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Kolipsi: Die Outgroup-Kontakte.
Sprache zwischen den Gruppen

Im Kontext der Beiträge über die Minorisierung und über den Kontakt zwischen Mehrheits- und Minderheitensprachen ist mir wieder eingefallen, dass auch in der Kolipsi-Studie von 2017 Aussagen zu diesem Aspekt enthalten sind. Dort wurden Schülerinnen der vierten Klasse Oberschule befragt.

Bezüglich Umgang mit Freunden aus der anderen Sprachgruppe1Tabelle 15, S. 108 geben dort 79,9% der Italienischsprachigen an, mit Deutschsprachigen ausschließlich oder vorwiegend Italienisch zu sprechen. Hingegen reden nur 31,3% der Deutschsprachigen eigenen Angaben zufolge ausschließlich oder zumindest vorwiegend Deutsch mit ihren italienischsprachigen Freunden.

Zudem geben deutlich mehr Deutschsprachige (16,5%) als Italienischsprachige (10,3%) an, beide Sprachen gleichermaßen mit ihren Freunden der anderen Sprachgruppe zu benutzen.

Demgegenüber sprechen nur 9,8% der Italienischsprachigen mit ihren deutschsprachigen Freunden Deutsch, aber über fünf Mal soviele Deutschsprachige (52,2%) mit ihren italienischsprachigen Freunden Italienisch. Die Unterschiede sind enorm.

Die zwei häufigsten Gründe, die von den italienischsprachigen Schülerinnen für die Gewohnheit angegeben werden, mit ihren deutschsprachigen Freundinnen Italienisch zu sprechen: die Annahme, dass deren Italienischkenntnisse viel besser seien, als ihre eigenen Deutschkenntnisse (86,5%) sowie weil es sich »spontan« so ergebe, dass sich die Deutschsprachigen auf Italienisch an sie wenden (82,4%).

Die Deutschsprachigen geben zu 57,4% an, dass sie im kommenden Jahrzehnt eine weitere Zunahme der Wichtigkeit der italienischen Sprache 2Tabelle 57, S. 151 erwarten.

◊ ◊

Dialekt

Den deutschen Südtiroler Dialekt lernen möchten 44% der Italienischsprachigen, knapp 35% möchten es nicht. Mehrheitlich (53,5%) sind sie aber dagegen, dass diese Möglichkeit in der Schule angeboten wird.3Tabellen 77 und 78, S. 162 Die Autorinnen sehen dies unter anderem als eine typisch italienische Einstellung, die zur Stigmatisierung von Dialekten führe4S. 111 in Berufung auf »Grochowska, 2013«, regen aber trotzdem an, pragmatisch zu überlegen, welche Vorteile die Annäherung an den Südtiroler Dialekt mit sich bringen könnte.

Siehe auch ‹1 ‹2 | 1›

  • 1
    Tabelle 15, S. 108
  • 2
    Tabelle 57, S. 151
  • 3
    Tabellen 77 und 78, S. 162
  • 4
    S. 111 in Berufung auf »Grochowska, 2013«
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Autonomiekonvent: Ein persönliches Resümee.
Licht und Schatten

Nachdem ich eine Serie von Artikeln über den Konvent veröffentlicht und versucht habe, möglichst neutral zu berichten, ist es nach der letzten Sitzung nun an der Zeit, ein subjektives Resümee zu ziehen.

Der Konvent war sicherlich persönlich eine wichtige und spannende Erfahrung, mit 32 anderen Menschen aus Südtirol über die Zukunft der Autonomie zu diskutieren, dabei die Dynamik unterschiedlicher Sichtweisen kennenzulernen und schließlich diese unterschiedlichen Ansichten in ein Enddokument zu gießen. Die TeilnehmerInnen haben in den Sitzungen stets versucht, mit Respekt den Positionen anderer zu begegnen, das Gesprächsniveau war gut, zum Teil sogar sehr gut. Nach 27 Sitzungen steht nun ein Abschlussdokument , welches vom größten Teil der Mitglieder getragen wird. Nur vier Minderheitenberichte wurden erstellt, bedauerlicherweise kamen diese ausschließlich von italienischsprachigen Mitgliedern. Interessanterweise konnten/wollten die Verfasser der Minderheitenberichte kein gemeinsames Dokument erstellen, obwohl es inhaltlich große Überschniedungen gibt.

