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Französisch-Polynesien wählt Sezessionistinnen.

Bei Wahlen, die am 16. und 30. April stattgefunden haben, konnte die separatistische Linke Tāvini Huiraʻatira in Französisch-Polynesien (Pōrīnetia Farāni) 38 von 57 Sitzen in der Territorialversammlung erringen. Dank diesem Erdrutschsieg verfügt die Partei im eigenen Landesparlament erstmals über eine eigene, solide Mehrheit. Zum Vergleich: Bei der vorhergehenden Wahl (2018) hatten die Unabängigkeitsbefürworterinnen nur acht Sitze errungen. Das jetzige Ergebnis bedeutet also nahezu eine Verfünffachung.

Schon seit 2022 stellt die Partei im französischen Parlament sämtliche Polynesien zustehenden Abgeordneten (vgl. ‹1).

Es wird nun erwartet, dass das Parlament von Pōrīnetia Farāni den Kandidaten von Tāvini Huiraʻatira, Moetai Brotherson, zum neuen Präsidenten wählt. Der will dann mit Frankreich über die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums verhandeln. Im Vorfeld der Wahl hatte Tāvini Huiraʻatira den Urnengang zu einem De-Facto-Referendum über die Loslösung von Frankreich erklärt — und war damit erfolgreich. Dementsprechend versteht die Partei den Wahlsieg als Auftrag, den Bürgerinnen des Südpazifikstaats die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Sprachliche Rahmenbedingungen für Immersion.

Ich möchte hier noch einmal aus Lernen in der Fremdsprache – Grundzüge von Immersion und bilingualem Unterricht von Henning Wode (1995) zitieren, einem Buch, auf das ich erst kürzlich von einer Befürworterin der mehrsprachigen Schule in Südtirol hingewiesen wurde.

Wode umreißt1auf Seite 43 des Buches die sprachlichen Rahmenbedingungen für IM/BIU (Immersion bzw. bilingualen Unterricht) in Europa und klärt damit einige wichtige Punkte:

Wer in Frankreich Englisch, Deutsch oder Spanisch als L2 lernt, wird kaum befürchten, seine französische Identität zu verlieren. In Frankreich stellen die Frankophonen die Majorität, in Deutschland die Deutschsprachigen, in Großbritannien die Anglophonen.

– Henning Wode

In Südtirol ist häufig die verständnislose Frage zu vernehmen, warum denn mehrsprachige Schulen in Innsbruck, Trient oder München Realität sind (allerdings in welchem Umfang?) und gerade in einem mehrsprachigen Land wie dem unseren nicht. Wie paradox es für manche auf den ersten Blick vielleicht erscheinen mag, sind die Risiken eben — wie auch Henning Wode nahelegt — gerade in einsprachigen Gebieten wesentlich geringer, da das sprachliche Umfeld klar definiert und gefestigt ist. Minoritäten haben hingegen zu befürchten, ihre Sprache und ihre Identität zu verlieren. Darauf haben wir auch hier auf schon öfter hingewiesen (vgl. ‹1 ‹2 ‹3).

Die im Hinblick auf IM und BIU besonders wichtigen Differenzierungen sind:

  • Majoritätensprachen: Sie werden von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen. Meist sind sie auch die offiziellen Landessprachen, z.B. Englisch in Großbritannien, Französisch in Frankreich oder Dänisch in Dänemark. Nur wenige Länder haben, wie die Schweiz oder Belgien, mehrere offizielle Landessprachen.
  • Minoritätensprachen: Sie werden von einer Minderheit gesprochen und sind meist keine offizielle Landessprachen. Zu unterscheiden sind:
    • Bodenständige (autochthone) Sprachen: Sie sind schon über viele Generationen in der betreffenden Gegend heimisch, z.B. Friesisch, Niederdeutsch oder Dänisch in Schleswig-Holstein, Gälisch in Schottland oder Bretonisch in Frankreich. Manche offiziellen Landessprachen können gleichzeitig bodenständige Minoritätensprachen in anderen Ländern sein, so Dänisch in Deutschland, Deutsch in Frankreich oder Deutsch in Dänemark.
    • Eingewanderte (allochthone) Sprachen: Meist sind sie durch Arbeitsmigranten in die jeweiligen Länder gekommen, z.B. Türkisch in Deutschland, Varianten des Arabischen in Frankreich, romanische Sprachen in Skandinavien oder Deutschland.

