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Was wurde eigentlich aus …?
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Ich verschwinde nicht am ersten Tag nach den Wahlen. Wenn ich gewählt werde, dann werde ich mich konstant für dieses Land einsetzen und hier regelmäßig präsent sein.

Die “Südtiroler” Abgeordnete Maria Elena Boschi (PD, heute Italia Viva) im Tageszeitungsinterview vor der Parlamentswahl 2018

Ist mir da was entgangen oder wurden die Wählerinnen und Wähler von der SVP und dem (damals) PD nach Strich und Faden verarscht? Ich habe alle großen Südtiroler Online-Portale (Stol, Salto, Tageszeitung und Südtirolnews) durchsucht. Seit der Wahl 2018 gibt es keine einzige Meldung über Boschi in Zusammenhang mit Südtirol. Vielleicht hat Frau Boschi aber auch einfach nur eine andere Vorstellung als ich, was konstant und regelmäßig bedeutet.

Aber dass es so kommen würde, konnte freilich niemand ahnen. Bin schon gespannt, wen die Bozner bzw. Unterlandler bei der nächsten Wahl vorgesetzt bekommen, der sich dann “konstant” für sie einsetzt und “regelmäßig präsent” ist. Irgendein Hinterbänkler aus der Basilikata wird sich doch wohl finden lassen, der die Worte “Ich bin ein Freund Südtirols” über die Lippen bringt. Das genügt, als Qualifikation für eine SVP-Unterstützung.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Aus CPI raus, bei Christian Bianchi rein.

Im März 2018 war Silvia Dalpiaz noch die Gegenkandidatin der neofaschistischen CasaPound (CPI) zu Julia Unterberger (SVP) im Senatswahlkreis West – Vinschgau und Burggrafenamt. Mit 488 Stimmen konnte sie immerhin 0,79% im Wahlkreis auf sich vereinen; in Meran kam sie gar auf einen Anteil von 1,3% — deutlich mehr, als die 0,95% auf staatlicher Ebene.

In einem Interview mit dem Corriere vom 20. Februar 2018 antwortete Dalpiaz auf eine Frage zur Migration:

Nicht das ist der Faschismus, in dem wir uns wiedererkennen, sondern der des Sozialstaats, der auch viele positive Dinge gemacht hat.1Übersetzung von mir. Original: »Non è quel fascismo quello in cui ci riconosciamo, bensì quello dello stato sociale che ha fatto anche molte cose positive.«

Und jetzt? Nur zweieinhalb Jahre später taucht die Frau auf der Bürgerliste Uniti per Laives des Leiferer Bürgermeisters Christian Bianchi auf. Der regiert die Kleinstadt an den Toren von Bozen unter anderem mit der SVP — aber die scheint ja schon länger keine Berührungsängste mehr zu haben. So wird wohl auch eine Frau Dalpiaz, wenn das Wahlergebnis passt, kein Hindernis für eine Wiederholung der Koalition sein.

Vor gut einem Jahr beschloss CPI, nicht mehr als Partei in Erscheinung zu treten. Bozen bildet aufgrund seiner besonderen Fascho-Affinität eine Ausnahme, andernorts scheinen die Ehemaligen nach neuen politischen Ufern Ausschau zu halten.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9

  • 1
    Übersetzung von mir. Original: »Non è quel fascismo quello in cui ci riconosciamo, bensì quello dello stato sociale che ha fatto anche molte cose positive.«
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GW20: Faschos kandidieren doch.
CasaPound tritt in Bozen an

Vor gut einem Jahr hatte die neofaschistische Bewegung CasaPound ihren Rückzug aus der Parteipolitik bekanntgegeben. Grund waren neben der Inkompatibilität zwischen den beiden Rollen als Bewegung und Partei wohl auch die äußerst mageren Wahlergebnisse.

Bei den Parlamentswahlen 2018 erreichten die Rechtsextremistinnen auf staatlicher Ebene knapp 1%, bei der Europawahl 2019 gar nur 0,33% der Stimmen.

