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Autorinnen und Gastbeiträge

Für die Ukraine.

Vor einem Jahr ließ der russische Kriegspräsident seine Soldaten in die Ukraine einmarschieren. Die jüngste Offensive zeigt, dass Putin an seinem Ziel festhält. An der Vernichtung der Ukraine.

Seit 2014 sind die Krim und zwei Verwaltungsbezirke in der Ostukraine russisch besetzt. Seit dem 24. Februar 2022 sind es mehr als 20 Prozent des ukrainischen Territoriums.

Russland befreit seine »russischen Schutzbefohlenen« von den ukrainischen Nazis, tönt der Kreml. Befreiung bedeutet am Beispiel Ukraine — Blaupause Syrien — Zerstörung von Dörfern und Städten, von Wohnhäusern, Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Theatern, Supermärkten, die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen, die Ermordung von Unbewaffneten, die Deportation von Kindern nach Russland.

Mehr als 14 Millionen BürgerInnen — die Opfer — flüchteten vor den marodierenden russischen Soldaten, den Wagner-Söldnern und den Kadyrow-Killern — die Täter.

Berlusconi gegen Selenskyj

Trotzdem tönte der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der europäische Trump-Vorläufer, er hätte niemals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Berlusconi bewertet Selenskyi als »sehr, sehr negativ«, nicht aber den russischen Kriegspräsidenten. Selenskyj hätte die ukrainischen Angriffe auf die angeblichen »Volksrepubliken« in der Ostukraine einstellen sollen, um die russische Invasion zu verhindern. Berlusconi betreibt Täter-Opfer-Umkehr, kein Wunder, er Berlusconi zählt zu den Männerfreunden — siehe auch der deutsche Ex-Kanzler Schröder — des »Kreml-Killers« Putin (Zitat John Sweeny).

Berlusconi regte an, die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, die Ukraine sollte kapitulieren und dafür im Gegenzug US-Milliarden für den Wiederaufbau erhalten.

Zur Erinnerung: Bei den letzten Europawahlen ging die SVP mit der Berlusconi-Partei Forza Italia eine »technische Verbindung« ein, das Ticket für Herbert Dorfmann nach Brüssel.

Meloni gegen Selenskyj

Berlusconi-Partnerin Giorgia Meloni von den rechtsradikalen Fratelli d’Italia legte nach. Das Treffen des französischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers mit Selenskyj in Treffen sei »politisch falsch« gewesen. Es schwäche den europäischen Zusammenhalt.

Eine beleidigte Meloni, weil sie zum Abendessen des Trios nicht eingeladen war? Nein, sie wäre gar nicht hingegangen, entgegnete die Fratelli-Schwester auf eine entsprechende Frage. Bekannt ist, dass die beiden anderen Meloni-Parntner Lega und Forza Italia putinfreundlich agieren. Für die Einstellung der westlichen Waffenlieferungen, die überfallene Ukraine den russischen Vergewaltigern überlassen.

Lega-Chef Matteo Salvini würdigte in den vergangenen Jahren immer wieder den Russen-Präsidenten Putin als vorbildhaften Politiker, der sich für sein Volk engagiert. Diese Putin-Aposteln sitzen auch in der Landesregierung, in einer Koalition mit der SVP. Neben der Lega pflegen aber auch die angeblichen Linkspopulisten von den Cinque Stelle pro-russische Beziehungen.

Südtirol für Putin

2014 ließen sich einige Gemeindepolitikerinnen von der SVP, allen voran die damalige Brixner Stadträtin Paula Bacher, nach Moskau einladen. Zu einer reaktionären »Mehrfamilienkonferenz«, eine Vorfeld-Veranstaltung von putinnahen Ideologen. Großes Verständnis für den russischen Kriegspräsidenten zeigte auch immer wieder die freiheitliche Landtagsabgeordnete Ulli Mair. Sie vereidigte die russische Annektion der Krim, sieht im Westen den Kriegstreiber. Die europäische Rechte versteht sich offensichtlich als pro-russisches Sprachrohr, egal ob es sich dabei um die AfD handelt, die österreichischen Freiheitlichen, den französischen RN, die Lega, FI oder eben um die Südtiroler Freiheitlichen.

Angedockt an diese Rechte ist auch eine gewissen Linke. Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine demonstrierten Linksradikale vor der NATO-Basis in Venetien. Gegen die NATO, nicht gegen Russland. Gegen die jetzt angelaufene Sicherheitskonferenz in München kündigten linke Gruppen ebenfalls Proteste und Kundgebungen an. Gegen die Sicherheitskonferenz, nicht gegen Russland.

Große Teile der Linken drücken an einer konsequenten Verurteilung Russlands eiertanzend herum, irrlichtern von einem provozierten Krieg, machen die USA und die NATO als die eigentlichen Täter aus. Politschwurbelei auf Kosten der ukrainischen Opfer.

Von linken Verharmlosern

Als im Herbst 2021 die russische Armee zehntausende Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammenzog, konnte das linke Online-Magazin Telepolis keine Gefahr für die Ukraine erkennen. »Es ist offenbar egal, was die Russen dort treiben, das Urteil der Nato steht in jedem Fall fest: Jeder Aufmarsch von Truppen in Russland in der Nähe der Ukraine wird so behandelt, als ob die Ukraine bereits ein Teil der Nato sei«, giftete Telepolis.

Entrüstet wiesen die Telepolis-Linken die ukrainische Warnung vor einer westlichen Appeasement-Politik zurück. Denn Putin sei kein neuer Hitler, »dem wir Antifaschisten Einhalt gebieten müssen«. Ein neuer Hitler nicht, wohl aber ein neuer Stalin. Das fällt wohl aus dem Tätigkeitsbereich der Antifaschisten Marke Telepolis.

