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Autorinnen und Gastbeiträge

Sondersitzung – Wer ist Franz Locher?
Die SVP-Fraktion lässt ihren LH über Thomas Widmann stolpern

Eine Annahme? Nein, eine Befürchtung. Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) stellt am Freitag dem Landtag sein Projekt zur Verkleinerung der Landesregierung vor. Thomas Widmann (SVP), laut dem Buch Freunde im Edelweiß ein erklärter Gegner des Landeshauptmannes, muss nach der Veröffentlichung der SAD-Abhörprotokolle seinen Sitz in der Landesregierung räumen — eine Folge der von den Ermittlungsbehörden mitgeschnittenen Sager des Landesrats über Kompatscher. Der schlechteste Landeshauptmann aller Zeiten, Verachtung pur.

Für den Rauswurf und für die Verkleinerung der Landesregierung benötigt der Landeshauptmann die 18 Stimmen seiner Koalition aus SVP und Lega. Somit müsste auch der geschasste Widmann für seine Entlassung stimmen. Ist das realistisch?

Der Landeshauptmann gibt sich notgedrungen optimistisch. Wohl oder übel, eine Alternative hat er nicht. Er geht davon aus, dass »seine« Fraktion sich an die eigenen Beschlüsse hält. Laut Kompatscher gibt es gleich mehrere Beschlüsse seiner Partei für den Vorschlag auf Verkleinerung der Landesregierung.

Kann sich der Landeshauptmann aber auf die SVP-Fraktion verlassen? Sein Vertrauter Gert Lanz trat nach einem Schreiben von zehn der 15 Fraktionsmitglieder entnervt zurück. Die zehn MandatarInnen mit Widmann an der Spitze verübelten Lanz seine negativen Äußerungen über die in den Abhörprotokollen vorkommenden SVP-Granden. Damit stellte sich die Mehrheit der Fraktion konsequent auf die Seite der Kompatscher-Gegner in und außerhalb der Partei. Die Fraktion, ein verlässlicher Partner des Landeshauptmannes? Das darf lebhaft angezweifelt werden.

Der Politikwissenschaftler und Meinungsforscher Hermann Atz geht trotz der vielen Brüche in der SVP davon aus, dass die LandtagsmandatarInnen ihren Landeshauptmann nicht fallen lassen werden. Atz kann sich nicht vorstellen, dass diese neue Allianz aus Arbeitnehmern, Bauern und Rechtskonservativen dem Bozner bürgerlichen Vertreter Thomas Widmann folgen. Laut Neuer Südtiroler Tageszeitung soll Widmann die These vertreten, eine SVP bei 30 Prozent sei besser als weitere fünf Jahre Landeshauptmann Kompatscher.

Fraktionsvorsitzende Magdalena Amhof, die von der Wochenzeitung ff zu den Kompatscher-Gegnerinnen gezählt wird, kündigte zwar die vorbehaltlose Zustimmung zur Verkleinerung der Landesregierung an. Sie will die Situation für die SVP wieder geradebiegen, kündigte Amhof für die Sondersitzung des Landtages am Freitag an, was auch immer das bedeuteten mag. Wahrscheinlich nichts Gutes.

Es geht nämlich auch um die Frage, wie es nach einer möglichen Verkleinerung der Landesregierung weitergehen soll. Der Landeshauptmann soll auf die Nachbesetzung von Widmann setzen und an die Berufung eines Fachmannes von außen denken. Hier kommt der ehemalige Sarner Bürgermeister Franz Locher ins Spiel.

Doch der Reihe nach.

Die SVP-Fraktion spricht sich für eine Umverteilung der Kompetenzen unter den verbleibenden acht Regierungsmitgliedern aus. Das schwierige Ressort Gesundheit soll der Landeshauptmann übernehmen. Als zweite Option gilt die Nachbesetzung mit einem SVP-Abgeordneten. Locher wird dazu in der Neuen Südtiroler Tageszeitung mit der Aussage zitiert, dass es sich keiner der SVP-Abgeordneten zutraut, in Widmanns Fußstapfen zu treten. Locher Solidarität mit Widmann steht wohl stellvertretend für die Zehnergruppe in der Fraktion.

