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Schule: Wertschätzung für mehrsprachige Kompetenzen.
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Ein CLIL-Unterricht mit Sachfachunterricht auf Deutsch und Italienisch berücksichtigt natürlich die sprachlichen Bedürfnisse der Kinder nicht oder wenig, die andere Sprachen in den Unterricht mitbringen. Deshalb bin ich ganz stark der Meinung, dass wir sehr viel mehr diese größere Mehrsprachigkeit, die in den Klassen vorhanden [ist], in den Blick nehmen [sollten] und nicht sozusagen diese Herausforderung, der wir jetzt begegnen müssen, verschlafen, weil wir immer noch in dieser Dualität von Deutsch und Italienisch denken. Ich glaub, das ist einfach zu wenig in einer modernen Gesellschaft.

Es gibt einige Schulen in Südtirol, an denen CLIL seit vielen Jahren angewandt wird, die Programme werden auch [wissenschaftlich] begleitet, dort funktionieren die Modelle sehr gut. Mitzuberücksichtigen ist auch dort, dass an einigen dieser Schulen natürlich auch wieder eine bestimmte Bildungselite ihre Kinder dorthin schickt, weil es eben den Eltern wichtig ist, die Kinder in besondere Schulen, in besondere Schulzüge zu schicken.

[Die] Schule kann sehr viel machen und ich möchte auch nochmal wiederholen, dass die Schule im Prinzip auch schon sehr viele Angebote zur Verfügung stellt. Es gibt Sprachförderkräfte, die die Schulen beantragen können, es gibt Mehrsprachigkeitscurricula — auch die deutsche Schule hat sich in den letzten Jahren eigentlich sehr explizit einer Förderung der Mehrsprachigkeit verschrieben und sich da sehr explizit dazu bekannt […]. Natürlich ist es eine Herausforderung, gerade in Minderheitengebieten dafür zu sorgen, dass man allen Sprachen gleichermaßen gerecht wird.

Es gibt verschiedene Modelle der Mehrsprachigkeitsdidaktik, in denen man bewusst versucht, alle Sprachen in irgendeiner Weise mit in den Unterricht hineinzubringen. Es ist ja auch wichtig, allen Kindern das Gefühl zu geben, dass die Kompetenzen, die sie in die Schulen mitbringen, auch wertgeschätzt werden, und dass es nicht sozusagen einige Sprachen gibt, die hochwertiger oder auf dem »Sprachenmarkt« irgendwie mehr wert sind — wie Deutsch, Italienisch, Englisch und Französisch —, aber andere Sprachen aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen als weniger wertvoll erscheinen, nur weil sie jetzt in unserem Kontext vielleicht in der Wirtschaft weniger gefragt sind.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Kann Schule Mehrsprachigkeit?« – Transkription und Linksetzung von mir

Serie I II III

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Autorinnen und Gastbeiträge

SVP-FdI: Operation Weichspülen.
Teil 2

Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. SVP und Fratelli d’Italia. Wirklich nicht?

Das Unternehmen Athesia hat der SVP mit der Meloni-Wahlpropaganda den Hinweis gegeben, mit einem großen Zaunpfahl, wohin es nach den Landtagswahlen im Herbst gehen soll.

Wolkig äußerte sich dazu — ganz in diesem Sinn — Landeshauptmann Arno Kompatscher im Corriere della Sera.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen  […] Mit wem wir reden können, hängt dann auch vom Wahlverhalten der Bürger ab.

— LH Arno Kompatscher (SVP)

Vor fünf Jahren wurde die Lega zur stärksten italienischen Partei, laut SWZ-Umfrage werden aber die Fratelli die Lega ablösen. Die Italiener in Südtirol wählen meist nach dem gesamtstaatlichen Trend. Der liegt laut Umfragen für Fratelli d’Italia derzeit bei 30 Prozent der Stimmen.

Die Operation Weichspülen ist deshalb schon voll im Gange. Die SVP-Parlamentarier enthielten sich bei der Abstimmung über die Bildung der Regierung Meloni der Stimme. Meloni versprach, die angeknabberte Autonomie wieder herzustellen. Ein ernsthaftes Unterfangen? Als wohlwollend galt auch die Stimmenthaltung der SVP-Vertreter in der Sechserkommission, die damit die Wahl von Alessandro Urzì, gewählt im Kammerwahlkreis Vicenza, zum Präsidenten ermöglichten. Diese Kommission ist für den Ausbau der Autonomie zuständig.

