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Wahlanalytiker Nicolini.

Der Grillino findet die Grünen kriegerisch, nicht aber Russland

Es mutet mehr als seltsam an, wenn Diego Nicolini (5SB) die Landtagswahlen von Bremen kommentiert. Seine Erkenntnis: Die pro-ukrainische Haltung der deutschen Grünen vertreibt die eigenen Wähler.

Der Landtagsabgeordnete der Cinque Stelle wird in seiner »Analyse« in der Neuen Südtiroler Tageszeitung noch deutlicher:

Das katastrophale Ergebnis der Grünen bei der Landtagswahl in Bremen ist auf ihre bedingungslose Unterstützung der Wiederaufrüstung und die deutlich kriegerischere Haltung ihres Bündnispartners bei der Lieferung von immer offensiveren Waffen in die Ukraine zurückzuführen.

Nicolini findet, die Grünen sind kriegerisch, für die Wiederaufrüstung, sorgen dafür, dass die Widerstand leistende Ukraine mit offensiveren Waffen hochgerüstet wird. Nicolini verliert kein Wort über den russischen Eroberungskrieg in der und gegen die Ukraine. Der Grillino tut so, als ob die Ukraine aggressiv wäre. Nicht der russische Kriegspräsident und seine kriminellen Oligarchen-Eliten, sein mafiöser Staat und seine marodierende Soldateska.

Nicolini folgt seinem Chef, Giuseppe Conte, auch er ein Russland-Versteher. Europaweit solidarisieren sich die Populisten, linke wie rechte, mit dem Putin-Staat. Russland, das Sehnsuchtsland radikaler Linker und Rechter? So scheint es zu sein.

Nicolini ortete noch einen weiteren Feind, der für diesen Krieg verantwortlich gemacht werden kann: die Rüstungsindustrie. »Während anfangs die Position, die Ukraine für die ungerechte Invasion, die sie erlitten hat, zu unterstützen, als moralisch vertretbar galt, scheint jetzt klar, dass die großen Interessen der Rüstungsindustrie dahinterstehen und pazifistische Positionen an den Rand drängen«, findet Nicolini.

Nicolini scheint von der Realität weit abgedriftet zu sein. Er findet, die westliche Rüstungsindustrie und ihre Profite stehen hinter den Waffenlieferungen an die überfallene Ukraine. Nicht die Notwendigkeit, der Ukraine gegen den russischen Eroberungskrieg beizustehen. Er erklärt sich zwar mit der Ukraine solidarisch, sie habe eine ungerechte Invasion erlitten, seine Formulierung lässt aber den Schluss zu, sie – die Invasion – sei schon vorbei. Offensichtlich vertritt Nicolini auch jene pazifistische Position, die zum Aufgeben rät, also freie Bahn für die russische Armee und für die Killer der Wagner-Gruppe.

In den frühen 1990er Jahren belegten die westlichen Staaten unter dem Applaus der Pazifisten das von serbischen Truppen überfallene Bosnien mit einem Waffenembargo. Bosnien konnte sich kaum wehren, die serbischen Eroberer vergewaltigten, vertrieben, ermordeten und dann herrschte Friedhofsruhe. Auf Kosten der Bosnierinnen und Bosnien.

Bosnien, für Nicolini und für die Russland-Versteher das Modell für die Ukraine? Ähnliches wurde bereits Israel empfohlen. Vor islamistischem Terror zu kuschen. Israel kümmert sich wenig um diese pazifistischen Empfehlungen.

Das Schräge an der Nicoloni-Analyse: Die Cinque Stelle wurden bei den jüngsten Gemeinde- und Regionalwahlen kräftig abgestraft. Weil sie etwa der Ukraine eine pax russa — ähnlich wie in Syrien — aufdrücken wollen?

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Unterschriften gegen Waffenlieferungen.
Nützliche Idioten

Ende April und im Mai sammelt die Initiative Referendum Italia per la Pace Unterschriften für ein Friedensreferendum. Ziel der Friedensbewegten ist es, die italienischen Waffenlieferungen an die Ukraine zu unterbinden. Da standen wohl die deutsche Linke Sahra Wagenknecht und die Feministin Alice Schwarzer mit ihrem Manifest Pate.

Sie, die angeblichen Friedensbewegten, gehen davon aus, dass die Ukraine ohne westliche Waffenhilfe aufgeben wird, der Krieg also endet und dann Frieden herrscht.

Die Ukraine wird auf die russisch besetzten Gebiete von der Krim bis in den Donbas wohl verzichten müssen. Die Lieferung westlicher Waffen kann dann unterbleiben, die EU-Sanktionen können wieder aufgehoben werden, der Rückkehr in die Normalität steht nichts mehr im Weg. Für den Westen, für die Italiener.

Was dann passiert geht uns nichts an, um dieser Logik zu folgen. Ob es dann sehr viele Butschas geben wird, Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung, noch mehr Kinder-Deportationen, wen kümmert es? Die Friedensbewegten nicht.

Mit anderen Worten, der waffenliefernde Westen und die sich verteidigende Ukraine sind die Kriegstreiber, nicht Russland, das vor einem Jahr die Ukraine überfallen hat.

Über die Initiative wird sich der Kreml tierisch freuen, die Friedensbewegten agieren als nützliche Idioten der russischen Kriegsmaschinerie. Sie betreiben eine unglaubliche Täter-Opfer-Umkehr. Die Friedensbewegten sind nicht mit den Opfern solidarisch, sondern mit den Aggressoren.