Laut Locher habe Widmann gute Arbeit in der Pandemiebekämpfung geleistet, Schlauchtuch- und Maskenskandal hin oder her. Skandale spielen in der SVP keine Rolle, die Berichterstattung darüber hingegen schon. In diesem Sinne leitet Locher auch den Untersuchungsausschuss des Landtages zum Maskenskandal. Die Lesart von Franz Locher ist dabei, dass es keinen Skandal gab.

Vehement stellt sich Locher auch gegen die Alternative, einen externen Fachmann in die Landesregierung zu berufen. Locher spricht von der »schlimmsten Option«, dafür werde es in der Fraktion keine Mehrheit geben. Immerhin eine Lösung, die der Landeshauptmann und auch der SVP-Obmann Achammer ins Spiel gebracht haben. Diese Lösung soll die schlimmste sein?

Drei Gründe führen die Gegner einer solchen Lösung, also die Gegner des Landeshauptmannes, an.

Ein »Externer« habe nicht genügend Zeit, sich in die Materie einzuarbeiten, denn in einem Jahr finden die Landtagswahlen statt. Und wenn der Externe Hubert Messner heißt, Oswald Mayr oder Walter Pitscheider? Ehemalige Primare im Ruhestand, die das Gesundheitswesen detailliert kennen?

Ein Externer, so der nächste Einwurf, würde nicht unerhebliche Mehrkosten verursachen. Doch in der SVP-Fraktion spielten die Politikkosten bisher kaum eine Rolle, nicht einmal eine Nebenrolle.

Offensichtlich setzt die SVP-Fraktion aber alles daran, dass das Gesundheitsressort beim Landeshauptmann bleibt, analysiert Landtagsabgeordneter Paul Köllensperger (TK) die Äußerungen von Franz Locher. Für ihn keineswegs überraschend: »Man geht Kompatscher so lange auf die Nerven, bis er das Handtuch wirft und 2023 nicht mehr kandidiert«, schreibt Köllensperger in einer Aussendung.

Oder die Fraktion nimmt Kompatscher schon am Freitag auf der Sondersitzung des Landtages das Handtuch ab und lässt ihn mit seiner Verkleinerung der Landesregierung kaltschnäuzig auflaufen. Weil er der schlechteste Landeshauptmann aller Zeiten ist, weil er kein Freund des Medienkonzerns Athesia ist, weil er SAD-Eigner Gatterer hat abblitzen lassen. Damit würden die Pläne der SAD-Strategen um Alt-Landeshauptmann Durnwalder in Erfüllung gehen. Und dann? Dann steht eine zerstrittene SVP inhaltsleer da, um Politikwissenschaftler Hermann Atz zu zitieren.

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Doppelpass-Umfrage der Gaismair-Gesellschaft.

Das Sozialforschungsinstitut Apollis hat im Auftrag der Michael-Gaismair-Gesellschaft eine repräsentative Umfrage zum Thema der doppelten Staatsbürgerinnenschaft für Südtirolerinnen durchgeführt. Befragt wurden hierzu im Frühjahr dieses Jahres 700 Personen ab 18 Jahren.

Demnach soll den sogenannten Doppelpass ein Viertel der Bevölkerung für eine gute (20%) oder gar sehr gute (5%) Idee halten. Unter deutschsprachigen Südtirolerinnen steigen diese Werte auf 22% respektive 6% (insgesamt 28%), bei den Ladinerinnen gar auf 35% und 6% (insgesamt 41%).

Für »eine problematische Idee« halten das Vorhaben 32% der Südtirolerinnen, »völlig abzulehnen« ist sie laut 31%. Selbst unter den Italienischsprachigen ist keine Mehrheit (47%) für die völlige Ablehnung.

Unter den Befragten gaben 12% (D: 13% – L: 12% – I: 9%) an, den Doppelpass »auf jeden Fall« beantragen zu wollen, wenn sie berechtigt wären, 22% (D: 23% – L: 37% – I: 17%) würden dies »unter Umständen« tun. Insgesamt 34% (D: 36% – L: 49% – I: 26%) könnten sich also zumindest vorstellen, die österreichische Staatsbürgerinnenschaft anzunehmen. 60% (D: 58% – L: 46% – I: 68%) würden dies jedoch »sicher nicht« tun.