– Henning Wode

Hier wird klar definiert:

  • Die Majoritätensprache ist — außer in konstitutiv mehrsprachigen Ländern wie Belgien und Schweiz — die offizielle Landessprache, in Südtirol somit eindeutig Italienisch. Das muss neuerdings ganz besonders unterstrichen werden, da erneut versucht wird, die Majoritäten- als die eigentliche Minderheitensprache darzustellen.
  • Minoritätensprachen sind — wiederum mit Ausnahme der bereits genannten Fälle — keine offiziellen Landessprachen. Dies trifft auch auf Deutsch in Italien zu.
  • Autochthone Minoritätensprachen können gleichzeitig andernorts offizielle Landessprachen sein, ausdrücklich wird auch Deutsch genannt, das in Dänemark oder Frankreich (bzw. Italien) eine Minoritätensprache ist, während es in Deutschland oder Österreich eine Landessprache ist. Auch diese ausdrückliche Klärung ist nicht unbedeutend, da in Südtirol schon behauptet wurde, Deutsch könne grundsätzlich nirgendwo als Minderheitensprache betrachtet werden, da es in Europa von vielen Millionen Menschen gesprochen wird. Gerade das Beispiel Frankreich (bzw. Elsass) zeigt aber, dass die vielen Millionen Sprecherinnen in Europa kein hinreichender Schutz vor Assimilierung in einem Nationalstaat darstellen, genausowenig wie übrigens die weltweite Frankophonie verhindern konnte, dass Französisch im Aostatal marginalisiert wurde.
  • 1
    auf Seite 43 des Buches
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Sprachverbot in Korsika.

Schon seit Jahren nutzen die korsischen Institutionen selbstbewusst die korsische Sprache und sind dabei manchmal sogar mutiger als die Südtiroler Vorzeigeautonomie.

So werden auch im Französischen sehr häufig nur noch die korsischen statt der in der Staatssprache gebräuchlichen italienischen Ortsnamen1kolonialistische Erfindungen wie in Südtirol gibt es erst gar nicht genutzt (Aiacciu statt Ajaccio, Portivechju statt Porto-Vecchio) und der offizielle Webauftritt ist unter www.isula.corsica (statt www.ile-de-corse.fr o. ä.) zu finden.

Nun aber gab es für den amtlichen Gebrauch der Landessprache einen Rückschlag: Das Verwaltungsgericht von Bastia urteilte, die Gleichstellung von Korsisch und Französisch im korsischen Parlament, wo tatsächlich regelmäßig Korsisch gesprochen wird, widerspreche Artikel 2 der Verfassung, der Französisch als Sprache der Republik festlegt.

Eingeführt worden war die Gleichstellung vom Landesparlament sogar mit einstimmigem Votum, dennoch fühlte sich der damalige Präfekt, Pascal Lelarge, als Wachhund des Zentralstaats dazu berufen, die Neuerung gerichtlich anzufechten. Das Urteil stellt den wiederholten »Missbrauch« von Artikel 2 durch die französische Justiz dar, war dieser doch eingeführt worden, um den wachsenden Einfluss der englischen Sprache zu bremsen und nicht, um die Minderheitensprachen zu schwächen — was dazumal sogar ausdrücklich versprochen worden war.

Der Präsident der Insel, Gilles Simeoni, und die Präsidentin der Assemblea di Corsica, Marie-Antoinette Maupertuis, veröffentlichten eine gemeinsame Stellungnahme zu dem Urteil, in der sie darauf hinweisen, dass den Abgeordneten die Verwendung ihrer eigenen Sprache verboten würde und die Umsetzung des Sprachverbots als »undenkbar« bezeichnen.

Wer nun dazu geneigt wäre, den Vorfall als »typisch französisch« abzutun, hätte zwar vielleicht nicht ganz unrecht. Dennoch ist in den meisten italienischen Regionalparlamenten — anders als zumindest bislang in Korsika oder Bretagne — der Gebrauch von Minderheitensprachen untersagt (vgl. ‹1). Meines Wissens machen da nur Aoste und Südtirol-Trentino eine Ausnahme, wobei auch in unserem Landtag bis heute die Verwendung des Ladinischen nicht vorgesehen ist.

  • 1
    kolonialistische Erfindungen wie in Südtirol gibt es erst gar nicht
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MSPI: EuG deckt Untätigkeit der Kommission.