Telepolis empfahl großzügig deutsch arrogant der Ukraine neutral zu bleiben zwischen dem »westlichen Block« und Russland. Die NATO versuche aber alles, wusste Telepolis, die Ukraine aufzurüsten und an das Bündnis heranzuführen. Ein Fall von NATO-Aggression: »Ob ein russischer Angriff auf die Ukraine tatsächlich vor der Tür steht, wie es uns die US-Geheimdienste und die Biden-Regierung glauben machen wollen, lässt sich nur schwer beurteilen. Was sich aber sicher sagen lässt ist, dass die Situation überaus heikel ist und dass viele der russischen Vorwürfe, die derzeit so empört als Hirngespinste zurückgewiesen werden, alles andere als aus der Luft gegriffen sind.«

Linke Putin-Lautsprecher

Telepolis, ein Kreml-Lautsprecher in Deutschland? Ja, zweifelsohne. Das Magazin zitierte den stellvertretenden Außenminister Sergej Rjabkow, Russland habe »keine Intentionen, die Ukraine anzugreifen«. Das NATO-kritische Magazin hinterfragt alle westlichen Positionen, nicht aber die russischen. Ganz in diesem Sinne räumt Telepolis der Erklärung des russischen Außenministeriums von Mitte Dezember 2021 breiten Raum ein, erstveröffentlicht in der marxistischen Jungen Welt. Russland wirft darin der NATO vor, die ukrainischen Schützlinge zu aggressiven Schritten anzutreiben.

Völlig blind und kremlhörig, offensichtlich empfinden diese Linken den pompösen Mafia-Staat Russland als proletarisch, die rote Fahne samt Hammer und Sichel zählt ja den Armee-Aufmärschen, genauso die Huldigung von Stalin-Denkmälern. Dieses Russland scheint noch immer ein Sehnsuchtsland bestimmter Linker zu sein. Inzwischen auch für europäische und US-amerikanische Rechte. Kriegspräsident Putin hantiert mit völkischen »Ideen«, mit Rassismus, Militarismus und militantem Schwulenhass. Ein toxischer Cocktail.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Linke Zeitung den rechten Blogger und Corona-Schwurbler Thomas Röper den »angeblichen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze« kommentieren ließ — als NATO-Kriegspropaganda:

Deutsche Medien überschlagen sich seit über einer Woche mit Meldungen, russische Truppen würden an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Erstens ist das unwahr, wie die präsentierten Satellitenbilder beweisen, und zweitens wird der Aufmarsch von Nato-Truppen in der Ukraine verschwiegen.

Seit einem Jahr eskaliert Russland massiv seinen Krieg gegen die Ukraine. Derzeit steht die Ukraine mit dem Rücken zur Wand. Es schaut nicht gut aus. Dieser Eskalation kann die Ukraine wenig entgegensetzen, trotz der Ankündigungen von EU und NATO, mit robusten Waffen ihre Verteidigung zu stärken. Vielleicht wollen die angeblichen Verbündeten gar nicht, dass die Ukraine diesen Angriffskrieg erfolgreich zurückschlägt.

Bröckelnde Solidarität

In der EU rumort es, gegen die europäische Solidarität für die Ukraine. Der rechte ungarische Ministerpräsident Orban ist keine Ausnahme, sondern die Speerspitze. Links- und rechtsradikale Parteien stehen — aus unterschiedlichen Gründen — auf Putins Seite, gegen die USA. Die deutsche Linke, die italienische Lega, das französische RN. Die rechtsradikale AfD, die weichgespülten Erben der Nazis, positioniert sich als Friedenspartei gegen europäische und US-amerikanische Waffenlieferungen. Der völkische Putin ist der AfD näher als der liberale Demokrat Joe Biden. Eine Neuauflage einer alten Achse, 1939, der Hitler-Stalin-Pakt.

Die Feministin Alice Schwarzer und die Linke Sahra Wagenknecht wenden sich mit ihrem Manifest für Frieden gegen die weitere »Eskalation der Waffenlieferungen«. Ähnliches schwafelt der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, stellvertretend für viele ostdeutsche CDU-PolitikerInnen. Die Feministin, die Linke und der CDUler haben eine Botschaft: »Wenn wir aufhören der Ukraine Waffen zu liefern, können sie auch nicht mehr solange Widerstand leisten. Dann muss verhandelt werden. Und der Krieg endet dann.« Egoistisch, kaltschnäuzig, Propaganda im Sinne Putins.

Sie empfehlen beiden Seiten, dem Täter und seinem Opfer, Kompromisse. Wahrscheinlich soll die Ukraine auf die annektierte Krim sowie auf die besetzten südlichen und östlichen Teile verzichten, Russland auf einen westlichen Weitermarsch.

Die Volksverpetzer kommentieren diese Aufrufe zur Kapitulation folgendermaßen:

Die naive und brutale Forderung, dem kriegstreibenden Diktator doch einfach gewinnen zu lassen, wird durch pseudo-pazifistische Rhetorik kaschiert. Im Endeffekt nutzen die Forderungen aus der Petition vor allem einem: Putin.

Beim serbischen Eroberungskrieg in Bosnien in den 1990er Jahren bestrafte der Westen Bosnien mit einem Waffenembargo. Während nämlich die serbischen Milizen von Serbien und Russland hochgerüstet waren, verfügte die bosnische Armee nur über geringe alte jugoslawische Bestände. Das Ergebnis ist bekannt, Massenvergewaltigungen, Massenmorde, Vertreibungen, zerstörte Dörfer und Städte, die Opfer meist Zivilisten. Ein Friedhofs-Frieden war die Folge, offensichtlich streben die westlichen Putin-Freunde dies auch für die Ukraine an.

Derzeit versucht die publizistische Linke, mit den Rechtsradikalen im Schlepptau, ihre alte Mär weiterzustricken. Verzweifelt versucht Telepolis, die USA zum Kriegstreiber hochzuschreiben, dem russischen Ukraine-Krieg zum Trotz. Immer wieder behauptet Telepolis, die USA seien für die Sprengung der Ostsee-Pipeline verantwortlich. Das soll US-Journalist Hersh der Biden-Regierung vorwerfen. Die pro-russischen Weichspüler von Telepolis huldigen ihrem Kriegspräsidenten, Superstar Putin. Der Grüne Toni Hofreiter hingegen wird zum Kriegshetzer.