Eine Beeinträchtigung des Zusammenleben in Südtirol befürchten durch die Verleihung des Doppelpasses 40% der Befragten. Gar keine Auswirkungen vermuten 36%, zehn Prozent gehen sogar von einer Verbesserung aus. Letzteres trifft erstaunlicherweise anteilsmäßig mehr bei Italienischsprachigen (14%), als bei Deutschsprachigen (9%) zu.

Auf konkrete, absolute Zahlen1Grundlage: 382.964 Wahlberechtigte bei der Landtagswahl 2018. umgelegt, könnten sich also diesen Umfrageergebnissen zufolge rund 130.000 Südtirolerinnen vorstellen, den österreichischen Pass zu beantragen, davon knapp 50.000 »auf jeden Fall«. Ob das viele oder wenige sind, hängt von der Perspektive ab.

Wenigstens kann jetzt aber die Kaffeesudleserei beendet werden, ob das Ergebnis der letzten Landtagswahl unmittelbare Rückschlüsse auf das Interesse für den Doppelpass erlaubt.

Das Forschungsprojekt fand unter der Leitung von em. Univ.-Prof. Dr. Max Haller, Dr. Hermann Atz, Univ.-Prof. DDr. Günther Pallaver und Univ.-Prof Dr. Francesco Palermo statt.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 | 1› 2› 3› 4› 5›

  • 1
    Grundlage: 382.964 Wahlberechtigte bei der Landtagswahl 2018.
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Wahllokal: Thema Selbstbestimmung.

Heute ging mit Blick auf die baldige Landtagswahl das aktualisierte Wahllokal des Jugendrings1das Projekt wurde von einem hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirat begleitet: Hermann Atz, Lucio Giudiceandrea, Wolfgang Mayr, Günther Pallaver, Renate Prugger, Mateo Taibon, Mathias Ungerer und Andrej Werth online, das einen Vergleich der Positionen von Parteien und Listen zu wichtigen Themen der Landespolitik gestattet. In manchen Fällen ist es gar zum ersten Mal möglich, (bestimmte) programmatische Standpunkte in Erfahrung zu bringen.

Wie schon vor fünf Jahren will ich hier zunächst wiedergeben — und kommentieren —, wie sich die Wahlwerbenden zur Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums2Fragestellung: Soll ein Referendum über den Verbleib Südtirols bei Italien abgehalten werden? geäußert haben.

Dass STF, Freiheitliche und BürgerUnion eine derartige Abstimmung befürworten, war genauso zu erwarten, wie die Gegnerschaft von AAnC/FdI, PD und Forza Italia. Erwähnenswert ist höchstens das (eh bekannte) Demokratieverständnis von AAnC/FdI (Alessandro Urzì), die ihre Antwort mit dem kriminalisierenden Hinweis garnieren, dass es hier nicht um politische Meinung, sondern um eine strafrechtlich relevante Frage gehe. Ob gar Folter droht?

Die Volkspartei spricht sich gegen ein Selbstbestimmungsreferendum aus, weil wir mit der — untoten — Vollautonomie bereits »eine weitgehend unabhängige Region im Herzen Europas« wären. Jene SVP, die sich unter anderem gegen eine eigene öffentlich-rechtliche Sendeanstalt ausgesprochen hat, deren Parlamentarier Manfred Schullian nicht die Präfektur abschaffen möchte und die den PD als »autonomiefreundlich« bezeichnet, obschon dies ganz offensichtlich nicht der Fall ist.

Das Team Köllensperger (TK) nimmt eine ähnliche Position ein, wie die SVP: Man sei gegen die Abhaltung einer derartigen Volksabstimmung, stuft das Thema als »weniger wichtig« ein und zieht es vor, an der Autonomie weiterzuarbeiten, die als »innere Selbstbestimmung« bezeichnet wird.

