Categories
BBD

Schule: Wertschätzung für mehrsprachige Kompetenzen.
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Ein CLIL-Unterricht mit Sachfachunterricht auf Deutsch und Italienisch berücksichtigt natürlich die sprachlichen Bedürfnisse der Kinder nicht oder wenig, die andere Sprachen in den Unterricht mitbringen. Deshalb bin ich ganz stark der Meinung, dass wir sehr viel mehr diese größere Mehrsprachigkeit, die in den Klassen vorhanden [ist], in den Blick nehmen [sollten] und nicht sozusagen diese Herausforderung, der wir jetzt begegnen müssen, verschlafen, weil wir immer noch in dieser Dualität von Deutsch und Italienisch denken. Ich glaub, das ist einfach zu wenig in einer modernen Gesellschaft.

Es gibt einige Schulen in Südtirol, an denen CLIL seit vielen Jahren angewandt wird, die Programme werden auch [wissenschaftlich] begleitet, dort funktionieren die Modelle sehr gut. Mitzuberücksichtigen ist auch dort, dass an einigen dieser Schulen natürlich auch wieder eine bestimmte Bildungselite ihre Kinder dorthin schickt, weil es eben den Eltern wichtig ist, die Kinder in besondere Schulen, in besondere Schulzüge zu schicken.

[Die] Schule kann sehr viel machen und ich möchte auch nochmal wiederholen, dass die Schule im Prinzip auch schon sehr viele Angebote zur Verfügung stellt. Es gibt Sprachförderkräfte, die die Schulen beantragen können, es gibt Mehrsprachigkeitscurricula — auch die deutsche Schule hat sich in den letzten Jahren eigentlich sehr explizit einer Förderung der Mehrsprachigkeit verschrieben und sich da sehr explizit dazu bekannt […]. Natürlich ist es eine Herausforderung, gerade in Minderheitengebieten dafür zu sorgen, dass man allen Sprachen gleichermaßen gerecht wird.

Es gibt verschiedene Modelle der Mehrsprachigkeitsdidaktik, in denen man bewusst versucht, alle Sprachen in irgendeiner Weise mit in den Unterricht hineinzubringen. Es ist ja auch wichtig, allen Kindern das Gefühl zu geben, dass die Kompetenzen, die sie in die Schulen mitbringen, auch wertgeschätzt werden, und dass es nicht sozusagen einige Sprachen gibt, die hochwertiger oder auf dem »Sprachenmarkt« irgendwie mehr wert sind — wie Deutsch, Italienisch, Englisch und Französisch —, aber andere Sprachen aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen als weniger wertvoll erscheinen, nur weil sie jetzt in unserem Kontext vielleicht in der Wirtschaft weniger gefragt sind.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Kann Schule Mehrsprachigkeit?« – Transkription und Linksetzung von mir

Serie I II III

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

»Die Schule wird das dann schon richten.«
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Was wir [im Rahmen der zweiten Kolipsi-Studie] auch gesehen haben — und da möchte ich wieder auch die Eltern stärker in die Pflicht nehmen — ist, dass tendenziell die Eltern natürlich daran interessiert sind, dass:

  • ihre Kinder die zweite Sprache gut lernen [und dass] sie ihre Kinder dabei unterstützen möchten, dass Freundschaften außerhalb der Schule mit Personen der anderen Sprache geschlossen werden;
  • für den Zweitspracherwerb etwas gemacht wird.

Wenn wir die Eltern dann aber gefragt haben, was sie persönlich dafür machen, wie sie sich dafür einsetzen, dann fallen die Antworten sehr, sehr bedenklich aus — nämlich der persönliche Einsatz ist einfach sehr, sehr gering. [Das] heißt für uns: »Okay, bitte, da ist die Schule, macht das!« oder »die anderen sollen das machen, wir haben Interesse gezeigt«, aber das ist es auch. Also da muss man schon auch die Mehrsprachigkeit, die Zweisprachigkeit vorleben und sich selbst auch ein bisschen einsetzen dafür und nicht nur alles an die Schule abschieben. Das ist ja auch ein bisschen die Tendenz jetzt, Kinder auch aus einsprachigen Elternhäusern in das andere Schulsystem zu schicken, mit dem Wunsch »die Schule wird das dann schon richten«. Ist ja jetzt aktuell auch sehr stark diskutiert, die Medien berichten ja ausführlich darüber.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Welche Schule braucht das Land?« – Transkription und Hervorhebungen von mir