Doch in der Südtiroler Landeshauptstadt scheint der offene Faschismus bei Teilen der italienischsprachigen Bevölkerung nach wie vor gut anzukommen. Deshalb kündigte CPI nun an, entgegen dem beschlossenen Rückzug auch zur anstehenden Gemeinderatswahl 2020 antreten zu wollen.

Seit 2015 waren die Faschistinnen des 21. Jahrhunderts mit einem, ab 2016 dann gar mit drei Vertretern im Gemeinderat der Landeshauptstadt präsent.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 ‹10 ‹11 ‹12 ‹13 ‹14 ‹15 | 1› 2›

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Autorinnen und Gastbeiträge

Sechserkommission ausreichend demokratisch legitimiert?

Seit voriger Woche ist die Sechserkommission wieder im Amt und das hat lange gedauert. Erst zwei Jahre nach der Parlamentswahl wird ein Organ bestellt, das für die Anwendung der Autonomie eine herausragende Rolle spielt. Sie mag jetzt fachlich gut besetzt sein, doch ist sie für ihre Aufgabe demokratisch legitimiert?

In der Sechserkommission wird nicht nur über kleine Details der Interpretation und Anwendung des Autonomiestatuts entschieden, sondern auch über die Abänderung bestehender Durchführungsbestimmungen (DFB) und die Weiterentwicklung der Autonomie beraten. In diesen Kommissionen konkretisiert sich das Verhandlungsprinzip zwischen Staat und autonomen Ländern, doch kann sich dies nicht bloß in bilateralen Verhandlungen zwischen Regierungen erschöpfen.

Die paritätischen Kommissionen haben in der Praxis nicht nur eine beratende Rolle, sondern eine rechtsetzende Funktion. Sie erarbeiten die famosen Durchführungsbestimmungen, die als Gesetzesvertretende Dekrete von der Regierung verabschiedet werden. Meist segnet die Regierung Texte ab, die von sechs nur zum Teil gewählten Personen abgefasst worden sind. Eigentlich eine typisch parlamentarische Kommissionsarbeit, hier aber von einer gemischten Politiker-Fachleute-Kommission geleistet. Welche politische Legitimation hat aber irgendein Anwalt aus Bozen oder Rom? Warum haben die Parlamente keine Kontrollfunktion oder Anhörungs- und Informationsrechte?

Die Durchführungsbestimmungen stehen in ihrer Rechtsnatur über einem Landesgesetz und einem normalen Staatsgesetz und können auch nur über eine neue DFB abgeändert werden. In der Geschichte ist fast keine DFB vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten und gekippt worden, auch weil diese Normen Kompromisse zwischen Bozen, Trient und Rom waren. Das mag zwar effizient sein, demokratisch ist es nur mit Einschränkungen. Denn eigentlich wäre die Rolle der Vermittlung und Anpassung des Autonomiestatuts der sogenannten 137er-Kommission zugekommen, besetzt mit gewählten Abgeordneten. Diese Kommission ist bis heute auf dem Papier geblieben.

Auf die Verabschiedung einer DFB durch die Regierung erfolgt keine Debatte im Landtag, geschweige denn eine Ratifizierung. Kein Oppositionsvertreter kann sich mit Einwänden melden. Das einzig gewählte Organ des Landes, der Landtag, wird in diesem Verfahren einfach übergangen. Fachleute können beraten, kein Zweifel, doch die Rechtsetzung muss in einem politischen Organ erfolgen. In diesem Sinn sind die paritätischen Kommissionen demokratisch zu wenig legitimiert.

Die Reform der paritätischen Kommissionen ist überfällig, wenn man diesem rechtsetzenden Organ mehr demokratische Legitimation verschaffen will. Erhielte sie eine breitere Basis, eine pluralistischere Zusammensetzung und mehr Transparenz im Verfahren, könnte ihr Aufgabenbereich erweitert werden, z.B. auf die Vorab-Schlichtung von Zuständigkeitskonflikten zwischen Staat und Land, auf die Mitwirkung der Länder in der EU-Politik, auf die Mitbestimmung bei Staatsgesetzen, die Landeszuständigkeiten berühren.