Ohne sich mit dem zuständigen Landesrat abzusprechen, sicherte Landeshauptmann Arno Kompatscher dem Landtagsabgeordneten Marco Galateo von den Fratelli zu, den Ordnungs- und Streitkräften sowie den Bediensteten des Zivilschutzes Wohnungen billiger zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollen sie den öffentlichen Personennahverkehr kostenlos nutzen können. Warum dieses Privileg? Das hätte sich das Pflegepersonal wohl auch verdient.

Landesrat Massimo Bessone von der Lega fühlt sich zurecht übergangen, ist er doch für den Bau von vergünstigten Wohnungen zuständig. Vom Deal Kompatscher-Galateo erfuhr Bessone aus den Medien. Respektvoll ist das keineswegs. Der Mohr hat offensichtlich seine Schuldigkeit getan, um den großen englischen Literaten Shakespeare zu zitieren.

Galateo kann gleichzeitig beim Besuch des Südtirol-Ausschusses in Wien gegen die österreichische Schutzmacht poltern und deren Aufhebung fordern. Weil — ja weil Südtirol eine inneritalienische Angelegenheit sei. Der Widerspruch der Volkspartei blieb aus.

Wahrscheinlich wird die SVP den Wunsch von Galateo unterstützen, das faschistische Siegesdenkmal bombastisch zu beleuchten. Möglicherweise wird diesem Anliegen auch die geschrumpfte italienische Linke zustimmen. Galateo möchte auch, dass in den 115 Gemeinden des Landes — dem Beispiel Bozens folgend — Gedenkstätten an die jugoslawischen Karsthöhlenmassaker an den italienischen Istriern nach 1945 errichtet werden.

In seiner Eigenschaft als Vertreter der italianità versuchte Galateo auch, die Vorstellung des Buches »Kann Südtirol Staat?« des Vereins Noiland Südtirol-Sudtirolo im Landtag zu verhindern.  Galateo bezeichnete die Studie über eine mögliche Eigenstaatlichkeit Südtirols als »Schlag für die Autonomie und das friedliche Zusammenleben«. Als besonders verstörend empfand er die Tatsache, dass der Verein für sein Buch eine Landesförderung erhielt.

Galateo, ein ethnischer Einpeitscher? Urzì, inzwischen ein Südtirol-Versteher? In mehreren Interviews mit der Tageszeitung skizzierte Urzì seine Grundzüge für ein Koalitionsprogramm mit der SVP. Er gibt sich autonomiefreundlich — die Autonomie ist ja immerhin in der italienischen Verfassung verankert. Kein Wort aber zum Pariser Vertrag, zur internationalen Dimension der Autonomie. Urzì lässt die SVP wissen, dass die Autonomie nicht ihr gehört, sondern allen. Wer kann da auch schon was dagegen haben?

Urzì und seine Thesen

Urzì wirbt auch mit angeblich alle verbindenden Werten wie Familie, unternehmerische Freiheiten, Wettbewerb und weniger Steuern. »Wir treten für eine stolze Idee ein: den Wiederaufbau Italiens«, sagte Urzì in einem Interview mit der Tageszeitung.

Die unverblümten Worte von Urzì vor den Parlamentswahlen scheinen in der Brennerstraße angekommen sein. Er ließ die SVP in der Tageszeitung wissen, wenn sie ihr Verhalten nicht ändere, seien die Bedingungen für eine Zusammenarbeit schlecht, falls FdI in Rom regieren sollte. Eine Zusammenarbeit, um das von der SVP unterstützten Mitte-Links-Regierungen heruntergewirtschaftete Land wieder aufzubauen, schob er hinterher. Diese Töne freuen hier im Land besonders die Wirtschaft, wie schon Professor Pallaver auf Salto angedeutet hatte.

Urzì sucht zwar die Nähe zur SVP, wirft ihr aber gleichzeitig Opportunismus vor. Hätte seine Partei bei den Landtagswahlen vor fünf Jahren mehr Mandate erhalten als die Lega, gäbe es bereits eine Koalition aus SVP und FdI.

Grundlage für eine solche Koalition müsste eine Vereinbarung sein, ergänzte Urzì in der Tageszeitung, »die nicht nur in der Brennerstraße geschrieben werden darf«. Als eine weitere Grundlage beschreibt der rechte Rechtspolitiker eine mehrsprachige Schule, gegen die sich die SVP noch versperrt.