Das Abschlussdokument trägt eindeutig die Handschrift der RechtsexpertInnen, viele Formulierungen erschließen sich nicht beim ersten Durchlesen, sondern wurden aus im Konsens erstellten Forderungen von Esther Happacher, Renate von Guggenberg und Roberto Toniatti “übersetzt”. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich grundsätzlich von jener im Forum der 100, wo die ForumsteilnehmerInnen mit ihrer eigenen Sprache die Wünsche an die Zukunft Südtirols gerichtet haben. Aus dieser Sicht stehen die Endberichte von F100 und K33 absolut gleichwertig nebeneinander, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Das F100 kann als Zukunftswerkstatt gesehen werden, diese Berichte behandeln vielfach nicht nur das Autonomiestatut, sondern sind viel breiter aufgestellt und sollten auch von allen EntscheidungsträgerInnen Ernst genommen werden. Nicht oft gibt es die Gelegenheit, dass ein derart bunt zusammengewürfelter Haufen von Südtiroler BürgerInnen gemeinsam ihre Wünsche an die Zukunft richtet. Der K33 arbeitete zwar ähnlich, konzentrierte sich und filterte aber viel stärker im Hinblick auf das Statut. Aus diesem Grund ist es auch nachvollziehbar, dass viele Wünsche des F100 nicht Eingang in den Abschlussbericht des K33 gefunden haben; auch ich hätte beispielsweise gerne eine alternative Präambel im Abschlussdokument gesehen, sah es aber als unrealistisch, diese im Vergleich zu dem von vielen Seiten unterstützten Entwurf von Christoph Perathoner (SVP) durchzusetzen. An diesem Beispiel erkennt man auch die Dynamik des nicht klar ausformulierten Konsensprinzipes: Hätte jede/r TeilnehmerIn darauf beharrt, die persönliche Sichtweise auf ein bestimmtes Thema durchzusetzen, so hätten wir nun wahrscheinlich 33 Minderheitenberichte und kein vernünftiges Abschlussdokument. Die Zurücknahme der Eigeninteressen bis zu einem bestimmten Punkt hat dafür gesorgt, dass ein relativ starkes Enddokument entstanden ist. Im Nachhinein war die Arbeitsweise einer der Knackpunkte, sollte noch einmal ein derartiges Experiment gewagt werden, so würde ich jedenfalls die Arbeitsweise viel klarer im Vorfeld austesten, eine professionelle externe Moderation vorsehen und auch die RechtsexpertInnen extern verankern.

Was ist nun geblieben?

Inhaltlich ist das Dokument sehr wohl nach vorne gerichtet, so wird beispielsweise ein umfassender Kompetenzkatalog gefordert, der so weit geht, dass er sich der von der SVP geforderten “Vollautonomie” nähert. Die Region wird als überholt angesehen; eine stärkere Hinwendung zu Europa und zur Europaregion gefordert; die Selbstbestimmung als völkerrechtlich abgesichertes Prinzip verankert; der Proporz als Instrument zur Gleichstellung der Sprachgruppen im öffentlichen Dienst beibehalten; das Muttersprachprinzip in der Schule als wesentliche Grundsäule der Autonomie beibehalten, gleichzeitig wurde aber betont, dass mehrsprachige Experimente im Rahmen der heutigen Gesetzeslage möglich sind; das Regierungskommissariat soll abgeschafft werden; eine umfassende Finanz- und Steuerautonomie als zweite Grundsäule der Autonomie neben den Zuständigkeiten wird gefordert; insgesamt mehr Rechtssicherheit in den Beziehungen Staat-Land angestrebt. Es gibt noch viele weitere Aspekte, die im Dokumente enthalten sind, und die Zukunft wird zeigen, wieviel davon umgesetzt wird. Zumindest als Kompass für die weitere Entwicklung sollte das Dokument dienen. Verständlicherweise waren nicht alle Forderungen einstimmig, nahezu alle italienischsprachigen VertreterInnen zeigten Ablehnung bei Themen, die nationale Interessen bzw. nationale Durchgriffmöglichkeiten beschränkten.

Ist das Dokument progressiv?

Definitiv ja, auch wenn vor allem die “links-grüne” Fraktion es als rückwärtsgewandt betrachtet. Südtirol steht im Vergleich zu anderen Regionen Italiens blendend da, ein Teil davon ist sicherlich auch unserer Autonomie geschuldet, selbst Trient, das dieselben autonomen Rechte wie Südtirol geniesst, hat sich — wie auch der jüngst erschienene Bericht der Banca d’Italia zeigt — nicht so gut wie unser Land entwickelt. Wieso ein bewährtes Modell leichtfertig aufgeben? Am Beispiel Schule kann dies eindrucksvoll untermauert werden. Die allseits von bestimmten Kreisen geforderten mehrsprachigen Schulmodelle wurden durch den Kolipsi-Bericht als nicht zielführend entlarvt. Obwohl viele italienische Schulen mit alternativen Modellen wie CLIL experimentieren, sind die Ergebnisse für die italienischen Oberschulen geradezu verheerend. Die Medien versuchten zwar davon abzulenken, indem vor allem auf die massiv verschlechterten Ergebnisse der deutschsprachigen Schulen verwiesen wurde. Jede/r kann sich ausmalen, wie die Ergebnisse erst bei den Berufsschulen ausfallen würden. Vor diesem Hintergrund ist es auch verständlich, dass eine Mehrheit im Konvent nicht leichtfertig das Muttersprachprinzip nach Art. 19 aufgeben wollte und vor allem einen besseren Zweitsprachenunterricht forderte. Der vor allem von italienischer Seite als “rückständig” eingestuften Haltung sollte in Zukunft durch eine bessere Evaluation und Qualitätskontrolle des Unterrichtes begegnet werden, eine Sprachstelle wäre hierfür ein richtiger Ansatzpunkt. Hier zeigten sich auch die großen Divergenzen im Konvent. Ein von einem Teil der Mitglieder vorgenommene Unterscheidung zwischen rückständig und progressiv zeigt vor allem eines: Ein vorherrschendes Elitendenken ohne Bezug zur gesamten Realität in Südtirol. Es wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass alle Eltern ihre Kinder in mehrsprachige Schulen schicken würden, dass in der Freizeit die Eltern dafür sorgen, ihren Kindern eine mehrsprachige Umgebung zu bieten. Ich frage mich nur, wie das zum Beispiel in ländlichen Dörfern oder Stadtteilen mit keinen nennenswerten Anteilen der anderen Sprachgruppe erfolgen soll. Ähnlich verhält es sich mit dem Zusammenleben, der “convivenza”. Auch hier sollte mal ein Realitätscheck gemacht werden, ein friedliches Zusammenleben gibt es schon lange und es läuft auch nicht schlecht. Dass vielfach dieses Zusammenleben in der “dominanten” Sprache Italienisch gelebt wird, bestätigt wiederum die Kolipsi-Studie und wird aber kaum thematisiert.