Siehe auch ‹1 | 1›

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Autorinnen und Gastbeiträge

Aus für CasaPound-Partei.

von Heiko Koch1Heiko Koch lebt und arbeitet in NRW. Er ist Mitbegründer und Autor diverser antifaschistischer Zeitungen, Buchautor, Verfasser von Internetrecherchen, Teamer und Dozent gegen ›Rechts‹.

Simone di Stefano: „Rin inne Kartübbeln, rut ut de Kartübbeln“ (Screenshot)

Gut einen Monat war es still um die faschistische Bewegungspartei CasaPound Italia gewesen. Seit ihrem katastrophalen Wahlergebnis von 0,33 Prozent der abgegebenen Stimmen bei der Wahl zum EU-Parlament Ende Mai 2019 gab es zwar einige Veranstaltungen der Faschist*innen und auch das CasaPound Festival „Tana delle tigri 11“ fand am 22. Juni in Rom mit großer Beteiligung statt. Aber die üblichen Medienkanäle der „fascisti del terzo millennio“ (dt.: Faschisten des 21. Jahrhunderts) erschienen merkwürdig verwaist, ihre ansonsten großspurigen Ankündigungen unterblieben und die Auftritte ihrer Exponent*innen wirkten geradezu zaghaft. Seit dem 27. Juni 2019 ist nun die Katze aus dem Sack: CasaPound gibt ihre Parteiarbeit auf.

Der Präsident von CasaPound Italia, Gianluca Ianonne, verkündete: „In seguito all’esperienza delle ultime elezioni europee e al termine di una lunga riflessione sul percorso del movimento dalla sua fondazione a oggi, CasaPound Italia ha deciso di mettere fine alla propria esperienza elettorale e partitica” (dt.: „Nach den Erfahrungen der letzten Europawahlen und am Ende einer langen Reflexion über den Weg der Bewegung von ihrer Gründung bis heute, hat CasaPound Italia beschlossen, ihre Wahl- und Parteierfahrung zu beenden.“

Die Partei ist tot, es lebe die Bewegung

Frühjahr 2013: CasaPound Plakat im römischen Stadtteil EUR. Erster Antritt als Wahlpartei. (Foto: Heiko Koch)

Im gleichen Atemzug verkündete Ianonne: “La decisione di oggi non segna affatto un passo indietro, da parte del movimento, ma anzi è un momento di rilancio dell’attività culturale, sociale, artistica, sportiva di Cpi, nel solco di quella che è stata da sempre la nostra identità specifica e originale.“ (dt.: „Die heutige Entscheidung signalisiert in keiner Weise einen Rückschritt der Bewegung, sondern einen Moment der Wiederbelebung der kulturellen, sozialen, künstlerischen und sportlichen Aktivitäten der CasaPound Italia, resultierend aus dem, was immer unsere spezifische und originelle Identität war.“) Und er drohte: „Sarà anche un’occasione per tornare a investire tempo ed energie nella formazione militante, particolarmente essenziale, dati i nuovi pruriti liberticidi della sinistra” (dt.: „Auch wird es angesichts der neuen freiheitsgefährdenden Juckreize der Linken eine [gute] Gelegenheit sein, wieder Zeit und Energie in eine militante Entwicklung zu investieren.“).

