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Jugend ohne Zukunft.

In der FAZ ist jüngst ein Artikel erschienen, der sich mit der aktuellen Lage und Zukunft Italiens beschäftigt. Der Artikel zeigt schonungslos, in welch schlimmer Verfassung sich dieser Staat befindet.

Zwanzig Jahre mussten vergehen, bis Silvio Berlusconi rechtskräftig verurteilt wurde. Es ist nicht das Ende der Misere eines Landes, das zu den schönsten der Welt zählt, sondern die Bestätigung eines politischen und wirtschaftlichen Bankrotts.

Der Artikel schiebt meiner Meinung nach die Schuld zu sehr nur auf Berlusconi, trotzdem werden einige Aspekte der Wirtschaftskrise aus Sicht der nachfolgenden Generationen beleuchtet, für die dieses Land keine Zukunft mehr bietet:

Dann aber erzählt der Akademiedirektor von seiner Tochter. Sie hat ein Jura- und ein Literaturstudium mit Bestnoten abgeschlossen, findet jedoch keine Arbeit. Derzeit jobbt sie in einem Callcenter. Wenn sie in einem schäbigen Vorort von Mailand einen Mietvertrag für eine Bruchbude abschließt, muss der Vater kommen und eine Bürgschaft für die Wuchermiete stellen. Heirat? Enkel? Die Tochter, erzählt der Mann traurig, schüttelt immer nur den Kopf; sie könne doch nicht einmal für sich selbst sorgen. Es ist klar, dass er sie immer noch finanziert. “Bald ist meine Tochter vierzig. Was haben wir unseren Kindern nur für ein Land hinterlassen?

Das ist eigentlich der schlimmste Aspekt der Staatskrise, in welcher sich Italien befindet und hier hat nicht nur Berlusconi Schuld, vielmehr ist — ähnlich wie in Griechenland — ein Versagen auf allen Ebenen feststellbar. Durch dieses Schlamassel beraubt unsere Generation der Vierzigjährigen und unsere Elterngeneration den Kindern die Zukunft.

Meine Nichte, Mitte Zwanzig, ist in Rom deutschsprachig aufgewachsen, hat die deutsche Schule besucht, studiert und muss nun nach Berlin auswandern, da es in Rom keine adäquate Arbeit gibt. Gleichzeitig hört man immer noch von Gewerkschaften, die Stammrollen verteidigen, von Unternehmen, die kaum wettbewerbsfähig sind und von einem Heer an (Früh-)Rentnern, die zunehmend auch die Politik dominieren. Der Staatspräsident ist über neunzig, Berlusconi fast achtzig, das Parlament ist voll von Politikern, die eigentlich längst schon in Rente sein müssten. Für die Jungen bleibt kaum eine Chance, allerdings sind die Alten diejenigen, die das Land zusammenhalten:

Bei Kitas, Ganztagsschulen, Sommerbetreuung mag Deutschland hinter Frankreich und Schweden weit zurückbleiben – ausgerechnet im katholischen Italien sieht es für Familien, vor allem für die Frauen, noch viel schlimmer aus. Es wirkt, als hänge das ganze Land am Geld, an der Erfahrung, an den Immobilien, den Renten und am Arbeitseinsatz von Großeltern, Tanten, Schwägern. Die Familie ist der letzte Kitt.

Was in der Diskussion häufig vergessen wird, die Jungen, welche keine Arbeit finden, werden auch keine Wohnung kaufen und keine Familien gründen, dadurch wird eine ganze Generation ihrer Zukunft beraubt und das Land wird sich in einen Teufelskreis begeben, aus dem es nur schwer ein Entrinnen gibt.

Ein weiterer Aspekt ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit: Während früher beständig die Lira abgewertet wurde, um wettbewerbsfähig zu bleiben, zeigt nun der Euro schonungslos die Defizite auf. In der jüngst veröffentlichen PIAAC-Studie ist Italien vor Spanien an vorletzter Stelle in Bezug auf die grundlegenden Bildungskenntnisse. Telepolis fragt richtigerweise, ob dieser Bildungsnotstand auch ein Indiz für die Wirtschaftskrise ist. Länder, bei denen es an grundlegenden Bildungskenntnissen mangelt, werden von Wirtschaftskrisen stärker getroffen, den Rückstand aufzuholen wird fast unmöglich. Italien befindet sich nun seit einigen Jahren in einer Rezession, der Rückgang der Wirtschaftsleistung erfolgt nicht gleichverteilt, sondern Familien, die Jugend und alle jene, die es nicht in den geschützten Arbeitsmarkt geschafft haben, sind stärker betroffen. Für mich ist es geradezu zynisch, dass die Politik und Gewerkschaften immer noch von Solidarität sprechen, während sie in den letzten Jahrzehnten durch einen rigiden Arbeitsmarkt, mangelnden Reformen und vor allem ineffeziente Strukturen geradezu den Grundstein für die derzeitige Misere gelegt haben. Bei praktisch jedem wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Indikator ist Italien im Schlussfeld oder im unteren Drittel zu finden, ein Ausweg ist nicht in Sicht.