Miserable Außenwirkung

Die Medien spielten für mich zu einem großen Teil eine misaerable Rolle. Vor allem der A. Adige hat in einer Vielzahl von Artikeln von Anfang an nichts unterlassen, um den Konvent in ein schlechtes Licht zu rücken. Hier wurde gehetzt und Stimmung gemacht, Mitglieder des Konvents als “truppe cammellate” bezeichnet, mit Orban, Le Pen und Norbert Hofer verglichen und nichts unversucht gelassen, den Konvent zu schwächen. Diese unrühmliche Rolle wurde auch von italienischsprachigen Mitgliedern interessanterweise nie kritisiert; im Gegenteil, vielfach wurde im Konvent A und dann im A. Adige B gesagt, wahrscheinlich um vor den WählerInnen eine bella figura zu machen. Kaum besser andere Medien, wie beispielswesie Salto, wo man schnell zum “Pollo der Woche” ernannt wird, obwohl der Redakteur nie bei einer Sitzung anwesend war, sich nicht mit der Arbeitsweise auseinandergesetzt und Teile eines Gesamtdokumentes aus dem Zusammenhang gerissen hat. Generell muss gesagt werden, dass das Medieninteresse angesichts der zumeist negativen Artikel sehr bescheiden war. Ich frage mich nur, was wir hier eigentlich bei anderen Themen aufgetischt bekommen, wo ich keinen Einblick habe? Die Dolomiten und Rai Südtirol haben sich hier im Vergleich mit neutraler Berichterstattung hervorgetan.

Was bleibt?

Ich fürchte, das Schlussdokument wird im Landtag und dann zusammen mit Trient garantiert “entschärft”. Wie viel davon übrig bleibt, werden wir im Herbst sehen, wenn es im Landtag (am 22.9.) diskutiert wird. Umstrittene Punkte, wie etwa das Selbstbestimmungsrecht, sind zumindest erstmals verankert. Die Eurac, die den Konvent wissenschafltich begleitet, wird sicherlich eingehender die Ergebnisse untersuchen und vielleicht finden sie international in Expertenkreisen mehr Gehör als bei uns im Land. Bestimmte Medien haben es zumindest geschafft, dass der Konvent in der Außenwirkung stark beschädigt wurde. Dabei wird vergessen, dass neben den vereinzelten Streitpunkten ein gemeinsamer Wille von allen besteht, diese Autonomie weiterzuentwickeln, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und auch das Zusammenleben weiter zu fördern. Dies kann aber nur geschehen, wenn wir unsere Defizite objektiv erkennen und auch beim Namen nennen, Elitendenken abbauen und auch wagen, heikle Themen anzugehen.

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Clil e scuola unica? Feticci.
Quotation // Ricerca Kolipsi, valutazioni di Rita Franceschini

Il problema è che [il metodo Clil] è un feticcio, e invece il metodo che risolve tutti i problemi non esiste. Il Clil richiede contesti autentici per trovare applicazione pratica, contesti più distesi e informali dove ci si possa esprimere in libertà.

Le ricerche dimostrano che un anno passato in un’altra «zona linguistica» vale 4 anni di apprendimento tradizionale.

La scuola unica è un altro feticcio. Non credo che in Sudtirolo possa esistere una scuola unica. Ci muoviamo in un contesto di bilinguismo bicomunitario, in cui per esempio la variabile del dialetto gioca un ruolo importante e con comunità linguistiche che hanno sviluppato comportamenti bilingui diversi e che hanno obiettivi diversi.

Rita Franceschini, linguista, professoressa ed ex rettrice della Libera Università di Bolzano, nell’intervista di Mauro Fattor apparsa oggi sull’A. Adige

Vedi anche ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1›

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Keine Vergleichsstudien.
Quotation

Bislang gibt es für Südtirol keine Vergleichsstudien, die untersucht haben, wie sich die Erstsprache/Muttersprache Deutsch bei den Schülerinnen über einen längeren Zeitraum hin entwickelt haben (sic).

Andrea Abel, Koautorin der Kolipsi-Studie, im Rai-Mittagsmagazin vom 31. Mai 2017

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Delegare alla scuola.
Quotation // La mancanza di dati empirici

Oltre ai risultati degli esami di certificazione linguistica e delle impressioni, senz’altro utili ma non esaustive, di genitori, insegnanti e degli alunni stessi, non esistono altri dati empirici sulle esperienze CLIL in Alto Adige e anche a livello internazionale si chiede a gran voce di porre rimedio a questa che è indicata come una grave lacuna nel panorama CLIL. Occorrono studi scientifici — possibilmente longitudinali — ed evidenze statistiche per sancirne, oltre ogni ragionevole dubbio, la ricaduta sulle competenze linguistiche ma anche per chiarire fino dove può e deve spingersi la scuola e dove invece sono le famiglie e i ragazzi stessi che, smesso di delegare tutto alla scuola, devono mettere in moto quel circolo virtuoso affinché la lingua diventi davvero strumento di comunicazione, di convivenza e di partecipazione.

Enfasi mia

Andrea Abel e Chiara Vettori, autrici della ricerca Kolipsi, qui

Vedi anche ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 | 1› 2›

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Kolipsi II — endlich.