Und Urzì rammte im Tageszeitungs-Gespräch eine weitere Leitplanke ein: Einen Ausbau der Autonomie wird es nicht geben, sondern eine Verbesserung der Autonomie, eine unmissverständliche Botschaft an den möglichen Koalitionspartner SVP.

Die Autonomie muss allen Bürgern Möglichkeiten bieten, unabhängig von der Sprachgruppe. Derzeit wird die italienische Sprachgruppe aufgrund von ideologischen Vorurteilen benachteiligt. Wir brauchen kein System von Herren und Sklaven, sondern gegenseitigen Respekt. Damit dies gelinget, muss die SVP, was ihr demokratisches Bewusstsein betrifft, reifen.

— Alessandro Urzì (FdI) in der Tageszeitung

Urzì stellt der SVP ein undemokratisches Zeugnis aus, sie diskriminiere mit ihrem Sklavensystem die italienische Sprachgruppe. Warum will Urzì mit einer solchen Partei unbedingt in eine Koalition? Magnago wird angesichts dieser Entwicklung die Reste seines Sarges vollkotzen.

Serie I II

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»Die Schule wird das dann schon richten.«
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Was wir [im Rahmen der zweiten Kolipsi-Studie] auch gesehen haben — und da möchte ich wieder auch die Eltern stärker in die Pflicht nehmen — ist, dass tendenziell die Eltern natürlich daran interessiert sind, dass:

  • ihre Kinder die zweite Sprache gut lernen [und dass] sie ihre Kinder dabei unterstützen möchten, dass Freundschaften außerhalb der Schule mit Personen der anderen Sprache geschlossen werden;
  • für den Zweitspracherwerb etwas gemacht wird.

Wenn wir die Eltern dann aber gefragt haben, was sie persönlich dafür machen, wie sie sich dafür einsetzen, dann fallen die Antworten sehr, sehr bedenklich aus — nämlich der persönliche Einsatz ist einfach sehr, sehr gering. [Das] heißt für uns: »Okay, bitte, da ist die Schule, macht das!« oder »die anderen sollen das machen, wir haben Interesse gezeigt«, aber das ist es auch. Also da muss man schon auch die Mehrsprachigkeit, die Zweisprachigkeit vorleben und sich selbst auch ein bisschen einsetzen dafür und nicht nur alles an die Schule abschieben. Das ist ja auch ein bisschen die Tendenz jetzt, Kinder auch aus einsprachigen Elternhäusern in das andere Schulsystem zu schicken, mit dem Wunsch »die Schule wird das dann schon richten«. Ist ja jetzt aktuell auch sehr stark diskutiert, die Medien berichten ja ausführlich darüber.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Welche Schule braucht das Land?« – Transkription und Hervorhebungen von mir

Serie I II III

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Schule: Elitäre versus echte Mehrsprachigkeit.
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Ich muss sagen, dass ich einigermaßen skeptisch bin in Hinblick auf diese Zusatzangebote, die jetzt immer wieder im Gespräch sind, die häufig unter dem Label »mehrsprachige Schule« laufen. Also im Prinzip ist das, was jetzt so in der Diskussion ist — eine mehrsprachige Schule oder ein mehrsprachiger Schulzug mit Deutsch-Italienisch-Englisch oder sogenannte mehrsprachige Angebote für Deutsch und Italienisch — das sind ja noch nicht mehrsprachige Angebote, das sind zwei- bis dreisprachige Angebote und die werden eigentlich der Mehrsprachigkeit, die in der Schule vorhanden ist, einfach nicht gerecht.

