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EU: Audiovisuelle Vielfalt umfasst Minderheitensprachen.

Kürzlich hat das EU-Parlament eine Entschließung zur Umsetzung der 2018 aktualisierten Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste verabschiedet. Der genehmigte Text beinhaltet auch mehrere Punkte, die für Sprachiminderheiten von Interesse sind.

Nicht nur wird in den Prämissen der Entschließung ausdrücklich auf die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats Bezug genommen, die von mehreren Mitgliedsstaaten — einschließlich Italien — nie ratifiziert wurde. Auch im Beschließenden Teil sind Forderungen enthalten, die im Falle ihrer Umsetzung konkrete Fortschritte mit sich bringen würden.

So wird darin hervorgehoben

wie wichtig es ist, die Zugänglichkeit (Synchronisation, Untertitel, Audiodeskriptionen und andere) in allen Sprachen des Gebiets zu erleichtern, in denen der audiovisuelle Mediendienst erbracht wird[.]

– Punkt 16 der Entschließung

Hervorhebung von mir

Der darauffolgende Punkt stellt klar, dass die audiovisuelle Vielfalt auch die Minderheitensprachen umfasst:

[Das EU-Parlament] fordert verstärkte Anstrengungen zur Verbreitung europäischer Werke, die die gesamte Bandbreite der europäischen Sprachenvielfalt repräsentieren, wobei sowohl die Amtssprachen als auch die Regional- und Minderheitensprachen berücksichtigt werden sollten; hält es daher für unerlässlich, Daten über die sprachliche Verbreitung audiovisueller Mediendienste zu erheben, einschließlich Informationen über die sprachliche Vielfalt bei der Synchronisation, Untertitelung und Audiodeskription, die damit verbunden sind und zusammen mit diesen Diensten zur Verfügung gestellt werden, um gezielter handeln zu können[.]

– Punkt 17 der Entschließung

Hervorhebungen von mir

Beide Punkte gehen in dieser Form auf Änderungsanträge der katalanischen EU-Abgeordneten Diana Riba i Giner (ERCGrüne/EFA) zurück. Ob sie von Kommission und Rat, an die die Entschließung gerichtet ist, beziehungsweise von den Mitgliedsstaaten in irgendeiner Form berücksichtigt werden, bleibt fraglich. Das EU-Parlament hatte sich zum Beispiel auch in Bezug auf die Minority-Safepack-Initiative (MSPI) deutlich minderheitenfreundlicher gezeigt, als es die Kommission letztendlich war.

Bei den audiovisuellen Mediendiensten, mit denen sich die Richtlinie befasst, geht es neben klassischen TV-Angeboten unter anderem auch um Streamingdienste wie Netflix, Apple TV oder Amazon.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Brixen will Kinder gleichgeschlechtlicher Paare eintragen.

Am Donnerstag verabschiedete der Brixner Gemeinderat einen Antrag, demzufolge sich die Gemeinde gegenüber dem italienischen Parlament für die Eintragung von Kindern gleichgeschlechtlicher Paare starkmachen wird. Zudem sollen unverzüglich die entsprechenden meldeamtlichen Schritte eingeleitet werden, sobald es dafür eine Rechtsgrundlage gibt.

Das Team K, das den Vorschlag eingebracht hatte, hätte sich gewünscht, dass die Gemeinde noch etwas weiter geht und der Gesetzeslage ungeachtet sofort mit den Eintragungen beginnt. Dennoch ist das Votum eine wichtige Willensbekundung zugunsten der Gleichberechtigung.

Unterstützung für den Vorstoß kam aus den Reihen der Grünen Bürgerliste, der SVP und des PD.

Der Vertreter von FdI im Gemeinderat, Antonio Bova, zeigte sich über die Annahme des Antrags entsetzt, weil die Gemeinde über ihre Zuständigkeiten hinausgegangen sei. Womit, ist unklar. Ferner gebe es dem Rechtsaußen zufolge ein Recht auf einen Vater und eine Mutter. Das ist erstens eine Lüge, wenn man zum Beispiel an Alleinerziehende denkt; und zweitens erschließt sich mir nicht, wie die Benachteiligung von Kindern gleichgeschlechtlicher Paare diesem angeblichen Recht dienen sollte.