Heute wurden an der Eurac die Ergebnisse der zweiten Kolipsi-Studie über die Zweitsprachkenntnisse Südtiroler Schülerinnen vorgestellt.

Erste Bemerkungen dazu:

  • Hurra, endlich gibt es »vergleichbare« Daten! Über Jahre hatten wir immer und immer und immer wieder darauf hingewiesen, dass es sinnlos ist, über die Entwicklung der Zweitsprachkenntnisse in Südtirol (Verbesserung? Verschlechterung?) zu diskutieren, wenn keine wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Und vor allem: Dass es hanebüchen sei, Schulpolitik nicht aufgrund wissenschaftlicher Erhebungen, sondern aufgrund von Mutmaßungen und Mythen zu machen.
  • Für ein mehrsprachiges Land wie Südtirol ist es wahrlich eine Schande, dass im Jahr 2017 erstmals Daten zur zeitlichen Entwicklung von Zweitsprachkenntnissen vorliegen, die nicht auf Selbsteinschätzung der Befragten beruhen. Und sie liegen noch immer nur für eine spezielle Gruppe (Oberschülerinnen der 4. Klasse der Schuljahre 2007/08 und 2014/15) vor. Zudem gibt es m. W. nach wie vor keine Vergleichsdaten über die Erstsprachkenntnisse.
  • Wie wichtig solche Erhebungen sind, zeigt sich dadurch umso klarer, dass die Ergebnisse vielem von dem, was während der letzten Jahre gemutmaßt wurde, widersprechen.

  • Dass die Zweitsprachkenntnisse, die ich schon 2009 ernüchternd fand, in einem mehrsprachigen Land wie unserem weiter abgenommen haben, halte ich für eine extrem schlechte Nachricht.
    • Die Sprachkenntnisse nahmen bei den deutschsprachigen Schülerinnen deutlicher ab, als bei den italienischsprachigen. Bei ersteren gab es allerdings auch eine größere Fallhöhe.
    • Die absoluten Sprachkenntnisse der deutschsprachigen Schülerinnen sind dennoch nach wie vor klar besser, als die der italienischsprachigen.
  • Content and language integrated learning (CLIL), das vor allem in den italienischen Schulen massiv gefördert wurde, scheint nicht die erhoffte — und übrigens auch von mir erwartete — positive Auswirkung auf die individuellen Zweitsprachkenntnisse zu haben. Die sogenannte Evaluation hatte erste Hinweise in diese Richtung gegeben.
  • Angeblich ist — vor allem bei deutschsprachigen Schülerinnen — ein deutlicher Zusammenhang zwischen (außerschulischem) aktivem Gebrauch und Beherrschung der Zweitsprache erkennbar.
  • Bei Italienischsprachigen soll vor allem die Beherrschung des Südtiroler Dialekts für gute Deutschkenntnisse verantwortlich sein (wobei ich mich frage, ob erforscht wurde, welches die Ursache und welches die Wirkung ist).
  • Eine provokante Frage drängt sich mir auf: War früher alles besser? — Sprich: Warum waren die Zweitsprachkenntnisse besser, bevor begonnen wurde, ihren Ausbau immer hysterischer zu forcieren?
  • Vielleicht wäre es nun gut, bevor man von dieser Studie politische Forderungen ableitet, einen Schritt zurück zu machen, tief durchzuatmen und — endlich — besonnen nach Lösungen zu suchen.

Siehe auch 1› 2› 3› 4›

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Autorinnen und Gastbeiträge

Was bringt der Mehrsprachigkeitshype?

Viel Stimmung wird derzeit für eine zweisprachige Schule gemacht, und zwar als zusätzliches Angebot zum dreigeteilten Schulsystem. Es wird spekuliert, ob zu diesem Zweck der Artikel 19 des Autonomiestatuts abgeändert werden muss oder ob seine “Neuinterpretation” dafür reichen würde, wie es bei der soeben blockierten DFB der Fall gewesen wäre. In diesem Sinn argumentieren auch die Grünen, die vor einem Jahr einen Gesetzentwurf (Nr. 67/15) “Recht auf Mehrsprachlichkeit im Bildungssystem des Landes” mehrsprachige Klassenzüge in bestehenden muttersprachlichen Schulen einführen wollten, wenn einige Eltern das wünschen. In dieselbe Richtung zielt der kürzlich von Senator Palermo vorgelegte Vorschlag für zweisprachige Klassen oder Schulabteilungen in den bestehenden Schulen. Statt den Artikel 19 derart überzustrapazieren, wäre es rechtlich schon korrekter, zunächst die übergeordnete Norm abzuändern, sofern sich demokratische Mehrheiten dafür finden. Würde der Südtiroler Gesetzgeber dies von sich aus einführen, wäre nämlich auch mit Klagen auf Statutsverletzung zu rechnen.

Mehrsprachigkeit ist für viele Südtiroler das Leitmotiv für die Bildung ihrer Kinder geworden, so als wäre es das absolute Oberziel der Schulbildung schlechthin, der Schlüssel fürs Leben und den beruflichen Erfolg. In diesem Sinn ist in der Bozner Pascoli-Oberschule ein dreisprachiger Schulversuch im Gang mit Deutsch, Italienisch und Englisch als Unterrichtssprachen. Es hat den Anschein, dass bei der italienischen Sprachgruppe heute das Pendel ins andere Extrem ausschlägt, nachdem die erste Generation, die mit dem Autonomiestatut aufgewachsen ist, die zweite Landessprache leider vernachlässigt hat. Wenn das die Motivation zum Deutschlernen stärkt (laut Kolipsi-Studie von 2012 waren 2009 gut 75% der italienischsprachigen Oberschüler erst auf Niveau B1 bei der deutschen Sprache), ist das nur zu begrüßen. Doch muss es in Südtirol aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit zweisprachige Schulen für alle geben?

