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Napolitanos Partei.

Vor wenigen Tagen hatte der Trentiner Parlamentarier Riccardo Fraccaro (5SB) mit einer Stellungnahme für Aufsehen gesorgt, in der er »König« Giorgio Napolitano angriff, weil dieser gerade auf Staatskosten in Südtirol urlaube. Einem Dementi zufolge hat der ehemalige Staatspräsident und Träger des Südtiroler Verdienstkreuzes auch während seiner Amtszeit stets selbst seine Unterkunft bezahlt.

Mich hat jedoch vor allem erstaunt, wie die SVP (Senator Karl Zeller und Landeshauptmann Kompatscher) den Neapolitaner verteidigt hat — mit einer verbalen Vehemenz, die ich zum Beispiel bei staatlichen Angriffen auf die Südtirolautonomie vermisse.

Einige von Zellers Aussagen (Quelle) möchte ich hier kurz kommentieren:

Wie Präsident Napolitano klargestellt hat, hat er nicht nur heute, sondern auch in seiner Amtszeit seinen Urlaub und jenen seiner Familie immer selbst bezahlt.

Das mag natürlich sein und dann wäre Fraccaros Angriff wenigstens teilweise widerlegt. Doch was ist etwa mit der Staatsmaschine, die den ehemaligen Staatschef hierher gebracht hat?

Dass ein ehemaliges Staatsoberhaupt einen Begleitschutz hat, ist nicht nur international übliche Praxis und hängt auch nicht von Napolitano selbst ab, sondern von den zuständigen Sicherheitsbehörden, die diesen anordnen.

Ob es hier eine international übliche Praxis für ehemalige Staats- und Regierungschefs gibt, wage ich zu bezweifeln. Sicher ist, dass der österreichische Bundespräsident oder die Schweizer Bundespräsidentin selbst während ihrer Amtszeit nichts Vergleichbares kennen. Dass nicht Napolitano selbst über die Sicherheitsmaßnahmen entscheidet, ist vermutlich richtig, doch sowohl als Innenminister als auch als Staatspräsident hätte er etwas gegen diese Verschwendung von Ressourcen unternehmen können.

Die Südtiroler könnten [laut Zeller] jedenfalls stolz darauf sein, einen Urlaubsgast wie Giorgio Napolitano im Land zu haben, einen großen Staatsmann, einen Freund Südtirols, der immer große Sensibilität für die Minderheiten und die Sonderautonomien gezeigt hat.

Worin hat sich die große Sensibilität des »Südtirolfreundes« für Minderheiten (und die Autonomie) während seiner Amtszeit geäußert? Hat er jemals — wie es in anderen Ländern durchaus üblich ist — auch nur einen Satz in einer Minderheitensprache über die Lippen gebracht? Hat er als formeller Hüter der Verfassung zu erkennen gegeben, dass er das undemokratische Dogma der staatlichen Unteilbarkeit kritisch hinterfragt? Oder hat er die Südtirolerinnen im Rahmen der 150-Jahr-Feiern vielmehr dazu aufgefordert, sich mit der Nation zu identifizieren und später gar behauptet, die Südtirolerinnen hätten sich freiwillig für einen Verbleib bei Italien entschieden? Und: Was hat er gegen die systematischen Angriffe auf unsere Autonomie, zum Beispiel durch den damaligen Premierminister Mario Monti, unternommen?

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4

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Gemischtsprachige Haushalte sind am reichsten.
Quotation

Gemischtsprachige Familien, in denen ein Elternteil Deutsch und der zweite Italienisch spricht, haben das höchste Finanz- und Immobilienvermögen in Südtirol.

Doch auch andere Ergebnisse machen hellhörig: Die “gemischtsprachigen Haushalte”, haben nicht nur das größte finanzielle und Immobilien-Vermögen, sie sind auch am wenigsten armutsgefährdet. Armutsgefährdet sind hingegen 17 Prozent der “rein” deutschen Haushalte, 14 Prozent der italienischen und 13 Prozent der ladinischen Haushalte; bei den Einwanderern sind es 35 Prozent.

