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Autorinnen und Gastbeiträge

Aufarbeiten – aber was?
Corona

Manche tun so, als ob es die Pandemie gar nicht gegeben hat. Sie verlangen die Aufarbeitung.

Online-Medien scheinen die Plattform der Vergangenheitsbewältiger zu sein. Nein, nicht die der braunen Vergangenheit, sondern von Corona. So stellte ein Community-Autor auf Salto  genüsslich fest, dass jetzt sogar die ach so furchtbaren und lügnerischen Mainstream-Medien »bemerkenswerte Dinge« servieren.

Der Community-Autor Alois Spath verweist auf die Diskussionen in Deutschland und — bezeichnend — auf die »bemerkenswerte Wende“ in Niederösterreich. Dort ging die konservative ÖVP eine Koalition mit den sehr rechtsstehenden Freiheitlichen ein. Die niederösterreichische FPÖ (»Kellernazis«, befindet die jüdische Kultusgemeinde), drängte außerdem ihren Partner dazu, die angebliche Diskriminierung von Ungeimpften zu beenden.

Ja, manche Entscheidungen und Verordnungen der italienischen Regierungen waren unerträglich, möglicherweise auch falsch. Ausgangsbeschränkungen, Maskentragen im Freien, die Schließung von Kindergärten und Schulen usw. Entscheidungen, die unter Druck und Zwang getroffen wurden, weil die Pandemie das Land überrollt hatte. Patentrezepte gab es keine. Außer jene der Verharmloser, der Skeptiker, der Leugner und der »Widerstandskämpfer:innen«, die die Schwachen, weil Virusanfälligen (Langzeitkanke, chronisch Kranke), ihrem Schicksal überlassen wollten.

Spath schießt sich in seiner »Aufarbeitung« auf den deutschen Gesundheitsminister Karl Lauterbach ein. So als ob er für die Anti-Covid-Politik auch in Südtirol verantwortlich gewesen wäre und nicht Minister Speranza. Tatsache ist, Lauterbach negierte tatsächlich Nebenwirkungen der Anti-Covid-Impfungen — und das gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse. Menschen, die an Impfschäden leiden, wurden dadurch ausgegrenzt, ihre Krankheiten nicht anerkannt. Dafür muss der Gesundheitsminister jetzt zu Recht jede Menge Kritik einstecken. Dafür entschuldigte er sich auch und gab Fehler zu. Die »Widerstandskämpfer« scheinen hingegen fehlerlos zu sein.

Grassierendes Corona

Die Impfkritiker und -gegner, die No Vax, stellen den Nutzen der Impfung generell in Frage. Dabei infizieren sich gerade wieder sehr viele Menschen mit dem Coronavirus, nicht wenige kämpfen auf Intensivstationen nach wie vor um ihr Leben oder leiden unter den Langzeitfolgen der Erkrankung, darunter überproportional viele Ungeimpfte.

Schwere Verläufe sind inzwischen zwar seltener geworden, doch es sterben weiterhin Patienten an Covid, meistens ungeimpfte.

Die ARD-Sendung monitor tourte durch Deutschland und kommt zum Schluss, Covid sei keineswegs verschwunden, wirke noch immer, auch tödlich. Besonders betroffen: Ungeimpfte, bestätigte der Oberarzt Frank Herbstreit vom Universitätsklinikum Essen. Geboosterte Ü-60 kommen wegen Covid nicht mehr ins Krankenhaus, doppelt Geimpfte sind häufiger betroffen. Die Gruppe der Ungeimpften ist laut Herbstreit sogar fünf bis sechs Mal so oft betroffen wie Geboosterte.

Es wird nicht mehr getestet, kaum mehr geimpft. Die offizielle Inzidenz ist deshalb sehr niedrig. Daten aus Kläranlagen belegen aber einen anderen Trend. Die Virusbelastung im Abwasser steigt wieder an, wie schon bei vorhergehenden Infektionswellen.

Infektiologe Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung geht gar davon aus, dass die derzeitige Inzidenz ähnlich hoch liegt wie bei der Sommerwelle: bei 500. Watzl vermutet, dass die Dunkelziffer zehnmal höher als die wirkliche Inzidenz ist. Erkrankte leiden stark, wie auch Erkrankte an Long-Covid.