Putins nützliche Idioten

Ähnlich die »linken« Nachdenkseiten, die recht offensiv mit dem russischen Propagandasender RT zusammenarbeiten. Der russische Krieg wird ausgeblendet, die Ukraine mit einem russischsprachigen jüdischen Präsidenten und ebenfalls russisch sprechenden jüdischen Ministerpräsidenten zum Nazi-Monster hochgeschrieben. Auf selbstgestellte Fragen wie »warum unterstützen die USA seit etwa 20 Jahren die Ukraine?« oder »haben sie es darauf angelegt, den Beitritt der Ukraine zur NATO voranzubringen?« und »haben die USA Putin provoziert?« gibt Nachdenkseiten zu erwartende Antworten.

Und: Der rechte Thomas Röper vom »Verschwörungsorgan« Anti-Spiegel darf ungestraft die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine wegschreiben.

Solche Beispiele gibt es noch viele. Die Journalistin Melina Borčak brachte es drei Tage nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine auf der Seite der Volksverpetzer (in Was Medien beim Berichten zur Ukraine falsch machen) auf den Punkt:

Hoffentlich ist dies nun gut erklärt und Redaktionen hören auf, Putins Behauptungen mit Fakten gleichzustellen. Es gibt aber auch eine andere Seite der Medaille: Wenn Fakten als Behauptungen aufgestellt werden. Zum Beispiel: “Die Ukrainische Regierung betrachtet die Gebiete im Osten als eigenes Staatsgebiet unter Okkupation.” Klar betrachtet sie es so, weil es so ist. Es ist einfach Fakt.

Kaum Länder außer Russland erkennen die Unabhängigkeit der “Volksrepubliken” an. Diesen Fakt als “Sicht der ukrainischen Seite” darzustellen ist journalistisch ebenfalls nicht korrekt.

Das waren Analysen zu Berichterstattung ohne Fehler. Aber zu guter Berichterstattung gehört viel mehr, als keine Fehler zu machen. Es ist sehr wichtig, die heutigen Geschehnisse historisch zu kontextualisieren – nicht nur durch den Krieg seit 2014.

Der Holodomor, Stalins Genozid an Ukrainern, kostete vier Millionen Menschenleben. Die Vertreibung und der Genozid an Krimtataren, einer muslimischen Volksgruppe aus der Ukraine gehört auch dazu. Auch die Russifizierung der Ukraine, Unterdrückung während der Zeit der Sowjetunion sowie Kolonialisierung sind tief ins Ukrainische Gedächtnis eingebrannt. Menschen, deren Großeltern Genozid überlebten und über das Grauen berichteten, haben weitere Motive, um hart und entschlossen gegen eine neue Invasion Putins zu kämpfen – egal ob sie christliche oder muslimische Bürger*innen der Ukraine sind.

Das ist historischer Kontext, der untrennbar zur ukrainischen Geschichte gehört, wie die Berliner Mauer oder die NS-Zeit zur deutschen.“

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Autorinnen und Gastbeiträge

Europäische Heuchler.
Katar-WM

Die angebliche Wertegemeinschaft der Europäer ist nicht mehr als Schall und Rauch

Der unsympatische FIFA-Chef Gianni Infantino weiß worüber er spricht, wenn er die Europäer als Heuchler beschimpft. Infantino, Bürger Katars und Freund der dortigen elitären Oligarchen, wurde nicht von ungefähr Nachfolger des genauso unsympathischen Joseph Blatter, auch er Schweizer.

Infantino führt fort, was Blatter anstieß. Menschenrechte? Fehlanzeige. Unter der Regie von Blatter vergab die FIFA die Fußball-WM an Russland und an Katar. An zwei Staaten, die das glatte Gegenstück zur rechtsstaatlichen EU sind. Seit Februar führt Russland Krieg gegen die Ukraine, Katar hält Arbeitssklaven, verfolgt Schwule und Lesben, finanziert islamistische Terrormilizen in Syrien. Egal, so lange das Geschäft stimmt, kümmert sich im Westen weder die Wirtschaft noch ihre politischen Fürsprecher darum. Klassische Heuchelei, dokumentiert GfbV-Referent Kamal Sido die westliche Doppelmoral.

Deutschland, der Möchtegern-Musterknabe, exerzierte dies in den vergangenen 30 Jahren im Lichte der Öffentlichkeit vor. SPD wie CDU gingen vor dem russischen Präsidenten Putin in die Knie, manövrierten die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft in die energiepolitische Abhängigkeit des mafiösen russischen KGB-Staates. Auf Kosten der Osteuropäer — Deutschland verkaufte die Ukraine an Russland, primär waren für deutsche Politiker die angeblichen russischen Sicherheitsinteressen, nicht jene der Ukraine. Das gab es schon einmal, als sich Hitler und Stalin das östliche Mitteleuropa aufteilten.

Katar ist wie Russland, reich an begehrten Rohstoffen. Das Land besitzt mehr als zwölf Prozent der weltweiten Gasreserven und zählt zu den wichtigsten Exporteuren von Flüssiggas (LNG). Seine gewaltigen Einnahmen aus der Erdgasproduktion investierte Katar in den internationalen Märkten und baute damit seine wirtschaftlichen Partnerschaften aus. Gazprom lässt grüßen.