SüdtirolNews zur Tagung “Ethnische Differenzierung und soziale Schichtung in der Südtiroler Gesellschaft” am 20.10.2016 in Bozen.

Ich war gestern kurz bei der Tagung und konnte die Ausführungen genau zu dem Thema hören. Explizit wurde von den Referenten darauf hingewiesen, dass nicht das Gemischtsprachige den Ausschlag gibt, sondern die Tatsache, dass gebildete Bevölkerungsschichten in der Regel höhere Einkommen erzielen und sich auch häufiger “vermischen”.

Was dann ein Journalist daraus macht, kann nun jeder selbst beurteilen.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Les fantasies dla SVP de Urtijei.

Erwin Valentini (via noeles.info)

L Ortsauschuss dla SVP da Urtijei à dé fora dant da puech na touta de posizion sun l tema dl’unité y dla reunificazion di ladins (cfr. SüdtirolNews). Che la SVP da Urtijei (y de Gherdeina?) é contra la reunificazion ne é nia valch de nuef, ma chesta outa se làscela ad entene con n grum de fantasies y de contradizions.

Sciche duc sa à l 80% dla popolazion di comuns de Souramont damané dal referendum dl 2007 la reunificazion con Südtirol; chesta ghiranza storica vegn ence sostegnuda, almanco idealmenter, da la Union Generela che raprejenteia duc i ladins dles Dolomites. L Ortsauschuss da Urtijei volessa sen che al vegnissa organisé n referendum te Gherdeina y tla Val Badia ma desmentia che ence Fascia podessa avei valch da dì, sciche ladins y sciche zitadins dla region Trentin-Südtirol. Ma i savon che la SVP ladina à puech de sourora per chi “mec talians” de Fascia y d’Ampez y empede ghiré che al vegne tout ju i confins interladins metus su dal fascism, rejònela plu gen de colaborazion soura in confins fora, zenza propone perauter valch de concret. Chesta é na pruma contradizion: da una na pert se baudien dla ingiustizia fata da la Talia destacan Südtirol dal rest dl Tirol, da l’autra pert azeteien zenz’auter la despartizion de na pert dl teritore ladin dal vedl Tirol. Saràl mo pervia che l Brenner despartesc i todesch depierpul che Valparola y Ciaulonch despartesc “deme” i ladins? Daldut fora d’entapa é l’afermazion che la domanda de unité vuel en realté destaché i ladins da siei vejins (todesc) dl Tirol; la reunificazion de Souramont arjonjessa belapontin l cortrar: l enciasament de duc i ladins tl Tirol storich!

St. Ulrich – Seit einiger Zeit bringt die einheimische Presse Berichte mit Titeln wie “Die Ladiner wollen die Einheit” oder “Alle Ladiner unter einem Dach”. Bereits jetzt deckt die RAI Ladinia auch das bellunesiche Ladiner-Gebiet mit ab – siehe auch den Wetterbericht in “Trail”- ohne, dass dazu Stellung genommen wird. Dies erklärt der SVP-Ortsausschuss von St. Ulrich in einer Aussendung.

Abgesehen davon, dass bei weitem nicht alle Ladiner nach ihrer Meinung zu diesem Thema gefragt worden seien, verweist der SVP-Ortsausschuss, was es für einen “Regionen-Wechsel” braucht: “Das Gesetz sieht in dieser Reihenfolge folgende Entscheidungsebenen vor: erstens die Ausgangsgemeinde, zweitens die Ausgangsregion, drittens die Ausgangsprovinz, viertens die Zugangsregion, fünftens Zugangsprovinz und schließlich ein Regierungs- und Parlamentsentscheid mit Verfassungsgesetz.”