Ich denke, dass mittlerweile diese Diskussionen um zweisprachige Schulzüge usw. fast schon ein Anachronismus sind. Ich bin der Meinung, dass wir uns viel stärker darauf konzentrieren sollten, wie wir der Mehrsprachigkeit, der echten Mehrsprachigkeit in den Klassen, gerecht werden. Dass es Zusatzangebote geben kann, für zweisprachige Kinder Deutsch-Italienisch oder für andere Gruppen, die gerne an eine Privatschule gehen möchten, in [der] auch Deutsch, Englisch und Italienisch angeboten wird — eine Art europäische Schule — oder was auch immer, ist gut und recht und funktioniert sicher auch gut. Aber aus meiner Sicht sind das tatsächlich Eliteangebote, und was wir damit erreichen ist eine zusätzliche Segregation. Nämlich denke ich, dass das eher Tür und Tor dafür öffnet, dass eine Bildungselite sich dafür entscheidet, solche Bildungsangebote wahrzunehmen, während dann sozusagen in anderen Schulsprengeln [bzw.] Schulzügen, die Mehrsprachigkeit noch stärker zunimmt. Und bestimmte Arten von Schulflucht sehen wir ja jetzt schon. Es gibt Kinder aus dem Bozner Bildungsbürgertum, die wandern an die Pestalozzi-Schule oder an irgendwelche Schulen [ab], wo es Angebote gibt mit bestimmten pädagogischen Schwerpunkten — Stichwort Reformpädagogik, Montessori-Angebote oder an anderen Schulen Angebote mit einem Musikschwerpunkt usw. Das sind lauter Angebote, die insbesondere von einer Bildungselite wahrgenommen werden. Teilweise, weil sie tatsächlich überzeugt sind, dass ihre Kinder besonders musikalisch begabt sind und diesen Schwerpunkt verfolgen sollen; ein zweiter Grund ist allerdings auch der, dass eine bestimmte Bildungselite bewusst Schulen oder Schulzüge vermeiden möchte, in denen die Mehrsprachigkeit zunimmt. Und ich denke, da brauchen wir ganz andere Zugänge zur Mehrsprachigkeit, einen Ausbau der Mehrsprachigkeitsdidaktik, damit möglichst keine Schülerinnen zu kurz kommen, in ihrer sprachlichen aber auch sonstigen Bildung.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im hörenswerten SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Welche Schule braucht das Land?« – Transkription und Hervorhebungen von mir

Serie I II III

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

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Sprachliche Rahmenbedingungen für Immersion.

Ich möchte hier noch einmal aus Lernen in der Fremdsprache – Grundzüge von Immersion und bilingualem Unterricht von Henning Wode (1995) zitieren, einem Buch, auf das ich erst kürzlich von einer Befürworterin der mehrsprachigen Schule in Südtirol hingewiesen wurde.

Wode umreißt1auf Seite 43 des Buches die sprachlichen Rahmenbedingungen für IM/BIU (Immersion bzw. bilingualen Unterricht) in Europa und klärt damit einige wichtige Punkte:

Wer in Frankreich Englisch, Deutsch oder Spanisch als L2 lernt, wird kaum befürchten, seine französische Identität zu verlieren. In Frankreich stellen die Frankophonen die Majorität, in Deutschland die Deutschsprachigen, in Großbritannien die Anglophonen.

– Henning Wode

In Südtirol ist häufig die verständnislose Frage zu vernehmen, warum denn mehrsprachige Schulen in Innsbruck, Trient oder München Realität sind (allerdings in welchem Umfang?) und gerade in einem mehrsprachigen Land wie dem unseren nicht. Wie paradox es für manche auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag, sind die Risiken eben — wie auch Henning Wode nahelegt — gerade in einsprachigen Gebieten wesentlich geringer, da das sprachliche Umfeld klar definiert und gefestigt ist. Minoritäten haben hingegen zu befürchten, ihre Sprache und ihre Identität zu verlieren. Darauf haben wir auch hier auf schon öfter hingewiesen (vgl. ‹1 ‹2 ‹3).

Die im Hinblick auf IM und BIU besonders wichtigen Differenzierungen sind:

  • Majoritätensprachen: Sie werden von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen. Meist sind sie auch die offiziellen Landessprachen, z.B. Englisch in Großbritannien, Französisch in Frankreich oder Dänisch in Dänemark. Nur wenige Länder haben, wie die Schweiz oder Belgien, mehrere offizielle Landessprachen.
  • Minoritätensprachen: Sie werden von einer Minderheit gesprochen und sind meist keine offizielle Landessprachen. Zu unterscheiden sind:
    • Bodenständige (autochthone) Sprachen: Sie sind schon über viele Generationen in der betreffenden Gegend heimisch, z.B. Friesisch, Niederdeutsch oder Dänisch in Schleswig-Holstein, Gälisch in Schottland oder Bretonisch in Frankreich. Manche offiziellen Landessprachen können gleichzeitig bodenständige Minoritätensprachen in anderen Ländern sein, so Dänisch in Deutschland, Deutsch in Frankreich oder Deutsch in Dänemark.
    • Eingewanderte (allochthone) Sprachen: Meist sind sie durch Arbeitsmigranten in die jeweiligen Länder gekommen, z.B. Türkisch in Deutschland, Varianten des Arabischen in Frankreich, romanische Sprachen in Skandinavien oder Deutschland.