Die Referendums-Aktivisten fordern die italienische Regierung auf, die Bürgerinnen und Bürger über die Waffenlieferungen entscheiden zu lassen. Lieferungen, die gegen die italienische Verfassung verstoßen, warnen die »Kriegsgegner«. Sie sind überzeugt, dass eine große Mehrheit die militärische Unterstützung der Ukraine ablehnt.

Die geistigen Vorfahren der Pazifisten sammelten in den 1980er Jahren noch Spenden für den Kauf von Waffen für den sandinistischen Widerstand in Nicaragua, solidarisierten sich mit dem palästinensischen Terror, warnten vor friedlichen Grenzänderungen in Europa, noch viel mehr vor gewaltsamen, militärischen Grenzänderungen. Die Friedensbewegten scheinen dies zu akzeptieren, schweigen darüber.

Wie schon in den 1990er Jahren im Bosnien-Krieg. Das kriegsführende Serbien und seine Milizen zerschlugen das multinationale Bosnien, Teile des Westens halfen tatkräftig mit. Westeuropäische Staaten bestraften das sich wehrende Bosnien mit einem Waffenembargo. Die Friedensbewegten applaudierten. Die Folgen des Embargos sind bekannt.

Den italienischen Gegnern von westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine schwebt wohl ähnliches vor. Die Ukraine soll der russischen Aggression geopfert werden. Für den Frieden. Pazifisten, Beton-Linke, nützliche Idioten des Kremls, die widerstandsleistende Ukrainerinnen und Ukrainer als eine Gefahr für ihr Leben, ihren Widerstand als einen Angriff auf ihr Leben sehen. Das teurer empfunden wird als ukrainisches Leben.

Damit befasst sich das Trio Aleksandra Konarzewska, Schamma Schahadat und Nina Weller in Alles ist teurer als ukrainisches Leben: Texte über Westsplaining und den Krieg. Es ist ein schonungsloses Buch. Westsplaining meint die westliche herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen gegenüber Europäerinnen und Europäern aus Osteuropa. Alles ist teurer als ukrainisches Leben, der Wohlstand, die eigene Freiheit, die eigene Welt, die mit der Ukraine nichts zu tun haben will.

Für diese Öffentlichkeit gilt die Ukraine als Hinterhof Russlands, nicht als Vorhof der EU. Diese Öffentlichkeit wird politisch vertreten von Teilen der Linken und der SPD, begeistert von der AfD und der großen Leugnergemeinde unterschiedlicher Couleur, in Italien von den außerparlamentarischen radikalen Linken und Rechten, von der Lega, von Forza Italia.

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»Alles ist teurer als ukrainisches Leben.«

Ein Teil der europäischen Öffentlichkeit fühlt sich keineswegs mit den überfallenen Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch.

Das ist auf Kundgebungen der Friedensbewegten zu hören: »Was geht uns die Ukraine an?«. Sie, Pazifisten, Beton-Linke, nützliche Idioten des Kremls, lehnen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Sie protestieren nicht gegen den russischen Staat und seine Armee, sondern gegen die widerstandsleistenden Ukrainerinnen und Ukrainer. Ihren Widerstand empfinden die »Kriegsgegner« im Westen als einen Angriff auf ihr Leben. Das teurer empfunden wird als ukrainische Leben.

Damit befassen sich Alek­san­dra Konar­zewska, Schamma Schahadat und Nina Weller in ihrem Alles ist teurer als ukrai­ni­sches Leben: Texte über West­s­plai­ning und den Krieg (edition.fotoTAPETA). Ein schonungsloses Buch, das den grenzenlos toleranten Westlern den Spiegel vorhält. Alles ist teurer als ukrainisches Leben, ja: der Wohlstand, die eigene Freiheit, die eigene Welt, die mit der Ukraine nichts zu tun haben will.

Für diese Öffentlichkeit gilt die Ukraine als Hinterhof Russlands, nicht als Vorhof der EU. Diese Öffentlichkeit wird politisch vertreten von Teilen der Linken und der SPD, begeistert von der AfD und der großen Leugner-Gemeinde unterschiedlicher Couleur.

Keine Ahnung von Russland

Das Herausgeberinnen-Trio und die vielen Mitautoren wie Vasyl Cherepanyn, Kateryna Mishchenko, Wolodymyr Rafejenko oder Oksana Sabuschko — um nur einige zu nennen — setzten sich mit dem »Westsplaining« auseinander. Der Begriff bezieht sich auf die westliche, herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen gegenüber Europäerinnen und Europäern aus Osteuropa. »Liebe westeuropäische Intellektuelle«, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch

ihr habt keine Ahnung von Russland. Russland hat euch nie berührt, weder euch noch eure Vorfahren. Ihr versteht es nicht, noch weniger versteht ihr Osteuropa …

– Szczepan Twardoch

So kümmern sich westliche, besonders deutsche, Intellektuelle wenig um die russische koloniale Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der »kleinen Nationen«. Auch dort wütete der deut­sche Kolo­nia­lis­mus des Dritten Reichs, in Polen, in der Ukraine, in Belarus. Dieser Teil der deutschen Geschichte verschwindet noch immer in der Lücke der Vergangenheitsbewältigung. Erfolgreich verdrängt wurde der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 — von den Rechten und den Linken.

Den Fokus auf den russischen Kolonialismus richtet das FATA collective mit seiner Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin. Es ist eine beeindruckende Dokumentation über die immer noch anhaltenden Auswirkungen des russischen Kolonialismus auf ethnische Minderheiten. Zurecht fragt sich die FAZ »macht Hass auf den Kapitalismus blind für Stalins und Putins Untaten?«. Ist Russland antikolonial, antiimperialistisch? Deutsche Linken glauben das.