Allerdings hatte das EU-Parlament Italien erst kürzlich klar für diese Diskriminierung gerügt.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Antrag von Ponsatí an Nazi übergeben.
EU-Parlament

Nach ihrer jüngsten illegalen Festnahme (und sofortigen Freilassung) in Katalonien, hat die von der spanischen Justiz wegen ihrer Rolle beim Referendum vom 1. Oktober 2017 verfolgte EU-Abgeordnete Clara Ponsatí (JxC)  beim Europäischen Parlament einen Schutzantrag gestellt.

In der Zwischenzeit war Ponsatí mindestens ein weiteres Mal in Barcelona und blieb unbehelligt.

Der für die Behandlung des Schutzantrags zuständige parlamentarische Rechtsausschuss hat nun den bulgarischen Rechtsextremisten und bekennenden Fan eines Europa der Nationalstaaten Angel Dzhambazki zum Berichterstatter in dieser Frage ernannt. Diese Rolle hatte das Mitglied der EKR-Fraktion, deren Co-Vorsitzender damals Raffaele Fitto (FdI) war, bereits beim Antrag auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Carles Puigdemont, Clara Ponsatí und Toni Comín (alle JxC) inne. Das entsprechende Verfahren war von mehreren Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet und endete im März 2021 zu ungunsten der drei Katalaninnen — deren Immunität nach der Verhaftung von Puigdemont auf Sardinien allerdings vom EuGH vorläufig wiederhergestellt wurde.

Dzhambazki im EU-Parlament (Quelle: TwitterVideo)

Im Februar 2022 sorgte Dzhambazki im EU-Parlament für einen Eklat, als er am Ende einer Rede, in der er unter anderem Orbán und die Fidesz vehement verteidigt hatte, demonstrativ den Hitlergruß machte.

Diesen Freund der spanischen Vox (und der italienischen FdI) hält der Rechtsausschuss also für geeignet, federführend den Antrag von Clara Ponsatí zu betreuen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

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Crusca gegen geschlechtergerechte Sprache.

Die öffentlich-rechtliche italienische Sprachgesellschaft Accademia della Crusca befasste sich kürzlich mit einer Frage des Ausschusses für Chancengleichheit beim italienischen Kassationsgericht zum Thema der Gleichstellung von Frauen und Männern in Rechtsakten.

In ihrer Antwort bewies die Jahrhunderte alte Institution nicht zum ersten Mal eine ultrakonservative, reaktionäre Sicht auf die Sprache.

So empfehlen die Sprachhüterinnen öffentlichen Institutionen — nicht auf Rechtsakte beschränkt — auf Sternchen1»Car* amic*, tutt* quell* che riceveranno questo messaggio…«) und auf das sogenannte Schwa (ə) zu verzichten. Darüberhinaus sprechen sie sich aber sogar gegen gängige Paarformen (wie in »Bürgerinnen und Bürger«) aus. Zulässig seien einzig neutrale Bezeichnungen (wie »Mensch«2im Italienischen gleichlautend mit »Mann«, »Personal«, »Angestellte«) oder: das generische Maskulinum.

Die Crusca behauptet sogar, das generische Maskulinum sei die beste Art, damit sich alle gemeint fühlen, denn es sei Aufgabe dieser Form, zu inkludieren.

Sonst müsste man ja — Achtung: Totschlagargument! — Millionen von Texten, einschließlich der Verfassung, neu schreiben, denn auch im italienischen Grundgesetz sei nur von »Bürgern« (cittadini) die Rede. Frauen sind halt mitgemeint.

Offen zeigt man sich nur für weibliche Berufsbezeichnungen, wie es sie in vielen anderen Sprachen — einschließlich des Deutschen — quasi immer schon gegeben hat: Lehrerin, Sekretärin, Präfektin. Dies gilt aber natürlich auch nur dann, wenn ausschließlich eine oder mehrere Frauen gemeint sind. Sobald auch nur ein Mann dabei ist, setzt der sich durch.