Die Schwere ist bleiern, die Muskeln versagen, die Konzentration schwindet. Ähnliches erzählte der Arzt Hubert Messner, der an Post-Covid litt. Post-Covid, Long-Covid. Covid-Neuerkrankungen, sie sorgen für keine Schlagzeilen mehr.

Daten der Allgemeinen Ortskrankenkassen AOK aus dem letzten Jahr zeigen, dass 3,8 Prozent der wegen Covid krankgeschriebenen später auch von Long-Covid betroffen waren. Ähnliche Zahlen gibt es aus Großbritannien. Dort leiden etwa 4 Prozent der Erwachsenen nach einer ersten Infektion unter Long-Covid. Und die britischen Zahlen zeigen, dass Menschen, die eine erste Infektion gut überstanden haben, auch nach einer zweiten Infektion noch an Long-Covid erkranken können. Das Risiko sinkt zwar um rund ein Viertel, bleibt aber hoch. Daran ändert auch die weniger gefährliche, aber deutlich ansteckendere Omikron-Variante nicht viel, warnte die Long-Covid-Spezialistin Jördis Frommhold in monitor. Laut Frommhold sind die absoluten Infektionszahlen so hoch und entsprechend hoch auch die Zahl der Long-Covid-Patienten.

Für Jördis Frommhold ist Long-Covid inzwischen eine Volkskrankheit und die Impfung bislang immer noch die wirksamste Methode, um das Problem wenigstens im Ansatz zu bekämpfen. Nicht alle geimpften Patienten sind aber vor Long-Covid geschützt, es sind aber deutlich weniger als wenn sie sich nicht hätten impfen lassen.

Impfung schützt vor Long-Covid

Laut einer britischen Studie gibt es nach einer Doppelimpfung eine um 41 % geringere Wahrscheinlichkeit, an Long-Covid zu erkranken. Was für Fachleute klar ist, wird in der politischen Debatte bestritten. Von der AfD beispielsweise, von den Freiheitlichen, die sich als Anwälte der Post-Vac-Leidenden geben.

Das deutsche Paul-Ehrlich-Institut listet auf, dass bis Ende Februar in Deutschland 192 Millionen Covid-19-Impfungen durchgeführt wurden. Nach der Impfung gingen 1.336 Meldungen über Gesundheitsstörungen ein, die Long-Covid oder ähnliche Syndrome wie Post-Vac beschreiben. Das sind 0,0007 Prozent, ein verschwindend geringer Anteil.

Es gilt hier abzuwägen, rät Professor Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung. Wer sich impfen lässt, wirbt Watzl für das Impfen, setzt sich dem Risiko eines Post-Vac-Syndroms aus. Dieses Risiko sei aber deutlich geringer, als das Risiko, sich nicht zu impfen und dann ein höheres Risiko von Long-Covid zu haben.

In Südtirol sieht es nicht sonderlich anders aus. Auch wenn das den »Skeptikern«, »Verharmlosern«, »Leugnern« und No Vax nicht gefällt: Mehr als 5,8 Millionen durchgeführte Tests, fast 300.000 Positive und mehr als 1.600 Verstorbene, so die Bilanz von drei Jahren Corona. Corona ist kein Thema, gilt nicht mehr als Gefahr, ist aus dem Alltag verschwunden. Zahlen gibt es kaum mehr, weil nicht mehr flächendeckend getestet wird. Wie hoch mag nur die Dunkelziffer sein?

Menschen erkranken immer noch am Corona-Virus, auch wenn die Zahl der Infizierten nicht mitgeteilt wird. In den Krankenhäusern wird noch regelmäßig getestet. Im April gab es noch 40 Patienten mit Covid-Erkrankung und zwei positive Intensivpatienten. Personen, die neben anderen Krankheiten auch an Covid litten. Für viele ist Covid nicht mehr gefährlich, ist man beim Sanitätsbetrieb überzeugt, weil mehr als 78 Prozent der Bevölkerung geimpft ist. Impfen hilft, wirbt der Generaldirektor des Sanitätsbetriebes, Florian Zerzer, weiterhin für das Impfen.

