und aus dem Europarat. Die Botschaft ist klar: Man darf also in der NATO und im Europarat sitzen und gleichzeitig die Zivilbevölkerung in einem Nachbarland massakrieren.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Waffen in ein Kriegsgebiet?
Warum man den Kurden dringend beistehen muss

Die Terrormilizen des IS haben den Nordirak seit Juni 2014 überrollt, kontrollieren jetzt weite Teile des Irak und Syriens und haben ein Kalifat, also einen islamischen Staat nach dem Muster des Kalifenreichs im 7. und 8. Jh., ausgerufen. Sie massakrieren Kurden, christliche Assyrer, Jesiden, haben tausende irakische Soldaten exekutiert, vertreiben alle Nicht-Muslime, versklaven die Frauen. Es wird die Scharia nach ihren Vorstellungen eingeführt. Über 500.000 Flüchtlinge haben in der autonomen Region Kurdistan und in der autonomen Region Rojava im Norden Syriens Schutz gesucht. Neben der humanitären Hilfe scheint es unausweichlich, die Kurden mit Waffen zu versorgen, wenn die Massaker der Dschihadisten beendet werden sollen. Doch neue Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, so der Einwand, fördert doch neue Gewalt. Und wird nicht am Ende damit ein eigener kurdischer Staat befördert?

Kurden demonstrieren in Bozen

Unabhängiges Kurdistan nicht auf der Tagesordnung

Wenn die Autonome Region Kurdistan oder auch eine größere, mehrheitlich von Kurden besiedelte Gebietseinheit die staatliche Eigenständigkeit fordert, wäre das nicht so abwegig. Die Kurden sind das größte Volk ohne eigenen Staat, aufgeteilt auf mindestens vier Staaten. Seit 1923 ist ihnen in all diesen Staaten übel mitgespielt worden, von politischer Unterdrückung über offene Diskriminierung bis hin zu Halabja 1988, als Saddam Hussein eine kurdische Stadt mit Giftgas vernichtete. Nur im Irak hat sich seit 2003 viel verbessert, in der Türkei erst sehr langsam seit der Machtübernahme durch Erdoğan vor zehn Jahren.

Die Kurden haben das Recht auf Schutz und Selbstverteidigung. Die Zentralregierung des Irak kann diesen Schutz nicht mehr bieten. Die Kurden haben dort seit 1991 Autonomie, in Syrien seit Anfang 2014 und verfügen über eigene Selbstverteidigungskräfte. Die Einheit des Irak haben die Kurden bisher geachtet. Der Präsident des Irak ist ein Kurde, auch der Außenminister. Es steht wohl nicht auf der Agenda der irakischen Kurden, in dieser Krise die Unabhängigkeit auszurufen. Die traditionell zu Kurdistan gehörenden Gebiete, wie z.B. die Millionenstadt Kirkuk, wollen die Kurden legitimerweise zurück. Auch die autonome kurdische Region im Norden Syriens will nicht Syrien als Staat auflösen, lehnt aber jeden neuen Zentralismus ab.

Der Westen hat in Syrien versagt

Der Westen, die großen Mächte, tragen eine ganz wesentliche Mitverantwortung dafür, dass die Lage in Syrien und im Nordirak völlig aus dem Ruder läuft. Seit fast dreieinhalb Jahren herrscht Bürgerkrieg, vor allem des Regimes Assad gegen das eigene Volk mit mittlerweile mindestens 140.000 Opfern. Der Westen hat nicht interveniert, Russland hat fleißig Waffen an das Assad-Regime geliefert. Die Dschihadistenverbände haben sich mit Al Kaida und anderen Extremisten vereint und kontrollieren weite Teile vor allem im Osten von Syrien. Es war Syriens Diktator Assad, der den IS-Terroristen erst zu dieser Macht verholfen hat. Das Assad-Regime hat viel mehr Zivilisten und Oppositionsmitglieder auf dem Gewissen, als das neue Kalifat. Dieses neue Terrorregime im Osten Syriens und im Nordwesten des Irak konnte nur entstehen, weil man Assad gewähren ließ. Nicht einmal eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung wurde in Syrien verhängt.

