Ein im Magazin des Alpenvereins Südtirol (AVS), Berge erleben, vom Juni auf Seite 58f. erschienener Kommentar von AVS-Vizepräsidentin Ingrid Beikircher hat hohe Wellen geschlagen. Sie regt darin eine Umbenennung zahlreicher Schutzhütten im Lande an, deren heutige Namen keinen direkten Bezug zu Südtirol bzw. zu ihrer unmittelbaren Umgebung haben. Dabei handelt es sich nicht um Hütten des AVS, sondern um Häuser des Landes Südtirol, des Club Alpino Italiano (CAI) und um private Schutzhäuser, denn die des AVS tragen schon alle einen Namen mit Ortsbezug, wie auch eine Karte auf S. 16f. des Magazins veranschaulicht.
In dem Beitrag wird unterstrichen, dass es bereits Kontakte zwischen dem AVS und dem CAI in dieser Angelegenheit gegeben habe und somit suggeriert, dass den Umbenennungen nur noch wenig im Wege steht.
Woher kommt der Vorschlag und wie wird er begründet? Direkt im Untertitel des Kommentars von Ingrid Beikircher wird auf die uneinheitliche Benennung in deutscher und italienischer Sprache (am Beispiel Kasseler Hütte / Rifugio Roma) hingewiesen. Zudem werden Marketing- und Sicherheitsargumente angeführt, die ich persönlich für etwas unpassend bzw. weit hergeholt einstufen würde.
Sonst ist der AVS ja auch gegen eine immer stärkere Vermarktung der Berge, und dass es leichter sei, sich eine Hochgall- als eine Kasseler Hütte zu merken, finde ich nicht schlüssig.
In dem Beitrag wird klar, dass es hauptsächlich um Schutzhütten geht, die nach deutschen oder ehemals deutschen Städten benannt sind. In fast all diesen Fällen gehen die Bezeichnungen darauf zurück, dass es die Sektionen dieser Städte im Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) waren, die die Hütten ursprünglich erbaut haben.
Nach der Annexion unseres Landes durch Italien wurden alle Hütten des DÖAV von den Faschisten enteignet, der Verein verboten. Natürlich durften die Hütten, die meist irgendwelchen CAI-Sektionen in Italien zugewiesen wurden, auch nicht mehr ihren ursprünglichen Namen tragen. So benannte die römische CAI-Sektion das ihr zugeteilte Raubgut in Rifugio Vedrette Giganti und dann in Rifugio Roma um.
Wollte man einfach nur mit dem Chaos zwischen deutschen und italienischen Bezeichnungen aufräumen, was wohl ein Hauptanliegen sein dürfte, könnte man auch fordern, die Kolonialbezeichnungen — die mit dem ausdrücklichen Zweck der Assimilierung und Entnationalisierung eingeführt worden waren — wieder zurückzunehmen und die historisch gewachsenen Namen beizubehalten.
Dass heute meist kein unmittelbarer Bezug mehr zwischen den DAV- und ÖAV-Sektionen und den nach ihnen benannten Hütten besteht, wie Frau Beikircher zu bedenken gibt, geht auf den gewaltsamen Akt eines totalitären Regimes zurück. Die geforderten Umbenennungen damit zu begründen, wäre eine nachträgliche symbolische Legitimierung eines Unrechts.
Ich unterstelle aber — nicht ohne Indizien dafür zu haben —, dass der Vorschlag, die ursprünglichen Hüttenbezeichnungen zu beseitigen, nichts anderes ist als der Weg des geringeren Widerstands: Der italienische Alpinclub CAI ist leider für seine chauvinistischen Positionen und seine mangelnde Einsicht in Bezug auf historisches Unrecht bekannt (vgl. 01
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) und würde einem einseitigen Verzicht auf die Kolonialbezeichnungen bei gleichzeitiger Beibehaltung der bestehenden deutschen Namen kaum zustimmen. Also versucht man beim AVS, dem CAI die Abkehr von faschistischem Unrecht (einschließlich höchst belasteter Namen wie dem Rifugio Locatelli) durch die gleichzeitige Abkehr von historisch gewachsenen Bezeichnungen schmackhaft zu machen, die einen Bezug zum übrigen deutschen Sprachraum und zur Geschichte vor der Annexion herstellen.
Es ließe sich natürlich argumentieren, dass auch die Errichtung von Schutzhütten durch »landesfremde« DÖAV-Sektionen in Tirol — so wie die »Eroberung« der Alpen durch Bergsteiger aus dem Flachland im Allgemeinen — etwas in gewissem Maße Koloniales an sich hatte. Und doch wäre es meiner Meinung nach grundfalsch, dieses den gesamten Alpenraum betreffende Phänomen mit der aggressiven Enteigungs- und Assimilierungspolitik der Faschisten auf eine Stufe zu stellen.
Sich der historisch gewachsenen Hüttenbezeichnungen zu entledigen muss nicht notwendigerweise falsch sein, so man sie als problematisch einstuft. Nach meinem Dafürhalten gibt es diesbezüglich aber keinen Grund für einen Südtiroler Alleingang, eher im Gegenteil. Wennschon könnte man eine grenzüberschreitende Debatte anregen und gegebenenfalls gesamtalpine Lösungen finden.
Bezüglich der angedachten Neubenennungen beruft sich Frau Beikircher übrigens auf das sogenannte Durnwalder-Fitto-Abkommen (vgl. 01
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), mit dem sich der AVS das (proto-)faschistische Ortsnamenverzeichnis von Ettore Tolomei hat aufzwingen lassen. Demnach würde man Schutzhäuser gerne nach Orten in der unmittelbaren Umgebung benennen und für die »italienische« Bezeichnung ohne jegliche Not faschistische Erfindungen übernehmen. Wenn man aber Tolomeis Fälschungswerk freiwillig sogar auf neue Elemente wie die Schutzhütten anwendet, legitimiert man auch dieses nachträglich und verleiht ihm zusätzliche Sichtbarkeit.
Eine Bezugnahme auf das Durnwalder-Fitto-Abkommen, das unter massivem nationalistischem Druck zustandegekommen ist, halte ich sowieso für höchst fragwürdig. Immerhin hätte die Übereinkunft auch den Verzicht auf einige Erfindungen des sogenannten Prontuario vorgesehen, doch dazu kam es nie. Angewandt wird nur der Teil, der eine flächendeckende Reitalianisierung der Berge bewirkt.
Cëla enghe: 01
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