Denn die Krankheit bleibt weiterhin hochansteckend und deshalb müssen die Krankenhauspatienten davor geschützt werden. Die Gefahr besteht weiterhin, ergänzt Zerzer, weil 22 Prozent der Bevölkerung nicht geimpft sind. Und laut internationalen Studien, wie bereits zitiert, sich selbst und ihre Mitmenschen gefährden.

Generaldirektor Zerzer bestätigt den Trend. Die virulente Gefährlichkeit ist nicht mehr gegeben, Patienten kommen in die Krankenhäuser »mit Corona«, eine Art Begleiterscheinung. Für Zerzer wäre es aber falsch und fahrlässig, Corona zu unterschätzen, es wegzureden.

Für die, die jetzt »aufarbeiten« wollen, gab es diese Pandemie nie. Gemäß dieser »Logik« kann es deshalb auch nicht Long-Covid geben. »Es gibt aber Abertausende, die leiden«, zitierte Salto Stephanie Risse. Werden die möglichen Folgen einer Corona-Infektion ausreichend ernst genommen? Nein, sagte die Linguistin und Uniprofessorin auf Salto. Was nicht sein darf, gibt es nicht, scheint die menschenverachtende Überlegung der »Aufräumer« zu sein.

Der Sanitätsbetrieb richtete in seiner Infektionsabteilung am Bozner Krankenhaus ein Post-Covid-Ambulatorium ein, um sich gezielt um die Long-Covid-Fälle kümmern zu können. Eine doch sinnvolle Hinterlassenschaft des zurückgetretenen Gesundheitslandesrat Thomas Widmann (SVP). Er prophezeite damals, dass Long-Covid ein komplexes Krankheitsbild ist, das nach wie vor unterschätzt wird. Ja, so scheint es zu sein.

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Jahrhundertgift auch in Südtirol nachgewiesen.

Die potenziell hochgefährlichen Ewigkeitschemikalien PFAS, die mit Unfruchtbarkeit, Schwächung des Immunsystems und möglicherweise Krebs in Verbindung gebracht werden, sind auch in Fließgewässern unseres Landes in besorgniserregender Konzentration nachweisbar. Das geht aus einer Studie von 18 europäischen Partnermedien — dem Forever Pollution Projecthervor, die zum Beispiel vom britischen Guardian thematisiert wurde.

Bei den PFAS handelt es sich um eine Gruppe von tausenden unterschiedlichen industriell hergestellten Chemikalien (sogenannte per- und polyfluorierte Alkylverbindungen), die in der Umwelt hoch persistent sind, also kaum abgebaut werden.

Ausschnitt der interaktiven Karte (Watershed Investigations via The Guardian)

Folgende Orte scheinen auf der interaktiven Karte des Projekts mit europaweit mehr als 17.000 kontaminierten Stellen110ng/Liter oder mehr in Südtirol auf:

  • Marlinger Mühlbach, Tscherms (11ng – Nachweis 2019)
  • Gießengraben, Prissian (12ng2davon 2ng PFOS und PFOA – Nachweis 2019)
  • Etschgraben, Eppan (30ng – 2022)
  • Etsch, Bozen (11ng311ng PFOS und PFOA – 2021)
  • Etschgraben, Bozen (80,9ng4davon 30,9ng PFOS und PFOA sowie 14ng PFHxA – 2019)
  • Etsch, Pfatten (11ng511ng PFOS und PFOA – 2021)
  • Porzengraben, Salurn (18ng – 2021)
  • Etsch, Salurn (12ng612ng PFOS und PFOA – 2021)

In all diesen Fällen werden als Quelle Erhebungen der Landesumweltagentur angegeben.

Insgesamt soll es in Europa 20 Hersteller und 232 Nutzer von PFAS geben, Firmen, die mit diesen Chemikalien Plastik, Textilien, Pestizide oder ähnliches Produzieren. Weitere 21.000 Orte in Europa stehen im Verdacht, verseucht zu sein, in Südtirol zum Beispiel der Flughafen in Bozen und der Militärflugplatz in Toblach.

Die EU möchte diese »Jahrhundertgifte«, wie sie die Tagesschau in der ARD genannt hat, zeitnah gänzlich verbieten. Wirtschaftslobbys laufen gegen das Ansinnen Sturm.

