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Die Autonomie — des Verfassungsgerichts.
Primarstellen

Das Arbeitsgericht in Trient gab dieser Tage einem Primariatsanwärter recht, der eine Stelle in Bozen nicht bekommen hatte, und verurteilte das Land Südtirol unter anderem dazu, ihm 37.950 Euro Schadenersatz plus 3.450 Euro monatlich bis zur Wiederholung des Stellenwettbewerbs zu zahlen. In erster Instanz war der Arzt mit seinem Rekurs noch abgeblitzt.

Der Fall zeigt, welch unberechenbare Zeitbombe das italienische Verfassungsgericht, bei dem Südtirol keinerlei Repräsentanz hat (vgl. ‹1), sowie das Damoklesschwert der »grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik« darstellen.

In einem Präzedenzfall1Verfassungsgerichtsurteil Nr. 139/2022 war das traditionell zentralistisch urteilende Verfassungsgericht nämlich 2022 zum Schluss gelangt, dass das in Südtirol übergangsweise geltende Verfahren zur Vergabe von Primariaten2seit 2021 gilt ein neues Verfahren (gem. DLH 29/2021) nicht rechtens sei — und auf dieser Grundlage urteilte nun auch das Trienter Arbeitsgericht.

Doch warum hatte das Verfassungsgericht entschieden, dass das damalige Verfahren nicht in Ordnung war? Nicht etwa, weil die Südtiroler Norm an sich klar verfassungswidrig gewesen wäre. Dies bestätigten die Richter um Giuliano Amato in ihrem Urteil sogar ausdrücklich. Stattdessen beschloss das Gericht kurzerhand, dass das staatsweit geltende Auswahlverfahren ein »grundlegendes Prinzip« darstelle — und ein solches »sticht« per Definition jede autonome Kompetenz aus (auch primäre).

Eine Krux dabei ist, dass diese »grundlegenden Bestimmungen« keine bestimmte Form aufweisen müssen — dass da also nirgends draufsteht: »dieses Gesetz stellt eine grundlegende Bestimmung dar« — und somit der Landesgesetzgeber auch wenig Anhaltspunkte hat, sich diesbezüglich von vorn herein unterordnen (!) zu können, wie es von ihm verlangt wird.

Vielmehr kann sich das zentralistisch ausgerichtete Verfassungsgericht bei der Beurteilung von Landesgesetzen aus den Fingern saugen, ob das jeweilige Staatsgesetz (bzw. Teile davon), von dem sie abweichen, ein »grundlegendes Prinzip« darstellt. Auch das stellten die Richter in oben genannten Urteil3mit Verweis auf weitere Urteile, z.B. Nr. 170/2001 ausdrücklich fest. Genauso übrigens, wie sich das Verfassungsgericht die sogenannten staatlichen »Querschnittkompetenzen« aus den Fingern gesaugt hat, mit denen es die Zuständigkeiten von Regionen und Ländern (zum Beispiel im Umweltbereich) im Laufe der Jahre auf eigene Faust massiv ausgehöhlt hat. Für die Rechtssicherheit ist diese unvorhersehbare Praxis fatal, und Einspruchmöglichkeit gegen eine einseitige Einstufung als »grundlegendes Prinzip« bzw. als »grundlegende Bestimmung« gibt es keine.

Wenn das eine Autonomie ist, dann vor allem eine des Verfassungsgerichts gegenüber allem und jedem.

  • 1
    Verfassungsgerichtsurteil Nr. 139/2022
  • 2
    seit 2021 gilt ein neues Verfahren (gem. DLH 29/2021)
  • 3
    mit Verweis auf weitere Urteile, z.B. Nr. 170/2001
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Nach rechts verschobene Politlandschaft.
Quotation

