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Kollektivverträge: Zentralistische Gewerkschaften.
Quotation

Das Handwerk — gemeinsam mit den zwei Verbänden LVH und auch dem italienischen CNA — ist an die Gewerkschaften herangetreten und hat gesagt: »Wir wollen uns vom nationalen System des Kollektivvertrages abkoppeln«. Und wir wissen, wir haben in Südtirol nicht nur den ASGB, sondern wir haben drei weitere Gewerkschaften und wir fanden mit diesem Vorschlag keine Mehrheit. Ich will es hier sagen: Der ASGB hat das unterstützt, leider die anderen nicht — und wir müssen uns auch in Südtirol mehr getrauen, weil es geht ja nicht nur um den Lohn, sondern auch um andere wichtige Elemente in einem Kollektivvertrag. Und das ist wichtig, [denn] wir haben in Südtirol eine andere Situation.

LVH-Präsident Martin Haller beim gestrigen Pro & Contra auf Rai Südtirol im Gespräch mit dem ASGB-Vorsitzenden Tony Tschenett – Transkription von mir

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

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NISF, kein Geld für Quarantänen.
Post vom ASGB

Der ASGB wendet sich in einem gestern veröffentlichten offenen Brief an die Landesregierung und an die Südtiroler Abgeordneten zum römischen Parlament, um die unerhörte Tatsache anzuprangern, dass die Regierung Draghi dem NISF kein Geld für verordnete Krankschreibungen infolge der Quarantänemaßnahmen zur Verfügung stellt. Betroffene seien nun in der absurden und untragbaren Lage, den Arbeitgeberinnen die für die Quarantäne vorgestreckten Beträge zurückzahlen zu müssen, was viele Einzelpersonen und Familien in finanzielle Schwierigkeiten bringe. Die Gewerkschaft bezeichnet diese Vorgehensweise als »wohl […] einmaliges politisches Versagen«, das das zumeist verantwortungsvolle Verhalten der Betroffenen konterkariere.

Die Landesregierung und die Abgeordneten fordert der ASGB dazu auf, der römischen Regierung diese »politische Bankrotterklärung« schonungslos vor Augen zu führen und sie zu schnellem Handeln zu drängen.

Die Einführung von TV- und anderen Bonussen bei gleichzeitiger Vernachlässigung der Krankenstände zeige, so der Gewerkschaftsvorsitzende Tony Tschenett in dem offenen Brief, dass dem Staat jedes Maß der Prioritätensetzung fehle.

Siehe auch ‹1

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Gesundheitswesen: ASGB schlägt Lösung vor.
Achtwöchiger bezahlter Intensivsprachkurs

Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) bringt in die Debatte um die mangelnde Zweisprachigkeit von Ärztinnen und Pflegerinnen einen neuen Vorschlag ein. Man müsse ja nicht ständig das Rad neu erfinden, oft reiche auch ein Blick über den Tellerrand aus.

Eine einleuchtende Lösung, auf die ich gestoßen bin, wäre ein bezahlter mindestens achtwöchiger Intensivsprachkurs für das betroffene Personal. Das heißt, dass nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrages nicht sofort mit der Arbeit begonnen wird, sondern dass in den ersten acht Wochen ein Vollzeitsprachkurs, dessen Stundenanzahl sich an den kollektivvertraglich festgelegten Wochenarbeitsstunden orientiert, besucht wird. Der Besuch des Sprachkurses wird dabei voll entlohnt. Der Vorteil, der sich dabei ergibt ist der Umstand, dass sich das Personal ohne weitere berufliche Ablenkungen rein mit der Sprache auseinandersetzen und diese rascher erlernen kann.

— ASGB-Chef Tony Tschenett

In anderen Ländern habe man mit diesem Modell, das zudem schnell und unbürokratisch umsetzbar sei, positive Erfahrungen gemacht.

(Zu überlegen wäre dann allerdings die Möglichkeit, den Kurs an eine Mindestverweildauer beim Südtiroler Gesundheitsbetrieb zu koppeln. Wird diese nicht erfüllt, müssen mindestens die Kosten für den Sprachkurs, wenn nicht auch ein Teil des während dieser Zeit bezogenen Lohns, zurückgezahlt werden. Andernfalls droht die Maßnahme zu einem Umweg italienischer Ärztinnen auf dem Weg ins deutschsprachige Ausland zu werden.