Die Rezession weist einen weiteren Aspekt auf, der wahrscheinlich in nicht allzu ferner Zeit zum Zusammenbruch Italiens führen wird: Die Staatsverschuldung steigt rapide, ist trotz harter Sparmaßnahmen außer Kontrolle und wird nicht mehr eingedämmt werden können. Mit über 130% des BIP betragen allein die Zinslasten ca. 90-100 Milliarden Euro und mit mathematischer Gewissheit steigen sie weiter bis das Vertrauen der Finanzmärkte endgültig zusammenbricht. Auch hier sind wir alle Schuld, über Jahrzehnte wurde eine steigende Staatsverschuldung als selbstverständlich hingenommen, ausbaden müssen es aber die nachfolgenden Generationen. Viel wird von Nachhaltigkeit gesprochen, bei praktisch allen Teilen der Bevölkerung und Parteien ist aber der Begriff der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit nicht angekommen.

Nun ist das Fest vorbei, das Buffet leer geräumt. Das Land, das seine Mode, sein Essen, seine Möbel, seinen Wein, aber auch seine Rennautos, Motorräder und Küchenmaschinen mit Riesenprofit in alle Welt exportieren könnte, steht vor dem Bankrott.

Während das Land vor dem Kollaps steht, wird in Rom munter weiter gestritten, anstatt sich der Probleme des Landes anzunehmen. In Südtirol hingegen klammern sich die SVP und viele andere Parteien an diesen Nationalstaat, der über Jahrzehnte bewiesen hat, dass es so nicht funktionieren kann. Wir sind es den nachfolgenden Generationen schuldig, dass wir endlich vorurteilsfrei über politische Alternativen nachdenken dürfen, ein Modell, das effizienter auf die Herausforderungen der Zukunft reagiert, bei dem unsere Jugend auch einer besseren Perspektive entgegensehen kann. Das bisherige Nationalstaat-Modell ist endgültig gescheitert.

Jetzt schon gehört Italien zu den teuersten Ländern Europas, und trotz der Dauerkrise steigen die Preise und die Steuern zugleich. Es bräuchte nicht nur das Abtreten des ewig wiederkehrenden Springteufels Berlusconi, es bräuchte den radikalen Austausch einer ganzen Politikerkaste, die sich die anarchisch-entspannten Italiener viel zu lange achtlos herangezüchtet haben. Ist das mit der sich neu formierenden Mitte aus alten Christdemokraten, ergebenen Berlusconianern und zynischen Banktechnokraten wirklich zu erwarten?

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NEOS zieht ins Parlament ein.
Neues aus Österreich

Die Partei NEOS hat bei der Nationalratswahl den Sprung ins Parlament geschafft. Damit weht ein frischer Wind in der österreichischen Politikszene, denn NEOS kann als liberale Neuerung angesehen werden, auch einige Exponenten des Liberalen Forums haben auf der Liste von NEOS kandidiert. NEOS hat den Anspruch einer bürgerlich-liberalen Bewegung:

Wir sind die Mitte. Wir betonen Eigenverantwortung, die Aufklärung und die intellektuelle Redlichkeit. Wir verfolgen sowohl im Bereich der Wirtschaft als auch im Bereich der Gesellschaftspolitik einen liberalen Ansatz”

— Matthias Strolz in der TT vom 01.10.13

Die Freiheitliche Partei Österreichs hingegen hat mit Liberalismus gar nichts zu tun, Ausländerfeindlichkeit und Populismus sind konträr zu liberalen Positionen. Diese Lücke hat nun, nachdem das Liberale Forum seit 1999 nicht mehr im Parlament vertreten ist, die NEOS mit Schwerpunkten gefüllt die auch aus -Sicht als interessant einzustufen sind:

  • Direkte Demokratie: Die Bürgerbeteiligung soll gestärkt werden, die Schwelle für eine Volksabstimmung auf 10% gesenkt werden. Neue Formen der Partizipation sollen entwickelt werden.
  • Bildung: Schulautonomie stärken, freie Wahl der pädagogischen Modelle, der Lehr- und Lernmethoden, der (über Mindeststandards hinausreichenden) Lehrinhalte und der Mitarbeiterinnen.
  • Chancen- und Generationengerechtigkeit: Abbau von Pensionsprivilegien, Rente erst ab 65, Schaffung von Alternativmodellen für den gleitenden Ausstieg.
  • Europa: Ziel ist ein europäsicher Bundesstaat, ein Verfassungskonvent soll einberufen werden, Stärkung des Europaparlamentes. Das liberale Forum will die Nationalstaaten abschaffen.
  • Familie: Zusammenfassung aller familienbezogenen geldwerten Leistungen (Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag, Mehrkinderzuschlag und Alleinerzieherabsetzbetrag) zu neuer Familienleistung. Offensive für Ausbau und Qualitätssteigerung von Kinderbetreuung durch Umschichtung der Familienförderung: Schaffung neuer Plätze für unter Dreijährige, Ausbau der Qualität.