Auch Pazifisten und sonstige Friedensbewegte, die aus Angst vor einem Atom­krieg bereit sind, die Kriegsverbrechen und den gezielten Terror in den von Russ­land besetz­ten Gebie­ten zu akzeptie­ren. Ihrer Friedenssehn­sucht ordnen sie den Unfrieden der Ukrainer unter, der russische Eroberungskrieg in der Ukraine wird verdrängt, nicht erwähnt, igno­riert.

Die deutsche Moskau-Connection

Intellektuelle erhöhen die russische Literatur, ihr ver­klärter Blick darauf verhindert, die auch impe­ria­len Ideen in der verherrlichten russischen Literatur zu erkennen. Russ­land wird mystifiziert, die deut­schen Sla­wis­tik konzentriert sich auf Russ­land. Angefeuert wurde dies auch von der SPD mit ihrer Ostpolitik, dokumentieren Reinhard Bingener und Markus Wehner in Die Moskau Connection – Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit.

Die geistige Kumpanei mit Russland führt Sebastian Christ auf das Erbe des nicht auf­ge­ar­bei­te­ten deut­schen Impe­ria­lis­mus in Ost­eu­ropa zurück. Oder auf die Idee einer »beson­de­ren Bezie­hung« zwischen den eins­ti­gen Impe­rien Deutsch­land und Russ­land. »Dieser Blick auf die Welt, der Länder und Völker in gleich­wer­tige und nicht gleich­wer­tige Gesprächs­part­ner ein­teilt, ist typisch für das Erbe des Imperialismus«, analysiert Christ auf ukraineverstehen.

Friedensbewegte, Pazifisten, Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine verdrängen — offenbar eine weitverbreitete deutsche Eigenschaft — in ihrem Engagement gegen die Ukraine die Vergewal­ti­gun­gen und sexu­elle Folter russischer Soldaten, Wagner-Söldner, tschetschenischer Islamisten und linksradikaler »Internationalisten« der Donbasser »Volksrepubliken«. Massenhafte sexuelle Gewalt gehört bereits seit 2014 zum Kriegs­all­tag in der Ukraine.

Eine Abtei­lung der ukrai­ni­schen Staats­an­walt­schaft ent­wi­ckelt besondere Ermitt­lungs­stra­te­gien für sexu­elle Gewalttaten. Das Netzwerk The Reckoning Project – Ukraine Testifies sammelt Informationen aus den russisch besetzten ukrainischen Regionen. Dokumentationen, die tatsächlich belegen, dass alles teurer ist als ukrainisches Leben.

Weit mehr als 400 Milliarden US-Dollar beträgt der Schaden, den die Armee des russischen Staates in der Ukraine mit ihrem Eroberungskrieg bereits verursacht hat. Der Wie­der­auf­bau­ wird noch weit teurer werden. Endlich Zeit, die ständig wachsenden Milliardenvermögen der russischen Oligarchen, die auch in den europäischen Banken deponiert sind, zu beschlagnahmen. Sie waren und sind die Nutznießer des größten Mafiastaates der Welt. Warum sollen europäischer Steuerzahlerinnen und -zahler für Schäden der russischen Invasion aufkommen? Derweil wirbt der russischen Kriegspräsident Putin für Kriegsteilnehmer, er appelliert an die »echte Männlichkeit«. Dafür bekommt er Applaus, von den AfD-Kameraden, den Wagenknecht-Genossinnen, wohl auch vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft.

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Der verstörende Friede des Bozner Friedenszentrums.

Auch in Bozen gab es ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Friedenskundgebung. Aus diesem Anlass veröffentlichte das öffentliche Friedenszentrum — das immerhin auch das amtliche Wappen der Gemeinde Bozen im Logo führt — dieses Posting auf Facebook:

Schluss mit Waffen und unparteiische Friedensideen heißt es da unter anderem als Forderung.

Das macht mich jetzt zugegebenermaßen ziemlich neugierig: Wie stellt sich das — übrigens recht einsprachige — Friedenszentrum diesen schönen Frieden vor? Als Kapitulation vor dem Aggressor, als vollständige Unterwerfung an ein autoritäres Nachbarland, das in eroberten Gebieten Folterkeller eingerichtet, Deportationen organisiert, Ermordungen von Zivilisten durchgeführt hat? Als widerstandslose Aufgabe von Freiheit und Demokratie?

Sind die Damen und Herren des Friedenszentrums der Meinung, dass die Ukraine heute noch existieren würde, wenn sie nicht mit Waffen beliefert worden wäre, um sich einer mit Waffen reich ausgestatteten Großmacht zu widersetzen? Denken sie, dass die baltischen Republiken noch als demokratische und unabhängige Staaten existieren würden, wenn sie nicht rechtzeitig zumindest Mitglieder der EU geworden wären, wo eine gegenseitige Beistandspflicht besteht?

Und abschließend: Wie stellen sie sich das mit der Unparteilichkeit vor? Ist es nicht so, dass wir im Grunde stets für den Stärkeren, den Unterdrücker Partei ergreifen, wenn wir zwischen Aggressor und Opfer unparteiisch sind?

Wir alle würden uns natürlich freuen, wenn wir auf Waffen verzichten könnten. Dies im Kontext eines brutalen Angriffs wie jenem von Putins Russland zu fordern, versprüht aber leider einen unangenehmen Verwesungsgeruch.

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Für die Ukraine.

Vor einem Jahr ließ der russische Kriegspräsident seine Soldaten in die Ukraine einmarschieren. Die jüngste Offensive zeigt, dass Putin an seinem Ziel festhält. An der Vernichtung der Ukraine.