Eine zwingende Voraussetzung für die Umsetzung von Lösungen wäre allerdings, dass der Generaldirektor wenigstens das Problem zur Kenntnis nimmt.)

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1›

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Doppelpass: Die inoes-Petition.

Eine neugegründete Initiative Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler (inoes) hat dem Innenminister sowie dem Außenminister der Republik Österreich eine Petition zum sogenannten Doppelpass zukommen lassen. Dies hatte zunächst die Tiroler Tageszeitung (TT) in ihrer heutigen Printausgabe auf der Titelseite berichtet. Der Initiative gehören 51 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und verschiedensten zivilgesellschaftlichen Bereichen an — darunter auch Mitglieder der Südtiroler Landesregierung.

In dem (von Salto publik gemachten) Schreiben berufen sich die Unterzeichnenden auf einen Entschließungsantrag, der vom österreichischen Nationalrat am 19. September verabschiedet worden war. Außerdem erinnern sie daran, dass sich im Herbst 2017 die Mehrheit der Landtagsabgeordneten für die Gewährung der doppelten Staatsbürgerinnenschaft ausgesprochen hatte — ein Wunsch, der auch beim Südtirolkonvent zum Ausdruck gekommen sei.

Deshalb ersuchen sie in ihrer selbst auferlegten Eigenschaft als »Vertreter der Südtiroler Bevölkerung« um ein direktes Treffen mit den beiden Ministern, um den angeblich bereits fertigen Gesetzesvorschlag zu erörtern und das weitere Vorgehen zu besprechen.

Auf welcher Grundlage die Unterzeichnenden bzw. die Initiative ihren Vertretungsanspruch erheben, ist jedoch äußerst fraglich. Dies mag zwar im Einzelnen für gewählte Mandatarinnen und Mitglieder der Landesregierung gelten, dann aber auch nur teilweise. Immerhin wird auch diese Petition von der Mehrheit der Landtagsabgeordneten unterstützt. Die anderen Petentinnen stellen zwar gewisse Bevölkerungsteile dar, sind aber mit Sicherheit nicht repräsentativ.

Nicht zuletzt gibt die inoes auch an, ihr gehörten Vertreterinnen »aller deutsch- und ladinischsprachigen Parteien im Südtiroler Landtag« an. Doch das ist falsch, denn von den Abgeordneten der Grünen trägt die Petition niemand mit.

Nachtrag vom 30. Oktober 2019: Die Unterzeichnenden sind laut oben verlinktem Salto-Beitrag Philipp Achammer, Maria Hochgruber-Kuenzer, Thomas Widmann (Landesrätinnen, SVP); Sepp Noggler (Landtagspräsident, SVP); Gert Lanz, Helmuth Renzler, Franz Locher, Helmut Tauber, Jasmin Ladurner, Magdalena Amhof und Manfred Vallazza (Landtagsabgeordnete, SVP); Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle (Landtagsabgeordnete, STF); Alex Ploner, Franz Ploner, Josef Unterholzner, Maria Elisabeth Rieder und Peter Faistnauer (Landtagsabgeordnete, TK); Andreas Leiter Reber und Ulli Mair (Landtagsabgeordnete, F); Karl Ferrari und Alois Kofler (ehem. Senatoren, SVP); Georg Pardeller, Hanspeter Munter und Franz Pahl (ehem. Landtagsabgeordnete, SVP); Bruno Hosp (ehem. Landesrat, SVP) Christoph Perathoner (Bezirksobmann, SVP); Michael Epp (Plattform Heimat, SVP); Eva Klotz und Bernhard Zimmerhofer (ehem. Landtagsabgeordnete, SVP); Cristian Kollmann (STF); Tony Tschenett und Alexander Wurzer (ASGB); Jürgen Wirth Anderlan, Elmar Thaler, Paul Bacher und Egon Zemmer (Schützenbund); Roland Lang (Heimatbund); Wilhelm Haller (Bauernjugend); Luis Vonmetz (ehem. AVS-Vorsitzender); Franzjosef Roner (Herz-Jesu-Notfonds); Othmar Parteli (ehem. Abteilungsleiter der Landesregierung); Margareth Lun (Historikerin); Dietlind Rottensteiner (Lehrerin); Herbert Raffeiner (ehem. Schuldirektor); Ingemar Gatterer (Fa. SAD); Toni Corradina (Fa. Euro Alpe); Hugo V. Astner und Manuela Atz (HGV Kaltern); Pater Christoph Waldner (Superior Deutschordenskonvent Lana); Pater Reinald Romaner (Guardian Franziskanerkloster Bozen).