Auf welchen Ebenen bringt nun ein derartiger Entscheid grundsätzliche Änderungen in den neuen Provinzen mit sich? Laut dem SVP-Ortsausschuss von St. Ulrich sind nicht nur das öffentliche Leben, Steuern, die Führung der Kindergärten, Volks-, Mittel- und Oberschulen, Kultur, Wirtschaft, Landwirtschaft (Einrichtung des “Geschlossenen Hofes”) betroffen. Auch die Einhaltung der Zwei- bzw. Dreisprachigkeitspflicht bei den Ortsnamen sowie das “Patentino” (sic) für öffentliche Anstellungen wäre nötig – mit den damit verbundenen Auswirkungen auf den Proporz der gesamten Provinz. Die Zwei- bzw. Dreisprachigkeitspflicht werde auch bei sämtlichen Gemeindeakten Pflicht. Dazu käme außerdem es zu einer noch stärkeren sprachlichen Isolation durch eine “geschlossene” ladinische Gesellschaft mit entsprechendem Niveau-Abfall.

“Diese hektischen Ladinisierungsbestrebungen, d.h. die Ladinerprovinz und die Einheitssprache Ladin Dolomitan zielen doch nur darauf aus, die Ladiner von ihren tirolischen Nachbarn zu trennen und dann frei nach Willen schalten und walten zu können. Wir sind überzeugt, dass die Ladiner das bleiben wollen, was sie seit Jahrhunderten waren: eine friedliche und allseitig weltoffene Sprachgruppe. Eine Volksbefragung in dieser Hinsicht wäre für Gröden und das Gadertal möglicherweise ein Ausweg, um endlich einen Schlussstrich unter diesen schädlichen Streifragen zu schaffen”, erklärt der SVP-Ortsausschuss von St. Ulrich abschließend.

N’ autra stramberia é che la reunificazion condujessa a na maiour isolazion linguistica, a na “sozieté scluta” y a n “Niveau-Abfall”. Magari se tem nosc amisc da Urtijei che l ladin dolomitan podessa vegnì tout su sciche lingaz standard, na eventualité da chela che ai se à dagnora paré con piesc y con mans. Da can encà conduj pa na standardisazion linguistica a l’isolazion y a n arbassament de livel? N lingaz scrit unifiché daidassa al contrar daurì su les barieres soziales y culturales anter les valedes y renforzassa l status dl ladin y di ladins. Ma fosc é propi chest cie che chi da Urtijei ne vuel nia, ai vuel che i ladins resté sciche ai é dagnora stés: “eine friedliche und allseitig weltoffene Sprachgruppe”. Che i ladins ae dagnora stimé biei prosc ai patrons foresć – datrai con gran entusiasm sciche da la seconda vera – é zenz’auter veir, ma per vedei tla sozieté tradizionala ladina na “weltoffene Sprachguppe” méssen veramenter avei na gran fantasia o na bela gran “chuzpe”; i puec ladins che fin a la seconda vera é ruvés fora per l mond fova saudés che a messù jì a combate sun l Berg Isel o tl’Abissinia o tla Ruscia.

La touta de posizion dl Ortsauschuss é vegnuda deda fora per todesch, sciche al é usanza da cheles pertes, olache an rejona gen todesch ence te familia. Se tem mo i autours de tomé te n “Niveau-Abfall” sce ai scrivessa per ladin? Ne ova nia bele dant 70 agn n optant de Urtijei ghiré, con gran aplaus dla popolazion: “Die ladinische Sprache muss samt Putz und Stängel ausgerottet werden!”(cfr. Elfriede Perathoner).

La tema – o enciornida ideologica –  de chi dla SVP da Urtijei é tant grana che ai veid te “diese hecktischen Ladinisierungsbetrebungen” finamai na intenzion asconuda de mete su na provinzia ladina. Sce ai fossa jus a la festa ladina sun Jouf de Sela éssei podù costaté che degugn ne damana valch de tel ma al contrar l’integrazion de Souramont tla provinzia de Bulsan.

Na ultima osservazion: Tl document dl Ortsauschuss végnel splighé che la reunificazion de Souramont essa conseguenzes per l proporz de duta la provinzia da Bulsan. N aument (minimal) dl proporz per i ladins messessa predret ti fé plajei a na organisazion ladina, ma a lieje anter les righes àn plutost l’imprescion che an veide n tel mudament sciche n element negatif. Per chi pa y ciuldì pa? Al é demé na domanda; “honi soit qui mal y pense”.

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3.600t Sondermüll in einem Jahr illegal entsorgt.