In Irak sind breite Teile der sunnitischen Bevölkerung im Westen des Irak von der schiitisch dominierten Regierung stark enttäuscht, fühlen sich diskriminiert. Viele sunnitische Stammeskämpfer haben sich auf die Seite der IS-Milizen geschlagen, sie wollen vor allem die Regierung Al Maliki weghaben. Der IS konnte sich im Nordirak nur deshalb so schnell durchsetzen, weil er Unterstützung durch die Stammeskrieger der Sunniten erhielt. Wenn die sunnitische Minderheit nicht ebenbürtig wieder in die Regierung in Bagdad einbezogen wird, riskiert der Irak sehr bald den Zerfall in zwei oder drei Teile.

Waffenlieferungen an die Kurden in Syrien und im Irak bringen keine neuen Risiken

Die kurdisch kontrollierten Gebiete im Irak und im Norden Syriens gehören nicht nur zu den sichersten Gebieten dieser Krisenzone, sondern auch zu den wenigen halbwegs demokratischen Gebieten. Die Kurden sind ein Stabilitätsfaktor in dieser Situation. Das autonome Kurdengebiet in Syrien will nicht, dass Syrien auseinanderbricht, aber auch nicht Opfer der Dschihadisten werden. Diese Gebiete wie die Autonome Region Kurdistan verfügen schon seit Jahrzehnten über Waffen, aber zu wenig, um den IS-Milizen auf Dauer standzuhalten. Dabei sind die Kurden derzeit die einzigen Kräfte, die am Boden militärisch eingreifen können, um den IS-Terror zu stoppen. Die Peschmerga sind eine erprobte kleine Armee, aber sie haben es mit Milizen zu tun, die vor nichts zurückschrecken und über moderne Waffen verfügen.

Kurden in Syrien brauchen noch dringender Hilfe

Noch dringender Hilfe benötigen die Kurden Syriens. Zu Beginn dieses Jahres ist in einem großen Gebiet längs der Grenze zur Türkei eine autonome Region ausgerufen worden, die Rojava genannt wird. Dort gibt es eine gewählte Regierung, die den multiethnischen und multireligiösen Charakter dieses Gebietes widerspiegelt. Doch Rojava ist eingekeilt zwischen dem IS-Kalifat, dem Assad-Regime, der Türkei und einem Irak, der mit sich selbst beschäftigt ist, sich selbst nicht verteidigen kann. Rojava braucht dringend Anerkennung und Unterstützung.

Wenn europäische Staaten jetzt keine Waffen an die Kurden liefern, wäre das die größte Heuchelei. Der Westen hat alle diese Regimes vom Irak, über Syrien, Saudi-Arabien bis Israel mit Waffen beliefert, die allesamt massiv Menschenrechte verletzten, Kriege führen gegen die eigene Bevölkerung oder die arabische Bevölkerung in besetzten Gebieten seit Jahrzehnten terrorisieren. Saudi Arabien wird bedenkenlos von den USA, Deutschland und Großbritannien hochgerüstet. Dabei kommen viele IS-Kämpfer und höchstwahrscheinlich finanzielle Unterstützung gerade aus diesem Land. Wenn schon die UNO oder NATO nicht eingreifen, müssen zumindest die direkt Betroffenen vor Ort in die Lage versetzt werden, sich zu wehren.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Sparen wir uns den Nationalstaat.

In der Süddeutschen Zeitung vom 29.03.2014 provoziert Stefan Ulrich mit einem Vergleich zwischen Südtirol und der Krim. Er ersetzt die Krim kurzerhand durch Südtirol, die Ukraine durch Italien und Russland durch Österreich. Klingt alles absurd. Ist es auch, sollte man meinen. Ziel der Übung: Wohl ein Vergleich zwischen innereuropäischen Unabhängigkeitsbestrebungen und den Vorgängen in der Ukraine.

