Die ÖVP kopiert erfolgreich die selbstzerstörerische Strategie ihrer Schwesterpartei SVP.
Doch der Reihe nach. Gab es sie nun, die Strippenzieher im Hintergrund? Manche Kommentatoren und sogenannte politische Beobachter gehen davon aus, dass der ehemalige ÖVP-Vorsitzende und Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer zum Scheitern verurteilt war. Weil es die Mächtigen in seiner Partei so wollten. Also »die Wirtschaft«, organisiert in den Bünden, eine starke Struktur in der ÖVP, das organisatorische Rückgrat der Partei.
Die Tageszeitung Der Standard schreibt es auch gänzlich unverblümt: Der Wirtschaftsflügel gibt in der ÖVP den Ton an. Dieser Flügel schrieb dann auch das Wirtschaftsprogramm der Volkspartei, das sich mit den freiheitlichen Vorstellungen überschneidet: Runter mit den Steuern, weg mit der Bürokratie und den vielen Verordnungen. Dieser VP-Flügel tut so, als hätte die ÖVP im vergangenen halben Jahrhundert nie regiert.
Und die VP-Wirtschaft tönt auch ganz laut, ein Weiter wie bisher kommt nicht in Frage. Bisher zogen die Wirtschaftsbünde in Österreich die Strippen, ihr Lobbyismus förderte die grenzenlose Gier, ermöglichte erst das Benko-Abenteuer, sie dominierten die Wirtschaftspolitik der verschiedenen Regierungen. Eine Politik für die Starken und Mächtigen, die sich von der sozialen und rechtsstaatlichen Einhegung — Eigentum verpflichtet — entbunden haben.
Trugen die Wirtschaftsverbände im Hintergrund nicht dazu bei, dass Karl Nehammer nach mehr als hundert Tagen grandios scheiterte? Kaum steckte der Verhandlungsmarathon in der Sackgasse, wurden die Rufe von der Seitenlinie lauter. Nicht Weiter wie bisher, sondern eine Koalition mit der FPÖ.
Wirtschaft für die Blauen
Tierisch freuten sich diese Vertreter, als die Unterhändler für eine Regierung der Mitte entnervt aufgaben. Schon vor den zähen Verhandlungen ließ »die Wirtschaft« die eigene Partei wissen, dass die angestrebte Dreier-Koalition die falsche Alternative ist.
Mag sein, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Die italienische Industrie und der Großgrundbesitz setzten in den 1920er Jahren auf Benito Mussolini, in der Weimarer Republik förderte die Schwerindustrie Adolf Hitler und seine NSDAP. Aber sie wiederholt sich, die Geschichte, in einer leicht geänderten aber nicht wesentlich abgewandelten Version.
Besonders erfreut über das — gewollt herbeigeführte — Scheitern freute sich Georg Knill, Präsident der mächtigen Industriellenvereinigung. Österreichische Industrielle gelten als putinfreundlich, wie Knill auch. Er belieferte Russland mit kritischer Infrastruktur, unterstellt ihm Peter Pilz auf Zackzack eine wirtschaftliche Partnerschaft mit Russland. Zackzack dokumentiert, dass Knill beste Kontakte zum russischen Militär pflegte.
Er steht damit nicht alleine da. Auch der Unternehmer Siegfried Wolf verbirgt nicht seine Russlandnähe, pflegte beste Kontakte zu den von Putin abhängigen Oligarchen. Catherine Belton bezeichnet diese Unternehmer in ihrem Buch Putins Netz als nützliche Idioten Moskaus. Davon gab es in Südtirol auch eine ganze Reihe.
Ganz nach dem Geschmack der Freiheitlichen, die eine — inzwischen abgelaufene — verbriefte Freundschaft mit der Putin-Partei eingingen, die gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, lauthals gegen die EU wettern und die NATO verunglimpfen. Die rechtsradikale FPÖ trifft sich hier — beim Thema Ukraine — reibungslos mit den verschiedenen Linksradikalen.