Das Land Südtirol hat sich diesbezüglich (für Deutsch, Ladinisch und auch Italienisch) deutlich fortschrittlichere Richtlinien gegeben, die im Einklang mit denen des Europäischen Parlaments stehen, und lässt sich von den rückwärtsgewandten Ausführungen der italienischen Sprachwächterinnen hoffentlich nicht beeinflussen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

  • 1
    »Car* amic*, tutt* quell* che riceveranno questo messaggio…«)
  • 2
    im Italienischen gleichlautend mit »Mann«
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Kinder homosexueller Eltern, EU-Parlament rügt Italien.

In einem von inzwischen mehreren queerfeindlichen Schritten der Regierung von Giorgia Meloni (FdI) untersagte das italienische Innenministerium den Kommunen kürzlich, weiterhin Kinder von homosexuellen Paaren zu registrieren.

Vor allem der Bürgermeister von Mailand, Beppe Sala (Verde), machte diesen abermaligen Einschnitt bekannt.

Das EU-Parlament nahm dies vorgestern zum Anlass, Italien im Rahmen einer Entschließung eine deutliche Rüge auszusprechen:

Das Europäische Parlament […] verurteilt die Anordnung der Regierung Italiens an den Stadtrat von Mailand, die Registrierung von Kindern gleichgeschlechtlicher Eltern einzustellen; ist der Ansicht, dass diese Entscheidung unweigerlich zu einer Diskriminierung nicht nur gleichgeschlechtlicher Paare, sondern vor allem auch ihrer Kinder führen wird; vertritt die Auffassung, dass diese Maßnahme eine unmittelbare Verletzung der Rechte des Kindes darstellt, die im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 aufgeführt sind; ist besorgt darüber, dass diese Entscheidung Teil eines breiter angelegten Vorgehens gegen die LGBTQI+-Gemeinschaft in Italien ist; fordert die Regierung Italiens auf, ihre Entscheidung sofort zurückzunehmen[.]

aus der Entschließung ( P9_TA(2023)0094) zum Thema »Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2022 – Die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union«

Italien war bereits eines der absoluten Schlusslichter in der EU und im gesamten sogenannten Westen, was die Anerkennung von Rechten queerer Menschen betrifft. Mit dieser reaktionären Regierung unter neofaschistischer Führung sind weitere deutliche Einschnitte zu befürchten, die — gerade in einem Land wie Italien (vgl. ‹1 ‹2) — selbst im Falle eines späteren Regierungswechsels Jahre erfordern würden, bis sie wieder ansatzweise rückgängig gemacht sind. Der individuelle, aber auch der gesellschaftliche Schaden, der in der Zwischenzeit angerichtet wird, ist ohnehin enorm.

Da über den Änderungsantrag ( B9-0189/2) von Renew, mit dem der Passus in die Entschließung eingefügt wurde, nicht namentlich abgestimmt wurde, konnte ich nicht eruieren, wie der Südtiroler Abgeordnete Herbert Dorfmann (SVP) abgestimmt hat.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 | 1›

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Südtirol und Trentino gegen den Stalinismus.

Ist es die Angst, es sich mit den Faschistinnen zu verscherzen? Unwissenheit? Desinteresse? Fakt ist jedenfalls, dass der Regionalrat jüngst nicht nur den Widerruf einer Auszeichnung für Josip Broz gefordert, sondern auf Wunsch von FdI auch einen Antrag (Nr. 44/2021) gegen Totalitarismus verabschiedet hat.

Dass gerade die, denen eine auch nur halbwegs glaubwürdige Distanzierung vom Faschismus schwerfällt, den Nationalsozialismus, Kommunismus, Faschismus und Stalinismus (in dieser Reihenfolge) verurteilen wollen, ist nur auf den ersten Blick merkwürdig. Sie tun es im Sinne der Gleichmacherei, zur Tarnung und Vertuschung — denn in je breiterer schlechter Gesellschaft sich der Faschismus befand, desto weniger einzigartig und schlimm war er. Und desto mehr haben alle vor der eigenen Haustüre zu kehren. Dass so mitunter Täter und Opfer, Aggressorinnen und Angegriffene über einen Kamm geschoren werden, ist durchaus erwünscht.