Dass sich das Gericht der Europäischen Union (EuG) in einem Urteil kürzlich hinter die EU-Kommission von Ursula von der Leyen und ihre Vernachlässigung von Minderheitenschutzmaßnahmen stellte, ist für das angeblich in Vielfalt geeinte Europa wahrlich keine gute Nachricht.

Über eine Million Unterschriften waren vor wenigen Jahren für die Minority-Safepack-Initiative (MSPI) gesammelt worden, eine Leistung, die umso höher zu bewerten ist, als sie in erheblichem Maße von den Minderheiten selbst erbracht wurde. Dennoch verharrte die Kommission daraufhin weitgehend in Untätigkeit, weshalb die FUEN den Rechtsweg beschritt.

Das Urteil

Erstaunlich ist nicht nur, dass der bestehende Minderheitenschutz in der EU laut Einschätzung des EuG bereits ausreicht, um die Ziele der Initiative zu erreichen, sondern insbesondere auch, dass das Gericht sich zur Begründung maßgeblich auf die Europäische Charta der Minderheiten- oder Regionalsprachen stützte. Die jedoch wurde nicht von der EU, sondern vom Europarat beschlossen und kommt in mehreren wichtigen EU-Mitgliedsstaaten gar nicht zur Anwendung. So große und an Minderheiten reiche Länder wie Frankreich und Italien etwa haben die Charta zwar unterzeichnet, aber niemals ratifiziert und in staatliches Recht übertragen, womit sie dort keine Rechtswirksamkeit entfaltet.

Wenn also das Ziel der MSPI war, den Minderheitenschutz in der gesamten EU zu verbessern, zu einem Schwerpunkt der gemeinsamen Politik zu machen und verbindliche Mindeststandards festzulegen, wurde es klar verfehlt. Zahlreichen Minderheiten wird der geforderte Schutz weiterhin verweigert, da sie gar nicht in den Genuss der Maßnahmen kommen, die das EuG für sein Urteil herangezogen hat.

Dabei hatte das EU-Parlament 2020 großmehrheitlich die Umsetzung der MSPI gefordert und bei dieser Gelegenheit festgestellt, dass

die meisten nationalen und sprachlichen Minderheiten mit einer immer schneller werdenden Entwicklung zur Assimilation und zum Verlust ihrer Sprache konfrontiert sind.

Die Vielfalt, die die EU einigermaßen ernstnimmt, ist offenbar jedoch noch immer vor allem die der nationalen Mehrheiten, die sich zur Europäischen Union zusammengeschlossen haben.

Und da die postnationale Verheißung der EU nicht in Erfüllung geht, bleibt die mittelfristige Alternative für viele Minderheiten weiterhin Assimilierung oder Eigenstaatlichkeit.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Wie wählen Angehörige von Polizei und Militär?

Von einer Forschungsgruppe um den Professor für Politikwissenschaften Jean-Yves Dormagen vorangetrieben, analysiert das Cluster17-Projekt das Wahl- und das Enthaltungsverhalten in Frankreich nach sozialen Gruppen und Berufen.

Für ein gewisses Aufsehen hat dabei kürzlich die Analyse der Präferenzen von Polizei und Militär gesorgt, da bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen nahezu zwei Drittel der Angehörigen dieser Berufsgruppe die rechtsextremen, rassistischen Kandidatinnen Marine Le Pen und Éric Zemmour gewählt haben sollen. Präsident Emmanuel Macron kam demnach bei Ordnungs- und Streitkräften nur auf 14% der Stimmen — gefolgt von Valérie Pécresse, die sich 2019 mit ihrem Flügel Soyons libres rechts von den rechten Républicains abgespalten hatte.

Summiert man die Prozentsätze für Le Pen, Zemmour, Pécresse und den rechtspopulisten Dupont Aignan, haben 75% der Polizei- und Militärangehörigen (weit) rechts gewählt.

Ob es ähnliche Analysen auch für Italien oder gar für Südtirol gibt, weiß ich nicht. Es steht jedenfalls zu vermuten, dass Angehörige von Polizei und Militär in den meisten Ländern politisch deutlich weiter rechts einzuordnen sind als der gesamtgesellschaftliche Durchschnitt.