Serie I II III

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

Schule: Elitäre versus echte Mehrsprachigkeit.
Quotation · Andrea Abel im Podcast von Wolfgang Mayr

Ich muss sagen, dass ich einigermaßen skeptisch bin in Hinblick auf diese Zusatzangebote, die jetzt immer wieder im Gespräch sind, die häufig unter dem Label »mehrsprachige Schule« laufen. Also im Prinzip ist das, was jetzt so in der Diskussion ist — eine mehrsprachige Schule oder ein mehrsprachiger Schulzug mit Deutsch-Italienisch-Englisch oder sogenannte mehrsprachige Angebote für Deutsch und Italienisch — das sind ja noch nicht mehrsprachige Angebote, das sind zwei- bis dreisprachige Angebote und die werden eigentlich der Mehrsprachigkeit, die in der Schule vorhanden ist, einfach nicht gerecht.

Ich denke, dass mittlerweile diese Diskussionen um zweisprachige Schulzüge usw. fast schon ein Anachronismus sind. Ich bin der Meinung, dass wir uns viel stärker darauf konzentrieren sollten, wie wir der Mehrsprachigkeit, der echten Mehrsprachigkeit in den Klassen, gerecht werden. Dass es Zusatzangebote geben kann, für zweisprachige Kinder Deutsch-Italienisch oder für andere Gruppen, die gerne an eine Privatschule gehen möchten, in [der] auch Deutsch, Englisch und Italienisch angeboten wird — eine Art europäische Schule — oder was auch immer, ist gut und recht und funktioniert sicher auch gut. Aber aus meiner Sicht sind das tatsächlich Eliteangebote, und was wir damit erreichen ist eine zusätzliche Segregation. Nämlich denke ich, dass das eher Tür und Tor dafür öffnet, dass eine Bildungselite sich dafür entscheidet, solche Bildungsangebote wahrzunehmen, während dann sozusagen in anderen Schulsprengeln [bzw.] Schulzügen, die Mehrsprachigkeit noch stärker zunimmt. Und bestimmte Arten von Schulflucht sehen wir ja jetzt schon. Es gibt Kinder aus dem Bozner Bildungsbürgertum, die wandern an die Pestalozzi-Schule oder an irgendwelche Schulen [ab], wo es Angebote gibt mit bestimmten pädagogischen Schwerpunkten — Stichwort Reformpädagogik, Montessori-Angebote oder an anderen Schulen Angebote mit einem Musikschwerpunkt usw. Das sind lauter Angebote, die insbesondere von einer Bildungselite wahrgenommen werden. Teilweise, weil sie tatsächlich überzeugt sind, dass ihre Kinder besonders musikalisch begabt sind und diesen Schwerpunkt verfolgen sollen; ein zweiter Grund ist allerdings auch der, dass eine bestimmte Bildungselite bewusst Schulen oder Schulzüge vermeiden möchte, in denen die Mehrsprachigkeit zunimmt. Und ich denke, da brauchen wir ganz andere Zugänge zur Mehrsprachigkeit, einen Ausbau der Mehrsprachigkeitsdidaktik, damit möglichst keine Schülerinnen zu kurz kommen, in ihrer sprachlichen aber auch sonstigen Bildung.

Andrea Abel, Sprachwissenschafterin (Eurac/Uni Bozen), im hörenswerten SaltoPodcast von Wolfgang Mayr mit dem Titel »Welche Schule braucht das Land?« – Transkription und Hervorhebungen von mir

Serie I II III

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

Solidarität mit Salto.
Für Meinungs- und Pressefreiheit in Südtirol

Wir geben diesen wichtigen Appell als Zeichen der Unterstützung mit freundlicher Genehmigung des Autors in vollem Umfang wieder.

von Hans Heiss

Presse- und Medienfreiheit sind ein hohes Gut. Als Grundsäulen von Verfassung und Demokratie bilden sie eine Basis für eine offene Gesellschaft. In Südtirol hatten es Freiheit und Vielfalt von Presse und Medien lange nicht leicht. Sie wurden für die Sprachminderheiten mühsam errungen, der Medienpluralismus gewann nur langsam an Boden. Seit gut 40 Jahren hat sich langsam ein wenig Vielfalt eingestellt, wenn auch immer wieder mit Rückschlägen. Trotz der Dominanz eines Medienhauses, von Athesia, das rund 80 % der Medien kontrolliert, bleibt Pluralismus noch gewahrt, wenn auch unter großen Mühen. Dank Rundfunk, Presse, Online-Medien und eines bürgerschaftlichen citizen-journalism.