Weitere wichtige Punkte sind der Abbau der Staatsschulden, Vereinfachung des Steuersystems, nachhaltiges Wirtschaften.
Dieser Ansatz hat Widerhall gefunden, mit 4,9% und 11 Mandaten wird nun die Bewegung ins Parlament einziehen. Interessant ist auch die Wählerstromanalyse, NEOS hat seine Stimmen vor allem von der ÖVP (61.000) und von den Grünen (57.000) gewonnen.
Das Programm ist für mich vorausschauend und innovativ, endlich wird ernsthaft über die Weiterentwicklung der EU nachgedacht und sogar die Nationalstaaten in Frage gestellt, der Bürger wird ernst genommen und neue Beteiligungsformen gesucht. Die Frage der Generationengerechtigkeit ist bei uns noch gar nicht angekommen, unser verantwortungsloses Verhalten in Bezug auf die Staatsverschuldung zeigt den vorherrschenden Egoismus auf. Dass Wirtschaften auch eine Frage der Gerechtigkeit und Fairness ist, ist in der gesellschaftlichen Mitte auch noch nicht angekommen, zu viele Kategorien zahlen nicht ihre Steuern und denken nur daran, welchen Anspruch sie auf Beiträge haben. Hier bedarf es eines fundamentalen Wandels.

Während in Deutschland und anderen Ländern die sogenannten liberalen Parteien nur ein Schatten ihrer selbst sind und auch dementsprechend abgewählt werden, war es nun höchst an der Zeit, dass wieder echte liberale Positionen in den Vordergrund rücken. Darunter müssen vor allem Bürgerrechte, Transparenz und Fairness fallen. Die FDP in Deutschland hingegen betrieb zuletzt kaum mehr als Klientelismus in Reinkultur, ein falsch verstandener Wirtschaftsliberalismus diente dabei als Vorwand. Die deutschen Grünen hingegen verstanden es nicht, diese liberale Lücke zu füllen, sie wären geradezu prädestiniert diese Rolle einzunehmen, stattdessen verstrickten sie sich in Steuerdebatten und die (vermeintliche) Bevormundung der Bürger durch einen “Veggie Day”.

Leider gibt es in Südtirol kein entsprechendes Pendant zu den NEOS, auch hier könnten die Grünen viel stärker auf die oben genannte Punkte setzen, sie bleiben aber vielfach in den Ansätzen stecken. Beispiel Direkte Demokratie: Hier wird zwar stark die Bürgerbeteiligung gefordert, kaum aber wird eine direktdemokratische Initiative lanciert, die nicht ihren Vorstellung entspricht, wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen (“epic fail”). Das ist nicht wirklich liberal. Beispiel Europa: Statt mit den innovativsten Regionen um die Weiterentwicklung der EU ohne Nationalstaaten zu arbeiten, klammern sich die hiesigen Grünen in geradezu verantwortungsloser Art und Weise an den Nationalstaat, um ja nicht irgendeinen italienischsprachigen Südtiroler vor dem Kopf zu stossen, währenddessen Italien immer weiter ins Chaos versinkt.

Es wäre also an der Zeit auch in Südtirol eine liberale Bewegung zu gründen, die sich den Herausforderungen mit neuen mutigen Ideen stellt, es wäre eine echte Chance, der Bevölkerung aufzuzeigen, dass es nicht nur um Beiträge, Verbote und Privilegien geht, sondern dass Verantwortung, Teilnahme und Gerechtigkeit an oberster Stelle stehen müssen.

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Rechtschreibung ade.

Der Spiegel: Rechtschreipkaterstrofe.Der Spiegel widmete seine Titelgeschichte von Ausgabe 25/13 der zunehmend schlechter werdenden Rechtschreibung der Schüler. Ein Grund für diese Entwicklung sind laut Spiegel die Unterrichtsmethoden, welche nicht in der Lage sind, insbesondere schwächeren Schülern, eine korrekte Rechtschreibung zu vermitteln. Dahinter steckt viel Ideologie, ob den Kindern sozusagen die Rechtschreibung aufdoktriniert oder ob sie sich selbst die korrekte Schreibweise beibringen sollen, im Grunde ein altes 68er-Thema. Bei der Methode “Lesen durch Schreiben” dürfen die Kinder anfangs so schreiben, wie es ihrer Vorstellung nach richtig ist, im Laufe der Zeit sollte sich dann die Rechtschreibung von selbst ergeben. Dieser Wunsch geht allerdings nur bei besonders begabten Schülern in Erfüllung. Für alle anderen Schüler mit durchschnittlicher Begabung und bei solchen mit einer Rechtschreibschwäche ist die Methodik geradezu katastrophal:

“Deutschlands Schüler werden so zunächst systematisch zu Rechtschreibanarchisten erzogen – um sie dann mühsam wieder aus der fremd verschuldeten Unfähigkeit zu befreien. […] Lange haben Eltern das hingenommen. Doch allmählich wächst der Widerstand, Kritiker finden sich zusammen. Alarmiert von Studien, die einen erschreckenden Verfall der Orthografie bei deutschen Schülern offenbaren, warnen Linguisten und Didaktiker, Pädagogen und Hirnforscher: Vor allem Risikokinder, die in einer spracharmen Umgebung oder mit Deutsch als zweiter Sprache aufwachsen, lernen so möglicherweise nie richtig schreiben. Gleiches gilt für Mädchen und Jungs, die zu einer Legasthenie neigen.”