Zumindest ein Indiz dafür kann auch die Positionierung von Polizei- und Militärangehörigen sein, die hierzulande in die aktive Politik gewechselt sind. Spontan fallen mir Namen wie Enrico Lillo, Umberto Montefiori oder Antonino Lo Sciuto ein.

In jedem Fall wäre auch diesbezüglich kritisch zu hinterfragen, inwieweit die Abwesenheit einer Landespolizei nicht auch dazu führt, dass aktiv Menschen nach Südtirol gelockt werden, die bei den staatlichen Ordnungskräften arbeiten und in nicht unerheblichem Maße weit rechte, nationalistische und auch autonomie- bzw. minderheitenfeindliche Positionen vertreten und entsprechende Parteien wählen.

Nicht zuletzt wäre auch die Tatsache, dass das Land im Tausch für aufgelassene Militärareale Wohnungen für Heeresangehörige baut, unter diesem Blickwinkel zu betrachten.

Einen zeitlich begrenzten Schutz vor einer möglicherweise einseitigen Beeinflussung von Wahlergebnissen durch Angehörige von Polizei und Militär gewährt immerhin die vierjährige Ansässigkeitsklausel, die manche allerdings lieber heute als morgen abschaffen möchten.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9

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Frankreich: Separatistischer Sieg in Polynesien.

Bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen zur französischen Nationalversammlung wurden auf Korsika die drei autonomistischen Abgeordneten der verstrichenen Legislatur (Paul-André Colombani von Partitu di a Nazione Corsa sowie Michel Castellani und Jean-Félix Acquaviva von Femu a Corsica) bestätigt. Nur einer der vier Wahlbezirke auf der Insel ging wiederum nicht an einen autonomistischen Abgeordneten.

Die große Überraschung dieser Wahl war jedoch der Sieg der separatistischen Linken Tāvini Huiraʻatira in Polynesien, die sämtliche Wahlbezirke für sich entscheiden konnten und somit erstmals drei Abgeordnete in die französische Assemblée entsenden werden.

Wer soll eigentlich wo raus?

Hier der Auszug aus einem Interview des französischen Staatssenders France 2 mit dem neuen polynesischen Abgeordneten Tematai Le Gayic:

Guillaume Daret: Sie möchten dass Polynesien die Französische Republik verlässt?

Tematai Le Gayic: Nein, ich möchte, dass die Republik Französisch-Polynesien verlässt, das ist nicht dasselbe.

GD: Das heißt?

TLG: Das heißt, dass das Volk der Māori, das polynesische Volk eine 3000 Jahre alte Zivilisation ist. Die Kolonisierung ist eine 200jährige Parenthese unserer Geschichte. Was wir fordern, ist dass die Republik diesen kolonialen Rahmen verlässt und dass wir [fortan] von Staat zu Staat, von Gleich zu Gleich diskutieren können, im gegenseitigen Respekt. Wir müssen nicht »raus«, denn wir haben — psychologisch — nie angenommen, dass wir Teil der Republik sind. Wir respektieren die Republik. Und wir nutzen heute demokratische Mittel, die uns zur Verfügung stehen, damit das angeborene, unveräußerliche Recht auf Wiederherstellung der vollen Souveränität respektiert wird.

Transkription und Übersetzung von mir

Der erst 21 Jahre alte Abgeordnete Le Gayic ist der jüngste der gesamten Fünften Französischen Republik.

Tāvini Huiraʻatira wird voraussichtlich gemeinsam mit den Grünen von Europe Écologie in der NUPES-Fraktion sitzen.

Siehe auch ‹1 ‹2 | 1›

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UN nehmen zu Sprachdiskriminierung in Frankreich Stellung.

Im April des letzten Jahres hatte die französische Nationalversammlung mit großer Mehrheit ein neues, relativ starkes Minderheitenschutzgesetz beschlossen, das jedoch von Abgeordneten der Republique en Marche von Präsident Emmanuel Macron vor den Verfassungsrat gebracht wurde. Der nahm die Gelegenheit zum Anlass, sich grundsätzlich gegen die Immersion in einer Minderheitensprache an öffentlichen und gleichgestellten Schulen sowie gegen das Recht auf Gebrauch von Sonderzeichen (wie ñ oder í) bei Personennamen auszusprechen.

Zwar setzte sich das französische Bildungsministerium später teilweise über den Entscheid hinweg, indem es den Immersionsunterricht per Rundschreiben weiterhin erlaubte, das Europäische Netzwerk für die Gleichheit der Sprachen (ELEN) befasste aber auch den Sonderberichterstatter betreffend Minderheiten der UNO, Fernand de Varennes, mit dem Vorfall.

