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Ich hab’ den Corona-Blues.
Ernüchternde Einsichten und ein Funken Optimismus

Ich muss zugeben, ich habe mich geirrt und die ganze Angelegenheit unterschätzt. Zu Beginn dachte ich, dass das Krisenmanagement allerorts einigermaßen geordnet verläuft, aber inzwischen bewirkt die sogenannte Corona-Krise Dinge, die mir überhaupt nicht gefallen und die ich so nicht habe kommen sehen. Neben der gesundheitlichen Ebene – die ohne Zweifel eine vorrangige ist – dürfen wir soziale, demokratische und auch wirtschaftliche Entwicklungen nicht aus dem Blick verlieren – auch weil diese langfristig mit der gesundheitlichen Ebene verwoben sind.

Fatale Krisenkommunikation

Wir befinden uns zweifellos in einer Ausnahmesituation. Und gerade in solchen Krisenzeiten ist es wichtig, dass von Seiten der Politik und der Behörden sachliche, unzweideutige und kohärente Botschaften ausgesendet werden. Dass skrupellose, populistische Selbstdarsteller wie Donald Trump [Trump’s Coronavirus Calendar] genau das nicht können, weiß man*. Aber die kommunikationstechnische Inkompetenz macht auch vor unseren Breiten nicht Halt und zahlreiche Verantwortungsträger schaffen es tatsächlich regelmäßig durch ihre Aussagen die ohnehin schon verunsicherten Menschen weiter zu verunsichern. Ein paar Beispiele:

  • Ganz zu Beginn der Krise gab es in Innsbruck eine Episode, die damals noch für viele Lacher sorgte, im Nachhinein aber irgendwie bezeichnend für die Handhabung der Krise in Tirol wurde. Der erste Corona-Fall betraf eine Bedienstete des Fünf-Sterne-Hotels “Europa” am Innsbrucker Bahnhof. Sogleich wurde das Hotel am 26. Februar unter Quarantäne gestellt.  Bei einem Live-Einstieg in die ZiB1 direkt vor dem Hotel berichtete der ORF-Reporter Klaus Schönherr von den Geschehnissen. Just in dem Moment, als er die Worte “Die Polizei kontrolliert die Ein- und Ausgänge. Derzeit darf auch niemand hinein oder heraus” sprach, öffnete sich hinter ihm die Hoteltür und ein Mann mit einem Scooter verlässt seelenruhig das Gebäude und rollt davon. Ein Polizist hält ihm noch die Tür auf. Im Hintergrund hört man den Kameramann, wie er sich vor Lachen kaum noch einkriegen kann.
  • Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ließ am 14. März verlautbaren (Quelle: TT), dass es in Österreich keine Ausgangssperren geben werde – auch in Zukunft nicht. Am 15. März wurde dann in Tirol de facto eine Ausgangssperre verhängt (Quelle: TT). Mittlerweile gilt diese mehr oder weniger in ganz Österreich.
  • Am 16. März war der Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) in einer Live-Zuschaltung bei Armin Wolf in der ZiB2. Gebetsmühlenartig wiederholte Tilg immer und immer wieder, dass die Tiroler Behörden “alles richtig” gemacht hätten. Nahezu auf jede Frage war “alles richtig gemacht” seine Antwort. Es war also richtig, dass die Landessanitätsdirektion am 8. März befand, dass “[e]ine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar [Anm.: Kitzloch in Ischgl] aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich [war].”  Sie tat dies, obwohl Island bereits am 5. März aufgrund infizierter, rückgekehrter Tirolurlauber eine Warnung ausgab und die Tiroler Behörden verständigte. Sie tat dies, obwohl ansonsten immer wieder betont wird, dass ein bis zwei Meter Abstand zwischen den Personen eine der wichtigsten Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus sei, ein solcher Abstand jedoch in einer vollbesetzten Après-Ski-Bar niemals zu gewährleisten ist. Sie tat dies, obwohl Ischgl (und St. Anton) nur wenige Tage später (am 13. März) komplett unter Quarantäne gestellt wurden. Zuvor lies man aber noch viele Gäste mit einer “Eigenerklärung” abreisen, in der eine unverzügliche Ausreise verlangt wurde. Dass darunter aber auch hunderte Fluggäste waren, die am selben Tag keinen Flug mehr erhielten und somit andernorts in Tirol (meist in Innsbruck) zur Übernachtung gezwungen waren, schien den “alles richtig machenden” Behörden entgangen zu sein. Bereits bevor die Quarantäne für Ischgl und St. Anton verkündet wurde, wussten die dortigen Tourismusverbände offenbar Bescheid und warnten ihre Mitglieder vor der Sperre. Hektisch schickten also auch noch viele Beherbergungsbetriebe ihre auswärtigen Mitarbeiterinnen aus dem Tal hinaus, was die ganze Quarantäne-Aktion ad absurdum führte. Mittlerweile zählen Ischgl und der Arlberg zu den Hauptverbreitungsherden des Virus in Europa und hunderte (vielleicht tausende) Infektionen in Deutschland und Skandinavien lassen sich auf diese Orte zurückverfolgen. Dennoch schrieben die Bergbahnen Lech/Zürs, die wie St. Anton zum Arlberger Skigebiet zählen, am Abend des 12. März auf ihrer Facebookseite, dass die Saison regulär bis 26. April fortgeführt werden würde. Zwei Tage später wurden die Lifte in Lech/Zürs behördlich geschlossen.
  • Am 20. März hatte dann die österreichische Arbeitsministerin Christine Aschbacher ihren Auftritt bei Lou Lorenz-Dittlbacher in der Zeit im Bild 2. Anstatt die Bürgerinnen und Bürger in der Krise mit klaren Informationen zu versorgen und dadurch auch ein Stück weit zu beruhigen, schaffte es die Ministerin auf so gut wie keine Frage der Journalistin zu antworten. Vielmehr gab sie – völlig unabhängig von der Frage – offenbar vorgefertigte Statements von sich, die meist davon handelten, wie hervorragend das Kurzarbeitsmodell der Regierung sei. Informationsgehalt gleich null.
  • In Italien und auch Südtirol gibt es ähnliche Verwirrung, vor allem was die Rechtmäßigkeit bestimmter Aktivitäten betrifft. Hierbei widersprechen sich die Informationen von Politik und Behörden bisweilen fundamental. Dies ist umso bedenklicher, da Vergehen gegen die Regierungsdekrete keine Verwaltungsstrafen nach sich ziehen, sondern strafrechtliche Tatbestände darstellen. In einem am 20. März publizierten Artikel auf der Internetseite der Stadt Brixen heißt es:

    „Die Anschaffung von Lebensmitteln sowie auch die anderen noch erlaubten Tätigkeiten, sollen nicht zur Ausrede werden um Stundenlang (sic!) von zu Hause weg zu bleiben“ so der Kommandant der Stadtpolizei Gernot Wieland der nochmal daran erinnerte, dass für alle Tätigkeiten, die eine Bewegung von zu Hause erfordern, eine entsprechende Selbsterklärung notwendig ist. „Die Devise lautet einfach: zu Hause bleiben und auf jede nicht unbedingt notwendige Tätigkeit zu verzichten; das betrifft sowohl Spaziergänge als auch Sport im Freien“ so der Kommandant.

    Zur gleichen Zeit liest man auf der offiziellen Internetseite der Regierung (www.governo.it) folgendes:

    È consentito fare attività motoria?
    Sì, l’attività motoria all’aperto è consentita purché non in gruppo. Sono sempre vietati gli assembramenti.

    È necessario avere con sé l’autodichiarazione per andare a fare attività motoria all’aperto?
    No, l’attività motoria all’aperto è espressamente prevista dai decreti come consentita, quindi non è necessaria alcuna autodichiarazione.

    In einem anderen Punkt heißt es aber dann wieder:

    Si può uscire per fare una passeggiata?
    Si può uscire dal proprio domicilio solo per andare al lavoro, per motivi di salute o per necessità ovvero per svolgere attività sportiva o motoria all’aperto. Pertanto le passeggiate sono ammesse solo se strettamente necessarie a realizzare uno spostamento giustificato da uno dei motivi appena indicati. Ad esempio, e giustificato da ragioni di necessità spostarsi per fare la spesa, per acquistare giornali, per andare in farmacia, o comunque per acquistare beni necessari per la vita quotidiana. Inoltre è giustificata ogni uscita dal domicilio per l’attività sportiva o motoria all’aperto. Resta inteso che la giustificazione di tutti gli spostamenti ammessi, in caso di eventuali controlli, può essere fornita nelle forme e con le modalità dell’autocertificazione, ove l’agente operante ne faccia richiesta. La giustificazione del motivo di lavoro può essere comprovata anche esibendo adeguata documentazione fornita dal datore di lavoro (tesserini o simili) idonea a dimostrate la condizione dichiarata. In ogni caso, tutti gli spostamenti sono soggetti al divieto generale di assembramento, e quindi dell’obbligo di rispettare la distanza di sicurezza minima di 1 metro fra le persone.

  • In den jüngsten Richtlinien heißt es nun, dass Freiluftaktivitäten nur noch in der Nähe der eigenen Wohnung stattfinden dürfen. Was “Nähe” (ita: prossimità) allerdings genau bedeutet, ist nicht geregelt. Dennoch soll bei Zuwiderhandlung sanktioniert werden. Behördlicher Willkür sind Tür und Tor geöffnet. Vielerorts ist dann die 200-Meter-Marke als Definition für “Nähe” aufgetaucht. Jedoch findet sich weder im Dekret der Regierung noch in der Verordnung des Landeshauptmannes ein expliziter Hinweis auf diese Zahl, wie Christoph Franceschini in einem salto-Artikel mit dem Titel “Das 200-Meter-Märchen” feststellt:

    Als mündiger Bürger muss man sich darauf verlassen können, von den Regierenden nicht mit Märchen an der Nase herumgeführt zu werden. Sondern dass Gesetze und Vorordnungen erlassen werden, die Schutz und Rechtssicherheit gleichzeitig gewähren. Auch in Zeiten des Corona.

    Schön wär’s.

  • Nebenbei hat die italienische Regierung ganz eigenwillige Prioritäten, indem sie fast im Dreitagesrhythmus neue Eigenerklärungen herausbringt, die die Bürger mitzuführen haben. Als ob wir keine anderen Sorgen hätten. Zusätzlich zu den teilweise verwirrenden Regelungen muss man also auch noch darauf achten, die richtige Eigenerklärung dabei zu haben – wenn überhaupt noch Tinte im Drucker ist. Ein bürokratischer Schwachsinn.

Diese Liste ließe sich noch ziemlich lange fortsetzen.