Der Parteisekretär der CasaPound Italia, Simone di Stefano, erklärte zu der Entscheidung, der Parteienlandschaft den Rücken zu kehren: „Confondere la politica con le elezioni è un grande errore. Ci saranno ancora cortei di CasaPound, manifesti di CasaPound, proposte politiche di CasaPound, azioni di solidarietà per gli italiani, azioni mediatiche di contrasto al globalismo, controinformazione, iniziative culturali, gruppi sportivi, medicina sociale, volontariato, protezione civile, l’esaltazione del ricordo degli italiani che si sono sacrificati per donarci una nazione, l’amore infinito per la nostra ITALIA.“ (dt.: „Politik mit Wahlen zu verwechseln, ist ein großer Fehler. Es wird weiterhin CasaPound-Märsche, CasaPound-Plakate, politische CasaPound-Vorschläge, Solidaritätsaktionen für Italiener, Medienaktionen zur Bekämpfung des Globalismus, Gegeninformation, Kulturinitiativen, Sportgruppen, Sozialmedizin, Freiwilligenarbeit, Katastrophenschutz und die Intensivierung der Erinnerung an die Italiener geben, die sich geopfert haben, um uns eine Nation zu schenken, die unendliche Liebe für unser ITALIEN“). Di Stefano ließ verlauten: „CasaPound farà ancora più politica, e vuole tornare ad essere quell’avanguardia che ha dettato i temi e le parole d’ordine del sovranismo italiano.“ (dt.: „CasaPound wird noch mehr Politik betreiben und will wieder die Avantgarde sein, die dem italienischen Souveränismus die Themen und Parolen diktiert.“)

Kommentar:

Diese unorthodoxe Entscheidung CasaPound Italias überrascht auf den ersten Blick. Es ist aber eine in sich logische und konsequente Umsetzung des Willens der „fascisti del terzo millennio“, auch in Zukunft eine Rolle in der italienischen Rechten wie in der italienischen Gesellschaft zu spielen. Mit Sicherheit haben sich im Anschluss an das lächerlich schlechte Wahlergebnis zur Europawahl im Mai 2019 Ernüchterung, Frustration und Ermüdung bei CasaPound eingestellt. Diese Befindlichkeiten werden aber nicht die ausschlaggebenden Argumente zur Einstellung ihrer Parteiarbeit gewesen sein. Denn am gleichen Tag erhielt CasaPound bei den Kommunalwahlen in unterschiedlichen Regionen Italiens 63 neue Mandate und konnte so die Anzahl ihrer Gemeinderät*innen auf fast 100 Personen erhöhen. Und auch die generelle Bilanz CasaPounds aus den letzten Jahren ist beachtlich. Startete CasaPound Italia bei den römischen Wahlen 2013 noch mit 0,14 Prozent der abgegebenen Stimmen, so erhielt sie im März 2018 landesweit 0,95 Prozent der abgegebenen Stimmen (312.398 Wähler*innen). Die Stimmenanzahl für den Blocco Studentesco an den Schulen hat sich zwischen 2015 und 2017 auf 56.000 verdoppelt. Seit 2013 hat sich die Zahl der Parteistützpunkte auf über 140 verdreifacht und die von ihr angegebene Mitgliederzahl auf angeblich 20.000 Personen vervierfacht. CasaPound verfügt mit der „Il primato nazionale“ seit zwei Jahren über eine Monatszeitung und mit „Altaforte Edizioni“ seit dem letzten Jahr auch noch über einen eigenen Verlag. Ihre 2015 gestartete Modemarke „Pivert“ verfügt mittlerweile über 14 Läden in ganz Italien und es gibt kein europäisches Land, wo der Kampfsport und hier vor allem der Mixed Martial Arts (MMA) so mit faschistischen Organisationen durchdrungen ist, wie in Italien. Bei einer derartigen Erfolgsbilanz hätte CasaPound Italia ihr schlechtes Wahlergebnis bei den EU-Wahlen als temporären Rückschlag durchaus verkraften können. Denn was Durchhaltevermögen und Biss angeht, so hat es den Faschist*innen an diesen Eigenschaften bisher nicht gemangelt.