Der Artikel spricht mir aus der Seele, seit Jahren beobachten meine Frau und ich schlechte Rechtschreibleistungen bei unseren Kindern. Zur Zeit habe ich drei schulpflichtige Kinder, jeweils in einer Südtiroler Volks-, Mittel- und Oberschule. Alles begann mit der Einschulung unseres ältesten Sohnes vor elf Jahren. Erstmalig wurde an unserer Schule “Lesen durch Schreiben” erprobt. Anfangs waren wir recht begeistert, unser Sohn schien schnell schreiben zu lernen, die offensichtlichen Fehler sollten wir aber nicht ausbessern, denn die Schüler sollten sich ihre Rechtschreibkompetenz selbst erarbeiten. Skeptisch wurden wir in den darauffolgenden Jahren, als sich das schriftliche Deutsch unseres Sohnes angesichts der Schulstufe einfach nicht bessern wollte. In Gesprächen mit den Lehrern wurde dies als nicht weiter bedenklich eingestuft, auch wenn wir zunehmend Zweifel bekamen, ob diese Methode wirklich die gewünschten Ergebnisse bringen würde. Schlussendlich wurde unser Sohn getestet, es wurde eine durchschnittliche Rechtschreibleistung festgestellt. Er besucht nun die vierte Oberschule und leider ist das Niveau der Rechtschreibung nicht tolerierbar. Auch bei meinen anderen zwei schulpflichtigen Kindern sind die Rechtschreibleistungen im Vergleich zu unserer Generation deutlich schlechter. Seit Jahren machen meine Frau und ich auf diesen Missstand aufmerksam, ohne allerdings Gehör zu finden. Die Lehrer der Oberschule bemängeln das Niveau der Schüler, welche aus der Mittelschule kommen, die Lehrer der Mittelschule wiederum das Niveau der Schüler beim Übertritt von der Volks- zur Mittelschule.

Wir hatten und haben das Gefühl, dass die Schule auf diesem Gebiet nicht ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachkommt. Da wir aber beide keine Pädagogen sind, konnten wir nur an die Lehrer appellieren, doch wieder mehr Wert auf die Rechtschreibung zu legen — bisher allerdings erfolglos. Das Fass zum Überlaufen brachte dieses Jahr eine Volksschullehrerin, die auf die Bitte meiner Frau nach besserer Rechtschreibkontrolle uns damit vertrösten wollte, dass sie sagte, in Zukunft sei das nicht mehr so wichtig, da bald die Computer alle Rechtschreibfehler korrigieren werden! Das war für uns der absolute Tiefpunkt, wir fragen uns, was bei diesem Berufsstand an Selbstreflexion und Berufsstolz übriggeblieben ist. Schleierhaft ist für uns auch die Rolle des Pädagogischen Institutes, welches zwar bestens besetzt ist, aber anscheinend von den Mängeln in der Schule nichts mitbekommt. Stattdessen werden an den Schulen munter weiter zahlreiche Projekte betrieben, vor lauter Kartoffelwochen, Bananenkoffer, Theater und Musicals bleibt den Schülern kaum Zeit, die Grundlagen von Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen. Im Übrigen wird kaum Knabenspezifisches gemacht, unsere Söhne haben die Volksschule mit all dem Gesang und “kindischen” Basteleien in schlechtester Erinnerung.

Ein weiterer Problemfall ist der Italienischunterricht, auch hier ist ein Fehler im System zu attestieren, allein des Durchblättern der Lehrhefte zeigt, dass diese den Vergleich mit den englischen Lehrbüchern nicht standhalten, nach mehr als 10 Jahren Italienischunterricht ist unser Sohn kaum imstande ein paar Sätze auf Italienisch zu sprechen, wohingegen Englisch, obwohl erst seit der 4. Volksschule Unterrichtsfach, deutlich besser gelingt. Unserer Meinung nach gibt es hier ein didaktisches Problem, das aus politischen Gründen nicht thematisiert wird. Viele aktive Lehrer haben unseren Eindruck bestätigt.

Was tun? Es genügt nicht mehr, diese Defizite in Expertenkreisen zu diskutieren, hier braucht es eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, wohin die Schule steuern soll. Nicht die elende Diskussion über die Fünf- oder Sechstagewoche sondern die schonungslose Offenlegung der Unterrichtsdefizite sollte im Mittelpunkt stehen. Nachdem meine Generation der Vierzigjährigen in der Schulzeit sicherlich zu wenige Schulprojekte erlebt hat, muss angesichts dieser Auswüchse und Negativleistungen eine Gegenreaktion erfolgen, eine Besinnung auf traditionelle Kompetenzen, allen voran Lesen, Schreiben, Rechnen. Ansonsten droht uns, wie mir bereits mehrfach Arbeitgeber berichteten, eine wahre Flut von kaum vermittelbaren Schulabsolventen.

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Südtirol Pur.

In der heutigen FAZ-Onlineausgabe ist ein Artikel über Südtirol erschienen.

Für den Leser gibt es nicht wirklich Neues zu erfahren, es wird zumindest versucht, ein relativ neutrales Bild von Südtirol zu zeichnen. Allerdings werden auch gerne Klischees verbreitet, so wurden als exemplarische Südtiroler einige Besucher der Gaststätte Nadamas vorgestellt, bei denen die Vorfahren aus Italien und Südtirol stammen und die Gespräche gemischtsprachig verlaufen. Als weiterer Südtiroler wird Elmar Thaler vorgestellt, wiederum ein aus meiner Sicht nicht unbedingt exemplarischer Südtiroler. Wie viel das mit der Realität in unserem Land zu tun hat, kann jeder selbst beurteilen.

Eigenartigerweise wird als Titelbild Molveno in Trient abgebildet. Am Ende des Artikels kommt auch Arno Kompatscher zu Wort, der den »Freistaatgedanken« ablehnt und den Befürwortern vorwirft, die Sache nicht zu Ende zu denken:

Die lügen sich in die Tasche. Denn bei einer Trennung müssten wir einen Anteil der Verschuldung übernehmen.