Umso schwerwiegender daher, wenn Athesia, der stärkste Akteur der Südtiroler Medienwelt, gegen einen kleinen Konkurrenten wie Salto mit Rechtsmitteln massiv und bedrohlich vor Gericht zieht. Der Präsident von Athesia-Druck, Michl Ebner, will Salto und Redakteur Christoph Franceschini wegen Beleidigung vor dem Landesgericht Bozen klagen und hohen Schadensersatz fordern. Die Liste der als beleidigend angeführten Artikel und Sachverhalte ist lang, bei näherer Durchsicht aber hat die Anklage wenig Substanz und Gehalt: Inhalt und Ton sind scharf, mitunter schmerzhaft, wahren aber den Ton bissiger Polemik.

Vor allem bieten die Artikel Informationen und Hintergründe, deren Kenntnis für die Öffentlichkeit Südtirols notwendig ist. Genau dies ist die Aufgabe eines kleinen Mediums wie Salto: Verschwiegenes und Vertuschtes aufzudecken, um so die Informationsrechte und Wissensgrundlage einer demokratischen Öffentlichkeit zu sichern. Werden dabei die Inhaber des Südtiroler Medienmonopols angegriffen und ihre Praktiken enthüllt, so ist dies legitim. Wenn aber der Angegriffene nicht die eigenen Medien nutzt und nicht mit journalistischen Mitteln antwortet, sondern stattdessen zur Klage greift, so lässt dies tief blicken. Warum nutzt die Athesia-Spitze nicht die mediale Feuerkraft des eigenen Konzerns, um den Salto-Artikeln zu begegnen, sondern beschreitet den Weg der Klage?
Journalismus wird von Athesia-Verantwortlichen offenbar nicht nur als Informationspflicht begriffen, sondern als Machtinstrument. Dasselbe Medium, das gegen politisch und persönlich Missliebige oft jede Objektivität vermissen lässt, nimmt gegen Angriffe eines kleinen Mediums den Gerichtsweg, um Salto einzuschüchtern oder gar zum Schweigen zu bringen.

Gegen solche Übergriffe muss sich eine demokratische Öffentlichkeit zur Wehr setzen. Wir bekunden unsere volle Solidarität mit Salto und Christoph Franceschini, den weiteren Autorinnen Lisa Maria Gasser, Paolo Ghezzi, Fabio Gobbato, Wolfgang Mayr und ermutigen sie, ihren Weg eines aufklärenden, investigativen und meinungsfreudigen Journalismus weiter zu beschreiten. Athesia hingegen ist gut beraten, die Klage zurückzuziehen: im Interesse der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch, um sich selbst ein hohes Maß an Peinlichkeit zu ersparen. Eine pluralistische und offene Presse- und Medienlandschaft in Südtirol ist kein Luxus, sondern dringend notwendig, heute vielleicht mehr denn je.

  • Die laufend aktualisierte Liste der Unterzeichnenden ist auf Salto abrufbar.
  • Weitere Unterstützungserklärungen für diesen Appell werden unter info[at]salto.bz entgegengenommen.

Siehe auch ‹1 ‹2

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

Russisch in der Ukraine verboten?

In dem bereits von Wolfgang Mayr kommentierten TAZ-Interview zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine behauptet die Landtagsabgeordnete Ulli Mair (F), in dem osteuropäischen Land sei die russische Sprache verboten worden. Sie ist mit dieser Auffassung nicht alleine, doch sie liegt falsch — und wer diese Lüge verbreitet, macht sich gewollt oder ungewollt zum Sprachrohr der Putin’schen Propaganda.

Russisch ist die Muttersprache eines erheblichen Teils der Ukrainerinnen, vor allem im Ostteil des Landes, aber zum Beispiel auch in der Hauptstadt Kiew. Obwohl die Sprache rechtlich nicht mit Ukrainisch gleichgestellt ist, ist sie keineswegs verboten. Es gibt eine äußerst rege und völlig legale russische Sprach- und Kulturlandschaft im ganzen Land. Russisch ist außerdem unter anderem die Muttersprache des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko. Beide sprechen Russisch deutlich besser als Ukrainisch und wurden trotzdem von Bürgerinnen beider Zungen gewählt und anerkannt.