Schlein spricht mit viel mehr Glaubwürdigkeit über Ökologie und Feminismus als es Matteo Renzi tat, der so weit gegangen ist zu sagen, dass die Umweltschützer übertreiben und den Fortschritt aufhalten — und sich selbst als Anführer der ersten feministischen Partei Italiens bezeichnet hatte. Schlein verteidigt auch ohne Vorbehalte die Rechte der LGBTI-Gemeinschaft (der sie angehört). Das scheint eine Mindestvoraussetzung [für eine Linke] zu sein, ist es aber in Italien nicht, wo es selbst bei Mittelinks keinen Konsens zur Ehe für alle gibt. In der Tat hat es Jahrzehnte gedauert, um zu einer gemeinsamen Linie zu finden, damit gleichgeschlechtliche Paare [wenigstens] nichteheliche Lebensgemeinschaften eingehen — das heißt: rechtlich existieren — konnten. Diese Herausforderung wurde 2016 gemeistert und ist durch die Regierung von Giorgia Meloni [FdI] wieder in Gefahr. Bei Mittelinks gibt es auch keinen Konsens zum Adoptionsrecht homosexueller Paare — das derzeit in Italien nicht existiert.

Schlein, die von Prekariat und Arbeitsrechten spricht und — eine weitere Neuheit — einen Mindestlohn vorschlägt, ist eine moderate Progressistin, die die PD an die übrigen europäischen sozialdemokratischen Parteien wie die PSOE annähern will. Die italienische Politlandschaft ist aber so weit nach rechts verschoben, dass sowohl die Medien als auch ihre eigenen Parteigenossen sie als eine Radikale darstellen. In Wirklichkeit definieren sie ihre politischen Vorbilder ideologisch ziemlich gut: Barack Obama und Romano Prodi.

Auszug aus Digues alguna cosa que soni d’esquerres von Alba Sidera, erschienen in der katalanischen Tageszeitung El Punt Avui (23. Mai 2023). Sidera, Journalistin und Expertin für Rechtsextremismus, lebt seit 2007 als Korrespondentin in Rom. Übersetzung von mir.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

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Mindestsicherung in Gefahr?

Die Trentiner Ableger der sogenannten konföderierten italienischen Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL warnen, dass die Zentralregierung von Giorgia Meloni (FdI) die Zuständigkeiten von Südtirol und Trentino in den Bereichen Arbeit und Soziales massiv beschneiden könnte.

Im Arbeitsdekret der Regierung, mit dem auch das Bürgergeld abgeschafft werden soll, fehle jeder Hinweis auf die Kompetenzen der beiden autonomen Länder. Damit seien soziale Maßnahmen auf Landesebene wie die Mindestsicherung gefährdet.

Eine parlamentarische Delegation der Rechten hätten die Gewerkschaften schon vor einiger Zeit auf die Notwendigkeit hingewiesen, in der Notverordnung der Regierung eine Schutzklausel zu verankern, doch nach wie vor fehle sie in den Entwürfen. Wenn sie nicht vor Veröffentlichung der Maßnahme eingefügt werde, könnte das weitreichende Folgen haben.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Italienischer Landwirtschaftsminister spricht von »Umvolkung«.
Extremistischer Kampfbegriff

Der Schwager von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und italienische Landwirtschaftsminister, Francesco Lollobrigida (beide FdI), ist heute im Rahmen eines Gewerkschaftskongresses (Cisal) auf das Thema des Geburtenrückgangs eingegangen. Dabei nahm er auf die rechtsextreme und rassistische Verschwörungstheorie der »Umvolkung«1Original: »sostituzione etnica« Bezug.

Konkret sagte er, der Wohlfahrtsstaat müsse die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie sicherstellen (wobei er, dessen Partei die italienische Sprache per Gesetz von Anglizismen säubern möchte, das Wort Welfare benutzte). Der »Umvolkung«, die darin bestehe, dass andere angesiedelt werden, weil die Italienerinnen wenige Kinder kriegen, dürfe man sich nicht geschlagen geben, so der Minister.

Diese Aussage verteidigte er später auch gegen die heftige Kritik anderer politischer Parteien, sodass nicht von einem Ausrutscher die Rede sein kann. Andere hochrangige Vertreterinnen der Fratelli verteidigten die Worte von Lollobrigida.