Die EU hat den Umgang unter den Mitgliedsländern zivilisiert, sie sorgt für einen gemeinsamen Markt und die NATO sorgt für militärische Sicherheit. Warum also sollte eine nach Unabhängigkeit strebende Region zur Zugehörigkeit zu einem bestimmten Nationalstaat gezwungen werden? Warum sollte es nicht möglich sein, dass Katalonien, Schottland oder Südtirol als souveräne, unabhängige Regionen weiterhin Mitglied der EU bleiben und der Prozess, der den Weg dorthin ebnet, von höchster EU-Ebene definiert und begleitet wird?

Das Prinzip der Unantastbarkeit der nationalstaatlichen Grenzen scheint eines der letzten europäischen Tabus zu sein.

Stefan Ulrich glaubt, dass die nach Sezession strebenden europäischen Regionen mit einem Drei-Ebenen-Modell beruhigt werden könnten: Ebene 1 – die EU, Ebene 2 – die heutigen Nationalstaaten und Ebene 3 – die Regionen.

Eine Antwort darauf, warum Regionen, die innerhalb der EU souverän und unabhängig sein möchten überhaupt eine zweite Ebene benötigen, gibt er nicht. Möglicherweise kann sich der Autor einfach nicht vom Konzept der nationalstaatlichen »Solidargemeinschaft« lösen. Auch deshalb wird das Solidaritätsargument ins Spiel gebracht. Es scheint mittlerweile so zu sein, dass jede nach Unabhängigkeit strebende Region sich entweder verhöhnen lassen muss, wenn die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit nicht eindeutig ist, oder der mangelnden Solidarität bezichtigt wird, wenn ein hoher Nettoüberschuss an den Zentralstaat wandert.

Für Stefan Ulrich ist im Falle von Venetien, Südtirol, Katalonien und Schottland vor allem letzteres der Fall: Mangelnde Solidarität, die nach einer erfolgten Unabhängigkeit umso größere soziale Verwerfungen in Spanien, Italien oder Großbritannien hinterlassen würde.

Ökonomisch ist dieses Argument in keiner Weise belegt. Selbständigkeit erzeugt ein neues Niveau an Eigenverantwortung. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Sizilien oder Sardinien ohne den Zentralstaat ökonomisch besser leben würden als heute. hat sich zudem immer für einen innereuropäischen Finanzausgleich ausgesprochen, der klaren Regeln und Zielsetzungen folgen muss. Der Nettoüberschuss Südtirols an den Zentralstaat folgt dagegen weder klaren Regeln, noch dient er irgendeiner nachvollziehbaren Zielsetzung. Zudem setzen die Summen, um die es mittlerweile geht, die Zukunft Südtirols aufs Spiel.

Einige Zahlen:

  • Südtirol (Einwohner: 0,5 Mio., BIP: 18,5 Mrd.) dürfte heuer einen Nettoüberschuss von 1,5 Milliarden Euro an den Zentralstaat überweisen. Die volkswirtschaftliche Gesamtsituation Südtirols dürfte sich aufgrund der steigenden italienischen Staatsverschuldung sogar um über 2 Milliarden Euro verschlechtern.
  • Bayern (Einwohner 12,5 Mio., BIP: 488 Mrd.) zahlt innerhalb des deutschen Länderfinanzausgleichs 2013 eine Summe von 4,3 Milliarden Euro. Dagegen will der Freistaat rechtlich vorgehen.
  • Die Staatsverschuldung Griechenlands betrug 2011 355 Milliarden Euro. Seither folgt ein Rettungspaket nach dem anderen. Warum mag nicht (z.B.) Deutschland die griechischen Schulden in vier bis fünf Jahren vollständig abzahlen? Je nachdem, wie wir rechnen, entspräche der Südtiroler Beitrag von 1,5 Milliarden Euro an den Zentralstaat ca. 85 Milliarden Euro, die Deutschland an Griechenland überweisen würde. In 4 bis 5 Jahren wäre Griechenland schuldenfrei — als Akt der europäischen Solidarität könnte man dies doch verlangen dürfen? Südtirol überweist auf seine Wirtschaftskraft bezogen diesen Betrag an den Zentralstaat und muss sich dafür noch vorschreiben lassen wo und in welchem Ausmaß gespart werden soll.