Katar ist durch und durch islamistisch, mit dem Iran und mit der Türkei befreundet, finanziert die antiisraelische palästinensische Hamas, hält Kontakte zu den afghanischen Taliban, sucht diversifizierend die diplomatische Nähe zu westlichen Staaten und kauft großzügig deutsche Rüstungsgüter. Fast ein Drittel der deutschen Rüstungsexporte ging 2019 nach Katar. Besonders schwungvoll war der Waffenhandel zwischen Deutschland und Katar in der Ära Merkel. Diese Haltung verwundert nicht: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) polierte das Image von Katar auf. Katar, angeblich ein prowestlicher Vermittler. Eine wissenschaftliche Schönfärberei, Selbstbetrug oder — um Infantino zu zitieren — unterwürfige Heuchelei?

Heuchelei pur. Infantino kennt seine Pappenheimer, die deutsche Nationalmannschaft und die übrigen europäischen Teams. Sie kündigten großspurig an, mit Protestbinden bei den WM-Spielen auftreten zu wollen. One love, als Protestnote gegen das Hater-Regime von Katar. Die europäischen Mannschaften wollen für ihre Werte einstehen: Rechtsstaat, Demokratie, Freiheit, Menschenrechte. Die milliardenschwere und diktatorenfreundliche FIFA untersagte den Auftritt mit den Armbinden. Die Teams aus Europa knickten ein. Peinlich, zum Schämen.

Das Gegenstück dazu ist das iranische Team. Beim Abspielen der Nationalhymne schwiegen die Spieler »lautstark«, in Solidarität mit ihren protestierenden Landsleuten. Das iranische Fernsehen brach die WM-Übertragung ab. Sollten die iranischen Fußballern in ihre Heimat zurückkehren wollen, drohen ihnen harte Konsequenzen. Den mit Protestbinden auflaufenden schwerverdienenden europäischen Fußballer wäre nach ihrer Rückkehr nach Europa nichts passiert. Infantino beschimpfte die Europäer nicht zu Unrecht als doppelmoralische Heuchler.

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BBD

Die Zerstörung der SVP.

Am Freitag hat die SWZ wieder das Ergebnis einer sogenannten Sonntagsfrage veröffentlicht, bei der abgefragt wurde, was die Wählerinnen ankreuzen würden, wenn am Wochenende ein neuer Landtag gewählt würde. Wie immer handelt es sich auch bei dieser Erhebung des Sozialforschungsinstituts Apollis um eine Momentaufnahme und nicht um eine Prognose, da sich bis zum tatsächlichen Wahltermin noch einiges ändern könnte, insbesondere auch Meinungen und Prioritäten der Befragten.

Dennoch zeichnen solche Umfragen ein wichtiges Stimmungsbild, und das ist in diesem Fall gerade für die Mehrheitspartei wenig schmeichelhaft. Nur noch 37% würden demnach heute das Edelweiß ankreuzen1Ergebnis LTW 2018: 41,9% – Sonntagsfrage Juni 2021: 43% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 42%, während vor allem die Grünen — auf sage und schreibe 17% — zulegen könnten2Ergebnis LTW 2018: 6,8% – Sonntagsfrage Juni 2021: 13% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 14%. Sie wären dann, begünstigt auch durch die Sorge um den Klimawandel, schon fast halb so stark wie die SVP.

Verbessern würden sich auch die Freiheitlichen (auf 8%)3Ergebnis LTW 2018: 6,2% – Sonntagsfrage Juni 2021: 4% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 6% und FdI (auf 6%)4Ergebnis LTW 2018: 1,7% – Sonntagsfrage Juni 2021: 2% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 4%. PD5Ergebnis LTW 2018: 3,8% – Sonntagsfrage Juni 2021: 6% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 4% und 5SB6Ergebnis LTW 2018: 2,4% – Sonntagsfrage Juni 2021: 2% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 1% könnten das magere Ergebnis der letzten Landtagswahl in etwa halten, während TK7Ergebnis LTW 2018: 15,2% – Sonntagsfrage Juni 2021: 9% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 8%, STF8Ergebnis LTW 2018: 6% – Sonntagsfrage Juni 2021: 7% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 7% und Lega9Ergebnis LTW 2018: 11,1% – Sonntagsfrage Juni 2021: 10% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 8% die Werte von 2018 nicht mehr erreichen könnten.

Eine derart geschwächte Volkspartei wäre zwar nach innen — also in Südtirol — ein Beitrag zur Pluralisierung; nach außen hin, insbesondere auf staatlicher Ebene, könnte ein Absturz der großen Minderheitenpartei, wie wohl auch Oppositionelle einräumen würden, mitunter als Zeichen missverstanden werden, dass den Südtirolerinnen die Autonomie nicht mehr so wichtig ist. Umso besorgniserregender wäre dies, falls Italien demnächst tatsächlich eine weit rechte Regierung erhielte.

Dafür trägt die SVP, die

  • sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt;
  • immer öfter als Freunderl-, Selbstbedienungs- und Lobbypartei wahrgenommen wird;
  • das Soziale ebenso häufig vernachlässigt wie ihre einstigen Kernthemen (Autonomieausbau, Minderheitenschutz…) und
  • noch nicht einmal eine klare Abgrenzung zur postfaschistischen FdI auf die Reihe kriegt

allerdings die fast alleinige Schuld. Genausowenig wie Rezo damals als Überbringer der schlechten Nachricht für die »Zerstörung« der CDU verantwortlich war, sind hierzulande Journalistinnen, die wenig erbauliche Machenschaften und Skandale in der Volkspartei aufdecken, für deren Zerstörung verantwortlich — wiewohl sich das offenbar einige in der Sammelpartei einreden wollen.

Bei der SVP-Landesversammlung vom Samstag waren zumindest schon einige Töne zu vernehmen, die man als Schritt in die richtige Richtung werten könnte. Ob den Worten auch Taten folgen werden und welche Linie sich schlussendlich durchsetzt, muss sich aber erst zeigen.

Spätestens im Herbst 2023 steht dann aber keine Sonntagsfrage mehr an. Wenn beim Ergebnis der Volkspartei auch dann noch eine drei vorne steht, wird es für Arno Kompatscher10sofern er noch einmal antritt, Philipp Achammer und alle anderen in der Partei ungemütlich.