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1› 2›

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Autorinnen und Gastbeiträge

Diskriminierung: ASGB schreibt OPI BZ.
»Offener Brief an die Südtiroler Kammer der Krankenpflegeberufe OPI BZ im Hinblick auf offensichtliche Diskriminierung der deutschsprachigen Bewerber«

Sehr geehrter Verwaltungsrat der OPI BZ,

die Verpflichtung ausländischer Krankenpfleger, sich auf Anordnung Ihrer Kammer einer italienischen Sprachprüfung zu unterziehen, um die Voraussetzungen um Aufnahme in die Südtiroler Kammer der Krankenpflegeberufe OPI BZ zu erwirken, verstößt, wie von Universitätsprofessor für Europarecht Walter Obwexer dargelegt, nicht nur gegen geltendes Recht, sondern ist als Anschlag auf die dem Italienischen gleichgestellte deutsche Sprache zu werten und damit als Anschlag auf das Autonomiestatut.

Der Autonome Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB) verurteilt nicht nur jegliche Maßnahmen, die die deutsche Sprache zu einer Sprache zweiter Klasse degradieren und das Sonderstatut für Südtirol konterkarieren, sondern gibt im Hinblick eines offensichtlichen Mangels an Krankenpflegern und Pflegekräften zu bedenken, dass Ihre kurzfristige, für europäische Staatsbürger obsolete Anwendung nationaler Rundschreiben einen Schaden für das Südtiroler Sanitätswesen herbeigeführt hat. Es ist evident, dass mangels Italienischkenntnisse viele Bewerber durch die Prüfung gefallen sind und dem Pflegesektor fehlen.

Eine gewisse Distanz der deutschen Sprache gegenüber spannt sich bei Ihnen wie ein roter Faden durch Ihre gesamte Tätigkeit. Auf Ihrer Website erscheinen Informationen ausschließlich in Italienisch, obwohl sie von Pflichtbeiträgen Deutschsprachiger mitfinanziert wurde. Dasselbe gilt für Informationsschreiben und Ihre laufende Tätigkeit. Auch der Verwaltungsrat ist mehrheitlich italienisch besetzt.

Der ASGB ersucht Sie, zukünftig im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und unter Wahrung der autonomen Rechte, die verpflichtende Italienischprüfung als Voraussetzung zur Aufnahme in die Kammer abzuschaffen und sich vermehrt um Ihre Aufgabe als Berufskammer zu kümmern: nämlich nach objektiven Kriterien die Voraussetzungen der Bewerber zu prüfen, um den Patienten eine bestmögliche Behandlung zu gewährleisten.

Mit freundlichen Grüßen,

Tony Tschenett
Vorsitzender des ASGB

Der offene Brief ist vom 7. Juni 2019.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6

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Österreichischer Arzt von Nursing Up denunziert.

Während der Proporz ausgehebelt und die Zweisprachigkeitspflicht ausgesetzt wird, um dem Mangel an Fachkräften im Gesundheitsbereich zu begegnen — der auch teilweise sinnlosen staatlichen Normen geschuldet ist — greift das Gesundheitsministerium hart durch, um Personal ausfindig zu machen, das der italienischen Sprache nicht oder nicht ausreichend mächtig ist. Umgekehrt ist das bei den immer zahlreicheren Ärztinnen, die kein Deutsch sprechen, für Rom kein Thema.