Erstaunlich ist für mich die Position der Südtiroler Grünen. Nicht sosehr, dass sie die Selbstbestimmung (wie schon 2013) ablehnen. Unter ihrem neuen »internationalisierten« Logo (mit dem Verweis auf die Europäischen Grünen) mag dies wohl noch merkwürdiger klingen, als bislang; was ich aber absurd finde, ist die Einstufung der Frage als »sehr wichtig«. Den direktdemokratischen Grünen ist also sehr wichtig, ein Referendum zu diesem Thema zu verhindern. Dies steht (anders als 2013) auch nicht mehr unter dem Vorbehalt, dass eine Mehrheit jeder Sprachgruppe dafür sein müsste.

Auch die Fünfsternebewegung (5SB) wirft in diesem Zusammenhang all ihre Prinzipien und Präferenzen über Bord. Die Partei, die sich die direkte Demokratie auf die Flagge geschrieben hat; deren Gründer und Namensgeber die Einheit Italiens als nicht existent und überflüssig bezeichnet hatte; deren römische Regierung der EU fast täglich mit Austritt droht, bezeichnet ein etwaiges Unabhängigkeitsreferendum als »gefährlich« und argumentiert mit Europa, um es abzulehnen.

Die lange als Sezessionspartei bekannte Lega, die noch vor wenigen Monaten im Regionalrat einen Selbstbestimmungskonvent lancieren und deren venetischer Ableger kürzlich ein Unabhängigkeitsreferendum durchführen wollte, bringt sich nun auch gegen ein solches Referendum in Stellung. Sie bezeichnet diese ihre neue Einstellung — wie die Südtiroler Grünen — sogar als »sehr wichtig«. Wie wir wissen, ist die Lega inzwischen sogar gegen die Vollautonomie.

Nicht zuletzt sprechen sich auch die Vereinte Linke (»sehr wichtig«) und Noi A. A. Südtirol (»weniger wichtig«) von Roberto Bizzo dagegen aus, dass die Bevölkerung demokratisch über die staatliche Zugehörigkeit befinden kann. Erstere befürchtet die Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens und will sich stattdessen für ein Europa der Regionen engagieren.

Zum Thema: Die -Position zur Selbstbestimmung kann unter anderem im Manifest und in den häufig gestellten Fragen nachgelesen werden.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

  • 1
    das Projekt wurde von einem hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Beirat begleitet: Hermann Atz, Lucio Giudiceandrea, Wolfgang Mayr, Günther Pallaver, Renate Prugger, Mateo Taibon, Mathias Ungerer und Andrej Werth
  • 2
    Fragestellung: Soll ein Referendum über den Verbleib Südtirols bei Italien abgehalten werden?
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Autorinnen und Gastbeiträge

Trentino hui, Südtirol pfui?
Ein Lehrbeispiel zum leichtfertigen Umgang mit Umfragedaten

von Hermann Atz1Hermann Atz ist wissenschaftlicher Leiter des Sozialforschungsinstituts Apollis

Über die strittige Beauftragung von Ex-Senatorin Francesca Puglisi als Kommunikationsbeauftragte der Südtiroler Landesregierung ist an dieser Stelle schon mehrfach berichtet worden. Ihre Aufgabe wird es sein, das angeblich katastrophale Bild der Italiener und Italienerinnen von Südtirol zurechtzurücken — aber ist dieses Bild wirklich so schlecht?

Als Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Charme-Offensive gelten die Ergebnisse einer Meinungsumfrage des Instituts Astarea, die in ganz Italien durchgeführt wurde.
Diese Studie ermittelte unter anderem als typische Eigenschaften der Südtiroler Bevölkerung, sie sei:

  • kultiviert
  • gastfreundlich
  • konsequent
  • standhaft

Ein Image, das wenig Anlass zur Sorge gibt, möchte man meinen.
Doch die Medienbotschaft, die auf diesen und ähnlichen Ergebnissen fußt, klingt nach akutem Notstand:

Überheblich und arrogant, und vor allem privilegiert. Dieses Bild hat das restliche Italien – Trentino ausgenommen – von den Südtirolern. So eine weitläufige Meinung – die nun belegt ist. Mit einer Umfrage, die die Landesagentur für Presse und Kommunikation in Auftrag gegeben hat, wollte das Mailänder Marktforschungsinstitut Astarea wissen: Wie ist es um das Bild Südtirols in Italien bestellt?