Seit 2014 sind die Krim und zwei Verwaltungsbezirke in der Ostukraine russisch besetzt. Seit dem 24. Februar 2022 sind es mehr als 20 Prozent des ukrainischen Territoriums.

Russland befreit seine »russischen Schutzbefohlenen« von den ukrainischen Nazis, tönt der Kreml. Befreiung bedeutet am Beispiel Ukraine — Blaupause Syrien — Zerstörung von Dörfern und Städten, von Wohnhäusern, Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Theatern, Supermärkten, die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen, die Ermordung von Unbewaffneten, die Deportation von Kindern nach Russland.

Mehr als 14 Millionen BürgerInnen — die Opfer — flüchteten vor den marodierenden russischen Soldaten, den Wagner-Söldnern und den Kadyrow-Killern — die Täter.

Berlusconi gegen Selenskyj

Trotzdem tönte der langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der europäische Trump-Vorläufer, er hätte niemals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Berlusconi bewertet Selenskyi als »sehr, sehr negativ«, nicht aber den russischen Kriegspräsidenten. Selenskyj hätte die ukrainischen Angriffe auf die angeblichen »Volksrepubliken« in der Ostukraine einstellen sollen, um die russische Invasion zu verhindern. Berlusconi betreibt Täter-Opfer-Umkehr, kein Wunder, er Berlusconi zählt zu den Männerfreunden — siehe auch der deutsche Ex-Kanzler Schröder — des »Kreml-Killers« Putin (Zitat John Sweeny).

Berlusconi regte an, die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen, die Ukraine sollte kapitulieren und dafür im Gegenzug US-Milliarden für den Wiederaufbau erhalten.

Zur Erinnerung: Bei den letzten Europawahlen ging die SVP mit der Berlusconi-Partei Forza Italia eine »technische Verbindung« ein, das Ticket für Herbert Dorfmann nach Brüssel.

Meloni gegen Selenskyj

Berlusconi-Partnerin Giorgia Meloni von den rechtsradikalen Fratelli d’Italia legte nach. Das Treffen des französischen Präsidenten und des deutschen Bundeskanzlers mit Selenskyj in Treffen sei »politisch falsch« gewesen. Es schwäche den europäischen Zusammenhalt.

Eine beleidigte Meloni, weil sie zum Abendessen des Trios nicht eingeladen war? Nein, sie wäre gar nicht hingegangen, entgegnete die Fratelli-Schwester auf eine entsprechende Frage. Bekannt ist, dass die beiden anderen Meloni-Parntner Lega und Forza Italia putinfreundlich agieren. Für die Einstellung der westlichen Waffenlieferungen, die überfallene Ukraine den russischen Vergewaltigern überlassen.

Lega-Chef Matteo Salvini würdigte in den vergangenen Jahren immer wieder den Russen-Präsidenten Putin als vorbildhaften Politiker, der sich für sein Volk engagiert. Diese Putin-Aposteln sitzen auch in der Landesregierung, in einer Koalition mit der SVP. Neben der Lega pflegen aber auch die angeblichen Linkspopulisten von den Cinque Stelle pro-russische Beziehungen.

Südtirol für Putin

2014 ließen sich einige Gemeindepolitikerinnen von der SVP, allen voran die damalige Brixner Stadträtin Paula Bacher, nach Moskau einladen. Zu einer reaktionären »Mehrfamilienkonferenz«, eine Vorfeld-Veranstaltung von putinnahen Ideologen. Großes Verständnis für den russischen Kriegspräsidenten zeigte auch immer wieder die freiheitliche Landtagsabgeordnete Ulli Mair. Sie vereidigte die russische Annektion der Krim, sieht im Westen den Kriegstreiber. Die europäische Rechte versteht sich offensichtlich als pro-russisches Sprachrohr, egal ob es sich dabei um die AfD handelt, die österreichischen Freiheitlichen, den französischen RN, die Lega, FI oder eben um die Südtiroler Freiheitlichen.

Angedockt an diese Rechte ist auch eine gewissen Linke. Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine demonstrierten Linksradikale vor der NATO-Basis in Venetien. Gegen die NATO, nicht gegen Russland. Gegen die jetzt angelaufene Sicherheitskonferenz in München kündigten linke Gruppen ebenfalls Proteste und Kundgebungen an. Gegen die Sicherheitskonferenz, nicht gegen Russland.

Große Teile der Linken drücken an einer konsequenten Verurteilung Russlands eiertanzend herum, irrlichtern von einem provozierten Krieg, machen die USA und die NATO als die eigentlichen Täter aus. Politschwurbelei auf Kosten der ukrainischen Opfer.

Von linken Verharmlosern

Als im Herbst 2021 die russische Armee zehntausende Soldaten an der ukrainischen Grenze zusammenzog, konnte das linke Online-Magazin Telepolis keine Gefahr für die Ukraine erkennen. »Es ist offenbar egal, was die Russen dort treiben, das Urteil der Nato steht in jedem Fall fest: Jeder Aufmarsch von Truppen in Russland in der Nähe der Ukraine wird so behandelt, als ob die Ukraine bereits ein Teil der Nato sei«, giftete Telepolis.

Entrüstet wiesen die Telepolis-Linken die ukrainische Warnung vor einer westlichen Appeasement-Politik zurück. Denn Putin sei kein neuer Hitler, »dem wir Antifaschisten Einhalt gebieten müssen«. Ein neuer Hitler nicht, wohl aber ein neuer Stalin. Das fällt wohl aus dem Tätigkeitsbereich der Antifaschisten Marke Telepolis.