– Henning Wode

Hier wird klar definiert:

  • Die Majoritätensprache ist — außer in konstitutiv mehrsprachigen Ländern wie Belgien und Schweiz — die offizielle Landessprache, in Südtirol somit eindeutig Italienisch. Das muss neuerdings ganz besonders unterstrichen werden, da erneut versucht wird, die Majoritäten- als die eigentliche Minderheitensprache darzustellen.
  • Minoritätensprachen sind — wiederum mit Ausnahme der bereits genannten Fälle — keine offiziellen Landessprachen. Dies trifft auch auf Deutsch in Italien zu.
  • Autochthone Minoritätensprachen können gleichzeitig andernorts offizielle Landessprachen sein, ausdrücklich wird auch Deutsch genannt, das in Dänemark oder Frankreich (bzw. Italien) eine Minoritätensprache ist, während es in Deutschland oder Österreich eine Landessprache ist. Auch diese ausdrückliche Klärung ist nicht unbedeutend, da in Südtirol schon behauptet wurde, Deutsch könne grundsätzlich nirgendwo als Minderheitensprache betrachtet werden, da es in Europa von vielen Millionen Menschen gesprochen wird. Gerade das Beispiel Frankreich (bzw. Elsass) zeigt aber, dass die vielen Millionen Sprecherinnen in Europa kein hinreichender Schutz vor Assimilierung in einem Nationalstaat darstellen, genausowenig wie übrigens die weltweite Frankophonie verhindern konnte, dass Französisch im Aostatal marginalisiert wurde.
  • 1
    auf Seite 43 des Buches
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Erstsprache: Bitte nicht verteidigen.

Die Grünen haben im Landtag einen Beschlussantrag eingereicht, um einmal mehr die Einführung der mehrsprachigen Schule zu fordern. Zu dieser Idee haben wir uns auf schon oft geäußert (vgl. ‹1 ‹2).

Der Antrag beinhaltet jedoch noch ein Anliegen, das mir neu zu sein scheint — nämlich:

In der Landesgesetzgebung und der Beschließungstätigkeit [sic] der Landesregierung zum gesamten Thema der Sprachdidaktik in Südtirol das Konzept der „Muttersprache“ durch das Konzept der (auch mehrfachen) „Erstsprache“ zu ersetzen.

— Beschlussantrag Nr. 700/23

Das finde ich interessant, da das Konzept der »Muttersprache« tatsächlich nicht unumstritten ist und sich zu Missverständnissen eignet, wiewohl ihn zum Beispiel die UNESCO (»Internationaler Tag der Muttersprache«) verwendet.

Dann allerdings lese ich auf Salto, mit welchen Argumenten die Grünen diesen Vorschlag begründen:

Das Konzept der „Muttersprache“ sei mittlerweile ein ebenfalls überholter bzw. ein emotional sehr aufgeladener Begriff, so Foppa, welche als Beispiel die Frage in den Raum warf: „Wer würde nicht seine Muttersprache verteidigen wollen?“ Sinnvoller sei es daher technische Fachbegriffe zu verwenden, die eine rationalere Herangehensweise ermöglichten.

— Salto

Ist der Gedanke hinter der Ersetzung also tatsächlich, dass damit die Verteidigung der Minderheitensprachen gebrochen werden soll — und dies ausgerechnet, während eine neofaschistisch geführte Regierung auf Staatsebene weitere Angriffe vorbereitet, die die italienische Sprache auch zu Lasten der Minderheitensprachen weiter stärken werden?

Mit diesem Einblick in ihre eigentlichen Absichten bieten die Einbringerinnen doch tatsächlich gute Argumente, um ihren Vorschlag — zumindest — äußerst kritisch zu beäugen.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Das ist Hetze, keine Kritik.

Salto-Chefredakteur Fabio Gobbato hat mit einem »Kommentar« der Diskussion um eine mehrsprachige Schule ordentlich geschadet.

Fabio Gobbato hat ordentlich zugelangt in seinem A udienza solo chi sail tedesco. In seinem publizistischen Visier: die Direktorin einer Grundschule in Bozen, die SVP, Obmann Philipp Achammer und Landeshauptmann Arno Kompatscher. Allesamt populistische, ethnische Scharfmacher:innen, die auf Kosten von Kindern aus italienischen oder migrantischen Familien ihre intolerante Politik betreiben. Das klingt fast so, als würden die deutsche Schule und der zuständige Landesrat »Krieg« gegen die erwähnten Kinder und ihre Familien führen. Wäre das der Fall, hätte Gobbato treffend analysiert und kommentiert.