Der besetzte Hauptsitz der Faschisten. Das „Casa Pound“ in der Via Napoleone III Nr.8 (Foto: Heiko Koch)

Es ist davon auszugehen – und davon zeugen die Verlautbarungen der CasaPound – dass die Motive des Ausscherens aus der Parteipolitik bei den Wurzeln der CasaPound als Bewegung liegen. Eine Bewegung, die eine faschistische Gesellschaftsänderung über das Erreichen einer kulturellen, wie sozialen Hegemonie anstrebt(e), muss nicht zwangsläufig den Weg über die Parlamente nehmen. Hier werden sich die verschiedenen Fraktionen innerhalb der CasaPound als Bewegungspartei Auseinandersetzungen geliefert haben. Wie viel Nutzen und wie viel Schaden bedeutet das Engagement in und für Parlamente für ihre faschistischen Ziele? Einen ähnlichen Diskurs wird es mit Sicherheit schon 2012 gegeben haben, als sich CasaPound zur Gründung einer Partei entschloss. Diesmal lautet die Entscheidung: Zurück auf die Straße!

Einer der Gründe für die Aufgabe der Parteiarbeit dürfte dabei im derzeitigen Proporz der italienischen Rechtsparteien liegen. Vor gut 5 Jahren war es CasaPound Italia, die als frisch gegründete Partei der Lega Nord als Netzwerk, Vermittler und Brückenkopf zur Ausbreitung in den bis dato von den Legisten so verachteten Süden Italiens diente. Es entstand eine Win-Win-Situation für CasaPound und Lega. Aber ihr Parteienbündnis „Sovranità – prima gli italiani“ im Jahr 2014/2015 währte nicht lange. Mit ihrem neuen, gesamtitalienischen Programm und dem Kurs à la Front National/Rassemblement National verstand es die Lega unter ihrem neuen Parteisekretär Matteo Salvini den Rassismus und Chauvinismus unterschiedlicher Schichten und Milieus zu mobilisieren und erfolgreich auf sich zu vereinen. Im März 2018 vervierfachte sie ihr landesweites Wahlergebnis von 2013 auf über 17 Prozent der abgegebenen Stimmen und ihr Ergebnis von 34,3 Prozent bei den Europawahlen im Mai diesen Jahres war sogar eine Verfünffachung ihres Wahlergebnis aus dem Jahr 2014. In der gleichen Zeit schaffte es die Ende 2012 aus einer Abspaltung der rechten Sammlungspartei „Popolo della Libertà“ (PdL) hervorgegangene faschistische „Fratelli d’Italia“ unter Giorgia Meloni im März 2018 mit 4,37 Prozent in die italienische Abgeordnetenkammer und im Mai 2019 mit 6,5 Prozent in das Europaparlament einzuziehen. Und auch die Forza Italia, deren Präsident und Ex-Mitglied der extrem rechten Geheimloge „Propaganda Due“, Silvio Berlusconi, die derzeitigen politischen Entwicklungen über die Enttabuisierung des Faschismus in den letzten 25 Jahren eingeleitet hat, erzielte trotz massiver Verluste noch 13,98 Prozent bei der EU-Wahl. Im Jahr 2013 waren es noch 21,56 Prozent für die Forza Italia gewesen.
Die italienische Rechte bestimmt derzeit das Klima, die Richtung und das Tempo der italienischen Politik. Die liberalistisch-populistische Movimento 5 Stelle ist innerhalb der Regierungskoalition geschwächt und die sozialdemokratische Partito Democratico, die im März 2018 in den italienweiten Wahlen 18,74 Prozent und im Mai 2019 bei den EU-Wahlen 22,69 Prozent erhielt, ist mit ihrem Niedergang mehr beschäftigt als mit konstruktiven Gesellschaftsentwürfen und deren politischer Umsetzung.