A propos Einsparungen: Im Gesundheitsbereich sollen in Südtirol heuer 40 Millionen Euro eingespart werden. Der Ärztegewerkschaft ANAAO fällt zu diesem Thema nichts besseres ein, als die Schließung der Krankenhäuser in Innichen, Sterzing und Schlanders zu fordern. In einer Woche überweisen wir den Betrag von 40 Millionen Euro ohne jegliche Gegenleistung an den Zentralstaat. Daran etwas zu ändern fällt der zentralistischen, nicht selten nationalistisch angehauchten Gewerkschaft ANAAO nicht ein.

Das Ökonomische, so wichtig es auch ist, sollte jedoch nicht den Blick auf andere zentrale Themen verschleiern. Stefan Ulrich warnt vor dem Streben nach neuen völkisch fundierten Nationalstaaten. Dies wäre tatsächlich ein fataler Ansatz. Doch gerade die bestehenden Nationalstaaten haben bisher vielfach wenig Sensibilität für die sich von der Titularnation unterscheidenden Regionen entgegengebracht. Gerade deshalb besteht die große Chance einer europäischen Weiterentwicklung darin, dass der Kontinent vor allem an den Bruchlinien der Nationalstaaten neu entsteht und zusammenwächst. Ein Zusammenwachsen durch neue, mehrsprachige, nicht nach nationalen Kriterien definierte, unabhängige und in Europa eingebettete Regionen. An den nationalstaatlichen Bruchlinien, wo viele willkürlich gezogene Grenzen noch nie viel Sinn machten kann für Europa ein neuer Mehrwert entstehen, der vor 100 Jahren zerstört wurde. Die nach Unabhängigkeit strebenden Regionen an den Bruchlinien müssen allerdings jeglichen »nationalstaatlichen« Versuchungen widerstehen.

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BBD

Militärfreie Staaten.

Als Unabhängigkeitsbefürworter werde ich bisweilen mit der Frage konfrontiert, ob denn ein eigenstaatliches Südtirol eines eigenen, kleinen Heeres bedürfe und dann natürlich: wer das denn bezahlen soll. Bricht man die Militärausgaben des italienischen Staates (laut NATO sind das horrende 30.000.000.000 Euro im Jahr) anteilsmäßig auf Südtirols Bevölkerungszahl herunter, gelangt man zum Ergebnis, dass wir ohne das aktuelle Niveau des Verteidigungsbudgets auch um nur einen Cent zu erhöhen rund 300 Mio. jährlich für eigene Streitkräfte zur Verfügung hätten. Damit lägen wir gleichauf mit Luxemburg und Estland, aber deutlich vor Ländern wie Lettland (270 Mio.), Bosnien/Herzegowina (230 Mio.) und Malta (60 Mio.). Es ist also gar keine Frage der Finanzierung, sondern vor allem eine Frage der Opportunität — und da liegt nichts ferner, als die Gründung eines Südtiroler Heeres.

Sagt man das, wirds einem häufig selbst von Pazifisten mit großen, ungläubigen Augen quittiert. Die Utopie der Unabhängigkeit verkommt da schon mal zum verzeihbaren Übel… doch ein Staat ohne Verteidigung — wo gibt es das? Es wär’ zwar schön, ist aber (mal wieder!) gänzlich unrealistisch. Nun, wenn man sich einschlägige Daten zu Gemüte führt, bemerkt man schnell, dass ein militärfreies Südtirol in guter Gesellschaft wäre: Rund 10% der heute existierenden, souveränen Staaten (etwas über 200 an der Zahl) sind entweder völlig militärfrei (15 Stück) oder verfügen in Friedenszeiten über kein eigenes stehendes Heer (6 Stück). Dabei handelt es sich vor allem um Klein- und Kleinststaaten, die sich zwar teils von größeren Staaten mitverteidigen lassen, teils aber auch gänzlich »schutzlos« dastehen, ohne gleich von anderen eingenommen zu werden — wogegen sie sich schließlich auch mit einem Kleinstheer kaum wehren könnten.