Siehe auch ‹1 ‹2

  • 1
    Ergebnis LTW 2018: 41,9% – Sonntagsfrage Juni 2021: 43% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 42%
  • 2
    Ergebnis LTW 2018: 6,8% – Sonntagsfrage Juni 2021: 13% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 14%
  • 3
    Ergebnis LTW 2018: 6,2% – Sonntagsfrage Juni 2021: 4% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 6%
  • 4
    Ergebnis LTW 2018: 1,7% – Sonntagsfrage Juni 2021: 2% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 4%
  • 5
    Ergebnis LTW 2018: 3,8% – Sonntagsfrage Juni 2021: 6% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 4%
  • 6
    Ergebnis LTW 2018: 2,4% – Sonntagsfrage Juni 2021: 2% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 1%
  • 7
    Ergebnis LTW 2018: 15,2% – Sonntagsfrage Juni 2021: 9% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 8%
  • 8
    Ergebnis LTW 2018: 6% – Sonntagsfrage Juni 2021: 7% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 7%
  • 9
    Ergebnis LTW 2018: 11,1% – Sonntagsfrage Juni 2021: 10% – Sonntagsfrage Jänner 2022: 8%
  • 10
    sofern er noch einmal antritt
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Autorinnen und Gastbeiträge

Wer war Stepan Bandera?

Sicher kein Idol für eine demokratische und unabhängige Ukraine.

Der 1909 im ostgalizischen Dorf Staryj Uhryniw (heute Iwano-Fran­kiw­sk/U­kraine) geborene Bandera trat 1929 in die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) ein, war 1932 eine der versiertesten Propagandisten und koordinierte die Terroranschläge im polnischen Ostgalizien. Den Terror sah Bandera als Teil einer »per­ma­nen­ten Revo­lu­tion«, die später in die »natio­nale Revo­lu­tion« münden sollte. Ziel: Die Errich­tung eines ukrai­ni­schen Staates.

Zu den spektakulärsten Anschlägen der Bandera-Terroristen zählte die Ermor­dung des pol­ni­schen Innen­mi­nis­ters Bro­nisław Pier­acki 1934 in Warschau. In zwei Prozessen 1935 und 1936 wurde Bandera zum Tode verurteilt, das Urteil aber letztendlich in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt.

Bandera nutzte die Prozesse gekonnt für seine Propaganda, weigerte sich, Polnisch zu sprechen, verwendete nur seine ukrainische Muttersprache. Die Tumulte im Gericht rückten Bandera ins mediale Interesse, er wurde zum Sprachrohr der ukrainischen Nationalisten.

Aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts besetzte die Rote Armee die Westukraine, die OUN-Nationalisten und ihr bewaffneter Arm, die UPA, leisteten dagegen Widerstand. Nach dem Angriff des Dritten Reichs auf die Sowjetunion rückte 1941 die deutsche Wehrmacht in die Ukraine ein. Die OUN bot sich als Bündnispartner an. Viele OUN-Mitglieder beteiligten sich an den Massakern der Wehrmacht und der Sonderkommandos an den jüdischen UkrainerInnern.

Die ukrainischen Nationalisten begrüßten den Einmarsch der Wehrmacht, empfanden sie als Verbündete gegen die Sowjets und als Partner bei der Gründung des ukrainischen Staates. Die OUN rief am 30. Juni 1941 in Lwiw, im ehemaligen habsburgischen Lemberg, den unabhängigen ukrainischen Staat aus. Nicht mit dabei war Stepan Bandera, den die Gestapo verhaftet hatte. Nazideutschland unterband die Staatsgründung, die Nazis hatten mit der Ukraine anderes vor, die Ausplünderung und einen erbarmungslosen Krieg gegen die »slawischen Untermenschen«.

Für viele WestukrainerInnen galt die Proklamation als ein Akt der nationalen Selbstbehauptung, der Erneuerung ukrainischer Staatlichkeit. Verdrängt wurde erfolgreich der von Bandera gepflegte Totalitarismus und seine bedingungslose Nähe zu Nazideutschland. Bandera wollte letztendlich, schreibt Historiker Wilfried Jilge, nur einen faschis­ti­schen Satel­li­ten­staat, der der kroa­ti­schen Usta­scha weit näher­kam als einer wirk­li­chen Unabhängigkeit.

Bandera nutzte seine Unterwürfigkeit wenig, er kam ins KZ Sachsenhausen, seine Brüder nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden — wie andere OUN-Aktivisten auch. Sie waren der alles durchdringenden nationalsozialistischen Kolonialisierung der Ukraine im Weg. Im Untergrund organisierten die abgetauchten OUN-Militanten 1942/43 die Ukrainische Aufstandsarmee UPA, in die auch ukrainische Hilfspolizisten eintraten, die sich an deutschen Massenmorden an Juden beteiligt hatten.

Nachdem die sowjetische Armee die gesamte Ukraine wieder unter ihre Kontrolle bekommen hatte, ließen die Nazibehörden Bandera frei und suchten wieder eine Zusammenarbeit mit den ukrainischen Nationalisten. Stepan Bandera gründete den Ukrainischen Nationalkongress, den der NS-Staat als legitimen Vertreter der ukrainischen Nation anerkannte. Die OUN und die UPA schienen sich aber von Bandera entfernt zu haben.

Die UPA bekämpfte die deutsche Zivilverwaltung, die Sicherheitspolizei, den SD. UPA-Partisanen versuchten, ZwangsarbeiterInnen zu befreien. Die ukrainische Untergrundarmee führte einen Zweifrontenkrieg, gegen die Rote Armee und gegen die NS-Besatzungsbehörden. Nach der Niederlage des Dritten Reichs hofften die ukrainischen Nationalisten auf westliche Bündnispartner im Kampf gegen die Sowjetunion.