Gefährliche Vernunftpanik

Vernunftpanik ist die überdrehte Stufe von tatsächlich sinnvollem Handeln. Vernunftpanik ist der Abschied vom eigentlichen Wesen der Vernunft, nämlich dem Abwägen zwischen verschiedenen Werten. Was aufgegeben wird zugunsten des plakativsten Handelns. […] Es geht weder um Verharmlosung der Krankheit noch um die Geringschätzung oder gar Abwehr der notwendigen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Es geht um Kommunikation und Haltung, wie dieser Notsituation gemeinschaftlich begegnet wird. Denn neben der Mut machenden, positiven Krisenreaktion vieler Menschen bricht oft auch diese schwierige, vielleicht gefährliche Regung durch: Vernunftpanik ist kontraproduktiv sowohl für die Bewältigung der Pandemie als auch für die Gesellschaft, in der wir nach der Krise leben werden.

So beschreibt Sascha Lobo das Corona-Krisen-Phänomen in seinem – auf diesem Blog bereits zitierten – Spiegel-Essay “Wider die Vernunftpanik”. Die Gefahr eines breiten Denunziantentums oder zumindest eines besserwisserischen Überlegenheitsgefühls ist real, auf beiden Seiten des Corona-Krisen-Versteher-Spektrums. Während die einen behaupten, dass man den Gesundheitsnotstand gar nicht wahrnehmen würde, wenn es den Corona-Test nicht gäbe, die anderen auf die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit der offiziellen Datenlage hinweisen, um gleichzeitig für Homöopathie als Allheilmittel zu werben und wieder andere jeder WhatsApp-Nachricht von Paula oder Jürgen in Sachen Corona mehr Glauben schenken als einem Dossier studierter Mediziner, fordert die “Gegenseite” lückenlose Überwachung und harte Bestrafung für “Corona-Leugner” und Fake News. Auch der mittelalterliche Pranger feiert fröhliche Urständ – in der digitalen Welt. Beispielsweise veröffentlichte der Bürgermeister von St. Lorenzen, Martin Ausserdorfer, auf seiner Facebook-Seite ein (anonymisiertes) Bild von Jugendlichen, die trotz Versammlungsverbot auf einer Parkbank saßen. Obwohl es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ungesetzliches Verhalten handelte, sollte ein Gemeindeoberhaupt andere Möglichkeiten nützen, um solche Missstände zu beenden. Bei allem Unverständnis für Corona-Parties oder die Corona-Challenge, die an Blödheit kaum zu überbieten ist,  hängt – wie Lobo schreibt –

das, was wir im Alltag als Vernunft betrachten, […] viel öfter von der jeweiligen Position der Sprechenden ab als man wahrhaben möchte. […] Es ist ein Privileg, bei sicherem Gehalt Homeoffice betreiben zu können und ebenso die Möglichkeit, “Social Distancing” ohne Begleitschäden durchziehen zu können. Wenn man dann anderen vorwirft – ohne jede Kenntnis von deren Lebenssituation – dass sie sich weniger vorbildlich verhalten als man selbst, gerinnt diese Haltung rasch zur Herablassung.

Es ist in der Tat ein Unterschied, ob ich eine Quasi-Ausgangssperre in einer 150-Quadratmeter-Wohnung mit Garten verleben darf oder im fünften Stock eines städtischen Kondominiums, alleinerziehend mit zwei Kindern auf 55 Quadratmetern. Im letzteren Fall kann es durchaus vernünftig sein, mit den Kindern einmal das Haus zu verlassen und sich im großen Abstand von anderen Menschen in eine Wiese zu legen. Für jemanden mit Depressionen ist es vernünftig, täglich einen langen Spaziergang zu tätigen. Für eine Krankenpflegerin in der Corona-Abteilung ist es vernünftig, nach einer harten Schicht eine Runde zu laufen, damit sie den Kopf frei bekommt und die Belastungen ihrer Arbeit einigermaßen gesund übersteht. Sollte ihr das nicht gelingen, haben wir nämlich ein Problem mehr. Doch all das sieht man von außen nicht, wenn man vom Balkon aus die Leute im Freien mit Argwohn beobachtet.

Wackere Demokratiekrieger

All diesen Aspekten zum Trotz, die in der Summe wesentlich für das Gelingen des Vorhabens sind – nämlich die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen ohne eventuell noch weitreichendere Kollateralschäden zu verursachen, geht die Politik in immer mehr Ländern mit martialischer Härte vor und scheint die Balance zwischen tatsächlich sinnvollem Handeln und plakativem Handeln zu verlieren. Nicht allein Emmanuel Macron verwendet im Zusammenhang mit dem Gesundheitsnotstand Kriegsrhetorik, nicht nur politische Rechtsaußen machen die Krise zu einer Frage, bei der nationaler Zusammenhalt, Abgrenzung und Schuldzuweisungen im Mittelpunkt stehen, und nicht bloß in Italien erhält das Militär mittlerweile Befugnisse, die es in Friedenszeiten in einer westlichen Demokratie nicht haben sollte.