Die Antwort

Mit der Meldung befassten sich neben Varennes auch die Sonderberichterstatterin für kulturelle Rechte, Alexandra Xanthaki, und die Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung, Koumbou Boly Barry. Zu dritt richteten sie nun einen Brief an die französischen Behörden, in dem sie diese zu einer Stellungnahme aufrufen.

In ihrer Stellungnahme weisen sie unter anderem darauf hin, dass:

  • Artikel 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte jegliche Diskriminierung verbiete, auch hinsichtlich der Sprache. Artikel 27 sehe vor, dass in Staaten, in denen ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten leben, Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden dürfe, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eige­ne Reli­gion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.
  • Artikel 29 der Kinderrechtskonvention besage, dass die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muss, ihm »Achtung vor seinen Eltern, seiner kulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten […]« zu vermitteln. Artikel 30 fordere, dass in Staaten, in denen es ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten oder Ureinwohner gibt, einem Kind, »das einer solchen Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, nicht das Recht vorenthalten werden [darf], in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden«.
  • der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in einer Anmerkung zu Artikel 21 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte präzisiert habe, dass die Unterzeichnerstaaten Maßnahmen ergreifen sollten und keinen Aufwand scheuen dürften, damit die Bildungsprogramme den Minderheiten und autochthonen Gemeinschaften in ihrer eigenen Sprache vermittelt werden, wobei die Wünsche der jeweiligen Gemeinschaft und die Menschenrechte zu berücksichtigen seien (E/C.12/CG/21, § 27). Zu beachten seien außerdem Artikel 13 des Pakts hinsichtlich des Rechts auf Bildung und Artikel 15 bezüglich des Rechts auf Teilnahme am kulturellen Leben.
  • die Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören zu berücksichtigen sei, insbesondere Artikel 4.3: »Die Staaten sollen geeignete Maßnahmen ergreifen, damit Angehörigen von Minderheiten, soweit möglich, angemessene Möglichkeiten geboten werden, ihre Muttersprache zu erlernen oder Unterricht in ihrer Muttersprache zu erhalten«. Das vom Sonderberichterstatter betreffend Minderheitenfragen herausgegebene Handbuch über die Rechte von Sprachminderheiten stelle klar, dass wenn die Nachfrage ausreichend groß sei, die Dienste des öffentlichen Bildungswesens in angemessener Weise und unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit in einer Minderheitensprache angeboten werden müssen. Die Maßnahme betreffe sämtliche Bildungsstufen vom Kindergarten bis zur Universität. Falls die Nachfrage, die Konzentration von Sprecherinnen oder andere Faktoren die Durchführbarkeit erschweren, müsse die Regierung dafür sorgen, dass im Rahmen des Möglichen der Unterricht der Minderheitensprache ermöglicht wird. Darüberhinaus sollten alle Kinder die Möglichkeit haben, die offizielle(n) Sprache(n) zu erlernen.

Frankreich wird es reichlich schwer haben, zu erklären, wie das ausdrückliche Verbot von Immersionsunterricht in einer Minderheitensprache mit all diesen Rechten vereinbar sein kann.

In Italien

Genauso wie Frankreich hat auch Italien die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, das wohl effektivste internationale Abkommen zum Minderheitenschutz, nie ratifiziert. Doch die von den drei Sonderberichterstatterinnen in ihrem Brief an Frankreich erwähnten Grundlagen gelten auch hierzulande. Fragen wir uns, inwieweit die darin enthaltenen Minderheitenrechte in Italien gewährleistet sind, müssen wir wohl zum Schluss kommen, dass das für die meisten Sprachgemeinschaften — einschließlich der ladinischen in Südtirol — nur unzureichend der Fall ist. Es gibt noch sehr viel Luft nach oben und die UNO steht den Minderheiten zur Seite.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

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Minorisierte Sprachen.

In den letzten Monaten und Jahren bin ich — in wissenschaftlichen Texten oder auch in Tweets wie diesem — gefühlt immer häufiger auf den Begriff der »minorisierten Sprache« gestoßen. Ganz vordergründig räumt er mit dem Missverständnis auf, dass Minderheitensprachen nur von zahlenmäßigen Minderheiten gesprochen werden — was wir auch in Südtirol kennen, wenn bisweilen behauptet wird, die Italienerinnen seien hier die eigentliche (weil eben zahlenmäßige) Minderheit. Viel mehr als um Zahlen geht es bei der Minorisierung aber um Dinge wie Rechte oder Macht (vgl. ‹1).