Applaus erhält Gobbato von der Lega und von den Fratelli d’Italia. SVP-Partner Lega schwafelt von einer Politik auf Kosten der Familien, die Fratelli — möglicherweise Partner der SVP nach den Landtagswahlen im Herbst — machten eine »ethnische Offensive« auf.

Es findet aber kein ethnischer Krieg statt, keine ethnische Offensive, die auf dem Rücken der Familien ausgetragen wird. Nicht von ungefähr findet Salto-Herausgeber Max Benedikter, dass »aus einer Mücke ein Elefant gemacht« wird. Diese »Mücke« steht in der Einladung zum Elternsprechtag:

Darin weist die Direktorin der deutschsprachigen Grundschule darauf hin, dass die Gespräche mit den Lehrpersonen »in deutscher Sprache erfolgen«. Deutsche Schule, deutsche Unterrichts- und Verkehrssprache. In welcher Sprache werden an den italienischsprachigen Schulen die Elternsprechtage abgehalten?

Die von Gobbato attackierte Grundschuldirektorin bietet nicht Deutsch sprechenden Eltern Sprachmediator:innen an. Was macht Gobbato daraus? Er legt nahe, die Direktorin wolle Eltern in Verlegenheit bringen, die die Unterrichtssprache der Schule nicht verstehen, die ihre Kinder besuchen. Ein doch starkes Stück Miesmacherei. Doch Gobbato geht noch weiter: Er vermutet, die Direktorin wolle mit ihrem angeblichen Sprachdiktat erreichen, dass nicht Deutsch sprechende Eltern dem Elternsprechtag fernbleiben. Warum sollte sie das wollen? Das ist doch eine absurde Annahme, eine weitere Unterstellung.

Ich war einige Jahre lang Klassenratmitglied und Schulratvorsitzender an einer deutschen Schule. Deutsch war die Verkehrssprache, bei Bedarf wurde selbstverständlich auch Italienisch gesprochen, dann und wann auch Englisch. Man kann davon ausgehen, dass dies die Lehrpersonen der angegriffenen Bozner Grundschule genauso halten werden.

Wenn ich richtig informiert bin, lehnte die von Gobbato kritisierte Direktorin auch nicht die Einschreibung eines migrantischen Kindes ab, sondern empfahl den Eltern eine andere Schule.

Eine ethnische Offensive?

Aus diesen beiden Fällen, der Einladung zum Elterntag und zur Empfehlung der Schulwahl, konstruierte Gobbato eine ethnische Offensive. Damit versuche die SVP Wählerstimmen zu gewinnen.

Über diese verquere Analyse freut sich die italienische Rechte.  

Der Kammerabgeordnete von Fratelli d’Italia Alessandro Urzì sieht in der Schulempfehlung eine Verletzung des verfassungsmäßigen Rechts auf Bildung. Er hält es nicht für zulässig, einen Schüler aufgrund eines Sprachtests abzulehnen. Deshalb fordert er den italienischen Bildungsminister auf, Maßnahmen zu ergreifen. Vielleicht sollte diese Grundschule in Gries dem Ministerium direkt unterstellt werden?

Sollte sich Urzì nicht darüber Gedanken machen, warum auch immer mehr italienische Eltern in Südtirol ihre Kinder an deutschen Kindergärten und Schulen einschreiben? Funktioniert das »deutsche Bildungswesen« besser als das italienische? Ist die ach so ethnisch engstirnige deutsche Schule gar weltoffener?

Drängen deshalb auch Migrantenfamilien ihre Kinder in die deutschen Kindergärten und Schulen? Mehr als elf Prozent der Kinder in den deutschsprachigen Schulen stammen aus dem Ausland. Tendenz steigend. In manchen Kindergärten und Grundschulen lag der Anteil an »Ausländer:innen« höher als jener der »Einheimischen«: Grundschulen Franzensfeste und Blumau sowie die Kindergärten Waidbruck, Meran/Fröhlich und Bozen/Weggensteinstraße. An der Grundschule Waidbruck lag der Anteil an »Ausländer:innen« bei der Hälfte. Allesamt Nicht-EU-Bürger:innen. In 30 Kindergärten und Grundschulen betrug der »Ausländeranteil« mehr als ein Drittel.