Aber müssen wir das nicht sowieso?

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Antwort auf einen ‘konstruktiven’ Beitrag.

Vor einigen Tagen veröffentlichte Benno Kusstatscher auf Salto.bz einen Artikel, der den »Freistaat«-Befürwortern gewidmet ist. Kusstatscher kündigt einen »konstruktiven« Beitrag an, fällt jedoch sofort in einen plump-pauschalisierenden Ton auf Stammtischniveau, der gerne gerade den Unabhängigkeitsbefürwortern unterstellt wird. hat sich stets um eine möglichst analytisch-neutrale Berichterstattung bemüht, wird aber immer wieder von unseren Vorzeigeintellektuellen verunglimpft bzw. mit allerlei Vorurteilen bedacht. Ich habe den Artikel zum Anlass genommen, den Text zu »drehen«,um den Unabhängigkeitsgegnern einen Spiegel vorzuhalten: dass genau sie in jene Falle der Pauschalisierung tappen, die sie gerne uns vorwerfen.

Der Text entspricht nicht der Meinung des Autors, sondern soll — als reine Umkehrung — eine entlarvende Wirkung entfalten: Auf dieser Ebene zu argumentieren ist nicht sinnvoll.

Liebe Nationalstaat-Förderer, dieser Beitrag ist euch gewidmet. Damit es mir etwas leichter von der Feder geht, erlaube ich mir, euch mit aller Sympathie respektvoll als »Nationalisten« anzureden. Und doch juckt es mich, ein bissel zu stänkern. Nehmt es nicht persönlich. Es ist konstruktiv gemeint.

Warum das Thema Nation/Italien für euch so aktuell ist, auch hier auf salto.bz, weiß ich auch nicht. Weil Berlusconi euch an Diktatoren des letzten Jahrhunderts erinnert? Weil ihr euch den Süd-Euro nicht entgehen lassen wollt? Weil ihr euch an Italiens Verschuldung solidarisch mitverantwortlich fühlt? Weil es Südtirol gut geht? Oder einfach, weil wir im Wahlkampfjahr sind?

Es ist auch nicht meins, zu diskutieren, ob es in Zukunft über dem Nationalstaat Italien wieder wärmer schiene. Mich beschäftigt vielmehr, wie dieses ewige Nationalstaat-Beharren auf andere wirkt. »Italienisches Finale«, wenn ihr wollt. Ja schade, dass der Begriff derart negativ besetzt ist, trotzdem werdet ihr und eure Kinder (falls ihr überhaupt welche habt) euch daran gewöhnen müssen. Den nationalen Scherbenhaufen haben wir vor eurem ersehnten italienischen Wiederaufstieg.

Immer nur Italien

Ihr Nationalisten seid nicht die, die mit Ma-siamo-in-Italia-Sprüchen mühevoll aufgebautes Porzellan zerschlagen. Ihr habt durchaus intellektuelleren Zugang, seid verantwortungsbewusster. Zumindest glaube ich das hoffnungsvoll. Aber reflektiert ihr auch über die europäische Wirkung solcher Symbolik? Auch wenn wir hier auf salto.bz eben immer nur Südtirol, Südtirol, Südtirol diskutieren, lesen kann man uns weltweit. Was werden unsere Nachbarn sich denken?

Ich mache mir es jetzt etwas leicht und tauche in ein hypothetisches Stammtischmilieu ein. Ein kleiner zynischer-böser Rundumblick, um euch wachzurütteln:

An einem Stammtisch im Trentino könnte ich mir auch folgende Argumentationsweise durchaus vorstellen: »Ihr Südtiroler seid mir schöne Freunde! Erst schreit ihr ’Los von Trient’ und wollt die Region aushöhlen. Dann steigt ihr zwecks Euregio wieder mit uns ins Bett. Und schließlich knallt ihr uns mit dem Nationalstaat wieder in eine ungewisse Zukunft.«

Am Nordtiroler Stammtisch könnte man Gedanken vermuten wie: »Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Wie lange wollt ihr noch von Berlusconis regiert werden? Seit Jahrzehnten strecken wir euch die Hand aus, haben euch bei Krankenhausaufenthalten, an der Universität bevorzugt. Trotzdem ist euch Italien lieber. Sobald es euch angesichts der italienischen Misere wieder schlechter geht, werdet ihr wieder zu uns kriechen und die Einheit Tirols beschwören.«

Und in Osttirol: »Kaum haben wir wieder begonnen, uns mehr am gemeinsamen Pustertal zu orientieren, geht ihr mit eurem Nationalstaat baden. Wie sollen wir uns da in Zukunft weiterentwickeln, wenn ihr euch an dieses gescheiterte Nationalstaat-Modell klammert?«

Im Münchner Bierzelt: »Nationalstaat? Pfui Deibel! Solln’s doch ba die Kanaken bleibn!«

Im Engadin: »Die sollen doch machen, solange wir nicht für ihre Schulden haften müssen.«