Was auffällt ist, dass in ganz Nord- und Osttirol, wie auch sonst in weiten Teilen Österreichs, keine PFAS nachgewiesen wurden. Ob das daran liegt, dass es keine Messdaten gab, ließ sich leider nicht nachvollziehen. Genausowenig übrigens, ob in Südtirol auch an anderen Gewässern Erhebungen durchgeführt wurden.

  • 1
    10ng/Liter oder mehr
  • 2
    davon 2ng PFOS und PFOA
  • 3
    11ng PFOS und PFOA
  • 4
    davon 30,9ng PFOS und PFOA sowie 14ng PFHxA
  • 5
    11ng PFOS und PFOA
  • 6
    12ng PFOS und PFOA
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Politische Bildung: Marsch auf Rom.
Veranstaltungshinweis

Unter dem Titel

Der “Marsch auf Rom” – damals und heute

findet am 27. Oktober von 17.00 bis 19.00 Uhr via Zoom eine Onlineveranstaltung der Bundeszentrale für Politische Bildung statt.

Es sprechen und diskutieren:

  • Prof. Dr. Aram Mattioli von der Univeristät Luzern. Er ist unter anderem Autor des Buches »Viva Mussolini!« Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis.
  • Jörg Seisselberg, ARD-Studio Rom.
  • Die Journalistin und Publizistin Birgit Schönau moderiert.

Vor 100 Jahren marschierte Benito Mussolini mit seinen sogenannten Schwarzhemden auf Rom zu – die Regierung trat zurück und an ihre Stelle trat der gebürtige Norditaliener als faschistischer Führer und Diktator. Bis heute erinnern an vielen Orten im Land Denkmäler an seine Herrschaft, die Gewalt und Tod mit sich brachte, jedoch noch immer verklärt wird. Und alljährlich kommen seine alten und jungen Anhänger an seinem Geburtsort zusammen, um seiner zu gedenken.

Politisch übernahmen nach seinem Tod 1945 neue Akteure sein Erbe – in jüngerer Vergangenheit nicht nur seine Enkelinnen Alessandra und Rachele Mussolini, sondern auch die Partei Fratelli d’Italia.

Die einhundertste Jahrung ist Anlass, auf das faschistische Italien zurückzublicken und zu fragen, wie das Erbe Benito Mussolinis und seiner “Schwarzhemden” bis heute überdauert.

– aus der offiziellen Ankündigung

Hier geht es zur Anmeldung für die kostenfreie Veranstaltung.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Die gekaperte FUEN.

Orbannahe ungarische Organisationen dominieren die Dachorganisation der europäischen Minderheiten.

Die FUEN hat auf ihrem Kongress in Berlin den bisherigen Präsidenten wiedergewählt: Loránt Vincze, Angehöriger der ungarischen Volksgruppe in Rumänien und EU-Parlamentarier der Romániai Magyar Demokrata Szövetség (RMDSz).

Vincze kann für sich verbuchen, dass er den altehrwürdigen Dachverband der europäischen Minderheiten modernisierte, aus der politischen Schmollecke der Minderheiten herausholte und den ehemaligen Altherrenclub ethnischer Nostalgiker umbaute und aufrüstete.

Unter seiner Präsidentschaft zog die FUEN erfolgreich ihre Bürgerinitiative MSPI durch. Ein Minderheitenpaket, das in Südtirol angestoßen, an der Europäischen Akademie in Bozen in Grundzügen ausgearbeitet und von mehr als einer Million EU-BürgerInnen unterzeichnet wurde. Der Werdegang ist bekannt, die EU-Kommission versenkte die Initiative kurzerhand.

Schon frühzeitig — während der Minority-Safepack-Kampagne — rümpfte der SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann seine Nase, weil der illiberale ungarische Orban-Staat die MSPI als ein Instrument gegen die anti-ungarische rumänische Regierung, aber auch gegen die EU missbrauchte.

Sein Unbehagen damals war nicht unbegründet. Für den abgelaufenen Kongress lag der FUEN der Entwurf einer Hauptresolution vor. Die hatte es in sich. In dem Text erinnert die FUEN zwar an die russische Invasion in der Ukraine, es waren aber nur einige wenige dürre Zeilen über einen Eroberungserieg. Eine Ungeheuerlichkeit: Die FUEN drückt sich um eine klare Aussage herum.