Andorra und Liechtenstein (das nicht einmal ein Verteidigungsbündnis mit der Schweiz eingegangen ist), aber auch der Viermillionenstaat Costa Rica zählen zu den Ländern, die gar kein Heer führen. Island ist sogar NATO-Mitglied, ohne (seit 1869) eigene Streitkräfte zu unterhalten, was freilich auf die für die nordatlantische Allianz strategische Lage zurückzuführen ist. Andorra, Monaco und San Marino haben ihre Verteidigung hingegen ihren großen Nachbarstaaten Spanien, Frankreich und Italien anvertraut.

Siehe auch 1› 2›

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Avaaz: La NATO in Siria.

Cari amici,

Ho appena creato una nuova petizione e spero vorrete firmarla, si chiama:
Un intervento umanitario della NATO per fermare la violenza in Siria

È una questione molto importante per me e insieme possiamo fare la differenza! Se la firmerete e poi la condividerete con i vostri amici e contatti, riusciremo presto a ottenere il nostro obiettivo di 100 firme e potremo cominciare a fare pressione per ottenere il risultato che vogliamo.

Clicca qui per saperne di più e per firmare.

Campagne come questa partono sempre in piccolo, ma crescono se persone come noi si attivano: ti prego di prenderti un momento per dare una mano firmando e spargendo la voce proprio ora.

Grazie mille,
Thomas

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Intervento in Libia…
Intervento in Libia: giustizia monca senza polizia

La Libia una settimana fa si è trovata sull’orlo della tragedia di vedere repressa nel sangue una ribellione di massa pacifica all’inizio, di una vendetta militare contro gli insorti nelle città, del bombardamento delle folle in protesta, trasformando il paese in un campo di sterminio, ad opera di un tiranno da molte parti definito neuropatico.

Consentire di impedire altri attacchi aerei sui civili istituendo la no-fly-zone e disarmare il regime di Gheddafi era un atto dovuto da parte dell’ONU, anche in virtú della convenzione sulla prevenzione del genocidio del 1948. Alcuni stati fortunatamente si sono liberati dalla complicità con Gheddafi, tra cui tutta la Lega Araba, riconoscendo per tempo dei limiti invalicabili da parte dei regimi nella repressione di rivolte popolari. In questo senso la Libia dovrà fare scuola ed esigerà coerenza. Inoltre, una futura Libia democratica non solo sarà la miglior garanzia per il rispetto dei diritti dei suoi abitanti, ma anche per rapporti stabili e amichevoli con i paesi vicini e per il coordinamento dei flussi migratori.

Meno male che l’Italia, dopo tentennamenti iniziali e un primo ministro non intenzionato a “disturbare” Gheddafi, si sia convinta di intervenire. Giustamente nel centenario dell’inizio delle sue campagne libiche nel 1911 e la successiva colonizzazione l’Italia si presta a proteggere e liberare la popolazione libica invece di aggredirla e soggiogarla, aiuta a disarmare il suo dittatore invece di riempirlo di armi per gli affari suoi. Si è, per contro, tirata indietro la Germania, atto di incoerenza giacché la situazione libica non è fondamentalmente dissimile all’intervento nel Kosovo del 1999.

L’intervento umanitario, stando alla risoluzione 1973 dell’ONU, non è però volta ad eliminare Gheddafi né a creare uno stato democratico e a mantenere una Libia unita. A questo dovranno pensare i libici stessi, ma disarmando il regime si creerà lo spazio per avviare una trattativa fra il nuovo Consiglio nazionale nell’est del paese e forze del regime tese a cedere il passo ad una nuova Libia democratica, forse con la mediazione dall’esterno della Lega Araba o dell’ONU. Se non ci fosse stato l’intervento, certo, che ci sarebbe presto stata la pace, ma quella del cimitero.

L’interferenza estera nel conflitto in Libia non era conflitto internazionale, ma pure è legittimo perché il governo non ha rispettato il diritto internazionale umanitario nella repressione dell’insurrezione; legittimo anche in virtú del principio che lentamente va affermandosi dai tempi delle guerre in Bosnia, Kosovo e Somalia: la responsabilità degli stati di proteggere la popolazione civile, un principio che va a sostituire la vecchia regola della non-ingerenza negli stati sovrani, una regola che ha dato luogo a tanti eccidi e crimini nei confronti della popolazione civile a mercé dei loro tiranni. La Birmania insegna.