Innerhalb der parlamentarischen Rechten stellt CasaPound Italia den unbedeutendsten Teil dar. Mit Ausnahme von Bozen spielte sie in den über 30 Kommunalparlamenten in denen Vertreter*innen von ihr saßen, keine Rolle. Sie war weder in der Position erfolgreich Forderungen zu stellen, noch mitzubestimmen. Mit einer Zukunft als Wahlpartei würde CasaPound Italia am Katzentisch der Rechten sitzen, in Kommunalparlamenten administrativer Arbeit nachgehen, um minimale Macht und ein wenig Einfluss, Geld und Pöstchen ringen. Dabei wäre sie stets bemüht, sich noch faschistischer zu geben als ihre großen Brüder, die Lega und Fratelli d’Italia. CasaPound Italia würde Kraft, Energie und Ressourcen in die parlamentarische Arbeit einbringen, in absehbaren farb- und erfolglosen Debatten an Charisma verlieren und eventuell faulen Kompromissen zustimmen. Bestenfalls wäre sie ein Wurmfortsatz größerer rechter Akteure. Bei gleichzeitiger Bedeutungslosigkeit würde das Image der CasaPound bei ihren Mitgliedern und Sympathisant*innen stark beschädigt, die Basis sähe sich verraten, der Bewegungsanteil würde abwandern und die Partei nachhaltig geschwächt. Alles in allem würde aus der Bewegungspartei CasaPound Italia eine ebenso erfolglose wie herkömmliche Partei. Eine Partei, die Machtzuwachs an der Zahl von Parteisitzen abliest und vorwiegend entlang egoistischer Interessen entschiede.
Zudem stünde CasaPound Italia bei einem weiteren parlamentarischen Weg eventuell auch als kompromittierte, staatstragende Kraft da, der in kommenden kapitalistischen Krisenphasen ihr national-revolutionärer Duktus und ihre angebliche Fundamentalopposition nicht geglaubt würde.

Darüber hinaus wäre CasaPound Italia für politische Attacken der Demokrat*innen und Linken ein leichtes Ziel. Ihre illegalen Besetzungen diskreditieren sie als Partei und machen sie angreifbar. Ein Versuch, gerade in diese Kerbe zu schlagen, wird zur Zeit seitens einer Initiative zur Räumung des besetzten Hauptsitzes in der Via Napoleone III unternommen. Über 50.000 Stimmen hat die Initiative „Insieme in Rete“ schon auf Change.org gesammelt, damit die faschistische Besetzung in der Via Napoleone III in Rom beendet wird.
Ein adäquater Widerstand gegen solche antifaschistischen Initiativen sind aus der Position einer Wahlpartei schwierig zu gestalten. Betreffend ihres Hauptquartiers in Rom ist CasaPound ohnehin auf die Gnade des Innenministers Matteo Salvini angewiesen und somit durch die Lega erpressbar. Denn angesichts des Räumungsbeschlusses der Kommune von Rom ist es allein der Innenminister, der seine schützende Hand über die besetzte Immobilie in der Via Napoleone III hält und eine Räumung bisher verhindert hat.
So gesehen, ist der weitere Verbleib auf der Parteienebene eine ohnehin schlechte Option. Die absehbaren minimalen Zugänge zur Macht und Pfründen wiegen die negative Gesamtperspektive nicht auf.

Bedeutung und Einfluss kann CasaPound Italia nur noch auf dem Feld außerparlamentarischer Aktivitäten, als Bewegung, erhalten und ausbauen. Hier verfügt sie über Erfahrungen, Zugänge, Ressourcen und Personal. Hier kann sie sich als glaubhafte Fundamentalopposition positionieren, sich als Stichwortgeberin und Motor extrem rechter Positionierungen etablieren, den anderen Rechten in den Parlamenten Zugeständnisse abringen und für die Anhängerschaft eine kohärente und integre Alternative sein. Jenseits parlamentarischer Limitierung und Einengung sind für CasaPound Italia weit mehr grenzüberschreitende, illegale und gewalttätige Aktionsformen möglich, die bei der kaum zu erwartenden Repression seitens der rechten Regierung auch besser umsetzbar sind. Dass „formazione militante“ (dt.: militante Formierung) gegen störende Demokrat*innen und Linke zu erwarten ist, hat Gianluca Iannone ja auch schon angedroht. Statt Zeit und Energie in den Auf- und Ausbau, sowie den Alltag einer Partei zu investieren, würden die eigenen Basisorganisationen ausgebaut und reaktiviert. Und so könnte sich CasaPound bei der nächsten anstehenden Wirtschaftskrise als unbelastete „anti-kapitalistische“, alternative Rechte anbieten, ausgestattet mit einem gut funktionierenden System sozialer und karitativer Organisationen. So betrachtet ist die Rückkehr zur Straßenpolitik fast schon zwingend und überlebenswichtig für das Modell CasaPound Italia.