In der westlichen Ukraine hielt der UPA-Widerstand gegen die sowjetischen Besatzer bis 1949 an, bis in die 1950er Jahre gab es antisowjetischen Aktivitäten. Gegen die hochgerüstete und siegreiche Rote Armee sowie gegen die sowjetischen Sicherheitskräfte hatte der ukrainische Widerstand aber keine Chance, das Land war ausgeblutet. Bandera versuchte noch 1945 in Wien, eine OUN-Exilorganisation zu gründen, die wegen interner Auseinandersetzungen in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Bandera setzte sich nach Bayern ab, wo er 1959 von einem KGB-Agenten ermordet wurde.

Der sowjetische Propagandakrieg gegen Bandera, gegen OUN und UPA ging weiter und wurde auch von der ukrainischen Sowjetrepublik sorgfältig gepflegt. Im Visier waren besonders in der Westukraine AutorInnen und BürgerrechtlerInnen, allesamt als bürgerliche Nationalisten verunglimpft. Erben von Bandera, gifteten die Sowjetbehörden.

Erst der Zusammenbruch der totalitären Sowjetunion ermöglichte 1991 den ukrainischen Frühling. Bei einem Referendum stimmte die Ukraine fast geschlossen für die staatliche Unabhängigkeit. In einer gemeinsamen Erklärung 2014 wandten sich die ehemaligen Präsidenten Krawtschuk, Kutschma und Juschtschenko an den russischen Präsidenten Putin, seine »aggressive Außenpolitik« gegenüber der Ukraine aufzugeben.

Ausgerechnet der demokratische Hoffnungsträger Juschtschenko erklärte Stepan Bandera ohne Not zum Nationalhelden. Bandera und seine Proklamation einer unabhängigen Ukraine — gerichtet gegen die Nazis und die Sowjets — galt als Richtschnur des politischen Handelns der jungen selbständigen ukrainischen Republik. Offensichtlich gaben die Versuche einer staatlichen Eigenständigkeit im Ersten Weltkrieg nichts her, nicht die proklamierte ukrainische Sowjetrepublik 1917, nicht der 1918 vom zaristischen General Pawlo Skoropadsky — mit Unterstützung Deutschlands und Österreich-Ungarns — gegründete ukrainische Staat, nicht die 1918 entstandene Westukrainische Volksrepublik und auch nicht die anarchistische Bauernföderation von Nestor Machno in der Zentralukraine. Gegen diese ging die Rote Armee mit besonderer Brutalität vor. Mehr als eine Million Machno-Anhänger metzelten die Rotgardisten nieder.

Als eine Ironie der Geschichte beschreibt die Historikerin Franziska Davies, dass ausgerechnet die Sowjetmacht mit der Gründung der ukrainischen SSR jene Grenzen zog, die Russland heute mit seinem Krieg radikal verändert. Die Sowjets setzten damals letztendlich den Traum von Bandera in die Realität um.

Für den polnischen Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe eignet sich Bandera trotzdem nicht als Vater der ukrainischen Selbständigkeit. Bandera war Faschist, strebte einen faschistischen Satellitenstaat an, der ethnisch homogen war und deshalb von Nicht-UkrainerInnen »gesäubert« werden musste. Für die Umsetzung dieses Staatskonzepts war Bandera verantwortlich und somit auch für die damit zusammenhängenden Verbrechen. Grzegorz Rossoliński-Liebe arbeitete besonders die UPA-Verbrechen gegen die polnische Bevölkerung in Galizien auf. Die ehemals vorherrschende gegenseitige Ablehnung hat eine Vorgeschichte.

Die polnische Elite des habsburgischen Galiziens unterdrückte die ukrainische Mehrheitsbevölkerung auf vielfältige Weise. Zwischen 1918 und 1919 führten die nach dem Zusammenbruch des Zaren- und des Habsburgerreiches entstandene polnische und ukrainische Republik Krieg um Ostgalizien. Die polnischen Milizen verteidigten erfolgreich Lemberg gegen die ukrainische Armee, General Pilsudski ließ massenhaft Ukrainer internieren, besonders Angehörige der Intelligenzija und nationalbewusste Ukrainer. Bauern wurden ausgepeitscht und Dörfer niedergebrannt.

Die polnische Armee ging nicht nur repressiv gegen die ukrainische Bevölkerung vor, im Visier waren auch die ukrainischen Juden. Ihnen warf die polnische Armee vor, die ukrainische Staatsgründung zu unterstützen. Das östliche Galizien wird nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf der Pariser Friedenskonferenz Polen zugeschlagen.

Die nationalen Bruchstellen in dieser ethnisch Mix-Region blieben nicht folgenlos. Die Warschauer Historikerin Bogumila Berdychowksa widmete ihre Recherche der vergessenen Geschichte der ukrainischen Bevölkerung in Polen. Eine Geschichte voller Tabus.

Polen verdrängte lange seine Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung im polnisch-ukrainischen Krieg 1944-1947 und die Massenumsiedlung von 150.000 UkrainerInnen aus Südost-Polen in die polnisch gewordenen ehemaligen deutschen Ostprovinzen zwischen Masuren und Oberschlesien.

Dem ging ein sogenannter Bevölkerungsaustausch zwischen der Volksrepublik Polen und der ukrainischen Sowjetrepublik voraus. Aus dem ehemaligen Galizien, der Westukraine, wurden auch unter Zwang mehr als 800.000 Polen »umgesiedelt«, aus Polen eine halbe Million UkrainerInnern. Mehr als 1,7 Millionen Menschen mussten 1947 die polnischen Ostgebiete verlassen, die Teil der weißrussischen Sowjetrepublik wurden.

Ethnische Säuberungen, vorexerziert zwischen 1939 und 1940 von Nazideutschland und der Sowjetunion im Rahmen des Hitler-Stalin-Pakts.

Trotz des Völkermordes Nazideutschlands an der polnischen Nation war die Vertreibung der Ostpreußen, der Pommern und der Schlesier keineswegs eine humanitäre Aktion. Die Vertreibung, die von den Alliierten als Aussiedelung beschönigt wurde, war nichts anderes als ein Verbrechen.