Die Nachricht ist von Ende Mai, aber deshalb noch lange nicht beruhigender: Umweltlandesrat Richard Theiner (SVP) teilte dem Landtagsabgeordneten Walter Blaas (F) in Beantwortung einer Anfrage mit, dass während des Jahres 2015 in Südtirol 3.600 Tonnen Sondermüll, also Giftmüll, illegal abgelagert wurden. Kaum zu glauben. Jeden Tag sollen in unserem Land durchschnittlich 10 Tonnen (!) gefährlicher Abfälle nicht dort landen, wo sie hingehören — Sondermüll, der im Hausmüll entsorgt wird, noch gar nicht mitgerechnet.

Für wild entsorgten Hausmüll lägen dem Land gar keine Zahlen vor, da dies in den Zuständigkeitsbereich der einzelnen Gemeinden falle, so der zuständige Landesrat.

Im Zeitraum 2013-2015 habe die Landesumweltagentur neben der Erstattung von 13 Strafanzeigen auch acht Verwaltungsstrafen gegen Betriebe ausgestellt. Gesamthöhe: 3.750 Euro. Das klingt nicht wirklich abschreckend.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Staatsgeheimnis Außenstände.

Auf Anfrage des STF-Gemeinderates Christoph Mitterhofer bestätigte die Meraner Stadtverwaltung laut SüdtirolNews, dass einige staatliche Behörden mit der Zahlung von Trink-, Abwasser- und Müllgebühren stark im Verzug sind. Manche der Außenstände reichten bis ins Jahr 2013 zurück. Mitterhofer sei offenbar jedoch untersagt worden, Details zu Schuldnern und Beträgen zu veröffentlichen, da diese unter Datenschutz fielen.

Eine solche Auflage – sollte sie tatsächlich in dieser Art gegeben worden sein – ist unbegreiflich. Das absolutistische “Der Staat bin ich”-Verständnis haben wir doch hoffentlich abgelegt. Der Staat sind wir. Und somit haben wir auch ein Recht zu erfahren, was wir tun und wie es uns geht. Das Ganze mutet gerade so an, wie wenn ich zur Bank ginge, um meinen Kontostand zu erfahren und der Schalterbeamte meint: “Tut mir leid. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Fällt unter Datenschutz.” Oder beim Arzt: “Sie sind schwer krank. Was Ihnen genau fehlt, darf ich Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen aber nicht mitteilen.”

Umso unverständlicher ist die Geheimnistuerei in einem Bereich, wo eigentlich Transparenz angesagt wäre, angesichts dessen, wie in Italien sonst mit Datenschutz – insbesondere Persönlichkeitsrechten – umgegangen wird. Mitunter gibt sogar die staatliche Exekutive die vollen Namen von Verdächtigen, Unfallopfern, ja sogar Zeugen eines unaufgeklärten Mordes an die Medien weiter, die diese dann nicht selten mit dazugehörigem Foto veröffentlichen. Anscheinend kein Problem. Aber bei Informationen über die Finanzgebarung öffentlicher (!) Körperschaften hört sich der Spaß auf.

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Zum Ergebnis der Flughafen-Volksbefragung.
Sparen wir uns die Par Conditio!

Ich war immer schon tendenziell für den Flughafenausbau und habe deshalb gestern konsequenterweise mit Ja gestimmt. Obwohl es mir viele Befürworterinnen, mit ihrem teils undemokratischen und aggressiven Verhalten (aber das gilt ja für beide Seiten), nicht leicht gemacht haben.

(Eine offizielle -Position gab es nicht, weshalb wir uns mit entsprechenden Aufrufen im Blog weitgehend zurückgehalten hatten.)

Das Ergebnis ist nun an Eindeutigkeit kaum zu übertreffen: Über 70% der Abstimmenden haben sich gegen die öffentliche Finanzierung des Bozner Flughafens ausgesprochen. Doch egal wie deutlich oder knapp, es ist eine demokratische Selbstverständlichkeit, dass der Mehrheitswille jetzt ohne wenn und aber umgesetzt und nicht mehr herumgetrickst wird, wie es nach der Mediation von 2007 passiert ist.