Stattdessen rechneten die Autoren des Resolutionsentwurfs mit der verkorksten Minderheitenpolitik in der Ukraine ab. Die Ukraine ist zweifellos kein Musterbeispiel gelungener Minderheitenpolitik. Dies gilt aber genauso für Ungarn, für den rumänischen Nachbarstaat, für Polen, für Tschechien, für die Slowakei, für Deutschland und Österreich, für Frankreich, für Italien, für Griechenland, nicht zu reden vom EU-Anwärter Serbien.

Textpassagenlang rechnet die FUEN mit der Ukraine ab, der russische Krieg jedoch ist im Entwurf nicht mehr als eine Fußnote. Damit relativiert die FUEN ihre eh schon dürftige Kritik und verharmlost den Eroberungskrieg. Der Entwurf sei russlandlastig, russlandfreundlich, ukrainefeindlich, so die Reaktion von Martha Stocker, ehemalige Vize-Präsidentin der FUEN. Der Resolutionsentwurf ziele auf eine Verurteilung der Ukraine ab, habe eine klare Schlagseite: geschickt verpackt und trotzdem eindeutig. Die FUEN müsse aufpassen, so die Warnung, in welche Hände sie sich begibt.

Welche Hände wird sie wohl gemeint haben? Wahrscheinlich dachte sie an den selbsternannten Schutzpatron der ungarischen Minderheiten, den ungarischen Ministerpräsidenten Orban, Freund und EU-Statthalter des russischen Kriegspräsidenten Putin, Freund auch des serbischen Nationalisten Dodik in Bosnien, geistiger Bruder von Giorgia Meloni, möglicherweise auch des türkischen Islamisten Erdoğan und des brasilianischen Rechtsradikalen Bolsonaro.

Der Entwurf wurde von den Delegierten grundlegend abgeändert, auch weil es Interventionen gab. Ein dramatischer Eklat konnte somit verhindert werden. Mit diesem Entwurf hätte sich die FUEN zu einer Vorfeldorganisation des ungarischen Außenministeriums degradiert. Weit davon ist sie aber trotzdem nicht mehr entfernt.

Nach seiner Wiederwahl bedankte sich Loránt Vincze engagiert bei Ungarn für die politische und finanzielle Unterstützung, eine peinliche Lobhudelei auf Viktor Orban, wie aus einem Mitschnitt hervorgeht. Der FUEN-Präsident schlug sich in seiner Rede auf die Seite von Orban-Ungarn. Für Vincze ist Ungarn ein Minderheitenparadies, ein zuverlässiger Partner der Minderheiten und besonders der FUEN. Fakt ist aber, dass die sprachlichen und nationalen Minderheiten in Ungarn assimiliert sind. Die Reste dürfen folklorisieren.

Ohne die Fördermittel der ungarischen Regierung — 500.000 Euro — wäre die FUEN bankrott gegangen, erinnerte Vincze an die ungarische Unterstützung. Außerdem habe die politische Lage in Ungarn nichts mit dem Minderheitenthema zu tun, kanzelte Vincze die Ungarnkritiker ab. Völlig »undankbar« und »unangemessen« wäre es, warnte Vincze, wenn die FUEN Ungarn kritisieren würde. Ähnliches wiederholte er auch in einem Interview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR).

Über den von den Vertretern der Minderheiten in Deutschland vorgelegten Beschlussantrag zur Situation in Ungarn und über die Auswirkungen auf die Minderheiten — die Diskussion darüber war engagiert — wurde nicht abgestimmt. Das Votum samt entsprechender Resolution verhinderten die gut organisierten ungarischen FUEN-Mitglieder. Vincze, der Statthalter von Orban an der Spitze der FUEN — eigentlich nicht überraschend, doch wohl die wenigsten FUEV-Delegierten werden wissen, wie Vincze im Europaparlament agiert.

Mit weiteren 123 Abgeordneten aus den beiden rechten Fraktionen lehnte er die Schlussfolgerung des Europaparlaments ab, wonach Ungarn keine vollwertige Demokratie mehr sei, sondern vielmehr eine »Wahl-Autokratie«. Auch die EU-Kommission, der Europäische Rat und der Europarat befürchten das Abdriften Ungarns in die Autokratie. Zur Freude Putins.