Der Optimismusfunken

Und obwohl die Welt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf einen weiteren Klugscheißer gewartet hat, der seinen Senf zu der an Verzwicktheit kaum zu überbietenden Situation dazu gibt, möchte ich zum Abschluss dennoch neun fromme, durchaus optimistische Wünsche aus der Selbstisolation loswerden:

  1. Bleiben wir so gut es geht daheim und halten wir uns an die Hygieneregeln, um die Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen und all jenen, die intensivmedizisch betreut werden müssen, eine solche Betreuung auch garantieren zu können.
  2. Erinnern wir uns nach der hoffentlich baldigen Beendigung dieser Krise daran, wer die Menschen waren, die dafür gesorgt haben, dass andere überleben durften, dass anderen geholfen wurde und dass das Werkl generell weiterlaufen konnte – sowohl was die gesellschaftliche Reputation als auch die finanzielle Abgeltung dieser Dienste betrifft.
  3. Fallen wir nicht in Panik und hüten wir uns auch vor “Vernunftpanik”, wie sie Sascha Lobo in seinem interessanten Spiegel-Essay beschreibt.
  4. Achten wir bei aller Notwendigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf das zärtliche Pflänzchen, das sich Demokratie nennt und das von Rechtsstaatlichkeit und öffentlichem Diskurs lebt, auf dass wir trotz aller Hemmnisse im Moment kritische Bürgerinnen und Bürger bleiben und beispielsweise Militär auf den Straßen in Friedenszeiten nicht als normal und notwendig ansehen.
  5. Denken wir nach – oder noch besser – überprüfen (Neudeutsch: factchecken) wir Meldungen, bevor wir sie per WhatsApp, Facebook, Twitter und Co. in die Welt hinausschießen und die ohnehin schon angespannte Situation mit kruden Verschwörungstheorien oder zweifelhaften Weisheiten selbsternannter Corona-Experten weiter befeuern.
  6. Lassen wir das derzeit praktizierte “Social Distancing” nicht zu einem neuen Maßstab menschlicher Interaktion werden, sondern arbeiten wir schon jetzt an einem fürsorglicheren und wertschätzenden Umgang mit unseren Mitmenschen, unseren Nächsten, ungeachtet ob Familienmitglied, Freund oder Fremder.
  7. Geben wir Umwelt und Natur mehr Möglichkeiten der Regeneration, ähnlich dieser unfreiwilligen im Moment.
  8. Machen wir uns nicht selbst kaputt, indem wir nicht nur Händewaschen, sondern auch psychische Hygiene betreiben, den Humor nicht verlieren und uns dessen besinnen, woran wir glauben und was uns wirklich wichtig ist.
  9. Nutzen wir die Krise – so abgedroschen und naiv es klingt – tatsächlich auch als Chance, um gestärkt aus ihr hervorzugehen, denn laut Max Frisch sei die Krise ein produktiver Zustand. Man müsse ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.

*) So meinte Trump vor einigen Wochen, dass es sich bei COVID-19 um eine normale, etwas leichtere Grippe handle. Später vermutete er einen Hoax der Demokraten, die die Sache aufbauschten, um ihm die Wiederwahl zu verderben. Dann meinte er, dass es in den USA nur 15 Fälle gäbe, die Zahl aber bald gegen 0 gehen werde (mit heutigem Tag sind es in den USA mehr als 81.977 bestätigte Fälle) und das Virus “wie durch ein Wunder” verschwinden würde. Plötzlich war Corona aber der große Feind, den es zu bekämpfen gilt und er, Trump, war derjenige, der die Pandemie erkannte, lange bevor andere von einer Pandemie sprachen. 

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Doppelpass: Die inoes-Petition.

Eine neugegründete Initiative Österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler (inoes) hat dem Innenminister sowie dem Außenminister der Republik Österreich eine Petition zum sogenannten Doppelpass zukommen lassen. Dies hatte zunächst die Tiroler Tageszeitung (TT) in ihrer heutigen Printausgabe auf der Titelseite berichtet. Der Initiative gehören 51 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und verschiedensten zivilgesellschaftlichen Bereichen an — darunter auch Mitglieder der Südtiroler Landesregierung.

In dem (von Salto publik gemachten) Schreiben berufen sich die Unterzeichnenden auf einen Entschließungsantrag, der vom österreichischen Nationalrat am 19. September verabschiedet worden war. Außerdem erinnern sie daran, dass sich im Herbst 2017 die Mehrheit der Landtagsabgeordneten für die Gewährung der doppelten Staatsbürgerinnenschaft ausgesprochen hatte — ein Wunsch, der auch beim Südtirolkonvent zum Ausdruck gekommen sei.

Deshalb ersuchen sie in ihrer selbst auferlegten Eigenschaft als »Vertreter der Südtiroler Bevölkerung« um ein direktes Treffen mit den beiden Ministern, um den angeblich bereits fertigen Gesetzesvorschlag zu erörtern und das weitere Vorgehen zu besprechen.

Auf welcher Grundlage die Unterzeichnenden bzw. die Initiative ihren Vertretungsanspruch erheben, ist jedoch äußerst fraglich. Dies mag zwar im Einzelnen für gewählte Mandatarinnen und Mitglieder der Landesregierung gelten, dann aber auch nur teilweise. Immerhin wird auch diese Petition von der Mehrheit der Landtagsabgeordneten unterstützt. Die anderen Petentinnen stellen zwar gewisse Bevölkerungsteile dar, sind aber mit Sicherheit nicht repräsentativ.

Nicht zuletzt gibt die inoes auch an, ihr gehörten Vertreterinnen »aller deutsch- und ladinischsprachigen Parteien im Südtiroler Landtag« an. Doch das ist falsch, denn von den Abgeordneten der Grünen trägt die Petition niemand mit.