Angesichts des klaren Ausgangs möchte ich etwas wiederholen, was ich schon nach der Brixner Seilbahnabstimmung gesagt hatte: Bitte erspart uns (z.B. im neuen Bürgerbeteiligungsgesetz) eine rigide Par-Conditio-Regelung. Obschon die Mehrheitspartei, die maßgeblichen Medien (diesmal neben dem Haus Athesia auch der A. Adige) und die große Mehrheit der sogenannten Lobbies für ein »Ja« zu Seilbahn und Flughafen plädiert hatten, stimmten die Bürgerinnen dagegen.

Damit haben sie genügend demokratische Reife und Unabhängigkeit bewiesen, vielleicht sogar ein gewisses Maß an Überdruss und Protest gegen die geballte Einflussnahme — sodass es weder nötig noch sinnvoll erscheint, den Medien bürokratische Ketten anzulegen.

Noch etwas hat sich gestern übrigens ganz eindeutig gezeigt: Die Mehrheitsverhältnisse im Landtag spiegeln selbstverständlich nicht die Position der Südtirolerinnen zu allen Sachfragen wider.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6 ‹7 ‹8 ‹9 | 1›

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Die Solidarität der Anderen.

Ich bin grundsätzlich dagegen, dass wir uns alle in Stacheldraht einwickeln. Aber angesichts eines kolossalen Scheiterns der Europapolitik auf allen Ebenen und einer himmelschreienden Heuchelei in Südtirol, werde ich langsam zum “Österreichversteher”.

In einem Bericht auf Südtirolnews über zwei quasi-obdachlose afghanische Asylwerber steht folgender Satz:

Neben Farid und Amir sind weitere 240 Asylantragsteller [Anm.: in Südtirol] in keiner Struktur untergebracht und sind damit praktisch obdachlos.

Derzeit befinden sich in Südtirol schätzungsweise 900 bis 1200 Asylwerber in einer Handvoll Gemeinden. Obige Aussage hieße, dass rund ein Viertel (20 bis 25 Prozent) aller Flüchtlinge in Südtirol in keiner adäquaten Einrichtung untergebracht ist.

Dagegen lebten im Bundesland Tirol laut TT Ende 2015 rund 5100 Asylwerber (mittlerweile sind es ca. 2000 mehr) in eigens organisierten Unterkünften. In 130 von 279 Gemeinden sind mittlerweile Flüchtlinge untergebracht. Trotzdem ist Tirol damit – was die Erfüllung der Quote betrifft – sogar österreichisches Schlusslicht. Von den über 100.000 Ankömmlingen in Österreich lebt dem Vernehmen nach nur noch ein einstelliger Prozentsatz in Notquartieren.

Ungeachtet dessen wurde Österreich in den vergangenen Wochen ob seiner “neuen Härte” in Sachen Grenzsicherung ausgerechnet von Südtiroler Politikern massiv kritisiert. Hochrangige Vertreter der Grünen protestierten bei einer Demonstration am Brenner für offene Grenzen. Mit patronisierenden Kommentaren à  la “So nicht, Herr Doskozil!” appellierte Landesrat Philipp Achammer in Richtung Wien. Landeshauptmann Arno Kompatscher wiederum zeigte sich im Spiegel-Interview “enttäuscht” von der Rhetorik aus Österreich. Parlamentarier Florian Kronbichler stand mit einem “Flüchtlinge Willkommen”-Schild am Brenner und legte am Grenzschild Hortensien nieder.

Geht’s noch? Hochkarätige Politiker eines Landes, das eine vergleichsweise winzige Zahl von Asylwerbern zugeteilt bekommen hat und das dennoch 240 Antragsteller auf der Straße leben lässt, erdreisten sich Österreich in Sachen Flüchtlingspolitik zu kritisieren und erwarten auch noch, als ernstzunehmender Partner auf Augenhöhe akzeptiert zu werden.