Nell’applicazione di questo principio, però, la comunità internazionale è divisa e del tutto incoerente. Benché con ritardi il dovere di proteggere e di ristabilire la pace fu rispettato nel Kosovo, in Bosnia e in Somalia, ma disatteso in tanti altri conflitti, i più clamorosi quello del Ruanda, della regione Kivu del Congo orientale e del Darfur nel Sudan, meno noti i casi dei tamili dello Sri Lanka, del Kashmir indiano, dei curdi della Turchia. Una futura convenzione internazionale dovrà definire meglio quando una repressione politica si trasforma in massacro e genocidio di civili. Inoltre, la comunità internazionale non potrà lasciare il diritto di veto a quegli stati, membri del Consiglio di sicurezza, da sempre ostili a tali interventi di polizia internazionale umanitari, di solito quegli stati colpevoli di simili stragi al loro interno, come la Russia e la Cina. Non solo la procedura di avviamento di tali interventi dovrà essere più democratica, ma lo stesso ruolo di guidare un tale intervento spetta alla Comunità Internazionale stessa, cioè all’ONU, non solo ad un paio di stati volenterosi, al “Sarkozy di turno”, oppure ad un’alleanza militare come la NATO col rischio di mescolare interessi strategici e nazionali con presunzioni umanitari.

Gheddafi è stato incriminato dalla Corte Internazionale di Giustizia per crimini contro l’umanità. Il magistrato, però, è piuttosto inutile se deve assistere inerme ai crimini che si consumano. Per uno stato di diritto è ovvio che la polizia non può intervenire solo quando le conviene o quando i rischi sono minimi. A medio termine, dopo il caso Libia, sarà più che necessario fissare delle regole condivise da tutti per tali interventi, stabilire criteri chiari per far scattare il diritto all’ingerenza umanitaria. L’intervento prefigura una sorta di “politica interna globale”, in cui i dittatori non saranno più liberi a massacrare la propria popolazione. Questo, a sua volta, avrà un effetto deterrente per i regimi disposti a tutto pur di mantenere il potere.

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Atomsprengköpfe für Südtirol?

Auf Vorschlag von Präsident Obama haben sich die USA und Russland grundsätzlich auf weitere Schritte in der nuklearen Abrüstung geeinigt. In diesem Zuge fordern andere Länder wie Deutschland, Niederlande und Belgien den Abzug amerikanischer Atomwaffen aus ihren Territorien.

Nach Informationen der Bürgerbeteiligungsplattform Avaaz.org soll nun dieses Wochenende bei einem NATO-Treffen in Portugal ein geheimer Deal über die Bühne gehen: Angeblich hätten sich Italien und die Türkei bereit erklärt, einen Großteil der Atomwaffen aufzunehmen, welche aus anderen Ländern abgezogen werden. Obwohl als Verwahrungsort der Luftwaffenstützpunkt Davian/Aviano (Friaul — ca. 70km Luftlinie von Südtirol entfernt) genannt wird, ist nicht auszuschließen, dass einige davon auch hierzulande stationiert werden sollen. Das weckt bittere Erinnerungen an die Zeit des Kalten Krieges.

Binnen weniger Stunden hat Avaaz schon mehr als die 25.000 Unterschriften gegen dieses Abkommen gesammelt, welche man sich als Gesamtziel vorgenommen hatte. Es bleiben jetzt aber noch wenige Stunden, um vor dem NATO-Gipfel möglichst viele Stimmen zusammenzubekommen und den Verantwortungsträgern unmissverständlich zu zeigen, dass wir die Waffen nicht haben wollen.

ruft zur geschlossenen Teilnahme an dieser Aktion auf! Darüber hinaus ist die sofortige Entmilitarisierung Südtirols zu fordern.

Hier geht es zur Avaaz-Abstimmung.

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