Giorgia Meloni hatte sich in Vergangenheit ebenfalls als Anhängerin dieser politisch eindeutig konnotierten, extremistischen Verschwörungstheorie zu erkennen gegeben. Ihre diesbezüglichen Äußerungen, wonach es einen solchen Plan gebe, gehen aber (soweit mir bekannt) auf Zeiten zurück, als sie keine Regierungsverantwortung innehatte. Nun ist auch dieses Tabu gebrochen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 | 1› 2› 3›

  • 1
    Original: »sostituzione etnica«
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Krankenpflegerinnen werden für Sprache sensibilisiert.

Die Berufskammer der Krankenpflegerinnen (COIB) von Barcelona organisiert für Personal, das von außerhalb Kataloniens kommt und originär nicht Katalanisch spricht, neu Sensibilisierungsmaßnahmen zum Thema Sprache. Es geht darum, sprachliche Umgangsformen und das entsprechende Bewusstsein im Gesundheitsbereich zu reflektieren und zu fördern.

Die aus je zwei Sessionen zu zwei Stunden bestehenden unentgeltlichen Fortbildungsmaßnahmen werden in Zusammenarbeit mit dem Consorci per a la Normalització Lingüística (CPNL) durchgeführt und erfreuen sich bei den Krankenpflegerinnen großen Interesses, sodass die erste Staffel bereits wenige Tage nach Einschreibungseröffnung vollständig ausgebucht war.

In der Pressemitteilung zu diesem neuen Kursangebot macht das COIB darauf aufmerksam, dass Krankenpflegerinnen Menschen über den gesamten Lebenszyklus in der Überwachung und Verbesserung der eigenen Gesundheit begleiten, und zwar sowohl bezüglich der Gesundheitsförderung als auch bei Prävention und Behandlung von Krankheiten. Sie tun dies, indem sie die Menschen dazu befähigen, eigenständig Entscheidungen zu treffen, die die eigene Gesundheit betreffen und ihr gesamtes Potential auszuschöpfen.

In diesem Sinne sei Kommunikation ein maßgeblicher Faktor der Berufsausübung und die Anpassung an die Sprache der Betreuten von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung ihrer Gesundheit. Sprache sei nämlich eine soziale Determinante und eine Quelle von Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit der Menschen.

Es sei nachgewiesen, dass die Tatsache, dass eine Person in der eigenen Sprache betreut wird, Vorteile für das eigene Wohlbefinden, für die aktive Teilnahme an den Behandlungen und zur Risikovermeidung mit sich bringe.

Bei der Fortbildung geht es nicht hauptsächlich darum, die Krankenpflegerinnen für den Erwerb der katalanischen Sprache zu sensibilisieren, da der Nachweis von Katalanischkenntnissen auf C1-Niveau (in Südtirol gilt das niedrigere B2-Niveau) bereits Voraussetzung für die Berufsausübung ist. Vielmehr soll das von anderen Regionen im In- und Ausland stammende Personal für die Wichtigkeit sensibilisiert werden, die Sprachrechte der Betreuten auch tatsächlich — und in geeigneter Weise — in der Berufspraxis zu gewährleisten.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 | 1›

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Nationalistisches Selbstverständnis.
Quotation

„Auch wenn sie sich noch so bemühen, sich minderheitenfreundlich zu geben, zeigen die Brüder Italiens immer wieder ihr wahres Gesicht“, meint [Senatorin Julia Unterberger (SVP)]. Mit deren nationalistischen Selbstverständnis sei es nämlich nicht vereinbar, dass die Südtiroler Österreich als ihre Schutzmacht sähen. Ihr Bestreben sei es, „aus uns überzeugte italienische BürgerInnen zu machen, die ihr Schicksal vertrauensvoll in die Hände des italienischen Staates legen“. Gerade wegen politischer Kräfte wie FdI sei die Schutzmachtfunktion alles andere als unzeitgemäß. Dass viele deutschsprachige Südtiroler im Ausland blieben, wie es [LAbg. Marco Galateo (FdI)] anmerke, hänge auch damit zusammen, dass Italien bei der Anerkennung von Studientiteln [sic] und Berufsbefähigungsnachweisen „auf dem Nährboden eines überholten Nationalismus absurde Hürden vorsieht“.