Nachtrag vom 30. Oktober 2019: Die Unterzeichnenden sind laut oben verlinktem Salto-Beitrag Philipp Achammer, Maria Hochgruber-Kuenzer, Thomas Widmann (Landesrätinnen, SVP); Sepp Noggler (Landtagspräsident, SVP); Gert Lanz, Helmuth Renzler, Franz Locher, Helmut Tauber, Jasmin Ladurner, Magdalena Amhof und Manfred Vallazza (Landtagsabgeordnete, SVP); Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle (Landtagsabgeordnete, STF); Alex Ploner, Franz Ploner, Josef Unterholzner, Maria Elisabeth Rieder und Peter Faistnauer (Landtagsabgeordnete, TK); Andreas Leiter Reber und Ulli Mair (Landtagsabgeordnete, F); Karl Ferrari und Alois Kofler (ehem. Senatoren, SVP); Georg Pardeller, Hanspeter Munter und Franz Pahl (ehem. Landtagsabgeordnete, SVP); Bruno Hosp (ehem. Landesrat, SVP) Christoph Perathoner (Bezirksobmann, SVP); Michael Epp (Plattform Heimat, SVP); Eva Klotz und Bernhard Zimmerhofer (ehem. Landtagsabgeordnete, SVP); Cristian Kollmann (STF); Tony Tschenett und Alexander Wurzer (ASGB); Jürgen Wirth Anderlan, Elmar Thaler, Paul Bacher und Egon Zemmer (Schützenbund); Roland Lang (Heimatbund); Wilhelm Haller (Bauernjugend); Luis Vonmetz (ehem. AVS-Vorsitzender); Franzjosef Roner (Herz-Jesu-Notfonds); Othmar Parteli (ehem. Abteilungsleiter der Landesregierung); Margareth Lun (Historikerin); Dietlind Rottensteiner (Lehrerin); Herbert Raffeiner (ehem. Schuldirektor); Ingemar Gatterer (Fa. SAD); Toni Corradina (Fa. Euro Alpe); Hugo V. Astner und Manuela Atz (HGV Kaltern); Pater Christoph Waldner (Superior Deutschordenskonvent Lana); Pater Reinald Romaner (Guardian Franziskanerkloster Bozen).

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1› 2›

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Ein medialer Sittenverfall.
Schwarze Chronik nördlich und südlich des Brenners

TT-Chefredakteur Mario Zenhäusern beklagt in einem Leitartikel anlässlich des Fünffach-Mordes in Kitzbühel den Umgang österreichischer und deutscher Medien mit dem Kriminalfall. Auf Social-Media-Kanälen und im Boulevard würde die Praxis der Anonymisierung der Opfer und mutmaßlicher Täter immer öfter nicht mehr geübt.

In Österreich sind nach geltendem Medienrecht Opfer und (mutmaßliche) Täter sowie deren Angehörige gesetzlich davor geschützt, dass ihr Name, Bild oder nähere Angaben zur Person ohne Einwilligung in Medien veröffent­licht werden. Ausgenommen sind, vereinfacht erklärt, lediglich Persönlichkeiten des öffentlichen Interesses bzw. Persönlichkeiten, die selber in der Öffentlichkeit stehen. Während sich viele Medien nach bestem Wissen und Gewissen an diese gesetzliche Regelung halten, wird sie in den sozialen Netzwerken regelmäßig und von deutschen und österreichischen Boulevardzeitungen immer wieder ignoriert, wie die schonungs- und pietätlose Zurschaustellung der Opfer im Fall Kitzbühel zeigt. Diese Form der Berichterstattung ist ein Beweis für den medialen Sittenverfall, der noch dazu in den meisten Fällen sanktionslos bleibt.

Würde Zenhäusern den Blick über den Brenner wagen, würde er hier zuhauf auf die Letztklassigkeit und Niveaulosigkeit treffen, von der er in seinem Kommentar schreibt. Quer durch die Bank werden in Südtirol nämlich Unfall- und Verbrechensopfer wie auch mutmaßliche Täter mit vollem Namen und Bild präsentiert – wie ein Blick auf die Internetseite des Athesia-Blattes A.A. oder die Nachrichtenplattform Stol belegt.

Schwärzungen von mir

Ein schwacher Trost ist, dass diese unsägliche Praxis zumindest in Nordtirol noch einige Menschen – Medienleute zumal – schockiert. In Südtirol hat man sich an die unappetitliche und pietätlose Zurschaustellung offenbar schon längst gewöhnt. Denn was sind Persönlichkeitsrechte und die Gefühle Angehöriger schon wert im Vergleich zur Quote, die billiger Sensationsjournalismus bringt?

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 | 1›

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Landeshauptmann gegen Doppelpass.

Wie die Tiroler Tageszeitung (TT) heute berichtet, will der Südtiroler Landeshauptmann die neue österreichische Regierung davon abbringen, das Projekt der doppelten Staatsbürgerinnenschaft weiter zu verfolgen.
Eine Expertinnengruppe habe den entsprechenden Gesetzesentwurf vor zwei Wochen fertiggestellt, kurz bevor der Ibiza-Skandal öffentlich wurde.
Laut TT befürchtet Arno Kompatscher (SVP), dass sich die doppelte Staatsbürgerinnenschaft negativ auf Südtirol und auf die österreichische Schutzmachtrolle auswirken könnte.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Red-Bull-betankt mit Rattengift.