So argumentiert Sprachwissenschaftler Siegfried Baur in der ff 11/2017 und plädiert für ein dreisprachiges Triennium vor der Matura: “Da müsste die erste Sprache allen Anfechtungen standhalten und die Jugendlichen wären international konkurrenzfähig.” Müssen Südtirols Schüler aus einem wirtschaftlichen Grund (Konkurrenzfähigkeit) auf eine muttersprachliche Schule verzichten, die die allermeisten europäischen Altersgenossen in Anspruch nehmen? Solange nicht der gesamte deutsch- und italienischsprachige Raum von Flensburg bis Catania ein dreisprachiges Schulsystem einführt, brauchen sich Südtirols Schüler eigentlich keine Sorgen um ihre Konkurrenzfähigkeit in der EU zu machen, geschweige denn in Südtirol. Etwas CLIL, moderne Sprachendidaktik und Zusatzangebote, damit schaffen sie L2 und L3 locker. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre angesagt.

Die Bildungswelt Europas sieht anders aus. In Europa ist immer noch die einsprachige Schule mit 1-2 weiteren Sprachen absoluter Standard. Millionen europäischer Abiturienten erreichen Jahr für Jahr ein Niveau in einer Zweitsprache, das ihnen ein Hochschulstudium in dieser Sprache erlaubt. In Südtirol liegen mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Oberschüler auf B2-Niveau der Zweitsprache (Kolipsi 2012), über 70% der Deutschsprachigen beherrschen fließend Italienisch (Astat). Gibt es ein Unternehmen, das Südtirol wegen mangelnder Zweisprachigkeit der Mitarbeiter wieder verlassen hat?

Ganz ohne Zweifel ist Mehrsprachigkeit im heutigen Europa ein wichtiges Bildungsziel (vgl. Barcelona-Erklärung des EU-Rats 2002: Muttersprache+2) und die Beherrschung der zweiten Landessprache ist zu Recht ein hoher Wert in der Südtiroler Gesellschaft. Doch weder hat die EU den 27 Mitgliedsländern aufgetragen, ihr Schulsystem in ein zwei- oder mehrsprachiges umzubauen, noch ist davon abzuleiten, dass Sprachminderheiten zwecks Konkurrenzfähigkeit auf Staats- und Unionsebene — also aus wirtschaftlichen Gründen — von muttersprachlichen Schulen abzugehen haben.

Dazu nochmals ein knapper Einschub aus einem Land, das von Mehrsprachigkeit etwas versteht, die Schweiz, die seit jeher den Erwerb der anderen Landessprachen in den Schulen groß schreibt (vgl. diese Analyse). In der ganzen Schweiz gibt es nicht mehr als zwei zweisprachige öffentliche Schulen, und zwar zwei englisch-deutsche Gymnasien in Zürich, die vor allem von Kindern von Business-Nomaden und gut gestellten Ausländern besucht werden. Die Einführung von zweisprachigen Oberschulen ist nicht einmal im Tessin ein Thema, das wohl am meisten befürchten müsste, auf Bundesebene sprachlich abgehängt zu werden, und auch nicht in den zweisprachigen Kantonen (eine zweisprachige Unterstufe gibt es allenfalls für die Romanen in Graubünden).

Somit könnten auch einige Missverständnisse vorliegen, die den heutigen Hype für mehrsprachige Schulen befeuern, wie etwa folgende:

  • das Missverständnis, dass die gute Kenntnis weiterer Sprachen nur über gemischte Schulen zu erreichen ist (das Standardschulmodell Europas beweist das Gegenteil);
  • das Missverständnis, dass die italienische und deutsche Sprachgruppe in Südtirol beim Sprachenerwerb denselben Bedarf haben;
  • das Missverständnis, dass es nur mit einer zweisprachigen Schule gelingt, gut Italienisch oder Deutsch zu lernen;
  • das Missverständnis, dass Sprachenlernen ein und alles für Wettbewerbsfähigkeit sei (wäre dem so, wären Exportnationen wie die Schweiz, Deutschland und die Niederlande längst abgehängt);
  • das Missverständnis, dass ein öffentliches Bildungssystem auf den Geschmack eines Teils der Eltern mit besonderen Wünschen zugeschnitten werden muss (Schule à la carte);
  • das Missverständnis, dass gerade eine Sprachminderheit aus Konkurrenzgründen eine gut funktionierende muttersprachliche Schule aufgeben solle.

Bei letzterem würden die Befürworter der zweisprachigen Schule einwenden, dass es ihnen um einen zusätzlichen zweisprachigen Klassenzug oder ein Zusatzangebot einer zweisprachigen Schule geht, doch Simon Constantini hat schon mehrfach (vgl. Gastbeitrag in “Mehr Eigenständigkeit wagen”, POLITiS 2016) treffend aufgezeigt, wohin diese Art von Konkurrenz bei den Schulmodellen unweigerlich führen würde. Fazit: Etwas mehr Bewusstsein bezüglich unserer Rechte und Fähigkeiten wäre angesagt. Warum sollten gerade die Südtiroler aus Gründen wirtschaftlicher Konkurrenz die muttersprachliche Schule einschränken, wenn das weder die übrige EU und nicht einmal die mehrsprachige Schweiz tut?