Im Umkehrschluss kann eine Sprache, die von einer numerischen Minderheit gesprochen wird, sogar die dominante sein.

Weiteren Aufschluss über den Minorisierungsbegriff gibt zum Beispiel der englischsprachige WikipediaEintrag, der zudem gut mit Quellen belegt ist.

Darin wird festgestellt, dass die Minorisierung vom Wunsch der Nationen herrührt, eine einheitliche Wirtschafts– und Regierungssprache zu etablieren, zur Herstellung von Homogenität oder aus ideologischen Gründen.

Typischerweise seien minorisierte im Unterschied zu dominanten Sprachen von manchen Anwendungsbereichen ausgeschlossen. Was in Südtirol für Deutsch nicht bloß schon immer der Fall war, wenn wir an wesentliche Bereiche wie Produktetikettierung, Packungsbeilagen, staatliche Behörden (insbesondere Gerichtsbarkeit und Polizei) denken, sondern auch im Wachsen begriffen ist, wenn Deutsch im digitalen Bereich häufig ganz wegfällt oder oft sogar beim Einkaufen vor Ort keine Option mehr ist (‹1 ‹2), um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ein guter Indikator für die Minorisierung ist darüberhinaus wohl auch die offizielle Statistik zur Verweigerung des Rechts auf Gebrauch der Muttersprache, bei der Deutsch und Ladinisch drastisch höhere Werte aufweisen als Italienisch. Und da sind Bereiche, in denen Deutsch und Ladinisch gar nicht vorgesehen sind, natürlich nicht einmal enthalten.

Eine weitere Eigenschaft minorisierter Sprachen ist einseitige Zweisprachigkeit, wobei Sprecherinnen der Minderheitensprache häufiger oder besser die Mehrheitssprache lernen als umgekehrt (vgl. ‹1 ‹2). Was auch selbstverständlich ist, wenn man bedenkt, dass die Minderheitensprache ja in manchen Bereichen gar nicht anwendbar ist — und zudem psychologische Mechanismen wirken, die es erschweren, Sprecherinnen der Mehrheitssprache mit der Minderheitensprache zu konfrontieren.

Dadurch werden die, die eine Minderheitensprache sprechen, quasi zu einer Teilmenge derer, die die Mehrheitssprache sprechen. In Südtirol: Nahezu alle, die Deutsch sprechen, beherrschen Italienisch, umgekehrt trifft das nicht zu.

Mehrere Wissenschafterinnen argumentieren, dass es eine »westliche Sprachideologie« gebe, die den Sozialdarwinismus auf Sprachen anwende und außerdem Nichtstandardvarianten verachte (vgl. ‹1), woraus Sprachhierarchien entstehen. Konkret werden Großbritannien, Frankreich und Italien als Beispiele für Staaten genannt, in denen diese Ideologie zur Ersetzung von Minderheitensprachen durch die Staatssprache geführt hat.

»Liberale« Kritik an sprachpolitischen Maßnahmen geht häufig in die Richtung, dass sich diesbezügliche (asymmetrische) Interventionen zugunsten von Minderheitensprachen nicht von den Maßnahmen, die die Minorisierung herbeigeführt haben, unterscheiden würden — nur eben mit gegenteiligem Vorzeichen (vgl. ‹1). Diesen Punkt kann man wohl kaum genug unterstreichen, denn gerade in Südtirol scheinen mir einseitige Maßnahmen zum Schutz der Minderheitensprachen, wie sie andernorts selbstverständlich sind (‹1 ‹2 ‹3 ‹4), besonders verpönt zu sein. Kaum etwas ist aber ungerechter und auch ineffektiver (ja kontraproduktiv), als Ungleiches gleich zu behandeln. Das geht so weit, dass das Land Südtirol als Minderheitenregion in Italien aktiv italienische Sprach- und Kulturpolitik betreibt. Mir ist Analoges aus keinem anderen Minderheitengebiet bekannt.

Doch was wundere ich mich: Hierzulande kritisieren Liberale sogar symmetrische Schutzmechanismen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 ‹10 | 1› 2› 3›

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