Katalonien, Schottland etc: »Diese feigen Südtiroler. Prahlen da von ihrer Vorzeigeautonomie und dann wird ihnen Stück für Stück genommen, ohne dass sie aufbegehren. Was seid ihr denn für Autonomisten, wenn ihr euch die Hosen ausziehen lässt, ohne jede Konsequenz? Wir gehen in jedem Fall weiter, mal sehen, wie weit ihr mit eurem Nationalstaaten-Gehabe kommt.«

Brüssel nicht zu vergessen: »Jetzt geben wir denen die Werkzeuge in die Hand. Ein Europa der Regionen könnten sie bauen, endlich die Vision der Gründerväter eines Europas ohne Nationalstaaten verwirklichen. Etwas wirklich Großes und Visionäres schaffen. Aber nein, geschaut wird nur auf den Geldbeutel, solange Italien euch noch einen Teil eures Geldes überweist. Europa möchte die Nationalstaaten abschaffen, eine gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik machen, aber ihr beharrt in euren alten Grenzen im Kopf und möchtet unbedingt alles überholte bewahren, bis zum bitteren Ende. Wann wacht ihr endlich auf?«

So, liebe Nationalisten, ohne polemisch sein zu wollen habe ich ich mich jetzt satt der Polemik bedient, um zu erklären, warum mir dies alles suspekt ist. Mir ist nämlich gute, interregionale Nachbarschaft lieber, als in alten Grenzen zu denken. Habt ihr nicht gedacht, dass euer Festhalten an einem gescheiterten Staat eure Nachbarn verunsichert, verärgert, brüskiert? Viel Feind viel Ehr? Europäische Zukunft wird doch nicht von egozentrischen Nationalmatadoren gebaut, sondern gemeinsam mit Nachbarn in Europa ohne nationale Grenzen. Europäische Innenpolitik nennt man sowas. Wir sollten uns bewusst machen, dass man ohne Freunde kein grenzenloses Europa bauen kann. Und dass man als gescheiterter Staat sehr viele Freunde braucht. Erkennt endlich, welchen Scherbenhaufen ihr uns und unseren Nachkommen hinterlassen werdet. Wer trägt dann die Schuld, alle jene, die am ewigen ’weiter so’ festgehalten haben, trotz einer sich anbahnenden Katastrophe? Bedenkt doch bitte bei künftigen Nationalstaat-Diskussionen, dass der nachbarschaftliche Aspekt genauso zum Thema gehört wie die »Siamo-in-Italia«-Problematik. Denkt etwas mehr in .eu und weniger in .it und noch viel Erfolg in diesem Sinne!

Siehe auch ‹1

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Nachnationale Demokratie.

Robert Menasse hat in seinem neu erschienen Buch “Der europäische Landbote” [s.] nicht weniger als die “Erfindung einer nachnationalen Demokratie gefordert”. Menasse, der sich selbst als “befürwortenden EU-Kritiker” bezeichnet, hat für seine Recherche zu seinem neuen Buch einige Monate in Brüssel verbracht und dort eine offene und professionelle EU-Bürokratie kennengelernt. Menasse geht in seinem Essay mit den Nationalstaaten hart ins Gericht. Aus seiner Sicht wurde Europa als Friedensprojekt initiiert, das angesichts der verheerenden Kriege in Europa nicht weniger als die Überwindung des Nationalismus zum Ziel hatte. Dieses Ziel wurde in den letzten Jahrzehnte durch die Einführung eines gemeinsamen Marktes und Währung weit vorangebracht, allerdings ist im letzten Jahrzehnt die Entwicklung zum Stillstand gekommen, der Grund ist für Menasse das Festhalten an den Nationalstaaten.

Er fordert deshalb eine neue nachnationale Demokratie, welche in erster Linie in einem Europa der Regionen verwirklicht werden muss, wobei die EU gemeinsame Rahmenbedinungen schafft:

Innerhalb der gemeinsamen Rahmenbedingungen können die Bürger an ihrem jeweiligen Lebensort, in ihrer jewiligen Region das gemeinsame Leben je nach ihren Kulturen und Mentalitäten, nach ihren Traditionen und ihrer Innovationsfähigkeit, nach ihren lokalen Anforderungen und Bedürfnissen gestalten, also die in der europäischen Verfassung festgeschriebene Subsidiarität mit demokratischem Leben erfüllen. (…) Welchen Sinn, welchen Vernunftgrund soll da noch die dazwischengeschaltete Instanz “Nation” haben? Rational ist sie durch nichts mehr zu begründen.

Für Menasse hat jeder Mensch eine multiple Identität, die nicht am Begriff Nation festgelegt werden kann, vielmehr sind

die Menschen […] doch in Wahrheit in ihrer Region verwurzelt, durch das Leben in ihrer Region geprägt. Was ist schon “nationale Identität” verglichen mit Heimatgefühl? Heimat zu haben, ist ein Menschenrecht, nationale Identität nicht. (…) Die regionale Identität ist die Wurzel der europäischen.

Damit eröffnet das Buch eine neue Perspektive und versucht, den bisweilen ziemlich inhaltsleeren Begriff des Europa der Regionen mit einer geradezu zwingenden Weiterentwicklung der EU zu verbinden. Diese Brücke zwischen einer supranationalen EU und weitestgehend unabhängigen, nur durch gemeinsame Rahmenbedingungen miteinander verbundenen Regionen kann zu einer Überlebensfrage der EU werden. Die gegenwärtige Krise in der EU erfordert geradezu neue Lösungen, die laut Menasse sich von selbst ergeben.