Zum Glück stand die Lösung des Problems schon bereit:

Die Umfrageergebnisse bilden die Grundlage für eine offensive Charme-Kampagne des Landes, um das Image Südtirols aufzupolieren. ‚Der gute Name Südtirols in Italien‘ oder auch ‚Der gute Ruf der Autonomie‘ nennt sich das Konzept, das die Landesagentur [vor Kurzem] im Landtag präsentierte.

gleiche Quelle wie oben

Da eine solche Kampagne — unabhängig von der Irritation, die die Beauftragung Puglisis hervorgerufen hat — einiges an Steuergeld kostet, scheint es recht und billig, die anscheinend besorgniserregenden Ergebnisse der Studie genauer auf den Prüfstand zu stellen, mit der sie gerechtfertigt wird. Versuchen wir es also, zumindest ansatzweise, an dieser Stelle.

Im Vergleich zu den Trentinern werden Südtiroler als älter, etwas weniger sympathisch, introvertierter, egoistischer, ethischer, weniger gesellig und traditioneller, strenger und weniger gastfreundlich wahrgenommen

heißt es weiter im zitierten Artikel.

Eine Prüfung der Orginaldaten ergibt, dass dies alles grundsätzlich zutrifft. Doch man muss sich auch die Größe der Unterschiede ansehen, z. B.:

  • Konsequent/streng (vs. permissiv/gefällig): 62% Südtirol, 54% Trentino
  • Egoistisch: 42% Südtirol, 36% Trentino
  • Gastfreundlich: 62% Südtirol, 68% Trentino
  • Sympathisch: 64% Südtirol, 65% Trentino
  • Ethisch (vs. praktisch): 51% Südtirol, 50% Trentino

Die Imagewerte der beiden Bevölkerungen unterscheiden sich somit um maximal 8 Prozentpunkte, meistens deutlich weniger. Wer sich mit der Statistik von Stichproben einigermaßen auskennt, kann leicht nachrechnen, dass 8 Prozentpunkte bei 600 Befragten die Nachweisgrenze für einen signifikanten Unterschied bilden. Oder anders gesagt: Geringere Unterschiede könnten auch auf purem „Pech“ beruhen, etwa weil die nach dem Zufallsprinzip gezogene Stichprobe für Südtirol ungünstig zusammengesetzt ist.

Somit wäre eine korrekte Darstellung der Umfrageergebnisse folgende: Hinsichtlich der Eigenschaften „ethisch vs. praktisch“ und „sympathisch vs. antipathisch“ werden Südtirol und das Trentino völlig gleich bewertet, bei Egoismus und Gastfreundschaft kann man den Verdacht hegen, dass ein unterschiedliches (für Südtirol weniger schmeichelhaftes) Image bestehen könnte, bewiesen ist es nicht. Nur hinsichtlich der tourismustechnisch wenig relevanten Einstufung auf der Skala „konsequent vs. permissiv“ (severo-accondiscendente) ist die Differenz aus statistischer Sicht bedeutsam.

So gelesen, können die Ergebnisse der Astarea-Studie sehr wohl Aufschluss darüber geben, bei welchen Stereotypen eine ohnehin geplante Imagekampagne für Südtirol ansetzen könnte — sofern die jeweiligen Aspekte relevant sind und überhaupt beeinflussbar erscheinen. Auf keinen Fall sollten sie jedoch als Alarmsignal oder Beleg für ein katastrophal schlechtes Image gedeutet werden. Denn als kultiviert (71%) und gastfreundschaftlich (62%) angesehen zu werden, ist doch ein schönes Ergebnis, das bestärken sollte — auch wenn die Trentiner Bevölkerung beim zweiten Punkt (vielleicht) geringfügig besser dasteht.

Und was die anderen abgefragten Eigenschaften betrifft, sei die Frage erlaubt: Muss Südtirol genauso werden wie das Trentino?