Siehe auch ‹1 | 1›

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»Bildung und Schule«.
Positionspapier zum thematischen Workshop im Südtirolkonvent

Wir veröffentlichen hiermit unser Positionspapier zum unlängst im Rahmen des Autonomiekonvents stattgefundenen Workshop (»Bildung und Schule«):

Bildungspolitische Entscheidungen sind von großer kollektiver Tragweite, da sie nicht bloß die reine Wissensvermittlung an junge Menschen betreffen, sondern auch langfristige gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben. Zusammen mit dem Gesundheitswesen ist der Bildungssektor der wohl zukunftsträchtigste Bereich politischen Handelns.

Leider beobachten wir in Südtirol, dass bildungspolitische Fragen erschreckend hemdsärmelig angegangen werden. Entscheidungsgrundlagen bilden nicht selten Bauchgefühle, (unwahre) Gerüchte ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 und nicht repräsentative Umfragen ‹7 ‹8. Den Bauchgefühlen und Gerüchten werden zu allem Überfluss dann auch noch regelmäßig ideologische Mäntelchen übergestülpt, welche gewisse Methoden und Sichtweisen als progressiv und andere als rückwärtsgewandt stigmatisieren – völlig unabhängig davon, was sie tatsächlich leisten. Das sind keine guten Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Bildungs- und Schulpolitik.

Die Voraussetzung, um Bildungspolitik im Allgemeinen und den für das Autonomiestatut relevanten Sprachunterricht im Speziellen professionell betreiben zu können, sind wissenschaftliche Erkenntnisse aufgrund belastbarer Daten über Sprachkenntnisse und Sprachentwicklung über einen längeren Zeitraum hinweg. Es ist nur schwer begreiflich, dass wir in Südtirol erst 2004 mit dem ersten so genannten “Sprachbarometer” des ASTAT annähernd eine solche Grundlage geschaffen haben. Abgesehen vom Sprachbarometer, das lediglich alle zehn Jahre durchgeführt wird, steht uns nur die Kolipsi-Studie der EURAC, die die Zweitsprachkompetenzen der Südtiroler Schüler der Sekundarstufe II untersucht, zur Verfügung. Das Sprachbarometer wiederum basiert auf Selbsteinschätzung. Daten, die auf standardisierten Sprachtests fußen und die Sprachentwicklung der Bevölkerung laufend dokumentieren gibt es für Südtirol nicht. Für ein mehrsprachiges Gebiet ein bedauernswerter Zustand ‹9. Da wir vor 40 Jahren nicht mit solchen Erhebungen begonnen haben und uns somit heute kein aussagekräftiges Zahlenmaterial ‹10 ‹11 ‹12 ‹13 vorliegt, sollten wir wenigstens jetzt damit beginnen, diese Dinge zu erheben.

Zumindest liefern uns die Sprachbarometer von 2004 und 2014 sowie die Kolipsi-Studie ‹14 ‹15 ‹16 ‹17 ‹18 ‹19 einige Anhaltspunkte, was die sprachliche Situation im Lande betrifft.

  1. Der Großteil der Südtiroler (aller Muttersprachen) sieht Italienisch als wichtigste Sprache in Südtirol an.
  2. Die deutschsprachigen Südtiroler beherrschen Italienisch wesentlich besser als die Italienischsprachigen Deutsch.
  3. Schüler in den deutschen Oberschulen beherrschen Italienisch besser als ihre italienischen Kolleginnen und Kollegen Deutsch.
  4. Die Sprachkenntnisse der Südtiroler (aller Muttersprachen) was die jeweils zweite bzw. dritte Landessprache betrifft, haben sich in den vergangenen 10 Jahren merklich verbessert.
  5. Gleichzeitig hat sich die Situation in der öffentlichen Verwaltung, die untrennbar mit dem mehrsprachigen Selbstverständnis unseres Landes verbunden ist, teilweise drastisch verschlechtert (Gesundheitswesen, Sicherheitskräfte …).

Wenn wir dann auf Basis dieser Erkenntnisse bildungspolitische Entscheidungen treffen, muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die eingeschlagenen Wege laufend und professionell evaluiert werden. Zum einen um zu verstehen, ob sie überhaupt Wirkung zeigen und zum anderen, welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen die schulpolitischen Entscheidungen zeitigen ‹20.

Beispielsweise hat die Evaluierung der CLIL-Experimente an deutschen Schulen zwar gezeigt, dass Eltern und Schüler mit CLIL zufrieden sind, aber auch, dass sich die Leistung der CLIL-Klassen in Italienisch sogar verschlechtert hat ‹21. Was auch immer die Gründe dafür sind, der Evaluationsbericht ist diesbezüglich wenig aussagekräftig, da keine Vergleichsgruppe (Klasse ohne CLIL) evaluiert wurde. Von der Politik kommuniziert wurde übrigens nur die Zufriedenheit der Eltern und dass man aufgrund dessen das Projekt ausweiten wolle. Dass sich die Leistungen der Schüler zumindest in Italienisch verschlechtert haben, wurde geflissentlich ignoriert. Und obwohl italienische Schulen schon seit geraumer Zeit mit CLIL experimentieren, gibt es außer der Kolipsi-Studie keine Vergleichsdaten über den Erfolg der Projekte. Kolipsi wiederum bestätigt, dass die Zweitsprache an deutschen Schulen nach wie vor besser gelernt wird. Auch der allzu frühen Konfrontation der Kinder mit der Zweitsprache (es sei denn, es passiert in einem zweisprachigen familiären Umfeld), erteilen Expertinnen der Universität Bozen wie Prof. Dr. Rita Franceschini und Univ. Prof. Dr. Annemarie Saxalber eine Absage.