Bitte nicht falsch verstehen. Man kann Österreich für gar einige Aspekte seiner Flüchtlingspolitik kritisieren. Aber das, was die Südtiroler da abziehen, ist beschämend und ungefähr so glaubwürdig wie ein Menschenrechtsdossier des saudiarabischen Königs. Vor allem auch, weil mit den Aussagen über die Sorge um die Wirtschaft und den Tourismus (um die Situation der Geflüchteten ging es in den Statements nie) auch immer unterschwellig mitschwingt, dass die Schließung des Brenners eine vermehrte Zahl von Flüchtlingen in Südtirol bedeuten würde.

Wenn anderswo in Europa auch nur tatenlos Schildchen geschwenkt und mahnende bis drohende Wortspenden in Richtung Österreich abgelassen werden sowie etwas von Symbolik der Brennergrenze und europäischen Werten geschwafelt wird, dann verwundert mich weder die Reaktion der Alpenrepublik, noch dass der längst überfällige Schulterschluss immer noch aussteht.

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Generalangriff auf das Südtiroler Genossenschaftswesen.

Zwischen Selbsthilfe und Marktlogik, so lautet der Titel eines Buches über die Geschichte des Südtiroler Genossenschaftswesens, herausgegeben vom Raetia-Verlag. Das gut funktionierende und bestens organisierte Genossenschaftswesen ist eine der Säulen der Südtiroler Wirtschaft. Schon ab 1870 entstanden im historischen Tirol die ersten Genossenschaften.  Man orientierte sich während der Boomphase, die bis etwa 1900 anhielt, an den Grundideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Mit dem ersten Weltkrieg begann eine Krise, die in Südtirol mit der vehementen Bekämpfung des Genossenschaftswesens durch das faschistische Regime gipfelte. Die Erholung setzte erst in der Nachkriegszeit ein.

Genossenschaften kombinieren in gewisser Weise die Vorzüge des marktwirtschaftlichen Modells mit den Anforderungen nach sozialem Ausgleich und Umverteilung. Das Konzept der Selbsthilfe ohne Gewinnabsicht in dem Sinne, dass keine Gewinne ausgewiesen werden dürfen, vermeidet einerseits die Auswüchse des globalisierten, neoliberalen Raubkapitalismus und andererseits die totalitäre Versuchung sozialistisch/kommunistischer Ideologien. Ein Modell, das für die alpine Welt, mit seinem alten System der “Allmende”, dem alten germanischen Gemeinbesitz an Grund und Boden, mit einem vorbildhaft funktionierenden Vereinswesen, das beispielsweise in der Lage ist, ein mustergültig organisiertes, freiwilliges Feuerwehrwesen auf die Beine zu stellen oder mit dem alten Prinzip der dörflichen Nachbarschaftshilfe, wo die DorfbewohnerInnen kleiner Tiroler Bergdörfer auch schon mal in kürzester Zeit das abgebrannte Wohnhaus eines Nachbarn wiederaufbauten, geradezu prädestiniert ist.

Dieses Südtiroler Modell der Genossenschaften sieht sich zusehends existentiellen Angriffen aus Rom ausgesetzt. Besonders die Raiffeisenkassen werden derzeit akut in ihrer Unabhängigkeit und wirtschaftlichen Existenz bedroht.

So ist es derzeit mehr als unsicher, ob die 47 Südtiroler Raiffeisenbanken ihre Eigenständigkeit behalten können und im Zuge der italienischen Genossenschaftsbankreform eine eigene Landesgruppe gründen können. Der römische Ministerrat um Ministerpräsident Matteo Renzi hat den Südtirol-Passus bekanntlich aus dem Gesetzesdekret zur Reform der Genossenschaftsbanken gestrichen. Sollte es hier nicht in letzter Sekunde doch noch auf dem Verhandlungswege eine eigenständige Lösung geben, wäre dies für Südtirols Raiffeisenkassen und für die Südtiroler Wirtschaft eine Katastrophe.