Quellen: ‹1 ‹2

  • 1
    Hermann Atz ist wissenschaftlicher Leiter des Sozialforschungsinstituts Apollis
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BBD

Riskantes Spiel.
Quotation

Ich finde es beeindruckend, wie die Südtiroler Volkspartei Bündnistreue demonstriert. In diesem Wahlkampf habe ich immer gehört »wir haben in diesen fünf Jahren 20 Durchführungsbestimmungen mit dieser Regierung durchbekommen, wir haben drei […] Änderungen des Autonomiestatuts durchgebracht, also wir haben dieser Koalition mit dem PD viel zu verdanken und alles andere als jetzt mit dem PD auch in den Wahlkampf zu gehen wäre wirklich eine große Undankbarkeit.« Es ist also aus meiner Sicht im wesentlichen eine Rechnung beglichen worden. Wenn man dagegen in die Zukunft geschaut hätte, hätte man sichs vielleicht überlegt, weil Blockfreiheit ist ja auch immer ein Thema. Aber auch diese Stärkung der Autonomie sehe ich jetzt nicht so groß wie sie gerne dargestellt wird. Ich glaube Südtiroler Vertreter in Rom wären noch ein Stück stärker, wenn auch Teile derer, die jetzt nicht an der Wahl teilgenommen haben, irgendwie repräsentiert würden in Rom. Da hat die SVP schon ein etwas riskantes Spiel gemacht. Und sollte es zum Beispiel zu einer rechtsgeführten Regierung kommen, dann wäre der natürliche Ansprechpartner in Südtirol natürlich eher die deutsche Opposition — und wenn man hier die irgendwie eingebunden hätte, stünde man unter Umständen besser da.

Politologe Hermann Atz vom Sozialforschungsinstitut Apollis beim gestrigen Runden Tisch auf Rai Südtirol über das Parlamentswahlergebnis und die Bündnispolitik der Volkspartei.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Benachteiligt oder unprivilegiert?
Quotation

Unser empirisch eindeutiger Befund lautet, dass von einer objektiven Benachteiligung der Italiener in Südtirol nicht gesprochen werden kann. Die Gründe für den “disagio”, so es ihn überhaupt gibt, müssen in der historischen Entwicklung und der heutigen politischen Struktur des Landes liegen. Im Vergleich zu den 1960/70er Jahren sind die Italiener heute nicht mehr privilegiert, die politische Führungsklasse ist primär deutsch.

Aus dem in der dieswöchigen ff erschienenen Gastbeitrag des Soziologen Max Haller, Koautor der Publikation »Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft«, hrsg. Hermann Atz, Max Haller, Günther Pallaver, Nomos 2016.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Autorinnen und Gastbeiträge

Ein Grundlagenwerk zur Südtiroler Gesellschaft.
Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in Südtirol

Südtirol unterscheidet sich in mancher Hinsicht von seinen Nachbarregionen. Eine unserer Eigenheiten ist die ethnische Differenzierung, doch die soziale und ökonomische Ungleichheit gibt es bei uns genauso. Wie hängt die Zugehörigkeit zu einer der autochthonen Sprachgruppen oder zur Gruppe der Zuwanderer mit Bildung, Einkommen, Vermögen, Berufstätigkeit und anderen zentralen Aspekten der Sozialstruktur zusammen? Klafft auch in Südtirol die Schere zwischen privilegierten und Benachteiligten in Bezug auf Lebensstandard, Bildungschancen, Berufs- und Karrieremöglichkeiten, Mitbestimmungsrechten usw. zunehmend auseinander? Wie wird die soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft durch die Verteilung auf drei Sprachgruppen beeinflusst?

Solchen grundlegenden Fragen geht ein Sammelband nach, der zu den wichtigsten Publikationen gehört, die 2016 zu Südtirol erschienen sind. Es geht um die umfassende sozialwissenschaftliche Analyse und Darstellung der Südtiroler Gesellschaft mit ihren strukturellen Besonderheiten, unter spezieller Berücksichtigung ihrer ethnischen Zusammensetzung. Themen sind nicht nur objektive Sachverhalte wie die Ungleichheit bei Bildung, Einkommen, Vermögensverhältnisse, Reproduktionsarbeit, Familienformen. Thema ist auch die subjektive Einschätzung der eigenen Lebenslage und Schichtzugehörigkeit.