Telepolis empfahl großzügig deutsch arrogant der Ukraine neutral zu bleiben zwischen dem »westlichen Block« und Russland. Die NATO versuche aber alles, wusste Telepolis, die Ukraine aufzurüsten und an das Bündnis heranzuführen. Ein Fall von NATO-Aggression: »Ob ein russischer Angriff auf die Ukraine tatsächlich vor der Tür steht, wie es uns die US-Geheimdienste und die Biden-Regierung glauben machen wollen, lässt sich nur schwer beurteilen. Was sich aber sicher sagen lässt ist, dass die Situation überaus heikel ist und dass viele der russischen Vorwürfe, die derzeit so empört als Hirngespinste zurückgewiesen werden, alles andere als aus der Luft gegriffen sind.«

Linke Putin-Lautsprecher

Telepolis, ein Kreml-Lautsprecher in Deutschland? Ja, zweifelsohne. Das Magazin zitierte den stellvertretenden Außenminister Sergej Rjabkow, Russland habe »keine Intentionen, die Ukraine anzugreifen«. Das NATO-kritische Magazin hinterfragt alle westlichen Positionen, nicht aber die russischen. Ganz in diesem Sinne räumt Telepolis der Erklärung des russischen Außenministeriums von Mitte Dezember 2021 breiten Raum ein, erstveröffentlicht in der marxistischen Jungen Welt. Russland wirft darin der NATO vor, die ukrainischen Schützlinge zu aggressiven Schritten anzutreiben.

Völlig blind und kremlhörig, offensichtlich empfinden diese Linken den pompösen Mafia-Staat Russland als proletarisch, die rote Fahne samt Hammer und Sichel zählt ja den Armee-Aufmärschen, genauso die Huldigung von Stalin-Denkmälern. Dieses Russland scheint noch immer ein Sehnsuchtsland bestimmter Linker zu sein. Inzwischen auch für europäische und US-amerikanische Rechte. Kriegspräsident Putin hantiert mit völkischen »Ideen«, mit Rassismus, Militarismus und militantem Schwulenhass. Ein toxischer Cocktail.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass die Linke Zeitung den rechten Blogger und Corona-Schwurbler Thomas Röper den »angeblichen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze« kommentieren ließ — als NATO-Kriegspropaganda:

Deutsche Medien überschlagen sich seit über einer Woche mit Meldungen, russische Truppen würden an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Erstens ist das unwahr, wie die präsentierten Satellitenbilder beweisen, und zweitens wird der Aufmarsch von Nato-Truppen in der Ukraine verschwiegen.

Seit einem Jahr eskaliert Russland massiv seinen Krieg gegen die Ukraine. Derzeit steht die Ukraine mit dem Rücken zur Wand. Es schaut nicht gut aus. Dieser Eskalation kann die Ukraine wenig entgegensetzen, trotz der Ankündigungen von EU und NATO, mit robusten Waffen ihre Verteidigung zu stärken. Vielleicht wollen die angeblichen Verbündeten gar nicht, dass die Ukraine diesen Angriffskrieg erfolgreich zurückschlägt.

Bröckelnde Solidarität

In der EU rumort es, gegen die europäische Solidarität für die Ukraine. Der rechte ungarische Ministerpräsident Orban ist keine Ausnahme, sondern die Speerspitze. Links- und rechtsradikale Parteien stehen — aus unterschiedlichen Gründen — auf Putins Seite, gegen die USA. Die deutsche Linke, die italienische Lega, das französische RN. Die rechtsradikale AfD, die weichgespülten Erben der Nazis, positioniert sich als Friedenspartei gegen europäische und US-amerikanische Waffenlieferungen. Der völkische Putin ist der AfD näher als der liberale Demokrat Joe Biden. Eine Neuauflage einer alten Achse, 1939, der Hitler-Stalin-Pakt.

Die Feministin Alice Schwarzer und die Linke Sahra Wagenknecht wenden sich mit ihrem Manifest für Frieden gegen die weitere »Eskalation der Waffenlieferungen«. Ähnliches schwafelt der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer, stellvertretend für viele ostdeutsche CDU-PolitikerInnen. Die Feministin, die Linke und der CDUler haben eine Botschaft: »Wenn wir aufhören der Ukraine Waffen zu liefern, können sie auch nicht mehr solange Widerstand leisten. Dann muss verhandelt werden. Und der Krieg endet dann.« Egoistisch, kaltschnäuzig, Propaganda im Sinne Putins.

Sie empfehlen beiden Seiten, dem Täter und seinem Opfer, Kompromisse. Wahrscheinlich soll die Ukraine auf die annektierte Krim sowie auf die besetzten südlichen und östlichen Teile verzichten, Russland auf einen westlichen Weitermarsch.

Die Volksverpetzer kommentieren diese Aufrufe zur Kapitulation folgendermaßen:

Die naive und brutale Forderung, dem kriegstreibenden Diktator doch einfach gewinnen zu lassen, wird durch pseudo-pazifistische Rhetorik kaschiert. Im Endeffekt nutzen die Forderungen aus der Petition vor allem einem: Putin.

Beim serbischen Eroberungskrieg in Bosnien in den 1990er Jahren bestrafte der Westen Bosnien mit einem Waffenembargo. Während nämlich die serbischen Milizen von Serbien und Russland hochgerüstet waren, verfügte die bosnische Armee nur über geringe alte jugoslawische Bestände. Das Ergebnis ist bekannt, Massenvergewaltigungen, Massenmorde, Vertreibungen, zerstörte Dörfer und Städte, die Opfer meist Zivilisten. Ein Friedhofs-Frieden war die Folge, offensichtlich streben die westlichen Putin-Freunde dies auch für die Ukraine an.