Noch zwei weitere Ereignisse sollen hier in Erinnerung gerufen werden: Im Herbst 2015 mussten Südtirols Raiffeisenbanken im Zuge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Banca Marche, Banca Popolare dell’Etruria, Cassa di Risparmio di Ferrara und Cassa di Risparmio di Chieti 7,5 Millionen Euro zur Sanierung beisteuern. Allein die Raiffeisenkasse Bruneck musste innerhalb weniger Tage eine halbe Million Euro flüssig machen. Letztendlich zahlen Südtirols BankkundInnen die Zeche für römische Raubrittermethoden.

Erst kürzlich hat die italienische Wettbewerbsbehörde das im Jahr 2014 gegen einige Lokalbanken eröffnete Verfahren abgeschlossen. Sie ist dabei laut Südtirol News vom 04.03.2016 zum Schluss gekommen, dass einzelne Raiffeisenkassen zusammen mit dem Raiffeisenverband und der Raiffeisen-Landesbank ein Kartell gebildet und damit gegen die Bestimmungen zum Schutz des Wettbewerbs verstoßen haben.

Die Wettbewerbsbehörde leitete daraufhin gegen die genannten Banken Ermittlungen ein, die Anfang 2015 auf den Raiffeisenverband Südtirol, die Raiffeisen Landesbank und 14 Raiffeisenkassen ausgedehnt wurden. Der Vorwurf der Absprache zur Anwendung eines einheitlichen Mindestzinssatzes zwischen den Lokalbanken konnte nicht bestätigt werden. Dem Raiffeisenverband, der Raiffeisen Landesbank und einigen Raiffeisenkassen wird hingegen ein nicht wettbewerbskonformer Informationsaustausch mit dem Ziel der Koordinierung der Marktpolitik und damit Kartellbildung vorgeworfen, dies insbesondere bei der Bepreisung von Wohnbaudarlehen.

Herbert von Leon, Obmann des Raiffeisenverbandes, dazu: “Die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde trifft uns hart und ist nach unserem Verständnis nicht nachvollziehbar. Mit dieser Entscheidung wird das genossenschaftliche Prinzip an sich in Frage und an den Pranger gestellt. Was wir tun, ist nichts anderes als eine genossenschaftliche Zusammenarbeit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, die wir seit über 100 Jahren pflegen und die auch im deutschsprachigen Ausland ähnlich funktioniert”.

Die einzelnen Raiffeisenkassen bieten ihre Bankdienstleistungen der Bevölkerung in ihrem Tätigkeitsgebiet an, eine Zusammenarbeit gibt es bei Diensten, die für einzelne Raiffeisenkassen zu komplex oder kostspielig sind. Die Preise der Bankprodukte werden jedenfalls von den einzelnen Raiffeisenkassen individuell festgelegt, was die unterschiedlichen Zinsstrukturen beweisen. Die verhängten hohen Geldstrafen seien deshalb umso verwunderlicher, weil Raiffeisen mehrfach nachweisen konnte, dass die in Südtirol angewendeten Konditionen italienweit zu den besten zählen

So der Sachverhalt laut Südtirol News vom 04.03.2016.

Der Raiffeisenverband führt unter anderem für Südtirols Raiffeisenbanken das Rechenzentrum. Ein Rechenzentrum, das unter anderem auch den Südtiroler Bedürfnissen nach Mehrsprachigkeit nachkommt. Andere Südtiroler Banken haben diesen Dienst längst nach Norditalien ausgelagert. Jedenfalls ist es ein Widerspruch, dass man einerseits Südtirols Raiffeisenbanken über eine gesamtstaatliche Holding gleichschalten will und andererseits genossenschaftliche Zusammenarbeit auf Landesebene von der Wettbewerbsbehörde drakonisch bestraft wird.

Letztere hat Verwaltungsstrafen um die 26 Millionen Euro verhängt. Sollte es hier beim zuständigen Verwaltungsgericht zu keiner Revision des Urteils kommen, bezahlt wiederum Südtirols Wirtschaft die Zeche.

Alle drei Episoden belegen, dass mit diesem Staat kein Staat zu machen ist und kontinuierlich wertvolle Ressourcen damit vergeudet werden müssen, um die Auswüchse des römischen Zentralismus soweit abzuschwächen, dass er nicht den Kern des Südtiroler Gesellschaftsmodelles zerstört.

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