Angesichts der Geschichte in den »bloodlands« — um den US-amerikanischen Historiker Timothy Synder zu zitieren — ist der ukrainische Faschist Stepan Bandera nicht mehr als eine blutige historische Fußnote. Er eignet sich aber zweifelsohne nicht, Pate einer unabhängigen demokratischen Ukraine zu sein.

Der ehemalige ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnik, ist mit seinen Verharmlosungen eines Faschisten nicht allein.

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi lobte den faschistischen »Duce«, Mussolini, er sei der wichtigste italienische Staatsmann gewesen. Faschistische Hierarchen legten im Nachkriegsitalien steile politische Karrieren hin, wie der Mitautor der faschistischen Rassengesetze, Amintore Fanfani, als christdemokratischer Ministerpräsident. Laut Umfragen würden mehr als 23 Prozent der ItalienerInnen die faschistischen Enkel von den Fratelli d’Italia wählen.

Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Frankreich konnte die rechtsradikale Marine Le Pen ihre Wählerbasis beträchtlich ausbauen.

In Spanien gründeten ehemalige Mitstreiter des faschistischen Generals Franco nach seinem Tod die rechtskonservative spanische Volkspartei PP. Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit? Fehlanzeige. Im Gegenteil. Die neuen spanischen Faschisten von der Vox-Partei bekennen sich ungeniert zu General Franco.

Nicht von ungefähr warnte die Historikerin Franziska Davies die deutsche Öffentlichkeit, mit dem Finger auf die angebliche ukrainische Verherrlichung des Faschisten Bandera zu zeigen.

Die Aufarbeitung der Nazivergangenheit in Deutschland begann auch erst in den frühen 1970er Jahren. Der erste Bundeskanzler, Konrad Adenauer (CDU), hatte sich noch den Verwaltungsjuristen Hans Globke, Mittverfasser der Nürnberger Rassengesetze, als Chef des Bundeskanzleramtes ins Kabinett.

Der naziverseuchte Justizapparat bremste lange den Generalstaatsanwalt von Hessen, Fritz Bauer, und seine Ermittlungen gegen die Täter im Vernichtungslager Auschwitz aus. Nazijuristen machten in der deutschen Justiz ungehindert Karriere. Der NS-Marinerichter Hans Filbinger von der CDU wurde Ministerpräsident in Baden-Württemberg. Im Apparat des deutschen Außenministeriums saßen lange Zeit unbehelligt Mitarbeiter und Diplomaten aus der NS-Zeit.

Bandera eignet sich zweifelsohne nicht als Idol ukrainischer Staatlichkeit, aber genauso wenig als Kronzeuge für eine vitalen ukrainischen Faschismus.

Serie I II III

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Autorinnen und Gastbeiträge

Boykottiert Putin!

In einem Offenen Brief fordern europäische Intellektuelle einen Importstopp für russisches Öl und Gas

Eine ganze Reihe von Persönlichkeiten appelliert an die EU und ihre Mitgliedsstaaten, auf russisches Öl und Gas zu verzichten. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs zählen beispielsweise Charlotte Knobloch, ehemalige Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, der CDU-Politiker Norbert Röttgen, Constanze Stelzenmüller vom Brookings Institution in Washington, der Berliner Pianist Igor Levit und der bei Putin in Ungnade gefallene Oligarch Michail Chodorkowski.

Die Unterzeichnenden erinnern daran, dass die EU seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine russisches Öl, Gas und Kohle im Wert von bald 20 Milliarden Euro importiert hat. Diese Devisen halten die Kriegsmaschine am Laufen.

Der geforderte Boykott, ein Kraftakt zweifelsohne, finden die UnterzeichnerInnen, aber bitter notwendig:

Die Europäische Staatengemeinschaft muss alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um den vernichtenden Krieg gegen die Ukraine, die Zerstörung ganzer Städte und unendliches Leid der Zivilbevölkerung aufzuhalten.

Ein Appell, der von UnternehmerInnen, außenpolitischen ExpertInnen, WissenschaftlerInnen, ehemaligen und aktuellen Abgeordneten sowie zahlreichen Vertretern der Zivilgesellschaft mitgetragen wird. Sie alle eint der Appell, »unserer historischen Verantwortung des “Nie wieder” angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gerecht zu werden«, begründet das Zentrum Liberale Moderne die Initiative. Es ist eine große Kraftanstrengung notwendig, um die Folgen dezeitlich begrenzten Boykotts gegen Russland abzufedern. »Aber die Kosten eines halbherzigen Handelns könnten sehr viel höher werden,« warnen die AutorInnen des Offenen Briefes.

»Deutschland hat immer wieder beschworen«, zitiert das Zentrum Liberale Moderne den Pazifisten-Slogan, »dass es “Nie Wieder” Eroberungskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben darf«, »heute ist die Stunde gekommen, dieses Gelöbnis einzusen«. Es müsse alles versucht werden, Putins Kriegsmaschine mit politischen und ökonomischen Möglichkeiten zu stoppen.

Es geht um unsere Verantwortung vor der Geschichte und um Europas Zukunft. Wir müssen handeln. Jetzt.

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Anything goes!
Europäische Volkspartei unterstützt Berlusconis Kandidatur zum Staatspräsidenten

Als Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei unterstütze ich Berlusconi für die Präsidentschaft der Republik, weil er gezeigt hat, dass er das Bewusstsein hat, um das Amt zu bekleiden.

Mit diesen Worten würdigte der vormalige EVP-Spitzenkandidat auf die Kommissionspräsidentschaft, Manfred Weber (CSU), in einem Corriere-Interview den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten.

Für das Südtiroler EVP-Mitglied im Europaparlament, Herbert Dorfmann (SVP), sind Webers Aussagen laut RAI Südtirol nur “logisch und konsequent”, denn immerhin sei Silvio Berlusconi Mitglied der EVP.