Auch im Europaparlament verteidigte Vincze die Minderheitenpolitik Ungarns. Die Vorwürfe seien konstruiert, keineswegs nachprüfbare Fakten, sondern stammten aus einem »großen linken ideologischen Haufen«, polemisierte der Parlamentarier. Laut Transtelex wies Loránt Vincze die Kritik des EU-Parlaments zurück, wonach die Orban-Regierung die Rechte nationaler Minderheiten, einschließlich Roma und Juden, nicht garantiere und sie nicht vor Hassrede schütze. Für ihn sind das haltlose Vorwürfe.

Ihm zufolge findet eine »Hexenjagd« gegen Ungarn und gegen die Fidesz-Regierung statt. Vincze sieht die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Verhältnis zu Ungarn zu einer ideologischen Konformität gezwungen, die der Linken, Liberalen, Grünen oder sogar Kommunisten entspricht.

Orban pur. Ähnlich tönen die Fraktionen Identität und Demokratie und Europäische Konservative und Reformer, Sammelbecken der verschiedenen rechten Parteien. Wussten die FUEV-Delegierten nicht, wen sie abermals zu ihrem Präsidenten wählten? Vincze outete sich im EU-Parlament und auf dem Kongress der FUEN deutlich. Wie werden die anderen FUEN-Unterstützer reagieren, deren Zuwendungen Vincze im Vergleich zum ungarischen Beitrag als nicht sonderlich relevant abtat? Zum Beispiel das Land Südtirol? Warum protestierte FUEN-Präsidiumsmitglied Daniel Alfreider, Landesrat und SVP-Vize, nicht gegen Vinczes Aussagen?

Schon einmal versuchten Rechte die FUEN zu kapern. In ihrer Frühphase, die FUEN hieß damals noch FUEV, versuchten Altnazis die Organisation für ihre Zwecke zu missbrauchen. Dagegen stemmten sich viele, wie der spätere langjährige Präsident Hans Heinrich Hansen, Angehöriger der deutschen Minderheit in Dänemark, Friedl Volgger, Antinazi und Mitbegründer der Südtiroler Volkspartei und eine ganze Reihe von Kärntner Slowenen. Zu nennen sind auch weitere Südtiroler wie Christoph Pan oder Martha Stocker. Sie sorgten dafür, dass die FUEV nicht in fremde Hände kam, sondern in die Mitte der europäischen Gesellschaft, immerhin ist die FUEN in verschiedenen europäischen Gremien und Institutionen aktiv.

Was wird aber aus der FUEN, wenn ein orbantreuer Vorsitzender die Organisation auf Linie bringt, die Minderheiten »nützliche Idioten« des illiberalen ungarischen Staates werden?

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Unmenschliche Grenzen.

Wie es in unregelmäßigen Abständen immer wieder geschieht, hatten am vergangenen Freitag rund 2000 Menschen vesucht, den Grenzzaun der spanischen Exklave Melilla zu überwinden, die gemeinsam mit Ceuta ein Überbleibsel spanischen Kolonialgebiets auf afrikanischem Boden darstellt. Die spanische und vor allem die marokkanische Polizei gingen mit roher Gewalt gegen die afrikanischen Migrantinnen vor, die »europäischen« Boden erreichen wollten. Ein Vorgehen, das 37 von ihnen mit dem Leben bezahlt haben sollen.

Pedro Sánchez (PSOE), Chef der — Eigenbezeichnung: — progressivsten spanischen Regierung aller Zeiten, lobte den Einsatz anschließend und bedankte sich ausdrücklich bei den marokkanischen Behörden. Die zahlreichen Opfer erwähnte er mit keinem Wort.

Das gute Verhältnis mit Marokko dürfte auch auf die neue Position von Sánchez in Bezug auf die ehemalige Kolonie Westsahara zurückzuführen sein, die von Marokko beansprucht und nach dem Abzug Spaniens Mitte der 1970er Jahre in weiten Teilen besetzt gehalten wird. Entgegen der Auffassung der UNO, derzufolge das Gebiet bis heute ein nicht autonomes Gebiet Spaniens ist, das seiner Entkolonialisierung harrt, hat sich der spanische Regierungschef kürzlich auf die Seite von Rabat geschlagen und den territorialen Anspruch von Marokko unterstützt, wie es US-Präsident Donald Trump kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Amt vorgemacht hatte. Schon damals hieß es, dass sich Spanien von dem Kurswechsel wohl mehr Unterstützung von Marokko beim Schutz der Grenzen von Ceuta und Melilla erhofft.