Überdies kann man das Bildungssystem nicht losgelöst von den Rahmenbedingungen sehen. Ein weiterer Aspekt, den wir bezüglich Sprachunterrichts daher beachten müssen, ist die besondere Situation Südtirols innerhalb eines Nationalstaates. Das ist nicht mit – beispielsweise – einem Englisch-CLIL-Projekt in Deutschland zu vergleichen. Die italienische Sprache ist sowohl nach Einschätzung der Südtiroler als auch de facto die “stärkere” Sprache in Südtirol. Die sprachliche Gleichstellung ist auch nach über 40 Jahren Autonomiestatut nicht erreicht. Im Konsumentenschutz (Etikettierung, Medikamente, Formulare, Verträge usw.) zählt nur die italienische Sprache, vor Gericht, bei den Carabinieri, der Post usw. ist Deutsch maximal geduldet – jedoch nicht absolut gleichgestellt. Wie stark die Strahlkraft der “Nationalsprache” in einem Nationalstaat ist, zeigt die als dreisprachige Universität gestartete Freie Universität Bozen, an der das deutschsprachige Kursangebot in vielen Bereichen stark unterrepräsentiert ist ‹22 ‹23 ‹24.

Wir denken, dass es unser aller Ziel ist, die sprachliche Vielfalt im Land zu erhalten und gleichzeitig die Sprachkenntnisse aller Südtirolerinnen und Südtiroler – inklusive unserer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger – zu verbessern.

Auf Basis obiger belegter und objektiver Erkenntnisse erbringen wir folgende Vorschläge zur Autonomiereform:

  1. Das Land braucht – als Grundvoraussetzung für alle weiteren Schritte – die primäre und alleinige Zuständigkeit für das Bildungswesen (inkl. Hochschule), um eine Politik betreiben zu können, die unserer mehrsprachigen Realität gerecht wird.
  2. Der ominöse Artikel 19 des Autonomiestatus ist schwerfällig und komplex, da er mehrere sprachpolitische Sachverhalte gleichzeitig regelt. Ihn völlig unverändert zu lassen, würde den Handlungsspielraum Südtirols in Sachen Bildungspolitik für die kommenden Jahrzehnte lähmen. Gesetzt den Fall, dass Südtirol die primäre und alleinige Zuständigkeit für das Bildungswesen innehat, wäre es nicht notwendig ein konkretes Schulmodell in ein Gesetz mit Verfassungsrang aufzunehmen. Dies vor allem auch deshalb, da man den Sprachunterricht nicht in allen Schulstufen von der Grundschule bis zur Oberschule über einen Kamm scheren kann. Sobald mutter- und fremdsprachliche Kenntnisse weitgehend gefestigt sind, würde eine allzu starre Regelung den bildungspolitischen sowie pädagogisch-didaktischen Handlungsspielraum unnötig stark einengen. Stattdessen sollten zwei Prämissen gelten:
    • Alle Südtirolerinnen und Südtiroler haben das Recht auf muttersprachlichen Unterricht, wobei das Ausmaß durch Landesgesetze geregelt wird.
    • Die sprachliche Vielfalt im Land (Deutsch, Italienisch, Ladinisch) muss gewahrt bleiben. Daher wird die Sprachsituation laufend wissenschaftlich erhoben und evaluiert. Bei statistisch relevanten Veränderungen zu Ungunsten einer der beiden Minderheitensprachen müssen entsprechende sprach- und bildungspolitische Maßnahmen getroffen werden, um der Entwicklung entgegenzusteuern.
  3. Vorausgeschickt, dass es bei der derzeitigen Sprachunterrichtspraxis großes Optimierungspotential gäbe, ist die Beibehaltung des Muttersprachenprinzips (Unterricht in der Muttersprache nach Art. 19), solange wir in einen Nationalstaat eingebettet sind, die “sicherste” Variante für den Erhalt der sprachlichen und kulturellen Vielfalt, obgleich sie einer Homogenisierung der Südtiroler Gesellschaft und Identität entgegenwirkt. Wenn allerdings die Rahmenbedingungen stimmen (primäre Zuständigkeit im Bildungswesen beim Land, laufende Evaluation der Ergebnisse und Beobachtung des gesamtgesellschaftlichen Sprachgebrauchs) kann auch ein asymmetrisches Immersionsmodell nach dem Vorbild Kataloniens (gemeinsame Schule mit 70 Prozent des Unterrichts auf Katalanisch und 30 Prozent auf Kastilisch) zielführend sein. Das geeignete Prozentverhältnis für Südtirol müsste freilich gesondert ermittelt werden. Eine asymmetrische Gewichtung zugunsten des Deutschen (Stichwort: positive Diskriminierung) als Unterrichtssprache würde den nationalen Druck etwas ausgleichen und sicherstellen, dass der Gebrauch der Minderheitensprache gegenüber der “Lingua Franca” Italienisch abgesichert wird, dass die Südtiroler italienischer Muttersprache besser Deutsch lernen und dass die Südtiroler deutscher Muttersprache ebenfalls stärker mit dem Italienischen konfrontiert werden. Zudem könnte man andenken, in Bozen, Leifers, Pfatten, Branzoll und Salurn noch mehr zugunsten des Deutschen zu verschieben, während in den ländlichen, großmehrheitlich deutschsprachigen Gemeinden die Asymmetrie etwas in Richtung Italienisch gedreht werden könnte.
  4. Die Regelung, dass Sprachunterricht laut Artikel 19 nur von Muttersprachlern erteilt werden darf, ist innerhalb des derzeitigen Systems widersinnig. Entscheidend für das Erlernen der jeweils zweiten Landessprache ist die fremdsprachendidaktische Ausbildung der Lehrkräfte. Sie sollte Vorrang haben gegenüber dem Muttersprachenprinzip – zumindest bis eine elementare Sprachkompetenz erreicht ist. Der derzeitige Zweitsprachenunterricht ist ähnlich dem Muttersprachenunterricht konzipiert und die Lehrkräfte sind auch dahingehend ausgebildet. Er basiert auf Grammatik und Schriftlichkeit. Die für den Spracherwerb entscheidende systematische Wortschatzarbeit kommt zu kurz. Schüler können mitunter sämtliche irregulären Formen des passato remoto aufsagen, aber kaum eine Alltagssituation sprachlich meistern. In den höheren Schulstufen ist das Muttersprachenprinzip (Lehrkraft unterrichtet ihre Muttersprache) sinnvoll. Wenngleich nicht-muttersprachliche Lehrpersonen bezüglich Verständnis für den Spracherwerb vor allem zu Beginn durchaus im Vorteil sein können.
  5. Ladinischunterricht wird im Ausmaß von zwei Wochenstunden für mindestens vier Schulstufen in ganz Südtirol verpflichtend eingeführt.
  6. Stärkung der ladinischen Sprache innerhalb der “paritätischen Schule” in den ladinischen Tälern, indem neben dem reinen Sprachunterricht, Ladinisch nach einem zu ermittelnden Schlüssel auch erheblicher Teil des paritätischen Modells wird.