Dass viele Mitglieder mit dieser Entscheidung nicht einverstanden waren, zeigt sich an der Verlautbarung Andrea Bonazzas, dem regionalen Koordinator CasaPound Italias in Südtirol. In Bozen sitzen gleich drei CasaPound-Abgeordnete im Stadtparlament. Mit 6,7 Prozent der abgegebenen Stimmen zogen Andrea Bonazza, Maurizio Puglisi Ghizzi und Sandro Trigolo 2016 in die kommunale Institution ein. Laut der Zeitung „Alto Adige“ verfügt CasaPound hier über 250 eingeschriebene Mitglieder und 90 Aktive, mit zwei lokalen Parteibüros. Im kommenden Jahr wollte CasaPound Italia erneut bei den Wahlen antreten. Eine Option, auf die sich viele örtliche Anhänger*innen der CasaPound Italia schon eingerichtet hatten. So äußerte Andrea Bonazza: „Mi dispiace molto se qualche nostro simpatizzante non comprenderà la nostra scelta – conclude il coordinatore di CasaPound – ma per noi che in questa comunità militante sputiamo quotidianamente sangue e sudore per una battaglia maggiore, di destino e tesa alla Vittoria, è la decisione più giusta che si poteva prendere. E adesso, ancora più di prima… Avanti tutti!“ (dt.: „Es tut mir sehr leid, wenn einige unserer Sympathisanten unsere Entscheidung nicht nachvollziehen können … aber für uns, die wir in dieser militanten Gemeinschaft täglich Blut und Schweiß für einen höheren Kampf, für den Sieg vergießen, ist dies die richtigste/beste Entscheidung, die gefällt werden konnte. Und jetzt erst recht… mit voller Kraft voraus!“).

Man wird sehen, was aus den gut 100 kommunalen CasaPound-Mandaten wird und wie viele Vereinslokale CasaPound wird halten können. Ebenso, wie CasaPound die anstehende Transformation hinbekommt. Festzuhalten bleibt: CasaPound hat erneut seine Kompetenz zum politischen und strategischen Handeln unter Beweis gestellt hat und eine aus ihrer Sicht konsequente Entscheidung getroffen, die darauf hinweist, dass sie als politische Kraft nicht zu unterschätzen ist.

Artikel: La Repubblica — Casapound, Iannone: Finita esperienza di partito, torniamo movimento (27.06.2019)

Buchverweis: Aram Matteoli: Viva Mussolini — Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis

  • 1
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Autonome PD-Fraktion?

Christoph Franceschini schreibt heute auf Salto, dass die von der neuen Geschäftsordnung ermöglichte Autonomiefraktion im Senat nicht nur Gianclaudio Bressa (PD), der mit maßgeblicher Unterstützung der SVP in Südtirol gewählt wurde, aufnehmen und sogar zum Sprecher ernennen wird. Darüberhinaus prognostiziert der Chefredakteur auch, dass der kleinen Truppe binnen kurzer Zeit weitere PD-Senatorinnen beitreten werden, um — durch das Vertretungsrecht jeder Fraktion in den parlamentarischen Kommissionen — das politische Gewicht der abgewählten Mittelinkspartei zu vergrößern.