Derzeit versucht die publizistische Linke, mit den Rechtsradikalen im Schlepptau, ihre alte Mär weiterzustricken. Verzweifelt versucht Telepolis, die USA zum Kriegstreiber hochzuschreiben, dem russischen Ukraine-Krieg zum Trotz. Immer wieder behauptet Telepolis, die USA seien für die Sprengung der Ostsee-Pipeline verantwortlich. Das soll US-Journalist Hersh der Biden-Regierung vorwerfen. Die pro-russischen Weichspüler von Telepolis huldigen ihrem Kriegspräsidenten, Superstar Putin. Der Grüne Toni Hofreiter hingegen wird zum Kriegshetzer.

Putins nützliche Idioten

Ähnlich die »linken« Nachdenkseiten, die recht offensiv mit dem russischen Propagandasender RT zusammenarbeiten. Der russische Krieg wird ausgeblendet, die Ukraine mit einem russischsprachigen jüdischen Präsidenten und ebenfalls russisch sprechenden jüdischen Ministerpräsidenten zum Nazi-Monster hochgeschrieben. Auf selbstgestellte Fragen wie »warum unterstützen die USA seit etwa 20 Jahren die Ukraine?« oder »haben sie es darauf angelegt, den Beitritt der Ukraine zur NATO voranzubringen?« und »haben die USA Putin provoziert?« gibt Nachdenkseiten zu erwartende Antworten.

Und: Der rechte Thomas Röper vom »Verschwörungsorgan« Anti-Spiegel darf ungestraft die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine wegschreiben.

Solche Beispiele gibt es noch viele. Die Journalistin Melina Borčak brachte es drei Tage nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine auf der Seite der Volksverpetzer (in Was Medien beim Berichten zur Ukraine falsch machen) auf den Punkt:

Hoffentlich ist dies nun gut erklärt und Redaktionen hören auf, Putins Behauptungen mit Fakten gleichzustellen. Es gibt aber auch eine andere Seite der Medaille: Wenn Fakten als Behauptungen aufgestellt werden. Zum Beispiel: “Die Ukrainische Regierung betrachtet die Gebiete im Osten als eigenes Staatsgebiet unter Okkupation.” Klar betrachtet sie es so, weil es so ist. Es ist einfach Fakt.

Kaum Länder außer Russland erkennen die Unabhängigkeit der “Volksrepubliken” an. Diesen Fakt als “Sicht der ukrainischen Seite” darzustellen ist journalistisch ebenfalls nicht korrekt.

Das waren Analysen zu Berichterstattung ohne Fehler. Aber zu guter Berichterstattung gehört viel mehr, als keine Fehler zu machen. Es ist sehr wichtig, die heutigen Geschehnisse historisch zu kontextualisieren – nicht nur durch den Krieg seit 2014.

Der Holodomor, Stalins Genozid an Ukrainern, kostete vier Millionen Menschenleben. Die Vertreibung und der Genozid an Krimtataren, einer muslimischen Volksgruppe aus der Ukraine gehört auch dazu. Auch die Russifizierung der Ukraine, Unterdrückung während der Zeit der Sowjetunion sowie Kolonialisierung sind tief ins Ukrainische Gedächtnis eingebrannt. Menschen, deren Großeltern Genozid überlebten und über das Grauen berichteten, haben weitere Motive, um hart und entschlossen gegen eine neue Invasion Putins zu kämpfen – egal ob sie christliche oder muslimische Bürger*innen der Ukraine sind.

Das ist historischer Kontext, der untrennbar zur ukrainischen Geschichte gehört, wie die Berliner Mauer oder die NS-Zeit zur deutschen.“

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Berlusconi hetzt gegen die Ukraine.

Wenn er Regierungschef gewesen wäre, hätte er niemals mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gesprochen, diktierte FI-Chef Silvio Berlusconi Journalistinnen heute ins Mikrofon. Einleuchtende Begründung: Sein Land werde zerstört, seine Soldatinnen und Zivilistinnen massenweise getötet.

Dass das auf den brutalen Angriffskrieg zurückzuführen ist, den sein persönlicher Freund Wladimir Putin vor nahezu einem Jahr entfesselt hat, blendet der Chef einer Partei, die die italienische Regierung von Giorgia Meloni (FdI) stützt — und zudem mit der SVP verbündet ist —, einfach aus.

»Sehr, sehr negativ« bewertet Berlusconi nur Selenskyj, denn es hätte seiner Meinung nach gereicht, die Angriffe auf die mit russischer Unterstützung abgetrennten Volksrepubliken einzustellen, um den russischen Überfall zu vermeiden. Täter-Opfer-Umkehr wie aus dem Bilderbuch.

Konsequenterweise legt der ehemalige italienische Ministerpräsident US-Präsident Joe Biden nahe, Selenskyj einen milliardenschweren Marshallplan in Aussicht zu stellen, wenn der im Gegenzug vor Russland kapituliert. Waffenlieferungen seien selbstverständlich unverzüglich einzustellen.

Wem Berlusconis Marshallplan, den die USA bezahlen sollen, dienen soll, ist dabei unklar. Denn wenn das Aggressionsopfer einseitig den Krieg beendet, wird sein Land anschließend wohl nicht mehr existieren. Aber vermutlich wäre es dem FI-Chef ja recht, wenn der amerikanische Wiederaufbauplan neu annektierten russischen Provinzen zugute käme.

Andernfalls würde er ja vielleicht seinen Kumpel Putin zur Seite nehmen und zum Rückzug drängen. Geht aber nicht, denn der ist ja Opfer von Selenskyj und hat leider keinerlei Handlungsspielraum.

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Zerschlagt das Imperium.