Zusätzlich bedarf es aber eines grundsätzlichen Umdenkens sowie einiger weiterer Reformen im Bildungswesen. Die großangelegte Hattie-Studie kann dabei als Impulsgeber dienen. Der gängigen Praxis, unter Bildungsreformen fast ausschließlich “Strukturreformen” zu verstehen, die nicht selten mit einem “Methodendogmatismus” einhergehen, erteilt Hattie eine Absage. Die weit größeren Auswirkungen auf den Lernfortschritt haben hingegen selbstreflexive Lehr- und feedbackorientierte Lernstrategien. Weit bedeutender für den Lernerfolg als strukturelle Eingriffe sind demnach kommunikative Aspekte wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die formative Rückmeldung und der strukturierte Unterricht mit angepasstem Methodenmix.

  1. Das Verbesserungspotential des derzeitigen Sprachunterrichts ist noch lange nicht ausgeschöpft und sollte vor allem im Hinblick auf die Hattie-Studie Vorrang vor Strukturreformen und methodischen Allheilmitteln haben, die in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin regelmäßig auf den Kopf gestellt wurden.
  2. Selbstreflexive Lehr- und feedbackorientierte Lernstrategien sind – anders als strukturelle Eingriffe – sehr stark von den Fähigkeiten der Lehrpersonen abhängig. Damit sich wieder die besten Köpfe vor eine Schulklasse stellen, braucht der Lehrerberuf einen Imagewandel. Sätze wie: “Ich weiß noch nicht, was ich einmal mache; inzwischen gehe ich halt unterrichten” müssen ein für alle Mal der Vergangenheit angehören, denn sie bedienen einen Teufelskreis, was die gesellschaftliche Wertschätzung des Lehrerberufs angeht. Letztere ist jedoch entscheidend und sollte sich auch monetär ausdrücken. Denn nichts kommt uns langfristig teurer als schlechte (billige) Lehrer.
  3. Die Lehrerausbildung und Lehrbefähigung muss professioneller und praxisnaher werden. Es ist widersinnig, wenn beispielsweise diplomierte Anglisten für die Lehrbefähigung in Englisch lang und breit über eine Literaturliste und kaum zu didaktischen Fragen geprüft werden.
  4. Schulversuche müssen – anders als in der Vergangenheit – professionell durchgeführt werden:
    • Datenbasis schaffen und Bedarfserhebung machen
    • geeignete Lehrpersonen ausbilden
    • Umsetzung in Versuchsgruppen mit Evaluation über einen längeren Zeitraum (mehr als ein Schuljahr) mit Hilfe von Vergleichsgruppen
    • flächendeckende Ausbildung der Lehrpersonen
    • flächendeckende Umsetzung mit wissenschaftlicher Begleitung und fortlaufender Beobachtung über einige Jahre

    Bei der Einführung von Englisch in der Grundschule beispielsweise wurde erst im Nachhinein mit der entsprechenden Ausbildung der Lehrkräfte begonnen.

  5. Italien hat im europäischen Vergleich sehr viele Schulstunden. Diese sind zusätzlich noch auf einen vergleichsweise kurzen Schulkalender verteilt. Diese Dichte ist von einem pädagogisch-didaktischen Standpunkt aus gesehen kontraproduktiv für den Lernerfolg. Die einzelnen Schultage wie auch die Sommerferien sind zu lang. Die Stundenzahl muss reduziert und das Schuljahr gestreckt werden. Zwei Monate Sommerferien sind mehr als ausreichend.
  6. Es bedarf einer Entbürokratisierung des Lehrerberufs, damit den Lehrkräften wieder vermehrt Zeit für ihre eigentliche Aufgabe bleibt.

Siehe auch ‹1

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