Umso seltsamer mutet es an, dass sich »Österreichs Wirtschaft«, stellvertretend seien die Raiffeisenbank International und die OMV genannte, Russland in die Arme warf. Die Aussichten auf fette Gewinne verdrängten — wenn überhaupt vorhanden — Bedenken wegen der totalitären Entwicklung in Russland. Und immer hatte die ÖVP ihre Finger im Spiel, ließ sich von »der Wirtschaft« treiben, ermöglichte das Abenteurertum eines René Benko. Die Wirtschaft, das sind die Bünde, die in der ÖVP die Fäden in der Hand halten.
Die Demontage der SVP
Auch die kleine Schwester der ÖVP, die Südtiroler Volkspartei, treibt es ähnlich — oder wird ähnlich getrieben — wie die ÖVP. Nach den Landtagswahlen 2018 holte Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) die in Südtirol stärkste italienische Partei in die Landesregierung: die Lega. Einst föderalistisch, nach dem Abtritt der alten Garde vom »Capitano« Matteo Salvini an den rechten Rand gelotst. Simon nannte ihre Landesräte »Putins Lieblinge«.
Der Bauernbund, die schlagkräftigste Wirtschaftsorganisation, drängte 2018 die SVP zu einer Koalition mit der Lega. Die Bauernbündler und die Leghisti sind für die »Entnahme« von Wolf und Bär, für deren Abschuss. Für eine weitreichende mediale Schützenhilfe sorgte die Tageszeitung Dolomiten. Die vom Bauernbund favorisierte Lega ließ damals die SVP lange zappeln, bevor es zu einer Einigung kam. Eine Einigung, die vom Bauernbund dementsprechend begrüßt wurde.
Dem Bauernbund ist es damit gelungen, die SVP ins rechte Eck zu drücken. Im Europaparlament war die Lega Teil der Fraktion Identität und Demokratie, ein Sammelsurium sehr rechter bis rechtsradikaler Parteien. Seit den Europawahlen 2024 firmiert diese Fraktion als Patriots, neben der Lega gehören ihr das rechtsradikale Rassemblement National, die nicht weniger rechtsradikalen österreichischen Freiheitlichen, die Fidesz von Viktor Orbán, osteuropäische Faschisten sowie die spanische neofranquistische Partei Vox an. Die erklärte Europapartei SVP ließ sich mit EU-Feinden ein, Putins Lautsprecher.
Lega, Südtirolfreunde?
Diese »patriotische Fraktion« will die Union auflösen in Staaten »starker, stolzer und unabhängiger Nationen«. Als ob sie es nicht wären. Die Parteien dieser Fraktion sind gegen die liberalen Werte der EU und sie sind, das müsste die Südtiroler:inen doch interessieren, auch strikt gegen Minderheiten und Autonomie. Die Vox-Partei, eng liiert mit den Fratelli, lehnt die regionalen Autonomien der Basken, Galicier und Katalanen ab, das französische RN kennt nur das Frankreich der Franzosen, die Lega schert sich auch nicht um Minderheiten. Giuseppe Cruciani, der Lega nahestehender Radiomoderator, nannte die deutsche Sprache der Südtiroler eine »Scheißsprache«. Die österreichischen Freiheitlichen hetzen in Kärnten ungeniert gegen ihre slowenischsprachigen Landsleute.
Im Arm der Fratelli
Nach den Parlamentswahlen 2022 kam es aber noch schlimmer. Zuerst bot die Tageszeitung Dolomiten Giorgia Meloni von den neofaschistischen Fratelli d’Italia eine ganze Seite zur Selbstdarstellung an. Völlig schmerzbefreit warb die Athesia-Zeitung für die Fratelli, warum denn sonst konnte sich eine gesamtstaatliche Partei in den Dolomiten so ausbreiten?
Dem Südtiroler Meloni-Fanclub schloss sich auch der Bauernbund an. Auch deshalb, weil Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida (FdI) mit harten Tönen gegen Wolf und Bär Stimmung machte. Vergessen, dass Lollobrigida als Oppositionspolitiker auch gegen Südtirol hetzte. Athesia, Bauernbund und sonstige Kräfte in der SVP sorgten für eine Neuauflage der — diesmal noch weiter nach rechts verschobenen — rechten Koalition. Die Fratelli, die politischen Enkel von Benito Mussolini, wurden in die Landesregierung geholt und mit im Boot sind auch die Freiheitlichen.