Der russische Journalist Arkadi Babtschenko plädiert für die Entkolonialisierung Russlands

Regimeunabhängige NGOs der nichtrussischen Völker haben in einem Aufruf auf die Vitalität des russischen Imperialismus hingewiesen. Er überlebte die bolschewistische Revolution 1917 und den Zusammenbruch der UdSSR, stellen die AktivistInnen fest.

Dieser Imperialismus sorgte dafür, kommen die NGOs zum Schluss, dass aus der russländischen Föderation ein Zentralstaat mit einem »staatstragenden Volk« wurde, in dem nur die russische Sprache gilt — obwohl in diesem Land mehr als 190 Völker mit eigenen Geschichten, Kulturen und Traditionen leben.

In seinem tagebuchähnlichen Im Rausch wirft Journalist Babtschenko dem russischen Kriegspräsidenten und seinem Regime Faschismus vor. Putin baute mit seiner Allianz aus Ex-KGB-Agenten, Ex-Kommunisten und organisierten Kriminellen Russland tiefgreifend um, in eine Art Führerstaat, der die nationale Besoffenheit der Russen befeuert.

Babtschenko kämpfte als Soldat im zweiten Tschetschenienkrieg, kennt die russische Kriegsstrategie des allumfassenden Plattmachens und beschreibt die Annektion der Krim und den Krieg in der Ostukraine 2014 als Probelauf für den Überfall von 2022.

In seinem Buch Im Rausch schreibt Babtschenko über die Zeit zwischen 2012 und 2022. Er warnt darin vor dem russischen Expansionsdrang: »In den vergangenen 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gingen von Russland 40 kriegerische Interventionen aus, alle auf fremdem Territorium, alles Eroberungskriege.« Babtschenko wirft der russischen Opposition vor, diese Entwicklung nicht erkannt zu haben, genauso dem Westen, der sich auf das Geschäftemachen mit dem russischen Staat und seinen kriminellen Oligarchen konzentrierte.

Das Putin-Regime schaffte es, die zarte Demokratie zu zerstören, eine Mehrheit der RussInnen für den überbordenden Nationalismus zu gewinnen, die Baschkiren, Burjaten, Udmurten, Kalmycken, Tuwiner, Tschetschenen, Tataren, Jakuten und andere Völker als »Wilde am Rande« auszugrenzen. Im russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine dienen die genannten Völker als Reservoir für zu verheizendes Kanonenfutter.

Babtschenko stellt für sich klar, dass er Veteran der »beschissenen imperialen Eroberungskriege« war, eines Mörder-, eines Eroberungslandes. Für den ehemaligen Soldaten ist seins ein Land von Aggressoren und Okkupanten. Für Babtschenko geht es nicht darum, ein anderes Russland zu bauen — das Ziel des inhaftierten Oppositionellen Nawalny. »Ich brauche überhaupt kein Russland,« distanziert sich Babtschenko radikal von seiner Heimat. Denn Russland sei — ob zaristisch, bolschewistisch oder putinfaschistisch — ein Imperium.

Babtschenko wirbt für die Dekolonialisierung, für einen Freistaat Moskau, für ein freies und demokratisches Moskowien. »Und — ein freies Tatarstan. Ein freies Baschkirien und Burjatien. Einen freien Kaukasus. Eine Volksrepublik Primorje … Einen gesonderten Staat Sacha-Jakutien.« Freiheit auch für Pomorje, für Karelien, Adygeja, Kalmückien und Tscherkessien.

Mordor, Russland, müsse zerschlagen werden führt Babtschenko weiter aus: »Mit einem Wort — im Uhrzeigersinn alles, was ihr euch zusammengeraubt, erobert, verdreckt, niedergebrannt habt und was ihr jetzt blauäugig für euer seit Urzeiten russisches Eigentum haltet, ohne zu begreifen, dass dem so nicht ist.«

Das bei Rowohlt erschienene Buch Im Rausch ist eine wütende Abrechnung mit Russlands Aggression. Tagebuchartig beschreibt der Autor die Ereignisse seit dem 24. Februar 2022, würdigt die mutigen UkrainerInnen und geißelt den Wahnsinn der Russen: »An den Ostgrenzen Europas hat sich ein neues faschistisches Reich gebildet, mit einem wahnsinnigen Führer.«

Für ihn gibt es nur einen Weg aus dem Krieg: »Im Interesse Europas bleibt die wichtigste Investition die Bewaffnung der Ukraine. Gebt der Ukraine Waffen. Denn wenn die Ukraine verliert, dann kommt der Krieg nach Europa.« Verhandlungen hält er für sinnlos.

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Auf die Terrorliste!

Mit ihrer Gewalt stützen die iranischen Revolutionsgarden seit 40 Jahren das Mullah-Regime.

Die Revolutionsgarden sind die Sicherheitsgarantie für die islamistischen Diktatoren im Iran. Seit dem Sturz des Schahs terrorisieren diese gewalttätigen Wächter der islamistischen Revolution die Bevölkerung, von den Kurden im Westen bis zu den Belutschen im Osten des Landes. Wie derzeit auch. Auslöser für die aktuellen Proteste sind die frauenverachtenden Aktionen der »Sittenpolizei«, die Ermordung der jungen kurdischen Frau Jina »Masha« Amini.

Das Regime reagierte bisher mit Todesschüssen, Verhaftungen und Folterungen. Es machte für die Proteste und Demonstrationen das Ausland verantwortlich, die USA und Israel. Das Regime versucht nach der Protestflut im ganzen Land zu beruhigen und kündigte die Auflösung der sogenannten Sittenwächter an. Mehrere tausend Polizisten, meist männlich, schikanieren Mädchen und Frauen, die sich nicht an die »Sittenvorgaben«, an das Kopftuchtragen, hielten. Zwischen 2005 und 2014 zeigte die Sittenpolizei drei Millionen Frauen wegen Nichteinhaltung der islamistischen Kopftuchvorgaben an.