Die zentrale empirische Grundlage der Studie war eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zu einem breiten Spektrum an Fragestellungen. 1.200 Haushalte mit 3.500 Mitgliedern haben sich daran beteiligt. Das Forschungsprojekt ist von der Michael-Gaismair-Gesellschaft und dem Institut Apollis unter der Federführung der Professoren Günther Pallaver, Max Haller, Max Preglau, Antonio Scaglia sowie Apollis-Leiter Hermann Atz betreut worden. Ein zehnköpfiges Wissenschaftlerteam aus Soziologie, Wirtschafts- und Politikwissenschaft hat drei Jahre daran gearbeitet. Das Ergebnis ist eine fundierte Reflexion über die besondere soziale Struktur und die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung: »In erster Linie geht’s darum,« schreibt Herausgeber Hermann Atz, »das Potenzial und die Gefahren für eine ethnisch stark diversifizierte Gesellschaft aufzuzeigen.« Für die Südtiroler Sozialforschung ist damit ein Grundlagenwerk entstanden. Keine leichte Kost, doch für das Verständnis der Südtiroler Gesellschaft heute ein Muss.

Hermann Atz, Max Haller, Günther Pallaver (Hrsg.)

Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft

Ergebnisse eines empirischen Forschungsprojekts

2016, 407 S., brosch., 79 Euro

ISBN 978-3-8487-3329-3

Mit Beiträgen von: Hermann Atz, Max Haller, Günther Pallaver, Thomas Benedikter, Saskia Buiting, Romana Lindemann, Erika Pircher, Eike Pokriefke, Max Preglau, Antonio Scaglia.

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Mut zur eigenen Position.

Ausschnitt grüne Webseite.

Als die römische Zentralregierung zum 24. Mai sämtliche öffentliche Institutionen — auch in Südtirol — anwies, den italienischen Eintritt in den ersten Weltkrieg durch Hissen der Staatsflagge zu feiern, riefen die Südtiroler Grünen dazu auf, nicht den Befehl zu verweigern, sondern die Flagge auf Halbmast zu setzen. Ob es streng protokollarisch »besser« ist, gar keine Flagge auszuhängen oder sie auf Halbmast zu setzen, sei dahingestellt. Die Botschaft war wie leider viel zu oft: Erlass wenigstens teilweise umsetzen, nie die offene Konfrontation suchen, komme was wolle.

Unter der entsprechenden Medienmitteilung auf der Webseite der Grünen postete der (in seinen persönlichen Ansichten oftmals als »grünennah« bezeichnete) Politologe Hermann Atz einen Kommentar, mit dem er die Partei unmissverständlich zu einer klareren Position — im Sinne der Forderung nach einer Rücknahme des Flaggenerlasses — aufruft. Die Anweisung aus Rom sei gerade für die Südtirolerinnen ein »Affront« und beweise einmal mehr, dass in Italien keine ernsthafte Geschichtsaufarbeitung stattfinde.

Wichtiger noch als der Inhalt der Aufforderung selbst scheint mir Atz’ expliziter Hinweis zu sein, dass man sich nicht aussuchen könne, mit wem man zu speziellen Themen einer Meinung ist — in diesem Fall mit den »Patrioten«. Das ist ein wohltuender, überfälliger Aufruf, Positionen zu vertreten, die im Einklang mit den eigenen politischen Überzeugungen stehen, anstatt sich vor allem danach zu richten, was »die Richtigen« und »die Falschen« vertreten.

In Südtirol werden nicht »nur« Menschenrechte niedergestimmt, wenn der Antrag von der falschen Partei kommt. Ein urlinkes Thema wie die demokratische Selbstbestimmung wird von einigen Linken einfach grundsätzlich abgelehnt, weil das Thema hierzulande zuerst von den Rechten besetzt wurde.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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