Mächtige Kräfte an der Seitenlinie stellten für die SVP die Weichen. Landeshauptmann Arno Kompatscher verteidigt diese rechtsrechte Koalition mit dem Hinweis, die geschmälerte Autonomie werde wieder hergestellt. Wie es ausschaut, wird es ein Stück weit mehr Autonomie geben, dafür aber weniger Minderheitenschutz, um den Trentiner Universitätsprofessor Roberto Toniatti zu zitieren. Senator Meinhard Durnwalder, auch er Mitglied im Meloni-Fanclub, verteidigt die Koalition. Der Versuch sei es wert, so Durnwalder, weil es um die Autonomie gehe.
Senatorin Julia Unterberger versteht diese Haltung nicht. Die SVP ist der italienischen Regierung weit entgegengekommen, die versprochene Gegenleistung ist noch immer in der Schwebe, sagte die Senatorin in der in der Neuen Südtiroler Tageszeitung. Die Haltung von SVP-Obmann Dieter Steger nennt Unterberger deshalb unterwürfig. Wohin führt ein unterwürfiger Obmann seine Partei, die bei jeder Wahl an Zustimmung verliert?
Von Wendehälsen und Verbandsdemokraten
Die beiden staatstragenden Parteien ÖVP und SVP schrumpfen. Kontinuierlich. Die ÖVP rangiert schon unter der 30-Prozent-Marke, die SVP liegt knapp darüber. Vermutete Tendenz: es wird weiter nach unten gehen. Wen wundert es? Bei den geplatzten Verhandlungen verhielten sich die ÖVP-Granden wie Wendehälse. Gier, Lügen und Pleiten zeichnen inzwischen das Handeln der einst patenten konservativen Volkspartei aus. Wie die ÖVPler es auch wenden wollen, nicht der Juniorpartner wird die Akzente setzen, sondern die Freiheitlichen. Nach Ungarn, der Slowakei, den Niederlanden und Italien wird jetzt auch Österreich wackeln, warnt der ehemalige grüne Parlamentarier Peter Pilz.
Die Herrschaft der Bünde rächt sich, ein Schicksal, das auch die SVP teilen wird. Die verschiedenen Wahlergebnisse lassen diesen Schluss zu. »Es vergeht kein Tag, an dem Bauernbund, der Hoteliers- und Gastwirteverband, der Handwerkerverband, der Unternehmerverband oder der Handels- und Dienstleistungsverband nicht irgendwelche Forderungen stellen. Ist eine erfüllt, wird schon die nächste nachgeschoben«, kommentierte Georg Mair im Wochenmagazin ff. Die angebliche »Verbändedemokratie« kaschiert die Macht der Lobbys, manchmal seien Politik und Lobbys nicht auseinanderzuhalten, warnt die ff. Die Folge ist, dass die Wählenden sich von der SVP abwenden. Eine selbstzerstörerische Strategie, über die sich die stetig wachsenden Ränder freuen.
Ausgerechnet Steger
Der Obmann der gebeutelten SVP, Dieter Steger, kommentierte die laufenden blau-schwarzen Koalitionsverhandlungen in Wien — ganz im Sinne einiger altgedienter ÖVPler, z. B Franz Fischler, die in einer wahrscheinlichen Koalition aus FPÖ und ÖVP das Ende der bisherigen Volkspartei befürchten.
Laut SVP-Obmann machen er und seine Partei sich Sorgen, wenn ein EU-Gegner und Putinfreund österreichischer Bundeskanzler wird. Ausgerechnet Steger, der nach dem Wahlsieg des rechten Bürgermeisterkandidaten Giovanni Benussi 2005 seiner SVP empfahl, das Wahlergebnis zu respektieren und die Zusammenarbeit zu suchen. Damals verweigerte die SVP dem Neofaschisten aber die Kooperation.
Ausgerechnet die SVP zeigt sich also besorgt über eine blau-schwarze österreichische Bundesregierung, obwohl sie selbst seit 2018 mit den harten italienischen Rechten koaliert. Zuerst mit der Lega, inzwischen mit den Fratelli und den Freiheitlichen. Nicht von ungefähr hielt sich Landeshauptmann Kompatscher mit Bewertungen zurück.
Doch ausgerechnet Steger, der sich laut Senatorin Unterberger in Rom der rechtsrechten Regierung gegenüber unterwürfig zeigt, macht auf besorgten Warner.
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