Nach westlichen Maßstäben genießt die russische Sprache in der Ukraine keinen ausdrücklichen Minderheitenschutz, Autonomierechte für bestimmte Regionen (nicht aber zum Beispiel für die Krim vor der russischen Annexion) wurden bislang verweigert.

Diese Tatsachen (und selbst Maßnahmen zur Einschränkung der russischen Sprache in der Ukraine) sind aber nach meinem Dafürhalten äußerst vorsichtig und differenziert zu betrachten:

  • Erstens, weil die sprachliche Dimension von Moskau seit dem Zerfall der Sowjetunion immer wieder bewusst dazu missbraucht wurde, um aggressiv eigene Propaganda in den angrenzenden Staaten zu platzieren, sie zu destabilisieren und sich auch massivst — nichtmilitärisch und militärisch — in innere Angelegenheiten einzumischen.
  • Zweitens, weil die ukrainische Sprache zwar Staatssprache ist, historisch jedoch konstant benachteiligt wurde bzw. unter starkem Druck des Russischen stand. Obschon sie heute (zumindest auf dem Papier) von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen wird, hat sie nach wie vor Charakterzüge einer Minderheitensprache, die sie ja lange Zeit auch tatsächlich war. Ähnlich wie — natürlich nicht eins zu eins vergleichbar — auch die irische Sprache heute Staatssprache ist, aber besonderer Schutz- und Revitalisierungsmaßnahmen (affirmative action) bedarf.

Russisch ist in dieser Hinsicht auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion eher mit der weltweiten Lingua franca Englisch (die manchmal auch als »Killersprache« bezeichnet wird) zu vergleichen als mit einer klassischen Minderheitensprache. Ob sie tatsächlich aktiven Schutz benötigt, darf zumindest in Frage gestellt werden.

Wichtig wäre mittelfristig — zumindest im Ostteil der Ukraine und in der Hauptstadt — sicherlich ein ganz oder teilweise gleichgestellter Status der russischen Sprache als Amtssprache, den es seit 2012 teilweise schon wieder gab, sowie die Aufhebung von ausdrücklichen Einschränkungen, die allerdings nach (und wegen) der Annexion der Krim eingeführt wurden.

Neben der russischen existieren hingegen mehrere kleinere Sprachgemeinschaften in der Ukraine, die tatsächlich eines ausdrücklichen Minderheitenschutzes bedürfen und (in noch unzureichendem Maße) genießen.

Immerhin hat jedoch die Ukraine (anders als Russland1aber auch anders als Italien oder Frankreich) die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen ratifiziert und unterzieht sich folglich regelmäßig der einschlägigen Evaluierung und Beratung durch Expertinnen des Europarats.

Nicht zu vergessen ist abschließend, dass wir hier Maßstäbe ansetzen, die zwar möglichst überall gelten sollten, aber selbst in sogenannten westlichen Demokratien alles andere als selbstverständlich sind.

Und vor allem, dass auch wenn all das, was ich hier ausgeführt habe, falsch (und Russisch in der Ukraine tatsächlich verboten) wäre, dies den brutalen russischen Überfall in keinster Weise rechtfertigen würde.


Siehe auch ‹1 | 1› 2›

  • 1
    aber auch anders als Italien oder Frankreich
Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

Banaler Nationalismus.

Vor einiger Zeit bin ich in einem Text auf den Sozialwissenschafter Michael Billig, einen der einflussreichsten und meist zitierten Nationalismusforscher überhaupt, gestoßen. Mir war er bis dahin unbekannt. Spätestens ab 1995, als er ein Werk dazu herausgab, theorisiert er den sogenannten banalen Nationalismus, der die Schaffung und Aufrechterhaltung von Zugehörigkeit und Loyalität zu einem etablierten Nationalstaat beschreibt.

Mit »banal« ist dabei gemeint, dass es sich um einen kaum wahrgenommenen, allgegenwärtigen, routinehaften und fast alles durchdringenden Nationalismus handelt. Er ist umso gefährlicher und unausweichlicher, weil er vorwiegend auf einer unbewussten Ebene wirkt. Man kann also zwar versuchen, ihn und seine »banalen« Äußerungen aktiv zu ignorieren oder differenzierend zu sehen, doch trotz des enormen damit verbundenen Aufwands sickert er schön langsam in uns ein.