Peter Pilz nennt es süffisant das freiheitliche Prinzip: “Oppositionsbank, Regierungsbank, Anklagebank”. Viermal gab es bislang in Österreich eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. Viermal endete diese frühzeitig und in einem veritablen Skandal. Das einzige, was bezüglich Regierungsbeteiligung der FPÖ noch überraschen kann, ist die Geschwindigkeit, in der sich die selbsternannten Saubermänner im Sumpf versenken, wie viel es die Steuerzahler dieses Mal kosten wird und wie schnell die Wählerschaft die bestimmt bald auftauchenden “Wir sind die wahre FPÖ, wir haben mit den Skandalbrüdern der Vergangenheit nichts zu tun”-Blender wieder in luftige Höhen hieven wird.

Kanzler Sebastian Kurz’ ominöse rote Linie, die im Laufe der vergangenen 17 Monate immer weiter in Richtung Unappetitlichkeit verschoben wurde, war schon dadurch überschritten, dass Personen mit dem Hintergrund eines Kickl oder Kunasek überhaupt in die Regierung – sogar in Schlüsselministerien – gelassen wurden. In Folge der mittlerweile berüchtigten Rattengedicht-Affäre meinte der Bundeskanzler, dass der Rücktritt des Verfassers, des FPÖ-Vizebürgermeisters von Braunau, “die einzig logische Konsequenz zu diesem abscheulichen und rassistischen Gedicht” gewesen sei. Eine überfällige Aufkündigung der Koalition nach dem x-ten “Einzelfall” in den Reihen des Koalitionspartners, bei dem Korruption, Demokratieverachtung und Rassismus ganz offensichtlich systemimmanent und durch die oft nur halbherzigen Distanzierungen und Beteuerungen seit jeher nicht in den Griff zu bekommen sind, stand damals noch nicht zur Diskussion. Jetzt, knapp einen Monat später, nötigt HC Straches Ibiza-Gate dem Kanzler schließlich doch ein “genug ist genug” ab, wenngleich er auf die Staatsaffäre mit einer narzisstischen Wahlkampfrede reagierte und es dem Bundespräsidenten überließ, staatsmännische Worte zu finden. Heinz-Christian Strache selbst suhlt sich indes in der Opferrolle (Zitat: “politisches Attentat”) und spricht in euphemistischer Art und Weise von Dummheit und Peinlichkeit. Wenn er als angehender Vizekanzler der Republik Österreich unverhohlen über illegale Parteienfinanzierung und korruptes Verhalten schwadroniert, ist das nicht peinlich, sondern ein Verrat an demokratischen Werten und der österreichischen Bevölkerung. Im Herbst gibt es Neuwahlen.

Und wie reagiert man in Südtirol? Der Parteiobmann der Freiheitlichen, Andreas Leiter Reber, bedauert Heinz-Christian Straches Rücktritt und würdigt dessen Einsatz für Südtirol. Das demokratieverachtende Politikverständnis Straches scheint ihn dabei weniger zu stören als die – zugegeben – unfeine Art, wie dieses offengelegt wurde.

Und kämpfen ist nun mehr als je nötig, nachdem eine Führungspersönlichkeit wie HC Strache durch eine organisierte und zeitlich geschickt getaktete Falle und Intrige beschädigt wurde. Dies ist ein untrügliches Zeichen, wie sehr das Establishment und die ihm hörigen Medien HC Strache, die FPÖ und alle patriotischen Kräfte fürchten.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der UT24-Chefredakteur Georg Dekas in einem einigermaßen abstrusen Kommentar unter dem ebenso abstrusen Titel  “Das Attentat auf HC Strache”.

Heinz Christian Strache hat sich öffentlich entschuldigt und legt alle seine Ämter nieder. Das ist richtig. Aber er soll wissen: Wir, das Volk, steht hinter ihm. Nicht weil er etwas Besoffenes geliefert hat, sondern weil wir, die kleinen Leute, es nicht zulassen, dass mit manipulativen Mitteln der Wählerwille ständig sabotiert wird. Die Angriffe auf die FPÖ sind nicht neu (und haben sich in letzter Zeit verdächtig verdichtet). Seit Jörg Haider ist die kleine Alpenrepublik immer wieder das Ziel medienpolitischer Anfeindungen. Nach Kurt Waldheim haben die Österreicher gesagt: Jetzt erst recht! Nach HC Strache wird die Mehrheit der Österreicher sagen: Wir wählen frei und unabhängig! Die Rechnung der Fieslinge wird nicht aufgehen. Die Europawahlen werden das zeigen.

Mit dieser Prognose im Raum ist jeder weitere Kommentar überflüssig.

Lediglich die Tatsache, dass die SVP auf Landesebene mit den FPÖ-Freunden von der Lega koaliert und bei den Europawahlen in einem Bündnis mit der Berlusconi-Biancofiore-Tajani-Partei ist, sei in diesem Zusammenhang noch einmal in Erinnerung gerufen.

Siehe auch ‹1 ‹2

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TAZ ist Niveau.

Die Neue Südtiroler Tageszeitung schreibt auf Facebook:

+++ DAS SCHOCK-VIDEO +++

Das ist das Schock-VIDEO des österreichischen Langläufers Max Hauke beim Eigenblut-Doping in seinem Hotelzimmer.

Eintrag vom 1. März.

Und das schreibt die Tiroler Tageszeitung:

Auch der Tiroler Tageszeitung lag das Video vor. Aus moralischen, ethischen und rechtlichen Gründen haben wir uns gegen eine Veröffentlichung entschieden.