Fotokopien solcher Anträge reicht die Partei von Giorgia Meloni landauf landab auf dem gesamten Staatsgebiet ein und kann sich dabei auf eine höchst umstrittene Entschließung des EU-Parlaments (vom 19. September 2019) zu diesem Thema berufen. Deren »Ausgewogenheit« geht allerdings weniger auf eine ernsthafte historische Bewertung oder Gewichtung denn auf die rein politische Balance zwischen der unterschiedlichen Sensibilität und Interessenlage west- und osteuropäischer EU-Mitgliedsstaaten zurück, die sich gleichermaßen berücksichtigt wissen wollten.

Für die italienischen Neofaschistinnen, die von sich selbst ablenken wollen, ist das ein gefundenes Fressen. Seht her, alle haben Leichen im Keller, was also wollt ihr von uns?

Und die Mehrheit im Regionalrat geht dieser offensichtlichen Geschichtsklitterung und Verschleierungsstrategie auf den Leim. Man muss sich echt wundern, was alles geht.

Siehe auch 1›

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MSPI: EuG deckt Untätigkeit der Kommission.

Dass sich das Gericht der Europäischen Union (EuG) in einem Urteil kürzlich hinter die EU-Kommission von Ursula von der Leyen und ihre Vernachlässigung von Minderheitenschutzmaßnahmen stellte, ist für das angeblich in Vielfalt geeinte Europa wahrlich keine gute Nachricht.

Über eine Million Unterschriften waren vor wenigen Jahren für die Minority-Safepack-Initiative (MSPI) gesammelt worden, eine Leistung, die umso höher zu bewerten ist, als sie in erheblichem Maße von den Minderheiten selbst erbracht wurde. Dennoch verharrte die Kommission daraufhin weitgehend in Untätigkeit, weshalb die FUEN den Rechtsweg beschritt.

Das Urteil

Erstaunlich ist nicht nur, dass der bestehende Minderheitenschutz in der EU laut Einschätzung des EuG bereits ausreicht, um die Ziele der Initiative zu erreichen, sondern insbesondere auch, dass das Gericht sich zur Begründung maßgeblich auf die Europäische Charta der Minderheiten- oder Regionalsprachen stützte. Die jedoch wurde nicht von der EU, sondern vom Europarat beschlossen und kommt in mehreren wichtigen EU-Mitgliedsstaaten gar nicht zur Anwendung. So große und an Minderheiten reiche Länder wie Frankreich und Italien etwa haben die Charta zwar unterzeichnet, aber niemals ratifiziert und in staatliches Recht übertragen, womit sie dort keine Rechtswirksamkeit entfaltet.

Wenn also das Ziel der MSPI war, den Minderheitenschutz in der gesamten EU zu verbessern, zu einem Schwerpunkt der gemeinsamen Politik zu machen und verbindliche Mindeststandards festzulegen, wurde es klar verfehlt. Zahlreichen Minderheiten wird der geforderte Schutz weiterhin verweigert, da sie gar nicht in den Genuss der Maßnahmen kommen, die das EuG für sein Urteil herangezogen hat.

Dabei hatte das EU-Parlament 2020 großmehrheitlich die Umsetzung der MSPI gefordert und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass

die meisten nationalen und sprachlichen Minderheiten mit einer immer schneller werdenden Entwicklung zur Assimilation und zum Verlust ihrer Sprache konfrontiert sind.

Die Vielfalt, die die EU einigermaßen ernstnimmt, ist offenbar jedoch noch immer vor allem die der nationalen Mehrheiten, die sich zur Europäischen Union zusammengeschlossen haben.

Und da die postnationale Verheißung der EU nicht in Erfüllung geht, bleibt die mittelfristige Alternative für viele Minderheiten weiterhin Assimilierung oder Eigenstaatlichkeit.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Autorinnen und Gastbeiträge

Die gekaperte FUEN.

Orbannahe ungarische Organisationen dominieren die Dachorganisation der europäischen Minderheiten.

Die FUEN hat auf ihrem Kongress in Berlin den bisherigen Präsidenten wiedergewählt: Loránt Vincze, Angehöriger der ungarischen Volksgruppe in Rumänien und EU-Parlamentarier der Romániai Magyar Demokrata Szövetség (RMDSz).