Heute wurde eine gemeinsame Recherche von Guardian, Lighthouse Reports, Spiegel, ARD Report München und Le Monde öffentlich, mit der nachgezeichnet wird, wie griechische Grenzbehörden syrische und marokkanische Geflüchtete dazu zwangen, andere Geflüchtete in die Türkei abzuschieben. Sie sollen gefangen gehalten, erpresst und wie »Sklaven« dazu missbraucht worden sein, Asylsuchende illegal mit einem Schlauchboot über einen gefährlichen Fluss ins Nachbarland zurückzubringen, nachdem diese zuvor von der griechischen Polizei ihrer Habseligkeiten beraubt und verprügelt worden sein sollen.

Nahezu zeitgleich wurde von den Behörden in Texas gestern ein verlassener Sattelzug mit 46 Toten aufgefunden, 16 weitere Menschen mussten in nahegelegene Krankenhäuser gebracht werden. Sie waren »illegal« in die USA eingereist.

Es ist wohl nur einem Zufall geschuldet, dass so viele aufsehenerregende Fälle gleichzeitig in den Medien sind. Gestorben wird an den EU- und an den us-amerikanischen Außengrenzen aber täglich.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9

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Putins Lieblinge in der Landesregierung.

Äußerst schade, dass die SVP derzeit so sehr mit der sogenannten SAD-Affäre, den Verstrickungen zwischen Partei und Wirtschaft und den in der Sammelpartei offenbar weit verbreiteten Intrigen und Verfilzungen beschäftigt ist. Da könnte auch der Opposition beinahe entgehen, dass der rechtsradikale Koalitionspartner laut Dokumenten, die dem Londoner Dossier Center zugespielt und unter anderem von SZ, WDR/NDR und L’Espresso ausgewertet wurden, über Jahre willfähriger Gehilfe und nützlicher Idiot von Wladimir Putin war.

Matteo Salvinis Berater, Lega-Mann Gianluca Savoini, hatte dabei eine herausragende Rolle als Mittelsmann für russische Interessen in ganz Europa inne und pflegte im Namen des Kreml Kontakte mit Marine Le Pen (RN), Heinz-Christian Strache (FPÖ), AfD-Mitgliedern und anderen Rechten. Im Gegenzug wurde die Lega angeblich mit Millionen aus Moskau belohnt, die dann illegal vor allem in den EU-Wahlkampf 2019 geflossen sein sollen — mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Südtirol.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, der eine drastische Eskalation eines seit Jahren auf niedrigerem Intensitätsniveau geführten Kriegs bedeutet, erscheint der jahrelange Einfluss von Putin auf die europäische Politik und die enge Zusammenarbeit der Rechten mit der Propagandamaschine des Kreml noch einmal in einem düstereren Licht.

So konnte Russland über die guten Kontakte mit den Rechten offenbar unter anderem seinen Einfluss auf die westliche Energiepolitik steigern und teilweise die Lockerung von Sanktionen erwirken. Im Zentrum der Bemühungen stand auch die Anerkennung des völkerrechtlichen Status der Krim als Teil der Russischen Föderation.

Doch das übergeordnete Ziel soll die Unterminierung liberaler Demokratien, die Destabilisierung der EU und die starke Annäherung eines Europa der Nationen an Moskau und Putin gewesen sein.

Savoini war in seiner Bindegliedfunktion nachweislich auch im Austausch mit dem rechtsextremen Ideologen Alexander Dugin. Die Fäden seien hingegen beim Oligarchen und Medienmogul Konstantin Malofejew zusammengelaufen, der wegen seiner aktiven Rolle bei der Annexion der Krim 2014 auf der Sanktionsliste der EU stand.