Wie hieß es so schön? Bitte beachten Sie den Niveauunterschied.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Der Italiener Zöggeler.
Von der Macht der nationalstaatlichen Logik und warum der Status-Quo-Nationalismus manchen "Weltoffenen" halb so wild erscheint

Vor einigen Wochen war der aus meinem Nordtiroler Heimatort Telfes im Stubai stammende Rodelolympiasieger David Gleirscher in der ORF Promi-Millionenshow bei Armin Assinger zu Gast. Auf die Frage, ob einer wie er denn auch noch Vorbilder habe, antwortete Gleirscher: “Den Italiener Armin Zöggeler”. Ich muss gestehen, dass das für mich als Beutesüdtiroler gerade aus dem Mund eines früheren Quasi-Nachbarn mit Tiroler Zungenschlag einigermaßen irritierend klang.

Als ich heute die Medienberichte über den Südtiroler Doppelsieg auf der Stelvio inklusive eines Tweets von Marita Gasteiger las, kam mir die Episode wieder in Erinnerung – und damit auch das Spannungsfeld zwischen Nationalismus, Patriotismus und Identität sowie der nahezu manichäische Umgang damit in Südtirol.

Zunächst eine kurze Presseschau, wie über das heutige Ereignis berichtet wurde:

Wenngleich bei ORF-Fernsehübertragungen bei Paris und Co. meist von Südtiroler Rennläufern die Rede ist, kommt das Wort Südtirol heute auf sport.orf.at im ganzen Artikel nicht vor. Es wird über Italiener und einen italienischen Doppelsieg berichtet. (Man beachte auch das “Es gibt keine Grenzen mehr”-Geoblocking im Header).

Im Gegensatz dazu sucht man bei der Tiroler Tageszeitung auf tt.com das Wort Italien vergeblich. Dort sind Paris und Innerhofer Südtiroler.

Auf krone.at – wie auch bei einigen anderen österreichischen Medien wird “gemischt”. Man schreibt von Südtiroler Sportlern und einem italienischen Doppelsieg. Wobei es sich bei diesem Text offensichtlich um eine Agenturmeldung handelt, da er gleichlautend auf mehreren Plattformen zu finden ist.

Auch derstandard.at übernimmt die Agenturmeldung 1 zu 1.

diepresse.com bringt ebenfalls die gleiche Meldung, spricht in der Überschrift aber von einem italienischen Doppelsieg …

… während kurier.at zur gleichen Meldung von einem Südtiroler Doppelsieg schreibt.

Die Redakteure von oe24.at haben einen eigenen Text verfasst und rücken den Umstand, dass Erst- und Zweitplatzierter aus Südtirol stammen, in den Mittelpunkt. Daneben heißt es aber auch noch “Doppelsieg für Italien”.

Bild.de verzichtet in seinem Hauptartikel gänzlich auf adjektivische Herkunftsangaben und greift stattdessen auf eine Präposition mit Dativ zurück.

In einem weiteren Bericht auf Bild.de werden Paris und Innerhofer dann aber als Südtiroler bezeichnet – wobei es sich wiederum um eine Agenturmeldung handelt.

Und in einem dritten Bild.de-Artikel zur Abfahrt auf der Stelvio wird die selbe kurzerhand sogar nach Südtirol verlegt.

Der Habitus auf sportnews.bz Südtiroler Sportler mit dem Tiroler Adler statt der Tricolore zu versehen, veranlasst Marita Gasteiger, ihres Zeichens Südtiroler respektive italienisches Mitglied im Bundesvorsitz der Österreichischen HochschülerInnenschaft, zu einem Tweet mit einem weinenden Emoticon unter dem Hashtag #lokalpatriotismus.

Wollen wir nun etwas Differenzierung versuchen und Nuancen herausarbeiten.

Bei Herkunftsbezeichnungen ist die Intention des Sprechers/Schreibers meines Erachtens mit ausschlaggebend, wie die Betitelung zu verstehen ist. Im Prinzip kann die Aussage “Der Italiener Zöggeler” sowohl antinationalistisch als auch turbonationalistisch sein.

Antinationalistisch wäre sie dann, wenn ich Menschen grundsätzlich nach ihrer Staatszugehörigkeit bzw. gar dem Land ihres Hauptwohnsitzes benenne. Letzteres tun wohl sehr Wenige – zumindest hat mich noch nie jemand als Italiener bezeichnet. Wobei in adjektivischen Nationalitätsbezeichnungen meinem Sprachgefühl nach immer eine kulturell-ethnische Zuordnung mitschwingt, weil viele europäische Staaten sich eben nach wie vor als Nationalstaaten verstehen. Und solange es ius sanguinis gibt, Menschen aufgrund ihrer gefühlten Identität (Stichwort: “nationale” Minderheiten) diskriminiert werden und beispielsweise in der italienischen Verfassung von “eins und unteilbar” die Rede ist, kann diese nationale Vereinnahmung wohl semantisch nicht ausgeklammert werden. Ich fände es aus diesem Grund auch eigenartig, den Dalai Lama als indischen oder gar chinesischen statt als tibetanischen Mönch zu bezeichnen. Auch negiert die Betitelung nach Staatsbürgerschaft/Wohnsitzland individuell sowie bisweilen auch kollektiv gefühlte Identitäten, die nicht notwendigerweise mit der Staatsbürgerschaft korrelieren müssen. Die großartige Taiye Selasi beschreibt diesen Umstand in ihren Betrachtungen zu Identität und Lokalität (Rituals, Relationships, Restrictions) wunderbar prägnant:

All identity is experience. […] The difference between “Where are you from?” and “Where are you a local?” isn’t the specificity of the answer, it’s the intention of the question. Replacing the language of nationality with the language of locality asks us to shift our focus to where real life occurs.