Dem Fass den Boden schlägt nun aber aus, dass der österreichische Arzt, der möglicherweise von der Südtiroler Kammer gestrichen wird, nicht etwa den Durchsuchungen der Carabinieri zum Opfer gefallen ist, sondern — wie der ASGB kritisiert — von der staatlichen Gewerkschaft der Krankenpflegerinnen (Nursing Up) denunziert worden sein soll. Solches Vorgehen ist absolut indiskutabel, da ist nun offenbar tatsächlich eine Treibjagd auf Deutschsprachige eröffnet worden.

Es scheint Kräfte zu geben, die der mehrsprachigen Realität in Südtirol nicht Rechnung tragen wollen. Dazu gehört anscheinend die nationale Krankenpflegergewerkschaft Nursing Up, welche, laut Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Florian Zerzer, beim Gesundheitsministerium hinsichtlich dieses Falles interveniert hat.

— Tony Tschenett (ASGB)

Was unternimmt die Landesregierung, um der ultranationalistischen Hetze gegen das Grundprinzip der sprachlichen Gleichstellung (ggf. mit Unterstützung von Österreich) ein Ende zu bereiten?

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 | 1›

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Pflege: Proporz ohne Not ausgehebelt?

Die Landesregierung opfert Proporz und Zweisprachigkeit immer öfter und ungenierter auf dem Altar der Alternativlosigkeit — mit besonderer Vorliebe im höchst sensiblen Gesundheitsbereich. So wurde dieser Tage beschlossen, 66,5 Stellenäquivalente im Pflegebereich am Proporz vorbei an italienische Bewerberinnen zu vergeben.

Zur Erinnerung: Laut letztem Astat-Sprachbarometer war knapp einem Drittel der deutschsprachigen Südtirolerinnen (31,9%) im öffentlichen Gesundheitswesen das Recht auf Muttersprache verwehrt worden. Umfassende Maßnahmen, um diesen gravierenden Missstand zu beheben, hat es seitdem nicht gegeben.

Schwere Vorwürfe kommen von Autonomen Südtiroler Gewerkschaftsbund (ASGB), demzufolge eine Abweichung vom Proporz gerade im Pflegebereich nicht nötig wäre. In Vergangenheit seien zahlreiche Absolventinnen der Claudiana ins Ausland gegangen, statt in Südtirol zu bleiben — was großteils »dem Unvermögen der politisch Verantwortlichen« und der Führung des Gesundheitsbetriebs geschuldet sei. Sie hätten es verabsäumt, dem Pflegepersonal die nötige Wertschätzung zuteil werden zu lassen.

Um einen Vergleich anzustellen: man stelle sich vor, ein Betrieb in der Privatwirtschaft bildet für viel Geld einen jungen Menschen aus, würde ihn benötigen, lässt ihn aber ziehen, um jemanden von außerhalb anzustellen, der gar nicht die Anforderungen, die der Betrieb an ihn stellt, erfüllt. Dies ist derart widersinnig, dass einem die Worte fehlen.

– ASGB-Chef Tony Tschenett

Auch hier entsteht — wie beim Fahrdienst für beeinträchtigte Menschen — der Eindruck von Sozialdumping.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 | 1›

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Abgrenzungspolitik.

Vor einiger Zeit habe ich mich über die Tendenz echauffiert, dass umkämpfte Wahlentscheidungen oder knappe Referendumsausgänge in den Medien vielfach mit Schlagwörtern wie “gespaltene Gesellschaft” oder “zerrissenes Land” betitelt werden. Zwar kommt es in jüngster Zeit immer wieder vor, dass anstatt zweier Kandidaten/Optionen, die knapp rechts und links der Mitte angesiedelt sind, tatsächlich extremere Alternativen zur Auswahl stehen, jedoch scheint in der Bevölkerung das Verabsolutieren der eigenen bei gleichzeitiger Dämonisierung der anderen Meinung generell zuzunehmen, während die gegenseitige Akzeptanz für demokratisch und friedlich zustande gekommene Machtwechsel abnimmt. Einen Hauptgrund für diese Entwicklung sehe ich im politischen Diskurs, wie er von der Gesellschaft, den Medien aber hauptsächlich auch von vielen Politikern selbst geführt wird.