Noch bevor sie zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt, droht der neuen Fraktion also bereits die Majorisierung durch Senatorinnen, die mit der Autonomie nichts zu tun haben, sowie der Missbrauch zu parteipolitischen Zwecken. Diese Steigbügelhalterei wäre eine hervorragende Voraussetzung, um den berechtigten Zorn der anderen Parteien auf sich zu ziehen.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Riskantes Spiel.
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Ich finde es beeindruckend, wie die Südtiroler Volkspartei Bündnistreue demonstriert. In diesem Wahlkampf habe ich immer gehört »wir haben in diesen fünf Jahren 20 Durchführungsbestimmungen mit dieser Regierung durchbekommen, wir haben drei […] Änderungen des Autonomiestatuts durchgebracht, also wir haben dieser Koalition mit dem PD viel zu verdanken und alles andere als jetzt mit dem PD auch in den Wahlkampf zu gehen wäre wirklich eine große Undankbarkeit.« Es ist also aus meiner Sicht im wesentlichen eine Rechnung beglichen worden. Wenn man dagegen in die Zukunft geschaut hätte, hätte man sichs vielleicht überlegt, weil Blockfreiheit ist ja auch immer ein Thema. Aber auch diese Stärkung der Autonomie sehe ich jetzt nicht so groß wie sie gerne dargestellt wird. Ich glaube Südtiroler Vertreter in Rom wären noch ein Stück stärker, wenn auch Teile derer, die jetzt nicht an der Wahl teilgenommen haben, irgendwie repräsentiert würden in Rom. Da hat die SVP schon ein etwas riskantes Spiel gemacht. Und sollte es zum Beispiel zu einer rechtsgeführten Regierung kommen, dann wäre der natürliche Ansprechpartner in Südtirol natürlich eher die deutsche Opposition — und wenn man hier die irgendwie eingebunden hätte, stünde man unter Umständen besser da.

Politologe Hermann Atz vom Sozialforschungsinstitut Apollis beim gestrigen Runden Tisch auf Rai Südtirol über das Parlamentswahlergebnis und die Bündnispolitik der Volkspartei.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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4M: Die große Verweigerung.

Bezüglich der gestern geschlagenen Parlamentswahl ist eines der großen Themen in Südtirol der starke Rückgang in der Wahlbeteiligung von 82,6% auf 70,3% (Senat) und von 82,1% auf 69,0% (Kammer).

Um das Ausmaß des Phänomens besser erfassen zu können, habe ich mir die Mühe gemacht, anhand der offiziellen Daten für jeden Wahlkreis und für Südtirol insgesamt eine Summe aus Wahlenthaltung, weißen und ungültigen Stimmen zu errechnen:

Natürlich ist mir völlig bewusst, dass insbesondere die ungültigen Wahlzettel nicht eins zu eins einem Protest zugeordnet werden können. Doch erstens deutet die Zunahme (im Vergleich zur Wahl von 2013) darauf hin, dass die Wahlverweigerung auch dafür eine Rolle gespielt haben dürfte und zweitens — handelt es sich hier ja sowieso nur um eine harmlose Rechnung, die keinen Anspruch auf eine stringente Nützlichkeit erhebt.

Interessant ist, wie im Laufe des Tages schon vielfach bemerkt wurde, dass die Enthaltung gerade im Wahlkreis Bozen-Unterland am geringsten war. Ich wäre jedoch vorsichtig, diese Tatsache damit zu erklären, dass die hierherkatapultierten Gianclaudio Bressa und Maria Elena Boschi doch eine breite Zustimmung gefunden hätten. Vielmehr könnte es sein, dass

  • insbesondere italienischsprachige Wählerinnen im südlichsten Bezirk des Landes stärker auf andere, zum Beispiel rechte Parteien ausweichen konnten, während dies für — mehrheitlich deutschsprachige — Wahlberechtigte in Brixen und Meran eher keine Option darstellte und
  • das Rennen um die Sitze in Bozen-Unterland (Direktwahl und Proporz) noch am ehesten offen war, während der Wahlsieg der SVP im restlichen Land beinahe schon feststand.

Für diese Auslegung spricht wenigstens das gute Abschneiden der Mitterechts- und Rechtsparteien (neben der 5SB) im Süden des Landes.

Siehe auch ‹1 ‹2

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