Das ist eine neuerliche, unglaubliche moralische und politische Bankrotterklärung in einer an moralischen und politischen Bankrotterklärungen nicht gerade armen Zeit.

Das offenbar alleinige Kriterium ist für Dorfmann also, dass Berlusconi Mitglied der EVP ist, denn alles andere kann es doch wohl nicht sein, was Berlusconi in irgendeiner Weise zum Staatspräsidenten, also dem Hüter der Verfassung, qualifizieren könnte.

Berlusconi aka Bunga-Bunga

  • ist ein vierfach verurteilter Straftäter (Steuerbetrug und illegale Schwarzgeldzahlungen, rechtswidrige Beihilfen, unlauterer Wettbewerb, Bruch des Amtsgeheimnisses).
  • ist anderen Verurteilungen (Meineid, Bilanzfälschung, Schmiergeldzahlungen, Bestechung) nur entgangen, weil er entweder Nutznießer einer Amnestie wurde oder weil die Straftaten verjährt sind. Wobei letzteres vielfach nur möglich war, weil es in Italien die absurde Regelung gibt, dass die Prozessdauer zur Verjährungsfrist gezählt wird und Berlusconis Anwälte die Verfahren in die Länge zogen. Zudem hat Berlusconi als Ministerpräsident für maßgeschneiderte Gesetze gesorgt, die Straftaten aufhoben, für die er beschuldigt wurde.
  • war Mitglied der vom Faschisten Licio Gelli geleiteten Geheimorganisation und Freimaurerloge “Propaganda Due” (P2), die einen Staatsstreich mit terroristischen Mitteln plante, und mögliche Beziehungen zur sizilianischen Mafia sind nach wie vor ungeklärt.
  • brüstete sich öffentlich damit, den – zumindest in der italienischen Politik geltenden – antifaschistischen Grundkonsens aufgekündigt und die Faschisten legitimiert und in die Regierung geholt zu haben. Seine jetzige Kandidatur zum Staatspräsidenten wird konsequenterweise dann auch von den neofaschistischen FdI und der rechtsradikalen Lega unterstützt.
  • war als Regierungschef und Mediaset-Boss in massive Interessenskonflikte involviert, wodurch auch die Pressefreiheit in Italien nachweislich Schaden genommen hat.
  • wurde der Förderung der Prostitution Minderjähriger und der sexuellen Beziehungen zu Minderjährigen beschuldigt und entging in einem umstrittenen Richterspruch einer Verurteilung nur deshalb, weil nicht sicher nachgewiesen werden konnte, dass Berlusconi das Alter der involvierten Person(en) gekannt hat (WTF?). Dass es auf Berlusconis Anwesen zu Prostitution gekommen ist, gilt hingegen als gesichert.
  • zelebriert generell ein frauenverachtendes Rollenbild (Stichwort: Veline).
  • fiel unzählige Male durch rassistische (Stichwort: Obama abbronzato), sexistische und schlichtweg alberne Aussagen und Gesten auf, die an sich schon untragbar wären und mit der “Würde des Amtes” erst recht nicht vereinbar sind.*

Dorfmanns “logisch und konsequent”-Aussage kann folglich nur auf zweierlei Art interpretiert werden:

  • Entweder er und die EVP haben kein Problem damit, dass jemand mit einem Leumund wie der “Cavaliere” ihr Mitglied bzw. sogar noch unterstützenswert ist
  • oder Dorfmann verkündigt umgehend seinen Rückzug aus der EVP, weil wenn es “logisch und konsequent” ist, dass die Europäische Volkspartei Straftäter, Faschistenfreunde und Sexisten unterstützt, dann ist dort für anständige Menschen kein Platz mehr.

Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass es unter rund 60 Millionen italienischen Staatsbürgerinnen jemanden gibt, der auch bzw. gerade für christlich-konservativ geprägte Menschen ein geeigneteres Profil für das Amt des Staatspräsidenten hat.

*kein Anspruch auf Vollständigkeit

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 | 1›

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Rasche Hilfe für die Menschen aus Moria.

Nach der Brandkatastrophe im unfassbar überlasteten Lager von Moria findet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) — wenn auch verspätet — klare Worte:

Die schrecklichen Ereignisse aus Moria lassen niemanden kalt und erfordern rasche Hilfe und Solidarität. Ganz Europa und auch Deutschland müssen handeln und helfen. Sollte die Bundesregierung entscheiden, Menschen aufzunehmen, wird sich Bayern selbstverständlich daran beteiligen.

Von Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) war bislang nichts Vergleichbares zu vernehmen. Hat sich die Solidarität des offiziellen Südtirol spätestens mit der Regierungsbeteiligung der Lega auf Nimmerwiedersehen verabschiedet?

Zu Söders »ganz Europa« gehören auch und gerade wir als wohlhabende Region.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Anton-Wilhelm-Amo-Straße.

Am vergangenen Donnerstag (20. August) hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Stadtteils Berlin Mitte die Umbenennung der M*****straße beschlossen.

Bereits Anfang Juli hatten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) angekündigt, der gleichnamige U-Bahnhof werde bald den Namen der nahegelegenen Glinkastraße tragen. Doch schnell wurde klar, dass auch das ein Fehlgriff war: Der russische Komponist Michail Iwanowitsch Glinka war selbst Nationalist und Antisemit.

Nun wird also nicht nur die Station, sondern gleich die ganze Straße umbenannt: in Anton-Wilhelm-Amo-Straße. Amo war im 18. Jahrhundert der erste Philosoph und Gelehrte afrikanischer Herkunft im heutigen Deutschland. Der Entscheid fiel klar, aber nicht einstimmig: CDU und AfD befürworteten die Beibehaltung der als diskriminierend empfundenen Benennung. SPD, Linke und Grüne zogen die Sache aber durch.

P. S.: In Südtirol müssten wir uns womöglich darüber unterhalten, ob nicht Mohrenstraße besser und melodischer klingt.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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