Beispiele für diesen unterschwelligen Nationalismus sind Flaggen in alltäglichem Kontext (etwa an öffentlichen Gebäuden, Grenzübergängen…), Nationalmannschaften, Nationalhymnen, aber auch die unzähligen Formen unhinterfragt vorausgesetzter Zugehörigkeit, wie sie beispielsweise von Medien (der Staatspräsident, unsere Mannschaft etc.) reproduziert wird. Meist sind es jedoch die nationalstaatlichen Institutionen selbst, einschließlich der Schulen, die den banalen Nationalismus transportieren.

Darin erkenne ich vieles von dem wieder, was wir auch hier immer wieder bezüglich dessen geschrieben haben, was wir »nationalstaatliche Logik« getauft haben.

So fällt mir zum Beispiel eine Frage ein, die mir Wolfgang Mayr bei 12 nach 12 gestellt hatte:

In Ihren Texten kritisieren Sie immer wieder Verstöße des Staates gegen autonomiepolitische Bestimmungen, die Diskriminierung der deutschen und ladinischen Sprache beispielsweise. Für Sie der Beleg dafür, dass der Nationalstaat engstirnig ethnisch agiert? Oder anders formuliert: Ist der Nationalismus des Staates salonfähiger als der Nationalismus einer Minderheit?

Salonfähiger würde ich vielleicht nicht sagen, aber der Nationalstaat muss seinen intrinsischen Nationalismus nicht rechtfertigen, der ist einfach im System immanent und der wirkt sich einfach aus, ob man es will oder nicht.

Dieser systemimmanente Nationalismus, den wir hier immer wieder aufzuzeigen respektive zu demaskieren zu versuchen — was uns nicht selten als Erbsenzählerei ausgelegt wird — ist wohl nichts anderes, als ein Ausdruck von banalem Nationalismus.

So banal wie übrigens auch die allseits bekannte Aussage »siamo in Italia e quindi si parla italiano« (wir sind in Italien, also ist Italienisch zu sprechen) funktioniert, wiewohl man versucht, sie als falsch zu enttarnen. Die fortschreitende Etablierung der nationalen lingua franca in Politik, Verwaltung und Wirtschaft beruht mit hoher Wahrscheinlichkeit auch darauf.

Dass Südtiroler Spitzensportlerinnen Teil der italienischen Nationalmannschaften sind, dürfte für viele hierzulande ferner eine Art mehr oder minder bewusste »Einstiegsdroge« sein, um sich grundsätzlich zunächst sportlich, dann vielleicht auch politisch mit dem Nationalstaat und der nationalen Gemeinschaft zu identifizieren. Wer dies nicht tut, ist immer wieder einem gewissen (latenten) Rechtfertigungsdruck — oder zumindest Unverständnis und fragenden Blicken — ausgesetzt. Je mehr wir hingegen in der nationalen Gemeinschaft aufgehen, desto mehr wird dies als völlig natürliches Ablegen ewiggestriger Ansichten geadelt und begrüßt.

Auch das unhinterfragte, großteils passive Festhalten vieler Linker in Südtirol am monoethnischen Nationalstaat und die reflexhafte Ablehnung der demokratischen Selbstbestimmung würde ich übrigens hier einordnen. Während die Gründung eines neuen, wenngleich offenen und mehrsprachigen — nicht (ethno-)national definierten — Staates als Gefahr dargestellt wird, muss sich das Etablierte keinen allzu kritischen Fragen stellen. Es ist einfach und hat alle Mittel zur Verfügung, um sich langsam in uns allen einzunisten und auszubreiten.

Dass der moderne Nationalismus der Nationalstaaten ohne großes Aufsehen zu erregen im Hintergrund agiert und uns ständig daran erinnert, dass wir zu einer bestimmten Nation gehören, macht ihn laut Billig zu einer sehr mächtigen Ideologie, die auch nur sehr selten ernsthaft kritisch hinterfragt wird. Es handle sich dabei aber keineswegs um einen leichten, weichen Nationalismus, sondern um den idealen Nährboden, auf dem auch der »gefährliche Nationalismus« gedeiht.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 / ‹8 | 1›

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
BBD

Der Südtirolkonvent wartet auf eine Antwort.
Quotation · Es war kein »Experiment«

Wolfgang Mayr: Spannend war ja [neben der Synode] auch das Experiment des Autonomiekonvents, die offenen Diskussionen über die Zukunft Südtirols. Es kam viel Widersprüchliches zusammen, die Perspektive pendelte zwischen Vollautonomie und Selbstbestimmung, zwischen Abschottung und Weltoffenheit. Ein doch aufregendes Unterfangen, Bürger laut darüber nachdenken zu lassen, wie es künftig mit Südtirol laufen könnte, laufen sollte. Es blieb aber beim Festschreiben der Diskussionen, es findet ja keine Fortsetzung dieses Konvents statt. Frau Frei, bedauerlich?