Besonders in Bozen ist das Interesse migrantischer Familien an der deutschen Grundschule groß. Mehr als die Hälfte der für das nächste Schuljahr eingeschriebenen Grundschulkinder sind migrantisch oder nicht deutschsprachig. Zweifelsohne wollen diese Familien, dass ihre Kinder die deutsche Landessprache lernen. Fakt ist inzwischen aber auch, wie die Direktor:innen der deutschen Bildungseinrichtungen beklagen, dass in Bozen kaum mehr Deutsch gesprochen wird. An den deutschen Schulen die deutsche Unterrichts- und Verkehrssprache zu erhalten ist ein schwieriges pädagogisches Unterfangen.

Wachsender »Ausländer:innen«-Anteil

Laut dem Landesinstitut für Statistik sind 10.000 Kinder zwischen drei und 18 Jahren nicht in Besitz eines italienischen Passes bzw. im Ausland geboren. In Südtirol geboren sind 5.000 »passlose« Kinder. Nur eines von fünf Kindern und Jugendlichen stammt aus einem Mitgliedsstaat der EU.

An den italienischen Kindergärten haben bereits ein Viertel aller Kinder einen Migrationshintergrund. Fast 13 Prozent der Schüler:innen der italienischen Mittelschule sind keine italienischen Staatsbürger:innen.

Je höher die Schulstufe, desto geringer ist der »ausländische« Anteil, an den italienischen Oberschulen ist er mit fast 17 Prozent deutlich höher als an den deutschen Oberschulen mit 5 Prozent.

Kinder mit ausländischem Pass scheinen eine Berufslehre zu bevorzugen. Mehr als die Hälfte aller ansässigen Ausländer:innen besuchen eine Berufsschule. Der Ausländeranteil an den deutschen Berufsschulen beträgt 11 Prozent, an den italienischen Berufsschulen liegt die Quote schon seit zwölf Jahren über 30 Prozent (2010/11 gar 38 Prozent). Die Hauptlast der Zuwanderung tragen zweifelsohne die italienischen Bildungseinrichtungen.

Die von der Bozner Stadträtin Johanna Ramoser (SVP) angeregten Sprachtests für Kinder mit Migrationshintergrund sind Ausdruck einer politischen Hilflosigkeit. Zurecht erinnerte Simon daran, dass Sprachtests die Ohnmacht offenlegen. Er wirbt hingegen für

vorgeschaltete und begleitende Sprachkurse, Integrations- und Mediationskräfte, Verkleinerung der Klassen und Kindergartengruppen, Deutschpflicht im Pausenhof — über solche Maßnahmen kann und soll man sprechen.

Die deutsche Landessprache hat offensichtlich

ausreichend Strahlkraft, um eine bedeutende Anzahl Migrantinnen dazu zu bewegen, sich und ihre Kinder »durch sie« zu integrieren; und um viele Italienerinnen von der Notwendigkeit ihres bestmöglichen Erwerbs zu überzeugen.

Diese Bereitschaft sollte die deutsche Schule offensiv nutzen, statt sich ängstlich einzuigeln und abzuschotten.  

Miesmachende Mücken

Hat Fabio Gobbato aus einer Mücke einen Elefanten gemacht, weil er den Text der Einladung zum Elternsprechtag nicht verstanden hat? Das wäre peinlich. Sein Kommentar wurde staatsweit aufgegriffen, seine Verunglimpfungen unhinterfragt verbreitet. Weder Gobbato noch die großen italienischen Zeitungen scheinen zu wissen, dass die von ihnen inkriminierten Sprachtests — wie Simon frotzelt — an den italienischen Schulen angewandt werden, um Schüler:innen herauszufiltern, die die mehrsprachigen Klassenzüge besuchen dürfen. Warum wird mit unterschiedlichem Maß gemessen? Die einen dürfen, die anderen werden dafür untergriffig beschimpft und mies gemacht. »Linke« Hetze ist auch shit.

  • Nachtrag vom 27. März 2023: Chefredakteur Fabio Gobbato hat auf Salto eine Replik zu diesem Beitrag veröffentlicht. ()
  • Nachtrag vom 29. März 2023: Max Benedikter, Präsident von Demos 2.0, hat auf Salto ebenfalls auf diesen Beitrag geantwortet. ()
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Sprachimmersion, Minderheiten und Eliten.

Eine Person, die die Einführung der mehrsprachigen Schule in Südtirol befürwortet, hat mir kürzlich via Facebook das Buch Lernen in der Fremdsprache – Grundzüge von Immersion und bilingualem Unterricht von Henning Wode (1995) empfohlen. Darin wird tatsächlich sehr differenziert, meinem Eindruck nach in manchen Punkten auch widersprüchlich, analysiert, unter welchen Umständen eine mehrsprachige Schule gut funktionieren kann. Insbesondere wird auch auf die Situation von Minoritäten und Majoritäten eingegangen.