Die Revolutionsgardisten schlugen den kurdischen Widerstand während des Putsches blutig nieder. Grenzenloser Terror, den sie auch ins Ausland tragen. »Im benachbarten Ausland, in Ländern wie dem Irak, Afghanistan, dem Libanon und Syrien sind die Revolutionsgardisten in den iranischen Botschaften als Kulturattachés und Botschaftsräte getarnt aktiv. Nun scheinen sie ihren Aktionsradius auszudehnen«, schreibt mena-watch und zitiert Ahmad Majidyar, Mitarbeiter am Washingtoner Middle East Institute.

Laut Majidyar werden die Mitglieder der Revolutionsgarden als Diplomaten getarnt ins Ausland entsandt. Sie sollen in Deutschland Anschläge auf Synagogen verübt haben. Doch der Aufschrei darüber blieb bisher aus. Außerdem sollen Revolutionsgardisten in Deutschland und wahrscheinlich auch in der übrigen EU iranische Oppositionelle und Dissidenten verfolgen. Ist die EU ein rechtsfreier Raum für islamistische Gewalttäter aus dem Iran?

Das Nahost-Magazin mena-watch berichtete auch darüber, dass Drohnenspezialisten der Revolutionsgarden die russische Armee in der Ukraine unterstützen. Auf der annektierten Krim sollen sie russische Soldaten an den Drohnen ausbilden. Die ukrainische Regierung zeigt sich besorgt, »dass die iranischen Spezialisten Russland bei seinen schrecklichen Angriffen auf die Zivilbevölkerung helfen«. In diesen Drohnen befindet sich westliche Technik — trotz des Embargos. Die Wirtschaft scheint sich darum nicht zu scheren.

Handel durch Wandel? Nein, die Kasse muss stimmen, die Bekenntnisse zu Menschenrechten und Rechtsstaat zählen zur Sonntagsrhetorik der westlichen Unternehmen.

Während die islamistischen Gardisten — im eigenen Land und im Ausland — für Terror sorgen, blieben sie bisher unbehelligt. Das Gegenstück dazu: die kurdische Arbeiterpartei PKK. Im Jahr 2002 setzte der EU-Ministerrat auf Druck des türkischen Präsidenten Süleyman Demirel die Partei auf die Terrorliste. Grundlage dafür waren meist nicht dokumentierte türkische Vorwürfe.

Im Jahr 2018 stellte das EU-Gericht in Luxemburg fest, dass die PKK zu Unrecht auf der EU-Terrorliste steht. Es erklärte die zugrundeliegenden Beschlüsse der EU-Staaten wegen Verfahrensfehlern für nichtig. Nach Ansicht des Gerichts hat der Rat der Mitgliedstaaten in notwendigen Verordnungen und Beschlüssen nicht hinreichend begründet, warum er die PKK auf der Liste führt. Das Urteil blieb aber folgenlos.

Die iranischen Staatsterroristen verschärfen ihren Krieg gegen die Bevölkerung. Sie sollen in den Gefängnissen Massenvergewaltigungen an inhaftierten Mädchen und Frauen organisieren. Im Westen des Landes, in Kurdistan, schießen die Revolutionswächter auf Demonstranten, in Rojhilat herrscht Krieg.

Die Revolutionsgarden tragen ihren Krieg sogar ins autonome Kurdistan im Irak. Bei iranischen Raketen- und Drohnenangriffen sollen Angehörige der iranisch-kurdische Oppositionsparteien getötet worden sein. Das Mullah-Regime verfolgt in Kurdistan die seit Jahrtausenden erfolgreiche Politik des Teilens und Herrschens. Im kurdischen Mahabad verteidigen kurdische Dorfwächter, die Mangur, das Regime.

Die Mangur waren ein kriegerischer, halbnomadischer kurdischer Stamm in der Region Mukriyan. Zwischen 1925 und 1941 war er einer der wenigen Stämme, die sich gegen Reza Schah Pahlavi auflehnten. Gemeinsam mit anderen kurdischen Stämmen unterstützten sie 1946 die Republik Kurdistan von Mahabad. Nach Zerschlagung der Republik und der Hinrichtung von Regierungschef Qazî Mihemed und seinen Freunden, zogen sich die Mangur zurück. Ein kleiner Teil dieses Stammes stellt derzeit Leibwächter für das iranische Regime. Sie leben in einem Viertel in Mahabad und haben über zweitausend bewaffnete Mitglieder.

Mit ihren schweren Waffen schossen die Mangur auf die demonstrierenden Menschen. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur anf-news findet, »dass das iranische Regime in Rojhilat versucht das zu tun, was auch in anderen Teilen Kurdistans getan wurde. Es werden Kurden von Kurden getötet. Zum Beispiel wurde Shaho Xizri durch die Kugel eines Jahsh (Mangur) getötet«.

Während die »Sicherheitskräfte« in der frühen Phase der Proteste im restlichen Iran »nur« Gummigeschosse benutzten, wurde in Kurdistan scharf geschossen. Die Mangur und die Revolutionsgardisten setzten Kalaschnikows ein. Anf-news analysiert: »Kurz gesagt: Während das iranische Regime in Teheran sein faschistisches Gesicht zeigt, offenbart es in Mahabad und anderen Städten von Rojhilat seinen Besatzungscharakter. Das wissen auch die Menschen und fordern deshalb einen Wechsel des Regimes.«

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