Vincze kann für sich verbuchen, dass er den altehrwürdigen Dachverband der europäischen Minderheiten modernisierte, aus der politischen Schmollecke der Minderheiten herausholte und den ehemaligen Altherrenclub ethnischer Nostalgiker umbaute und aufrüstete.

Unter seiner Präsidentschaft zog die FUEN erfolgreich ihre Bürgerinitiative MSPI durch. Ein Minderheitenpaket, das in Südtirol angestoßen, an der Europäischen Akademie in Bozen in Grundzügen ausgearbeitet und von mehr als einer Million EU-BürgerInnen unterzeichnet wurde. Der Werdegang ist bekannt, die EU-Kommission versenkte die Initiative kurzerhand.

Schon frühzeitig — während der Minority-Safepack-Kampagne — rümpfte der SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann seine Nase, weil der illiberale ungarische Orban-Staat die MSPI als ein Instrument gegen die anti-ungarische rumänische Regierung, aber auch gegen die EU missbrauchte.

Sein Unbehagen damals war nicht unbegründet. Für den abgelaufenen Kongress lag der FUEN der Entwurf einer Hauptresolution vor. Die hatte es in sich. In dem Text erinnert die FUEN zwar an die russische Invasion in der Ukraine, es waren aber nur einige wenige dürre Zeilen über einen Eroberungserieg. Eine Ungeheuerlichkeit: Die FUEN drückt sich um eine klare Aussage herum.

Stattdessen rechneten die Autoren des Resolutionsentwurfs mit der verkorksten Minderheitenpolitik in der Ukraine ab. Die Ukraine ist zweifellos kein Musterbeispiel gelungener Minderheitenpolitik. Dies gilt aber genauso für Ungarn, für den rumänischen Nachbarstaat, für Polen, für Tschechien, für die Slowakei, für Deutschland und Österreich, für Frankreich, für Italien, für Griechenland, nicht zu reden vom EU-Anwärter Serbien.

Textpassagenlang rechnet die FUEN mit der Ukraine ab, der russische Krieg jedoch ist im Entwurf nicht mehr als eine Fußnote. Damit relativiert die FUEN ihre eh schon dürftige Kritik und verharmlost den Eroberungskrieg. Der Entwurf sei russlandlastig, russlandfreundlich, ukrainefeindlich, so die Reaktion von Martha Stocker, ehemalige Vize-Präsidentin der FUEN. Der Resolutionsentwurf ziele auf eine Verurteilung der Ukraine ab, habe eine klare Schlagseite: geschickt verpackt und trotzdem eindeutig. Die FUEN müsse aufpassen, so die Warnung, in welche Hände sie sich begibt.

Welche Hände wird sie wohl gemeint haben? Wahrscheinlich dachte sie an den selbsternannten Schutzpatron der ungarischen Minderheiten, den ungarischen Ministerpräsidenten Orban, Freund und EU-Statthalter des russischen Kriegspräsidenten Putin, Freund auch des serbischen Nationalisten Dodik in Bosnien, geistiger Bruder von Giorgia Meloni, möglicherweise auch des türkischen Islamisten Erdoğan und des brasilianischen Rechtsradikalen Bolsonaro.

Der Entwurf wurde von den Delegierten grundlegend abgeändert, auch weil es Interventionen gab. Ein dramatischer Eklat konnte somit verhindert werden. Mit diesem Entwurf hätte sich die FUEN zu einer Vorfeldorganisation des ungarischen Außenministeriums degradiert. Weit davon ist sie aber trotzdem nicht mehr entfernt.

Nach seiner Wiederwahl bedankte sich Loránt Vincze engagiert bei Ungarn für die politische und finanzielle Unterstützung, eine peinliche Lobhudelei auf Viktor Orban, wie aus einem Mitschnitt hervorgeht. Der FUEN-Präsident schlug sich in seiner Rede auf die Seite von Orban-Ungarn. Für Vincze ist Ungarn ein Minderheitenparadies, ein zuverlässiger Partner der Minderheiten und besonders der FUEN. Fakt ist aber, dass die sprachlichen und nationalen Minderheiten in Ungarn assimiliert sind. Die Reste dürfen folklorisieren.