Für jede wahlwerbende Partei ist ein klares Profil, am besten ein Alleinstellungsmerkmal, essentiell. Doch erfolgt diese Profilierung meiner Ansicht nach immer seltener durch eine aktive Positionierung, sondern vielmehr durch Abgrenzung (negative campaigning). Der eigene Standpunkt wird nicht mehr dadurch markiert, indem man klar Stellung bezieht, sondern indem man den politischen Gegner von sich wegschiebt. Man sagt nicht mehr, wer man ist und wofür man steht, sondern wer oder was man nicht ist und was an der Position des Gegners falsch bis katastrophal ist. Und damit diese Abgrenzung auch deutlich wird, wird das was man nicht ist, diabolisiert. Aus der linken Ecke wird jeder mit der Nazikeule erschlagen, der auch nur einen Zentimeter von der Katalogmeinung abweicht, während für die Rechten sowieso alle Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen volksverräterische Gutmenschen-Willkommensklatscher sind. Sämtliche Graustufen dazwischen werden ignoriert. Abstufungen gehen verloren. Nuancierungen und Differenzierungen finden nicht statt. Indem man aber Meinungen und Anschauungen anderer, die sich eindeutig innerhalb des demokratischen Grundkonsenses bewegen, mit Extremismus gleichsetzt, werden tatsächliche Extremismen verharmlost. Gleichzeitig wird der eigene Standpunkt immer enger und starrer sowie die Ansicht über den politischen Gegner immer konsensunfähiger und ablehnender.