Diese Krise wird Europa einen großen, einen wahrscheinlich entscheidenden Schritt voranbringen. […] Nein, die Krise ist keine Chance, die Krise ist ein Zwang. Sie wird, bei Gefahr eines ansonsten drohenden Untergangs Europas, jene politischen Lösungen und die Reformen der europäischen Verfassung erzwingen, die davor wegen nationalstaatlichen Kleingeists nicht möglich waren.

Siehe auch ‹1 | 1›

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Bye bye Hans Heiss.

Am Montag, den 3. September hat Hans Heiss seinen Rückzug aus der Politik mit den nächsten Landtagswahlen verkündet. Dieser Abgang schmerzt. Mit seinem liberalen, offenen und selbstkritischen Geist nimmt Heiss eine Ausnahmestellung in der politischen Landschaft Südtirols ein.

Heiss kann sich — wie übrigens fast die gesamte grüne Mann-/Frauschaft — nicht für die -Ziele erwärmen, sogar im Abschiedsbrief findet sich folgende Aussage:

Die notwendige Entwicklung einer umfassenden Südtirol-Perspektive diesseits von Vollautonomie, Freistaat und Sezession fordert vollen Einsatz, für den zunehmend neue Ideen und Leistungsträger gefragt sind.

Nichtdestotrotz ist Hans Heiss eine herausragende Gestalt, die mich, vor allem was die Fähigkeit zur Selbstkritik anbelangt, immer an Alexander Van der Bellen, ehemaliger Vorsitzender der österreichischen Grünen, erinnert. Dieser linksliberale Geist ist in Südtirol leider unterrepräsentiert, auch in den Reihen der Südtiroler Grünen findet sich keine/r der/die ihm das Wasser reichen könnte.

Heiss mahnt in seinem Abschiedsbrief auch eine Verjüngung der Grünen an, wobei neue Visionen gefragt sind:

Vor allem sollten wir Raum schaffen für Jüngere, deren Dynamik, Ideenreichtum und Gespür für Grüne Politik im Wachsen sind. Die Grüne Kompetenz in den Bereichen Umwelt, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ist zu ergänzen um soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Visionen, die Südtirol weiter bringen. Unser Land kann ein regionaler Bezugspunkt für lebendige Demokratien und Transparenz, die Zusammenarbeit von Sprachgruppen und Kulturen, für sozialen Ausgleich und wegweisende Umweltpolitik werden. Der Weg hin zu einer weltoffenen Region, ohne Polit-Filz und patriotische Kleinstaaterei, dafür mit bestechenden Lösungen auf vielen Ebenen, ist ohne die Grünen nicht denkbar.

Wie dies bewerkstelligt werden soll bleibt unklar, wird aber auch nicht mehr seine Aufgabe sein. Doch die Realität bei den Grünen sieht anders aus: Der in den letzten Jahren zunehmend verbohrt besserwisserische Ton mit einem tiefen Misstrauen gegenüber allen Initiativen für mehr Unabhängigkeit (bei gleichzeitiger vollkommener Kritiklosigkeit gegenüber den Missständen des Zentralstaates) wird bei den nächsten Wahlen sicherlich nicht hilfreich sein — auch wenn die Piraten als mögliche Konkurrenz sich bisher als Reinfall erwiesen haben.

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Dezentralisierung, Chance in der Krise?

Die Finanzkrise steuert langsam auf ihren Höhepunkt zu, von Politikern und Ökonomen werden täglich neue Lösungsvorschläge vorgestellt, wobei der Durchschnittsbürger schon lange den Durchblick verloren hat und die täglichen Schreckensmeldungen stoisch hinnimmt. Wahrscheinlich ist den wenigsten bewusst, welche Gefahr für Europa droht, denn die schleichende Entmündigung und Verarmung der Bürger nimmt immer größere Ausmaße an. Die bisherigen Maßnahmen waren fast wirkungslos, der große Befreiungsschlag durch die EZB steht noch aus.

Auch Südtirol gerät immer mehr in den Sog der Finanzkrise; obwohl hier die wirtschaftlichen Eckdaten stimmen, droht durch immer neue Sparvorgaben aus Rom auch hier die Wirtschaft abgewürgt zu werden. Es stellt sich die Frage, ob die derzeitige politische und wirtschaftliche Ordnung auch zukunftsfähig ist, denn die exorbitante Verschuldung, die mangelnde Produktivität und das unfähige politische Establishment in Italien drohen auch bisher erfolgreich arbeitende Regionen in einen Abwärtssog zu ziehen. Eine interessante Analyse haben jüngst zwei Ökonomen auf der Internetseite “Ökonomenstimme” veröffentlicht. Sie schlagen eine politische und institutionelle Reform vor, welche auf eine stärkere Dezentralisierung in Europa abzielt.

Es gilt, den Hauptpunkt der Modernen Politischen Ökonomie ernst zu nehmen: Wirtschaftliche Erfolge sind das Ergebnis guter Wirtschafts- und Finanzpolitik, die wiederum ist das Ergebnis der Anreize der relevanten politischen Entscheidungsträger. Diese Anreize werden durch die politischen Institutionen geprägt. Entsprechend ist die Krise Griechenlands das Resultat der griechischen politischen Institutionen. Folglich gilt es, diese Institutionen zu verbessern, um die Anreize der politischen Entscheidungsträger für gute Politik zu stärken.