Einige Auszüge:

Je größer die Gruppe der Sprecher einer Sprache, umso stärker ist der Sog bzw. Zwang für Sprecher einer anderen Sprache, sich bei Kontaktsituationen der Sprache der größeren Gruppe zu bedienen.

– Henning Wode

Die dominante Gruppe wird als Majorität bezeichnet, die nichtdominante als Minorität oder Minderheit. Abgesehen von Eroberung oder Kolonialisation, ist erstere in der Regel zahlenmäßig stärker als die Minderheit, besetzt vorrangig die Macht- und Führungspositionen in Staat und Wirtschaft; und die Sprache der Majorität ist meist auch die Nationalsprache des Staates.

– Henning Wode

Hervorhebung von mir

Welche Sprache zwischen Deutsch und Italienisch sich bei Kontaktsituationen meist durchsetzt, nämlich zweitere, ist erforscht (‹1 ‹2).

Und dass es sich bei Südtirol um eine Eroberung — wenn nicht um Kolonialisation (‹1 ‹2 ‹3) — handelt, dürfte unstrittig sein. Das erklärt, warum die Sprachminderheit (laut obiger Definition) hierzulande zahlenmäßig in der Mehrheit ist und trotzdem eine Minorität darstellt.

[Es] hat sich die Unterscheidung von Lambert 1984 zwischen additivem und subtraktivem Bilingualismus bewährt. Mit additivem Bilingualismus ist gemeint, daß Schüler zusätzlich zu ihren L1 Fähigkeiten in der L2 erwerben, ohne daß ihre Kompetenz in der L1 geschmälert wird. Bei subtraktivem Bilingualismus hingegen lernen die Kinder zwar bis zu einem gewissen Grade eine L2, jedoch wird dadurch ihre L1-Entwicklung entweder gehemmt, oder bereits vorhandene L1-Fähigkeiten verkümmern wieder. Im Extremfall können solche Schüler in beiden Sprachen semilingual in dem Sinne sein, daß sie zwar zwei Sprachen sprechen, aber keine wirklich gut.

– Henning Wode

Auf die Unterscheidung zwischen additivem und subtraktivem Bilingualismus waren wir hier bereits eingegangen, unter anderem mit Bezug auf Forschungsergebnisse von 2021. Insbesondere auch bei Sprachminderheiten ist die Gefahr von subtraktivem Bilingualismus vorhanden. Laut Wode gibt es Möglichkeiten, um dem entgegenzuwirken.

Swain/Cummins 1986 bieten einen kritischen Überblick seit Peal/Lambert. Sie nennen eine Reihe von Faktoren, die die positive oder negative Wirkung von Mehrsprachigkeit bestimmen.
Dazu gehören: Die Zugehörigkeit der Kinder zu einer Minorität oder Majorität; das Prestige und der Status, den die L1 und L2 in der Familie und in der Gemeinschaft genießen; der sozio-ökonomische Status der Kinder bzw. ihrer Familien; sowie die Art des Unterrichts. Swain/Cummins heben hervor, daß die positiven Ergebnisse in der Regel bei Majoritätenkindern festgestellt wurden, die negativen bei Minoritätenkindern. Wenn die Kinder, ihre Familien und die Sprachgemeinschaft eine positive Einstellung zur L1 und L2 haben, wenn beide Sprachen ein hinreichendes Prestige genießen und aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen nützlich sind, ergeben sich in der Regel positive Ergebnisse. Günstig sind die Auswirkungen von Mehrsprachigkeit meistens bei Kindern aus höheren sozio-ökonomischen Schichten, weniger günstig bei Kindern aus niederen.

– Henning Wode

Hervorhebung von mir

Letzteres finde ich besonders interessant und aufschlussreich. Es ist ein Aspekt, der in Südtirol selten bis gar nicht thematisiert wurde — doch die mehrsprachige Schule könnte nicht nur ein Problem für die Minderheitensprachen (und somit für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit) werden, sondern auch den Graben zwischen »sozio-ökonomischen Schichten« vertiefen und zur Eliteschule werden. Dieser Vorwurf steht im Mutterland der Immersion, Kanada, schon lange im Raum und wir sollten uns vielleicht auch deshalb fragen, ob ein solches Modell im Rahmen des öffentlichen Schulsystems Platz haben soll.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 | 1› 2›

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