Vier kurze Geschichten dazu

  1. Die österreichischen Grünen haben vor Kurzem die Europaparlamentarierin Ulrike Lunacek als ihre Spitzenkandidatin für die bevorstehenden vorgezogenen Nationalratswahlen vorgestellt. Im Moment scheint Lunaceks Wahlkampfstrategie ausschließlich darauf ausgelegt zu sein, eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindern zu wollen. Anstatt die eigenen Standpunkte offensiv zu kommunizieren, hat man sich für eine Abgrenzungskampagne entschieden, die mit der Angst der Bevölkerung vor einer weiteren schwarz-blauen (oder rot-blauen) Koalition spielt. Im ZIB2-Interview ließ Lunacek verlauten, dass der Neo-ÖVP-Chef Sebastian Kurz für die “Orbanisierung” Österreichs stünde und auch die SPÖ immer weiter nach rechts abdriften würde, sodass die Grünen die einzige Partei links der Mitte seien. Freilich ist es einfacher, die eigene Position zu verdeutlichen, indem man die Gegner weit von sich wegschiebt, anstatt sich um ein klares eigenes Profil zu bemühen. Es besteht aber auch die Gefahr, dass man mit allzu gewagten Vergleichen und Anschuldigungen an Glaubwürdigkeit verliert.
  2. Die Vorgeschichte zur Kür Lunaceks war der Rücktritt der Bundesparteivorsitzenden Eva Glawischnig vor wenigen Wochen. Glawischnig ist wegen gesundheitlicher Probleme, ausgelöst durch den enormen Druck, der auf Spitzenpolitikern lastet und die Anfeindungen, denen sie sich tagtäglich ausgesetzt sehen, von all ihren Ämtern und Funktionen zurückgetreten. Viele Kommentare zu ihrer Entscheidung in Online-Foren bestätigten Glawischnigs Diagnose, dass sich der Umgangston massiv verschlechtert habe. Sie wurde von politisch Andersdenkenden aufs Wüsteste beschimpft, viele machten sich über ihre gesundheitlichen Probleme lustig oder taten ihren Unmut über die ehemalige Grünenchefin mit ad-personam-Argumenten und Hasskommentaren kund. Der politische Gegner als Dämon, den man geradezu entmenschlicht. Paradoxerweise findet sich in solchen Kommentaren keine Spur jenes Anstandes, den die Verfasser nicht selten für sich beanspruchen und von anderen einfordern.
  3. Ende des vergangenen Jahres wurde Glawischnigs Vorgänger bei den Grünen, Alexander van der Bellen, endgültig zum 12. Bundespräsidenten der Republik Österreich gewählt. Diese Wahl stellte für viele Anhänger Norbert Hofers eine Art Apokalypse dar (vielfach war vom “Untergang Österreichs” die Rede und in den sozialen Medien häuften sich die “Not my president”-Profilbilder), wie sie wohl nur in der Wahrnehmung der van der Bellen-Fans überboten worden wäre, wenn Hofer gewonnen hätte. Van der Bellen ließ überdies immer wieder damit aufhorchen, dass er eine Regierung unter der Leitung von FPÖ-Chef H.C. Strache eventuell nicht angeloben würde. Und zwar nicht etwa, weil Exponenten dieser Partei mitunter offen rassistisch sind oder Kontakte zu neonazistischen Kreisen pflegen, sondern weil die FPÖ ein Referendum über den Austritt aus der EU anstreben könnte. Van der Bellen, dessen damalige grüne Partei 1994 noch massiv gegen Österreichs Beitritt zur EU aufgetreten war, verabsolutiert also die EU-Mitgliedschaft und setzt eine Gegenposition mit Extremismus gleich, sodass er sich gezwungen sieht, im Falle des Falles zum wohl stärksten Mittel zu greifen, das ihm die Verfassung in die Hand gegeben hat. Dabei ist ein Austritt aus der EU — den ich persönlich überhaupt nicht befürworte — eine völlig legitime demokratische Forderung, die keine Menschenrechte verletzt oder sonst irgendwie rassistisch, antidemokratisch oder extremistisch wäre. Van der Bellens Ankündigung ist gerade auch angesichts der Tatsache, dass es einwandfrei demokratische und wirtschaftlich florierende Länder außerhalb der EU gibt (Schweiz, Norwegen usw.) völlig abstrus und Beleg für das Verabsolutieren der eigenen und die Dämonisierung der anderen Meinung. Für den gesunden demokratischen Diskurs ist solches Verhalten Gift.
  4. Zuletzt wechseln wir noch zu den Südtiroler Grünen. Riccardo Dello Sbarba, Landtagsabgeordneter und Mitglied im Südtirolkonvent, trat in jüngster Zeit vehement gegen einen Selbstbestimmungspassus im Abschlussdokument des K33 auf. Abgesehen davon, dass es sonderbar anmutet, dass sich ein grüner Politiker gegen ein basisdemokratisches Instrument einsetzt und nationalistischen Denkmustern folgt, ist Dello Sbarbas Verhalten auch aus einem anderen Blickwinkel heraus interessant. Er bedient sich einer weiteren gängigen Abgrenzungsstrategie: Völlig ungeachtet dessen, was der ideologische Unterbau einer Forderung bzw. eines politischen Konzeptes ist, nehme ich einfach grundsätzlich die gegensätzliche Meinung des politischen Gegners ein und verquicke dessen Forderung respektive Konzept mit seiner Ideologie. Weil besagter Passus von Konventsmitgliedern, die rechten Gruppierungen zumindest nahe stehen, vorgeschlagen wurde, ist für Dello Sbarba die Forderung nach sowie das Konzept der Selbstbestimmung rechts und der Gewerkschafter Tony Tschenett ebenfalls, weil er sich für den Selbstbestimmungspassus ausgesprochen hat. Die Absurdität solcher “Abgrenzungen” wird durch die Tatsache untermauert, dass es in vielen Gegenden Europas dezidiert linke — zumal grüne —Parteien sind, die sich für Selbstbestimmung und Sezession stark machen. Anstatt sich ein politisch an und für sich neutrales Instrument wie die demokratische Selbstbestimmung zu eigen zu machen und im eigenen Sinne zu interpretieren, geht Dello Sbarba in Fundamentalopposition und nimmt in Kauf, dass er dabei paradoxerweise in tatsächlich rechte Argumentationsmuster verfallen muss, um die Stigmatisierung des Selbstbestimmungskonzepts als rechte Idee rechtfertigen zu können.

Siehe auch ‹1 ‹2

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