Wiederum meinem Sprachgefühl folgend, lässt die Beschreibung “Armin Zöggeler aus Italien” individuelle bzw. multiple Identitäten dabei noch eher zu als die Betitelung “der Italiener Armin Zöggeler”.

Nicht selten resultieren Bezeichnungen auf Basis des (National)staates jedoch auch aus Unwissenheit, Gleichgültigkeit oder dem Mangel an Sensibilität. Eine Sensibilität, die die legendäre Lidia Menapace in ihrem Beitrag für politika 10 (dem Jahrbuch der Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft) folgendermaßen ausdrückt:

Mi trattengo un momento a dar conto della nomenclatura che uso: chiamo Sudtirolo la terra che i suoi abitanti maggioritari chiamono Sudtirolo, e questa è per me una regola generale: chiamo infatti Curdi e non Turchi di montagna i Curdi, e riconosco al popolo Sarawi il diritto di non voler essere assimilato al Marocco, e Armeni sono anche quelli fuori dei confini dell’Armenia storica. A tutti quelli che abitano un territorio riconosco il diritto di chiamarsi col nome che il territorio ha; estendo il territorio anche a popolazioni di più recente arrivo e distribuzione territoriale meno diffusa per ricordare che questa porzione di popolazione esercita tutti i diritti dei residenti più antichi, avendo ottenuto un riconoscimento e dato assicurazione che non avrebbe messo in atto politiche di assimilazione.

Darauf zu beharren, dass Zöggeler Italiener sei bzw. dass hinter Südtiroler Sportlern die Tricolore zu erscheinen hat, entspringt also allzu oft einer turbonationalistischen Intention, die diverse oder multiple Identitäten innerhalb des Staates nicht anerkennen will und alleinige nationale Zugehörigkeit – mitunter auch gegen den Willen der Betroffenen – aufoktroyiert (Stichwort: Plankensteiner). So auch der französischen Botschafter in den USA, der den “The daily show”-Host Trevor Noah wegen seiner pointierten Aussage “Africa has won the World Cup” kritisierte. Noah reagierte zwischen den Aufnahmen zu seiner Show auf einen Brief des Botschafters und plädierte für eine Dualität von Frenchness und Africanness der französischen National(!)-Mannschaft.

Folglich können auch die Bezeichnung “Südtiroler Doppelsieg” und ein Tiroler Adler hinter dem Namen sowohl nationalistisch (lokalpatriotisch) als auch antinationalistisch intendiert sein, indem man sich bewusst der gängigen Logik der Nationalstaaten entzieht. Oder sie sind einfach nur Ausdruck von Noah’s aufgezeigter Duality. Obschon – einmal mehr nach meinem persönlichen Dafürhalten – “Südtiroler” tendenziell der inklusivere Begriff als “Italiener” ist, weil Südtirols Quellcode im Gegensatz zu jenem des italienischen Staates mehrsprachig und pluriidentitär ist.

Gleirschers und Gasteigers Äußerungen belegen schlussendlich zwei Thesen, die ich schon seit längerer Zeit hege. Zum einen, dass – wenn selbst der Nordtiroler den Südtiroler als Italiener bezeichnet – das Konzept der Nationalstaaten – oder die nationalstaatliche Logik, wie ich sie nenne – eine stark normierende Kraft hat und es “nationalen” Minderheiten somit eine adäquate Außendarstellung bzw. Außenwahrnehmung erschwert bis verunmöglicht, was ohne eine Art affirmative action früher oder später zu einem Verlust der kulturellen Vielfalt führen muss. Und zum anderen, dass Nationalismus auf Basis des institutionellen Status Quo paradoxerweise selbst unter vermeintlichen Antinationalisten ein weit höheres Ansehen genießt als die Betonung/Sichtbarmachung regionaler/lokaler Identität(en), weil sogar dem Denken vieler selbsternannter Weltenbürger die nationalstaatliche Ordnung und Integrität offenbar inhärent ist.

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5S: Sintomatico passaporto.
Tempora mutantur

E così il doppio passaporto per le sudtirolesi si trasforma in cartina di tornasole per il governo italiano — e in particolare il M5S.

La notizia di Tiroler Tageszeitung (TT) è che entro settembre l’esecutivo austriaco preparerà la bozza di legge in tema di doppia cittadinanza, ma che nulla si farà senza il consenso di Roma. Non si è fatta attendere la risposta del ministro alla democrazia diretta (sic), il trentino Riccardo Fraccaro, che parla di «atto ostile» da «respingere fermamente». Gli stessi pentastellati che hanno poco da eccepire sui continui attacchi di Salvini alla Tunisia o ai partner europei, sugli atti ostili nei confronti di migranti, rom, sinti, ONG, si allarmano quando l’Austria, bene o male che faccia, si accinge a dare alle sudtirolesi un trattamento simile a quello che l’Italia da alle italiane di Slovenia e Croazia. Tre pesi e tre misure espressione del solito nazionalismo cui ci hanno abituato sia le destre sia le sinistre romane — isteria ancor più incomprensibile se consideriamo, appunto, che l’Austria intende procedere d’intesa con l’Italia.

Il «bello» però è che solo qualche mese addietro il consigliere 5S alla Dieta sudtirolese, Paul Köllensperger, aveva sottoscritto una petizione pro doppio passaporto, e che il M5S — in ossequio alla democrazia diretta — voleva perfino permettere un referendum sull’indipendenza.

Adesso però, si sa, il barometro segna tempo di sovranismo.

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