Ohne die Fördermittel der ungarischen Regierung — 500.000 Euro — wäre die FUEN bankrott gegangen, erinnerte Vincze an die ungarische Unterstützung. Außerdem habe die politische Lage in Ungarn nichts mit dem Minderheitenthema zu tun, kanzelte Vincze die Ungarnkritiker ab. Völlig »undankbar« und »unangemessen« wäre es, warnte Vincze, wenn die FUEN Ungarn kritisieren würde. Ähnliches wiederholte er auch in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Über den von den Vertretern der Minderheiten in Deutschland vorgelegten Beschlussantrag zur Situation in Ungarn und über die Auswirkungen auf die Minderheiten — die Diskussion darüber war engagiert — wurde nicht abgestimmt. Das Votum samt entsprechender Resolution verhinderten die gut organisierten ungarischen FUEN-Mitglieder. Vincze, der Statthalter von Orban an der Spitze der FUEN — eigentlich nicht überraschend, doch wohl die wenigsten FUEV-Delegierten werden wissen, wie Vincze im Europaparlament agiert.

Mit weiteren 123 Abgeordneten aus den beiden rechten Fraktionen lehnte er die Schlussfolgerung des Europaparlaments ab, wonach Ungarn keine vollwertige Demokratie mehr sei, sondern vielmehr eine »Wahl-Autokratie«. Auch die EU-Kommission, der Europäische Rat und der Europarat befürchten das Abdriften Ungarns in die Autokratie. Zur Freude Putins.

Auch im Europaparlament verteidigte Vincze die Minderheitenpolitik Ungarns. Die Vorwürfe seien konstruiert, keineswegs nachprüfbare Fakten, sondern stammten aus einem »großen linken ideologischen Haufen«, polemisierte der Parlamentarier. Laut Transtelex wies Loránt Vincze die Kritik des EU-Parlaments zurück, wonach die Orban-Regierung die Rechte nationaler Minderheiten, einschließlich Roma und Juden, nicht garantiere und sie nicht vor Hassrede schütze. Für ihn sind das haltlose Vorwürfe.

Ihm zufolge findet eine »Hexenjagd« gegen Ungarn und gegen die Fidesz-Regierung statt. Vincze sieht die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Verhältnis zu Ungarn zu einer ideologischen Konformität gezwungen, die der Linken, Liberalen, Grünen oder sogar Kommunisten entspricht.

Orban pur. Ähnlich tönen die Fraktionen Identität und Demokratie und Europäische Konservative und Reformer, Sammelbecken der verschiedenen rechten Parteien. Wussten die FUEV-Delegierten nicht, wen sie abermals zu ihrem Präsidenten wählten? Vincze outete sich im EU-Parlament und auf dem Kongress der FUEN deutlich. Wie werden die anderen FUEN-Unterstützer reagieren, deren Zuwendungen Vincze im Vergleich zum ungarischen Beitrag als nicht sonderlich relevant abtat? Zum Beispiel das Land Südtirol? Warum protestierte FUEN-Präsidiumsmitglied Daniel Alfreider, Landesrat und SVP-Vize, nicht gegen Vinczes Aussagen?

Schon einmal versuchten Rechte die FUEN zu kapern. In ihrer Frühphase, die FUEN hieß damals noch FUEV, versuchten Altnazis die Organisation für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dagegen stemmten sich viele, wie der spätere langjährige Präsident Hans Heinrich Hansen, Angehöriger der deutschen Minderheit in Dänemark, Friedl Volgger, Antinazi und Mitbegründer der Südtiroler Volkspartei und eine ganze Reihe von Kärntner Slowenen. Zu nennen sind auch weitere Südtiroler wie Christoph Pan oder Martha Stocker. Sie sorgten dafür, dass die FUEV nicht in fremde Hände kam, sondern in die Mitte der europäischen Gesellschaft, immerhin ist die FUEN in verschiedenen europäischen Gremien und Institutionen aktiv.

Was wird aber aus der FUEN, wenn ein orbantreuer Vorsitzender die Organisation auf Linie bringt, die Minderheiten »nützliche Idioten« des illiberalen ungarischen Staates werden?

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