Noch 2018 veröffentlichte Parteichef Salvini, unter dessen Namen die Lega bis heute auch im Südtiroler Landtag firmiert, dies:

Neben dem SAD-Skandal sollte wohl auch der Überfall auf die Ukraine wenn nicht zu Neuwahlen, so zumindest zu Rücktrittsforderungen gegenüber einigen Landesräten führen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 / ‹5 ‹6 ‹7 ‹8

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Impfquote: Wieder Schlusslicht, wieder falsch.
Covid-19

Die Tagesschau der ARD hat gestern einen Beitrag über die angeblich sehr niedrige Impfquote in unserem Land veröffentlicht. Laut eigenen Angaben ist der Stand von gestern um 20:17 Uhr.

Unter dem effekthascherischen Titel

Südtirol – Hochburg der Impfgegner

heißt es unter anderem:

Während bei anderen Themen Südtirol in regionalen italienischen Statistiken häufig als Klassenbester glänzt, ist die autonome Provinz diesmal Schlusslicht. 45 Prozent der Südtirolerinnen und Südtiroler sind noch ohne Corona-Impfung.

Ich habe mir nun das offizielle Impfdashboard der italienischen Regierung angesehen. Hier einige Bildschirmfotos von heute:

Impfquoten für Südtirol und Trentino

Impfquoten für Piemont und Aosta

Impfquoten für Ligurien und Toskana

Impfquoten für Basilikata und Kalabrien

Impfquoten für Sardinien und Sizilien

Die nicht dargestellten Regionen haben derzeit höhere Impfquoten als Südtirol.

Ich muss schon sagen: Die Tagesschau hat eine merkwürdige Auffassung von »Schlusslicht«. Ja, Südtirol glänzt in diesem Fall tatsächlich nicht als »Klassenbester«, rangiert aber im Mittelfeld.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Katalonien: EU wird hohen Preis zahlen.
Quotation

In Zusammenhang mit dem Prozessbeginn gegen die katalanischen politischen Gefangenen hat Tagesschau24 am 12. Februar ein Gespräch mit Peter A. Kraus, Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Augsburg, geführt:

Einige Auszüge aus den Aussagen von Prof. Kraus:

[Der Straftatbestand der Rebellion] ist etwas ganz Ungewöhnliches in konsolidierten Demokratien. Wenn man nicht mit Gewalt etwas macht, kann man eigentlich nicht rebellieren — und Gewalt ist von den Leuten, die dort abgestimmt haben, in keiner Weise ausgeübt worden. Im Gegenteil: Die sind ja zum Teil zusammengeprügelt worden von spanischen Polizisten.

Die Abspaltung ist der Höhepunkt einer Entwicklung, die schon seit sehr langer Zeit anhält. Ich denke, das müsste man im historischen Längsschnitt länger nachverfolgen: Dass die Katalanen das Gefühl haben, dass sie nicht in Spanien mitwirken können, und dass sie dauerhaft einem Mehrheitsregime unterworfen sind, das ihnen keine wirklichen Mitsprachemöglichkeiten gibt, in dem man sich als nicht mehr handlungsfähig sieht.

Sie können sich das so vorstellen: Wenn Sie in einer Liga Fußball spielen, wo die Schiedsrichter permanent gegen Sie pfeifen — und das ist die Wahrnehmung der Katalanen; die mag jetzt richtig oder falsch sein, aber so ist es nunmal, — dann versuchen sie ihre eigene Liga aufzumachen. […]

Dementsprechend ist die Frage heute dringender als je zuvor: Wo bleibt die Politik? Aber die Politik hat sich an die Judikative verabschiedet.

Dass [der Versuch einer Vermittlung] damals nicht von der EU in irgendeiner Form — und sei es nur hinter verschlossenen Türen — angestoßen wurde, ist ein schwerer Fehler. Für den wird jetzt die EU selber mittelfristig auch noch einen hohen Preis zahlen, wenn die Lage in Katalonien so instabil bleibt, wie es momentan aussieht.

Transkribiert von ARD

Die Analogie mit dem Fußball ist übrigens auch aus Südtiroler Sicht interessant, wenn man sich die vielen Einmischungen und Anfechtungen von Landesgesetzen durch römische Regierungen sowie die relativ unbestritten systematisch zentralistischen Entscheide des italienischen Verfassungsgerichts vor Augen führt.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 ‹10 ‹11 | 1› 2›

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