Illustrativ dafür ist die Schweiz. Sie ist ein wirtschaftlich und gesellschaftlich besonders erfolgreiches Land mit zufriedenen Einwohnern, weil sie besonders gute politische Institutionen hat, insbesondere kleinräumigen Föderalismus und direkte Demokratie. Auch den Deutschen, den US-Amerikanern oder den Skandinaviern geht es dank ihren relativ funktionsfähigen politischen Institutionen gut. In all diesen Fällen spielt Dezentralisierung und der mit ihr einhergehende offene politische Wettbewerb zwischen Gemeinden, Gliedstaaten und unabhängigen Ländern im selben Kultur- und Sprachraum eine entscheidende Rolle.
Auch aus Sicht der modernen Ökonomik schafft Dezentralisierung durch föderalistischen Wettbewerb und echte regionale und lokale Eigenverantwortung Wohlstand und Wachstum. Sie fördert den sparsamen Umgang mit den knappen öffentlichen Mitteln, erhöht die Steuermoral der Bürger, verhindert übermäßiges Staatswachstum und gibt den politischen Entscheidungsträgern Anreize, die Wirtschaft vernünftig zu regulieren. Zudem fördert Dezentralisierung auch eine gute Politik auf zentraler Ebene. Sie entlastet die Zentralregierung, die sich auf ihre wirklichen Aufgaben konzentrieren kann, nämlich die Erstellung nationaler öffentliche Güter. Dezentralisierung begünstigt auch die Entstehung neuer fruchtbarer Institutionen; so wurden in der Schweiz die Schuldenbremse oder der neue finanzkraftorientierte Finanzausgleich zuerst auf kantonaler Ebene entwickelt und erst dann auf Bundesebene übertragen. Schließlich macht Dezentralisierung den politischen Wettbewerb um die nationalen Ämter erst funktionsfähig. In föderalistischen Staaten gibt es viel mehr Politiker mit einem einigermaßen sicht- und kontrollierbaren Leistungsausweis. Deshalb sind dann auch die Wahlkämpfe und der politische Diskurs auf nationaler Ebene viel problemorientierter und weniger von hohlen Versprechungen geprägt.

Griechenland stellt für die Autoren das Gegenteil dar, denn es ist zusammen mit Portugal das am stärksten zentralisierte Land der Eurozone. Die Ergebnisse sprechen für sich, vor allem mangelt es an einem direkten Rückkopplungsmechanismus zwischen Ausgaben und Einnahmen, denn wenn das Geld aus Athen, Rom, Lissabon kommt, ist quasi jede Ausgabe eine gute Ausgabe.

Das lokale Steueraufkommen hat praktisch nichts mit den Einnahmen der lokalen Körperschaften zu tun, weil zuerst alles Geld nach Athen fließt. Deshalb sind weder die Lokalpolitiker noch die Bürger an effizienter Mittelverwendung, hoher Standortattraktivität und Steuerehrlichkeit interessiert. Vielmehr betätigen sich die Politiker verständlicherweise vor allem als Beutejäger in Athen, um sich einen möglichst großen Teil des zu verteilenden Kuchens zu sichern. Aber niemand hat Anreize, sich ernsthaft dafür einzusetzen, den Kuchen durch gute Politik für die Zukunft zu vergrößern. Da die Transfers aus Athen in die Regionen unabhängig vom lokalen Steueraufkommen fließen, gibt es keinen sozialen Druck, die Steuern gesetzeskonform zu bezahlen. Wer Steuern bezahlt, schadet seinen Nachbarn. Denn dann fließt das Geld nach Athen, statt in den lokalen Wirtschaftskreislauf.

Als Lösung bietet sich die Dezentralisierung an, Voraussetzung ist die Existenz regionaler und lokaler Gebietskörperschaften, denen mehr Kompetenzen aber auch Verantwortung übertragen werden muss. Ein Finanzausgleich, der Effizienz belohnt, nicht bestraft und vor allem nicht die Schulden der Gebietskörperschaften übernimmt, kann ein weiteres Instrument für den Erfolg regionaler Politik und Verantwortung sein. Die Autoren betonen, dass Griechenland bereits gute Erfahrungen mit der Dezentralisierung gemacht hat: Das antike Griechenland war total dezentralisiert.

Was bedeutet das für Südtirol?

Die jüngste Entwicklung mit den von Rom diktierten Einsparungen und Kompetenzbeschneidungen sind für die wirtschaftliche Entwicklung in Südtirol eine große Gefahr, die bisher kaum in Mitleidenschaft gezogene Konjunktur würde durch zentralistische Sparvorgaben abgewürgt, mit all den negativen Konsequenzen wie zunehmende (!) Verschuldung, Arbeitslosigkeit usw.
Südtirol hat bewiesen, dass es im Vergleich zu Sizilien sehr wohl zu Eigenverantwortung und finanzpolitischer Stabilität fähig ist. Die von manchen Seiten geforderte “Solidarität” mit dem Zentralstaat ist zu 100% konträr zu den gemachten Erfahrungen und belohnt all jene, die eine weitere schleichende Entdemokratisierung Europas vorantreiben wollen. Eine Dezentralisierung ist somit ein wichtiger Baustein für eine Reform der EU, wenn wir eine demokratischere, erfolgreichere und bürgernähere Zukunft wünschen!

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