Sabina Frei: Ja, ich sage zuerst mal ja, bedauerlich, sehr bedauerlich… und sage dann gleich noch etwas dazu. Als erstes möchte ich einen Begriff aufgreifen, den Sie gerade genannt haben, und zwar »Experiment«. Ich würde sagen, der Konvent war kein Experiment, weil mit Experiment assoziiere ich Folgendes: Wir probieren mal was aus, schauen was passiert und ziehen unsere Schlüsse daraus. In meinem Verständnis — dann können wir darüber diskutieren, ob das politisch auch so gesehen wurde — […] war der Konvent der erste Versuch, wir können es gerne einen Versuch nennen, das erste Mal, dass in Südtirol auf breitester Ebene Menschen miteinbezogen wurden bei der Frage »wie soll es in Südtirol weitergehen?«. Wenn ich jetzt die Parallele ziehe zur Synode, dann hat im Autonomiekonvent einiges gefehlt, und zwar war der Autonomiekonvent wenn Sie so möchten ein Kaltstart. Die Menschen wurden über den Konvent, über die Open Spaces — das war ja die erste Phase — eine Woche vor der ersten Open-Space-Veranstaltung informiert. Ein partizipativer Prozess dieser Größenordnung, bei so einem komplexen Thema, braucht eine Vorlaufzeit von mindestens einem halben Jahr, besser noch einem Jahr; wo über Medien und über unterschiedliche andere Kanäle, bis hin zu den Schulen, das Thema angewärmt und verständlich gemacht wird. Damit die Bevölkerung darauf vorbereitet ist. Das ist ein wesentlicher Punkt, das ist ein wesentlicher Schluss, den ich als Politik daraus ziehen würde. Das nächste Mal sollte das berücksichtigt werden. Der zweite Punkt, der natürlich schwierig ist, ist der, dass wenn ein partizipativer Prozess in Auftrag gegeben wird, dann habe ich als Auftraggeber mehrere Verantwortlichkeiten: Eine Verantwortlichkeit ist die, dass ich den Rahmen dafür schaffe, dass das gelingen kann — das ist passiert. Ich muss kontinuierlich im Prozess präsent sein, es braucht ein Gesicht für den Konvent — und ich würde sagen, es hat kein Gesicht für den Konvent gegeben, oder jedenfalls kein ausreichend präsentes Gesicht für den Konvent. Während der Open-Space-Veranstaltungen war das Landtagspräsidium immer wieder da, und das war extrem wichtig. Aber es gab keine kontinuierliche Identifikationsfigur für diesen Prozess. Das ist der zweite Punkt, das wäre sehr wichtig gewesen. Und das dritte, das mir am allerwichtigsten ist und wo es vielleicht noch einen Ausweg gibt, ist, dass der Auftraggeber eines solchen Prozesses die Verpflichtung hat — ich nenne das die »politische Verpflichtung«, natürlich, keine rechtliche Verpflichtung — denjenigen, die er beauftragt hat, etwas auszuarbeiten, eine Antwort zu geben. Und die Antwort kann ganz unterschiedlich ausschauen: Ich kann sagen »diese Vorschläge sind für mich in Ordnung, das setzen wir um; bei den Vorschlägen gibt es meiner Meinung nach die Notwendigkeit, etwas zu ändern, und zwar das und das; und den Vorschlag, den setzen wir nicht um, aus diesen und jenen Gründen«. Diese Antwort fehlt noch, aber die kann ja noch kommen, meine Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich sehe auch in solchen Projekten, wie es der Konvent war — auch wenn dieser letzte Teil fehlt, der mir sehr wichtig ist — […] es doch als wichtigen Moment an, dass diese wichtige Gelegenheit gegeben wurde. Und auch da schaue ich dann auf das sogenannte »Kleine« hin: Ich habe ja sehr aus der Nähe die Arbeiten des Forums der 100 begleitet und habe gesehen, wie dort Menschen ins Gespräch gekommen sind, die ihr Leben [lang] sich sonst niemals an einen Tisch gesetzt hätten. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das etwas mit Menschen macht und Veränderung bewirken kann.