– Quelle: Tageszeitung

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Gender Pay Gap und Ländervergleich.
Vorbild Island

Anlässlich des Weltfrauentags war gestern bei FM4 Katharina Mader zu Gast, ihres Zeichens Volkswirtin und Ökonomin in der Frauenabteilung der Arbeiterkammer.

Sie hat dabei auf die vorbildliche Gleichstellungspolitik im Kleinstaat Island (mit weniger Einwohnerinnen als Südtirol) und auf das relativ schlechte Abschneiden Österreichs beim Gender Pay Gap hingwiesen.

Gleichzeitig hat sie auch erklärt, warum Ländervergleiche in diesem Bereich oft problematisch sind — und zwar unter anderem am Beispiel Italien. Es gebe dort zwar einen sehr viel niedrigeren Pay Gap als in Österreich, allerdings sei die Frauenerwerbsquote ebenfalls sehr viel niedriger. Vor allem die gut ausgebildeten Frauen seien in Italien erwerbstätig, während diejenigen, die in Österreich häufig im schlecht bezahlten Teilzeitsegment beschäftigt sind, in Italien oft gar nicht arbeiteten.

Ich hatte mich schon öfter gefragt, warum Südtirol einen höheren Gender Pay Gap hat als Italien. Da es hierzulande aber auch eine höhere Frauenerwerbsquote gibt als durchschnittlich in italienischen Regionen, dürfte es sich ähnlich verhalten wie beim Vergleich zwischen Österreich und Italien.

Das macht den Gender Pay Gap als solchen natürlich um keinen Deut besser — doch Vergleiche mit schlecht vergleichbaren Daten anzustellen, ist für die Ursachenforschung eben auch nicht hilfreich.

Besser wäre wohl ohnehin, sich an der offensiven Gleichstellungspolitik von Island zu orientieren.

Siehe auch ‹1

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Claudiana wieder in der Kritik.
Unterricht hauptsächlich auf Italienisch

Auf Salto wurde kürzlich wieder über die Landesfachhochschule Claudiana berichtet, die im Grunde nicht viel mehr als ein Container für Außenstellen der Universitäten Rom Sacro Cuore, Verona und Ferrara ist.

In Berufung auf die Landtagsabgeordnete Maria Elisabeth Rieder (Team K) ist in dem Beitrag unter anderem von viel zu hohen Studiengebühren die Rede. Insgesamt 7.000 Euro müssten die Studentinnen hierzulande hinblättern, während sie in Österreich im Gegenteil eine monatliche Unterstützung von 600 Euro erhielten. Noch krasser fällt der Vergleich aus, wenn man berücksichtigt, dass Studierende in Nordtirol unfall- und pensionsversichert sind. Bei uns würde nämlich der sogenannte »Nachkauf« bei dreijähriger Studienzeit noch einmal mit 16.000 Euro zu Buche schlagen.

Sobald sie ihr Studium beendet hätten, müssten die neuen Krankenpflegerinnen hierzulande ferner mehrere Monate auf einen Wettbewerb warten, um in eine provisorische Rangliste aufgenommen zu werden. Bis dahin seien viele von ihnen aber schon lange weg — denn in Österreich bekämen sie sofort eine (wohl auch noch besser entlohnte) Stelle.

Webseite der Universität Verona (Ausschnitt), Hervorhebung von mir

Aufschlussreiches weiß die Landtagsabgeordnete auch über die sprachliche Situation an der Claudiana zu berichten:

So ist beispielsweise vorgesehen, dass der Unterricht paritätisch in beiden Landessprachen stattfinden muss. „Davon sind wir allerdings meilenweit entfernt“, betont die Abgeordnete des Team K. Der Unterricht finde Berichten von Studenten wie auch Referenten zufolge nämlich hauptsächlich auf Italienisch statt.

Salto

Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass mich das wundert. Und dennoch ist es ein Skandal.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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