Transkription:

Aus dem Treffpunkt 12 nach 12 (Rai Südtirol) vom 1. Juni mit der Sozialarbeiterin und Moderatorin Sabina Frei anlässlich ihrer Wahl zur neuen Obfrau des Südtiroler Kinderdorfs.

Siehe auch ‹1 ‹2

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.
Categories
Autorinnen und Gastbeiträge

Krimtataren gegen Assimilierung.
Mehr internationale Unterstützung nötig

Ungefähr eine halbe Million Menschen gehört zur Minderheit der Krimtataren, etwas mehr als die die Hälfte davon — 260.000 Menschen — lebt noch immer auf der Krim-Halbinsel. Die Tragödie der Tataren begann bereits 1783 mit der Annexion der Halbinsel an Russland und erlebte ihren tragischen Höhepunkt 1944/45 mit der von Stalin verordneten Deportation. Im Gegensatz zu anderen deportierten Minderheiten konnten die Tataren erst 1989 wieder in ihr Heimatland zurückkehren. Mit der Aufnahme der Krim in die ukrainische Republik verbesserte sich ihre Lage. Bis 2014 gehörten sie zu einer der drei wichtigsten Minderheiten der Autonomen Region Krim (Ukraine), aber nach der Annexion der Krim an Russland im März 2014 sind die Tataren wieder Opfer von Verfolgung und systematischer Diskrimination geworden. Menschenrechtsorganisationen berichten von andauernden neuen Verhaftungen, Hausdurchsuchungen, Personenentführungen und politisch motivierten Gerichtsverfahren gegen Tataren. 30.000 Tataren sind in die Ukraine geflüchtet. Geflüchtete politische Repräsentanten der Tataren können nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, Journalisten und Anwälten ist der Zugang zur Halbinsel verwehrt und die Nachrichtenmedien werden streng kontrolliert wenn nicht sogar verboten.

„Wir wollen das Leid der Krimtataren international wieder sichtbarer machen und sie unterstützen, ihre Menschenrechte und Selbstverwaltung einzufordern“, sagt Wolfgang Mayr, Präsident der GfBV-International in Bozen. Eine Delegation führender Krimtataren hält sich momentan auf Einladung der GfbV International, der GfbV Südtirol und dem in Bozen ansässigen Forschungszentrum Eurac in Südtirol auf. Sie informieren sich vor Ort bei Experten über praktische Umsetzungen von Autonomie, Selbstverwaltung und Minderheitenrechten, die in Südtirol seit Jahrzehnten verwirklicht werden.

Die Delegation bestand aus: Abmedzhit Suleimanov, Vertreter des Medjlis, der Regierung der Selbstorganisation der Krimtataren im Distrikt Kherson und Koordinator des Komitees für den Schutz der Rechte der Krimtataren; Iusuf Kurkchi, Vizeminister für die Besetzten Gebiete und Binnenflüchtlinge in der Ukraine; Arsen Zhumadilov, Experte bei der Verfassungskommission des Parlaments der Ukraine; Suleiman Mamutov, Vorsitzender des Regionalzentrums der ukrainischen Gesellschaft für internationals Recht; Serdar Seitaptiev, Vorsitzender der NRO “Devam”; Khairutdinova Adel, Freiwillige der UNFPA und Studentin der Internationalen Beziehungen an der Ege Universität Izmir.

Die Lage der Krimtataren und von Personen, die in Opposition zu den pro-russischen Herrschern auf der Krim stehen, sei besorgniserregend, so die Menschenrechtsorganisation. Unter Unterdrückung und Verfolgung hätten neben Einzelpersonen ganz besonders die Organisationen und Institutionen zu leiden. Eklatantestes Beispiel hierfür sei das Verbot des Medschlis, des Selbstvertretungsorgans der Krimtataren, im April 2016. Der Medschlis wurde als „extremistische Organisation“ eingestuft und mit einem Verbot belegt. Die verbliebenen rund 280.000 Krimtataren auf der Halbinsel würden bis heute unter Verfolgung, Diskriminierung und Angst leiden.

Siehe auch ‹1

Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL