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Recht der Kurden auf Autonomie einlösen.

»Moderne Autonomiesysteme« von Thomas Benedikter auf Türkisch erschienen.

Autonomie ist die große Hoffnung der Kurden. Darauf verweist Thomas Benedikter, u.a. Verwaltungsratspräsident von POLITiS, in seinem eben beim Verlag Nika Yayinevi in Ankara erschienenen Buch »Modern Özerklik Sistemleri« (Moderne Autonomiesysteme, auf Deutsch und Englisch im Internet). In dieser Publikation wird die Autonome Region Kurdistan im Irak als erstes gelungenes Beispiel einer funktionierenden Territorialautonomie im Nahen Osten dargestellt und Autonomie als brauchbare Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei empfohlen. Autonomie wird zwar von den demokratischen Kurdenparteien der Türkei angestrebt, aber von der Erdoğan-Regierung nicht ernsthaft in Betracht gezogen. Zwei 2013 auf Türkisch in Diyarbakir (Türkisch-Kurdistan) erschienene Arbeiten von Benedikter (Avrupa’nin Özerk Bölgeleri und Etnik Uyusmazligin Özyönetimle Cözümü) haben dieser Debatte Auftrieb verliehen. Benedikter bedauert, dass die diesbezügliche Anklage gegen ihn und seinen kurdischen Verleger seitens der Staatsanwaltschaft von Diyarbakir wegen staatsfeindlicher Propaganda immer noch nicht zurückgezogen worden ist.

In einem Kommentar für die kurdische Online-Zeitung Infowelat weist Benedikter darauf hin, dass die Türkei ihre Beziehung zu den Kurden in all ihren angestammten Gebieten grundlegend neu regeln müsse. 90 Jahre Misstrauen, politische Repression und militärische Bekämpfung seien genug. Heute sei die Türkei aufgerufen, ihre Beziehungen zu den Kurden im Ausland und zu den eigenen kurdischen Staatsbürgern zu normalisieren und ihre überholte kemalistische Verfassung von 1923 anzupassen, um die kurdische Volksgruppe offiziell anzuerkennen. Territorialautonomie funktioniere heute gut oder halbwegs gut in 10 Staaten Europas mit etwa 35-36 autonomen Regionen. Eine moderne Territorialautonomie mit internationalen Garantien könne auch in der Türkei eine für beide Seiten akzeptable und dauerhafte Lösung sein, um den Kurden zumindest »interne Selbstbestimmung« zuzugestehen.

Schließlich weist Benedikter auf die schwierige Lage der autonomen Kurdenregion Rojava im Norden Syriens hin, die Anerkennung verdient und Schutz braucht. Das von 4 Millionen Kurden, Christen und anderen Minderheiten besiedelte Gebiet hat im Jänner 2014 einseitig eine vom Regime und der Opposition unabhängige Autonome Region ausgerufen und eine provisorische demokratische Regierung bestellt. Doch wird sie derzeit vor allem von Einheiten der Jihadisten militärisch unter Druck gesetzt. Tausende Flüchtlinge können kaum versorgt werden, weil die Türkei Hilfskonvois an den Grenzen blockiert. Auf Druck der Türkei haben die USA dafür gesorgt, dass die autonome Regionalverwaltung der PYD-Partei von den Friedensverhandlungen zu Syrien in Genf ausgeschlossen worden sind. Die politische Vertretung dieser Region müsse das Recht erhalten, am Verhandlungstisch in Genf vertreten zu sein, betont Benedikter.

Weitere Informationen zu Rojava:
http://www.gfbv.de/pressemit.php?id=3819&stayInsideTree=1
http://civaka-azad.org/demokratische-autonomie-in-rojava/

Verlag YAYINEVI: www.nikayayinevi.com

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Diskussion: Sezession/Europa?

Am kommenden Samstag, den 17. Mai, lädt die Initiative für mehr Demokratie von 9.30 bis 12.30 Uhr zu einer wichtigen politischen Diskussion ins Bozner Batzenhäusl.

Europa.

Das Thema des Vormittags lautet »Sezession oder Europa?«, Gäste sind: Thomas Benedikter, Matthias Cologna, Simon Constantini (für ), Martin Fischer, Bernd Karner, Paul Köllensperger, Sepp Kusstatscher, Markus Lobis, Michele Lonardi, Ivo Passler, Andreas Pöder, Karl Trojer, Otto von Aufschnaiter und Bernhard Zimmerhofer. Die Initiative bedauert, dass keine der geladenen Frauen zugesagt hat.

Die Unzufriedenheit der Menschen innerhalb der Nationalstaaten Europas wächst. Sie wächst auch gegenüber dem Europa der Lobbys und der Banken. Alleingänge kleinerer, überschaubarer und kulturell einheitlicherer Einheiten versprechen geringere Krisenanfälligkeit und einfachere Krisenbewältigung. Die Frage ist dann aber: Allein wohin? Doch sicher nicht wieder in die Kleinstaaterei. Wenn schon kleinere lokale Identitäten zum Tragen kommen sollen, wo die Bürgerinnen und Bürger wissen und auch tun können, was sie wollen, dann sollte das in einem Verbund der Vielgestaltigkeit stattfinden, der diese Diversität garantiert. Das ist eine Verfassung der Menschen- und Bürgerrechte, der politischen und persönlichen Freiheiten, der sozialen Rechte und Pflichten, der Selbstverantwortung und Selbstorganisation, eine Verfassung, die Demokratie als die Möglichkeit der Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in allen für sie wichtigen Fragen, für alle verpflichtend vorgibt. Diese Garantie bietet ein politisches System der Gleichberechtigung in einer Konföderation europäischer Regionen. Diese ideelle Ordung wäre ein Europa jenseits der Nationalstaaten, wie es in seinem Ursprung gedacht war.

Ab 11.30 sind die EU-Wahl-KandidatInnen eingeladen, zu den Ergebnissen der Debatte Stellung zu nehmen.

Ich freue mich außerordentlich über (und auf) diese Veranstaltung, deren einleitende Prämisse von stammen könnte und von mir zu 100% geteilt wird. Dass die Initiative für mehr Demokratie dieses Thema derart klar umreißt und einer öffentlichen Debatte stellen möchte, stimmt zuversichtlich. Lediglich den Titel, »Sezession oder Europa?« könnte man umgestalten in »Sezession und Europa!« — da meiner Ansicht nach gerade der Zerfall klassischer Nationalstaaten durch Abspaltung von Regionen, einschließlich der zwangsläufigen Befassung der EU mit diesen Prozessen, zu einer Dynamik in die gewünschte Richtung führen wird.

In jedem Fall können Bürgerrechte wie direkte Demokratie, individuelle und kollektive Selbstbestimmung nur Hand in Hand gehen.

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3° incontro: Riforma dell’autonomia.

di POLITiS

Politis (Centro Sudtirolese di Formazione e Studi Politici) e Südtiroler Bildungszentrum SBZ invitano al terzo incontro con esperti del ciclo La riforma dell’autonomia – I cittadini partecipano e che avrà luogo questo venerdì, 8 novembre alle ore 19.30, presso il Vecchio Municipio di Bolzano, via Portici 30.

Le esperienze e possibilità di ampliamento dell’autonomia di altre Regioni a statuto speciale

Interventi:

  • Prof. Avv. Robert Louvin, Aosta, professore di diritto costituzionale e diritto pubblico comparato, già Consigliere regionale e Presidente della Regione Valle d’Aosta
  • Dott. William Cisilino, Udine, Direttore responsabile dell’Istituto regionale per la tutela della lingua friulana (Friuli-Venezia Giulia)
  • Uno sguardo sugli sviluppi della riforma dello statuto di autonomia in Sardegna

Moderazione: Monica Margoni e Thomas Benedikter

Al centro della serata ci saranno gli aspetti ancora irrisolti dello statuto e possibili revisioni dell’autonomia, le conflittualità tra Roma e Bolzano, al fine di individuare quali punti necessitano di essere regolati e quali prospettive di sviluppo dell’autonomia sono percorribili. Per poter mettere a fuoco queste tematiche verrà offerto uno sguardo su altre regioni a statuto speciale e sull’esperienza di riforma dell’autonomia in quelle realtà. Per esempio, il Consiglio regionale del Friuli Venezia Giulia ha già approvato una riforma dello statuto, che attende ora il parere del Parlamento. Tramite un referendum la Sardegna ha istituito un’Assemblea Costituente per la riforma dello statuto. La Valle d’Aosta è quella regione autonoma che sta ponendo le basi per una concreta partecipazione dei cittadini nel percorso di ampliamento dell’autonomia. Due rinomati esperti riferiranno sugli sviluppi in queste regioni, un processo che può essere di grande interesse anche per l’autonomia del Sudtirolo.

Informazioni: Sozialgenossenschaft POLITiS cooperativa sociale, Dominikanerplatz 35, Bolzano/Bozen, Tel. 0471 973124 · info@politis.it. Tutto il programma su: www.politis.it

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Autorinnen und Gastbeiträge BBD

Reform der Südtirol-Autonomie: BürgerInnen reden mit.

von POLITiS

Reform und Ausbau der Südtirol-Autonomie stehen bereits auf der politischen Agenda. Diese Fragen werden seit Jahrzehnten von wenigen Experten der Regierungsparteien bearbeitet, während der Landtag über minimale direkte Mitspracherechte verfügt, die Bürgerinnen in Südtirol über gar keine. Eine neuartiges Bildungsprojekt zur Vorbereitung und Förderung der Bürgerbeteiligung an der anstehenden Autonomiereform wird vom Südtiroler Bildungszentrum (SBZ) und der Genossenschaft POLITiS ab diesem Herbst angeboten, das allen Bürgerinnen zur Teilnahme offen steht. Es geht darum, Expertenwissen zur Autonomie den “Normalbürgern” zu erschließen, sprachgruppenübergreifend zu reflektieren und gemeinsam einen bedeutenden Sammel-Vorschlag zur Autonomiereform auszuarbeiten. Namhafte Experten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft werden referieren, in gesonderten Treffen können die Teilnehmerinnen ihre eigenen Vorstellungen reflektieren. Der Veranstaltungszyklus findet im 3-Wochen-Abstand in Bozen statt, wird mit einem Symposium am 2. Mai 2014 abgeschlossen und mit Informationsveranstaltungen in den Bezirken und Internet-Befragungen weitergeführt.

Die von Thomas Benedikter koordinierte Veranstaltung ist eine Art Probelauf für neue Methoden der Bürgerbeteiligung an politischen Reformvorhaben, um Interesse und Motivation der Bürger an politischen Grundfragen zu stärken.

Nähere Informationen dazu im beiliegenden Programmheft und unter www.politis.it.

Anmeldungen beim SBZ, Tel. 0471-971870, irene.heufler@sbz.it.

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Giovamento.
Quotation

[N]egli anni sessanta forze più radicali all’interno della SVP riuscirono a strappare a Roma almeno il “Pacchetto”. Analogamente può darsi che solo la crescita dei partiti secessionisti sudtirolesi potrà convincere Roma a concedere qualche miglioramento sostanziale dell’autonomia vigente per stabilizzare la situazione delle forze politiche più moderate.

Thomas Benedikter, da «Come completare l’autonomia dell’A.Adige/Südtirol? 10 tesi»

Noi di non siamo mai stati indipendentisti per ragioni strategiche o tattiche. Ma abbiamo sempre sostenuto che l’indipendentismo non nuoce all’autonomismo, non essendo i due concetti per forza antitetici. Anzi, possono giovarsi a vicenda.

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Falle oder Chance?

In der dieswöchigen ff (Nr. 19 vom 9. Mai 2013) ist ein leider erschreckend oberflächlicher Leitartikel zum Thema Selbstbestimmung erschienen, wie wir ihn schon länger nicht mehr lesen mussten. Ein Kommentar.

Die Falle Selbstbestimmung

von Georg Mair

Selbstbestimmung ist möglich, sagt ein Gutachten eines Innsbrucker Universitätsprofessors.

Angeblich stimmt das nicht, Prof. Hilpold hat der Auslegung seines Gutachtens durch die Süd-Tiroler Freiheit (STF) widersprochen — aber das wusste Mair bei Redaktionsschluss vermutlich noch nicht.

Ja, und was folgt daraus? Ist sie ein Schritt nach vorne, ein Schritt in die Vergangenheit?

Daraus würde erstmal noch gar nichts folgen, die Selbstbestimmung als solche ist neutral und kann für einen Schritt nach vorne, einen Schritt in die Vergangenheit und sogar für die Beibehaltung des Istzustandes genutzt werden. Wobei eher unwahrscheinlich ist, dass sich die Südtiroler mehrheitlich für einen Rückschritt entscheiden würden.

Wenn Sven Knoll, Landtagsabgeordneter der Süd-Tiroler Freiheit, von Selbstbestimmung redet, dann glüht er. Wenn es um Selbstbestimmung geht, kennt die Süd-Tiroler Freiheit nur Freunde – dann ist es mehr oder weniger egal, was jemand für Gesinnung hat. Der Ruf nach Selbstbestimmung ist die Existenzgrundlage dieser Partei, die meint, Südtirol sei eine Kolonie Italiens.

Meint sie dies? Mag sein, ich kann es schwer beurteilen und will nicht den Advocatus für eine Partei spielen, die meiner Meinung nach auch viele Fehler macht. Von einer Einzelpartei auf die Selbstbestimmung zu schließen, führt aber nirgendwohin — genauso, wie der direkte Schluss von den Grünen auf den Umweltschutz unsinnig wäre.

Die Süd-Tiroler Freiheit geht ja davon aus, dass wir in einer Quasi-Diktatur leben, dabei garantiert ja gerade dieser Staat das Recht der Separatisten, sich gegen diesen Staat auszusprechen, schützt die italienische Polizei die Protestmärsche der Schützen vor Übergriffen, ermöglicht, dass sie ihr “Los von Italien” martialisch durch Bozen tragen.

Das wird von Unabhängigkeitsgegnern immer wieder als besondere Leistung ins Feld geführt, als wäre dies ein Spezifikum Italiens und nicht die Pflicht eines jeden Rechtsstaats. Und als wäre die Tatsache, dass wir in einer Demokratie leben, ein Gegenargument zu einem demokratischen Entscheid — wennschon müsste doch genau das Gegenteil der Fall sein.

Selbstbestimmung möglich, verkündete die Süd-Tiroler Freiheit in dieser Woche, das habe eine Studie des Innsbrucker Universitätsprofessors Peter Hilpold ergeben. Es war auch nicht zu erwarten, dass eine Studie, in Auftrag gegeben von der Süd-Tiroler Freiheit, zu einem anderen Ergebnis kommen würde – man weiß ja schließlich, an wen man sich wenden muss, um Bestätigung zu erhalten.

Offenbar hat Mair mit dieser Aussage unrecht, wenn man berücksichtigt, dass Prof. Hilpold — wie eingangs erwähnt — der Auslegung durch die STF widersprochen hat. Selbst wenn Hilpold jedoch die Thesen der STF stützen würde, wäre es dreist, ihm einfach Voreingenommenheit (oder gar Käuflichkeit) vorzuwerfen. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass die ff Fachleuten, die gegen die Selbstbestimmung argumentieren, jemals ähnliches vorgeworfen hätte.

In der Südtiroler Politik hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten eines grundlegend geändert: Die Feinde des Autonomiestatus von 1972 werden immer stärker. Die Biancofiore meint, wir hätten zu viel davon, das Edelweiß träumt von der “Vollautonomie” (kann etwas, das schon voll ist, noch voller werden?), Alessandro Urzì ist sowieso immer dagegen, die Freiheitlichen werden bis zu den Wahlen die Idee vom “Freistaat Südtirol” wie eine Monstranz vor sich her tragen, und die Süd-Tiroler Freiheit wird für die Selbstbestimmung marschieren – am liebsten natürlich rechtsrum marsch.

  • Wenn stimmt, was Mair schreibt, nämlich dass die Unzufriedenheit mit dem Status Quo stark zugenommen hat: Wäre dies nicht ein Argument, das dafür sprechen würde, die Bevölkerung (basis-)demokratisch über die Zukunft Südtirols befinden zu lassen?
  • Wer sagt, dass die Autonomie schon voll ist? Wohl eher das Gegenteil ist der Fall, die Bereiche, in denen das Land primäre Zuständigkeit hat, sind wenige und wurden letzthin von Zentralregierung und Verfassungsgericht stark eingeschränkt. Selbst da, wo die primäre Zuständigkeit gilt, hat sich Südtirol dem nationalen Interesse zu unterwerfen.
    Thomas Benedikter, der für , aber auch für ff geschrieben hat, spricht sich für einen dezidierten Ausbau der Autonomie aus. Ist er, der sich selbst als überzeugter Autonomist sieht, jetzt ein Autonomiefeind?

Wer leichtfertig eine Errungenschaft wie das zweite Autonomiestatut infrage stellt, zündelt – ob nun bewusst oder unbewusst.

Im Grunde zündeln demnach alle. Es gibt in Südtirol keine Partei, die das zweite Autonomiestatut nicht infrage stellt — um es abzuschaffen, es im Sinne der Unabhängigkeit zu überwinden oder um es durch ein drittes Statut zu ersetzen.

Er schafft Unruhe, Unfrieden zwischen den Sprachgruppen – wo sonst sollte die  italienische Sprachgruppe Sicherheit – und ja: auch Heimat – finden, wenn nicht im Autonomiestatut.

Wieder ein ungebetener Advocatus der italienischen Sprachgruppe, die wohl einmal mehr nur vorgeschoben wird, um eigene Positionen zu untermauern. Dabei werden die Italiener, als gäbe es sowas Monolithisches, pietätvoll zu Unmündigen herabstilisiert, die nicht als voll ernstzunehmende Mitbürger frei mitentscheiden dürfen, sondern einen Vormund benötigen.

Das bei gutem Willen und im Konsens leicht zu reformieren oder anders auszulegen wäre, etwa was den ethnischen Proporz oder die Einführung einer mehrsprachigen Schule angeht.

Wir notieren: Die Abschaffung von Schutzmechanismen im nationalstaatlichen Kontext ist keine Zündelei, alles andere schon.

Was tun wir, wenn wir einen Freistaat haben? In Salurn Grenzpopsten aufstellen, ein Steuerparadies mitten in Europa errichten, den Südtirol-Taler statt den Euro einführen, nicht die Italiener vertreiben, aber sehr wohl die Ausländer, die bei den Freiheitlichen ohnehin unter dem Generalverdacht stehen, das Sozialsystem zu missbrauchen?

Da arbeitet Mair mit den üblichen, völlig unhaltbaren Vorurteilen und Pauschalisierungen. Steht denn am Brenner ein Grenzposten? Warum dann in Salurn? Und: Heißt es nicht immer wieder, Grenzen gebe es in Europa ohnehin gar nicht mehr?
Warum sollten die Südtiroler, wenn wir einen eigenen Staat hätten, ausländerfeindlicher sein, als heute? Die Freiheitlichen wären ja nicht automatisch Regierungspartei, eher im Gegenteil (wenn wir davon ausgehen, dass sie heute von vielen nur wegen der Unabhängigkeit gewählt werden). Menschenrechte und europäische Werte würden übrigens auch in einem unabhängigen Südtirol fortbestehen.

Was tun wir, wenn wir selbstbestimmt gewesen sein werden: die Italiener aus Südtirol vertreiben, ihnen großzügig die Rechte einer Minderheit zugestehen, uns Österreich oder der Schweiz anschließen und glücklich, aber viel ärmer leben (da bekäme das Schlagwort von der “decrescita felice” eine neue Bedeutung)?

  • Die Italiener aus Südtirol vertreiben? Einen Satz weiter oben stand noch »nicht die Italiener vertreiben, aber sehr wohl die Ausländer«, jetzt hat sich’s Mair offenbar schon wieder anders überlegt. Er will halt auf gar keines der klassischen Angstargumente verzichten.
  • Wie hoch wären die Chancen, dass sich ein dreisprachiges Land national definiert, die Italiener also als Minderheit behandelt würden? Warum sorgt sich niemand um die Ladiner? Wohl nur, weil sie zahlenmäßig nicht für eine Gegnerschaft zur Unabhängigkeit zu missbrauchen sind.
    In jedem Fall gibt es keinen Automatismus, dass sich das unabhängige Südtirol national definieren würde. Wir () etwa sprechen uns absolut gegen ein solches Modell aus, obwohl wir ebenfalls die Loslösung von Italien befürworten.
  • Viel ärmer leben? Dieses Argument ist gleich doppelt witzig: Einmal, weil Italien gerade — anders als Österreich und die Schweiz — drastisch verarmt und uns dabei kaputtspart. Und dann, weil wirtschaftliche Argumente für die Unabhängigkeit regelmäßig als Egoismus und Mangel an Solidarität abgestempelt werden. Der Unionismus bedient sich solcher Argumente jedoch ungeniert.

Sind wir glücklicher, zufriedener, geht es uns besser, wenn wir ganz für und unter sind? Wenn wir das Fremde, das Andere abgewehrt haben? Nichts anderes ist der Ruf nach Freistaat oder Selbstbestimmung, als der Versuch, eine verlogene Idylle zu schaffen, in die Vergangenheit zu schauen anstatt nach vorne.

Schon wieder wird ein Zusammenhang hergestellt, der so nicht existiert. Ist das Festhalten am Nationalstaat und an der Autonomie (die Antwort auf Südtirols Zugehörigkeit zu einem Nationalstaat) zukunftsweisend? Ist es rückwärtsgewandt, sich neue Lösungen auszudenken, die dem geeinten Europa näher stünden, zur Überwindung der Nationalstaaten beitragen, die inneren Grenzen zwischen den Sprachgruppen abbauen könnten?

Nach vorne schauen heißt Berührung, Kontamination und Konfrontation, heißt Reibung, heißt, die Berge im Kopf wegzuschieben. Selbstbestimmung ist selbstbezogen, ein Rückschritt, Selbstbestimmung gebiert neue Minderheiten.

Nein, Selbstbestimmung gebiert erstmal gar nichts, denn Südtirols Bürger könnten auch selbst bestimmen, alles so zu lassen, wie es ist. Selbst wenn sie sich dafür entscheiden würden, sich vom Nationalstaat Italien loszulösen, gebiert dies noch lange keine neuen Minderheiten. Dies wäre nur der Fall, wenn sich Südtirol nicht als dezidiert mehrsprachiges Land, das es ja ist, definieren würde, sondern als einsprachig deutsches. Dass dies so wäre, steht nirgendwo geschrieben, einen Automatismus Unabhängigkeit – neue Minderheiten gibt es so also keineswegs.

Es gibt in Südtirol keinen Grund dafür, solange wir friedlich leben, wohlhabend trotz allem, geistig selbstbestimmt, und frei, wenn wir nur wollen. Wahre Selbstbestimmung hieße, die Trennung zwischen den Sprachgruppen überwinden, Migranten integrieren, Sprachen lernen, Toleranz üben, Grenzen im Kopf verschieben, die Berge in uns überwinden.

Die Frage bleibt, ob dies eher in einem Nationalstaat aus dem 19. Jahrhundert gelingen kann, wo wir als Minderheit jeden Tag erneut beweisen müssen, »anders« zu sein — oder aber in einem neuen Südtirol, dessen Quellcode mehrsprachig ist und das sich von nichts und niemandem abgrenzen muss, um seine Autonomie zu rechtfertigen. Die Antwort von ist bekannt.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Realitätsänderung.

Wie auch Thomas Benedikter bei seinem hervorragenden Vortrag in der Cusanus-Akademie erklärte (und bei der Podiumsdiskussion der Grünen wiederholte), ist der »Realismus« im Grunde keine politische Kategorie. Wie wahrscheinlich war es vor 100, 50, ja selbst vor 10 Jahren, dass die Welt heute genauso ist, wie sie ist? Der Wert dürfte gegen null tendieren. Angebliche Gewissheiten werden fortlaufend widerlegt:

  • SVP-Sekretär Philipp Achammer hatte noch vor wenigen Monaten behauptet, London würde Schottland sicher niemals eine Abstimmung über die staatliche Unabhängigkeit gewähren. Genau das Gegenteil ist eingetreten: Premier David Cameron und First Minister Alex Salmond einigten sich kürzlich auf einen Termin — die schottische Bevölkerung darf 2014 bestimmen, ob sich das Land abspaltet.
  • Noch vor nicht allzu langer Zeit war eines der Lieblingsargumente von Unionisten, man könne in der EU keine Binnengrenzen mehr verschieben. Dass dieser Hinweis heute seltener zu hören ist, verdanken wir ebenfalls den Schotten: Heute scheint niemand mehr anzuzweifeln, dass neue (Verwaltungs-)Grenzen auch innerhalb Europas entstehen können. Jetzt müssen Unabhängigkeitsgegner schon hinzufügen, dass dies — angeblich — nur im Konsens mit dem Zentralstaat geschehen kann. Eine neue Gewissheit.
    Südtirol hat diesen Konsens mit Rom während der letzten Jahrzehnte niemals gesucht. Zugegeben: Dass es jemals einen geben wird, ist äußerst unwahrscheinlich, doch wer nicht spielt, kann nie gewinnen.
  • Als Kataloniens schwierige Wirtschaftslage bekannt wurde, frohlockten zahlreiche Unionisten: Das Land im Nordosten Spaniens habe sich als Vorbild für Separatisten über Jahre »gegessen«, wem der Magen knurre, der habe keine Zeit mehr für »Hirngespinste«. Genau das Gegenteil war, wie hier prognostiziert, der Fall: Am 25. November finden in Katalonien Neuwahlen statt, mit dem Ziel, vom Wähler ein Mandat für die Loslösung von Spanien zu erhalten. Die Katalanen geben sich auch nicht vorauseilend der »Wahrheit« geschlagen, die Unabhängigkeit sei nur im Konsens mit dem Zentralstaat zu erreichen, sondern setzen auf die Kraft eines friedlichen, demokratischen Prozesses.

Das sind nur wenige Beispiele für eine grundlegende Erkenntnis: Realität ist nicht, sie wird gemacht. Und Politik folgt keinen unveränderlichen Naturgesetzen, sondern von Menschen erschaffenen, sich ständig wandelnden Regeln. Vielleicht setzt sich diese Einsicht irgendwann auch in Südtirol durch.

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Grüne: 2×10 mit BBD.

Die Südtiroler Grünen haben unter dem Motto »10×10 Ideen für ein ökosoziales Südtirol« und in Hinblick auf die Landtagswahlen 2013 eine Reihe von zehn öffentlichen Veranstaltungen (Denkwerkstätten) gestartet, mittels derer jeweils zehn Ideen zu einem bestimmten Thema gesammelt werden sollen. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die Ausarbeitung eines Wahlprogramms.

Der Titel der zweiten Denkwerkstatt lautet Basta Autonomia? — Zur Zukunft unserer Heimat. Die Veranstaltung beginnt mit einem Impulsreferat von Thomas Benedikter und wird mit einer Podiumsdiskussion fortgeführt, zu welcher auch eingeladen wurde.

Wir suchen Ideen, um auf Fragen wie diese eine politische Antwort zu finden:

  • Welche Vorteile ergäben sich, wenn Südtirol oder die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino den Status eines eigenen Staates bekäme?
  • Wollen wir alte Grenzen abbauen oder neue Grenzen ziehen?
  • Gibt es bessere Konzepte als jenes einer multikulturellen, autonomen Region in einem friedlichen Europa?

An der Podiumsdiskussion nehmen teil:

  • Thomas Benedikter, Wirtschafts- und Sozialforscher
  • Simon Constantini, Betreiber des Blogs Brennerbasisdemokratie
  • Gabriele Di Luca, Kolumnist Corriere dell’A. Adige
  • Hans Heiss, Landtagsabgeordneter der Grünen Verdi Vërc

Moderation: Brigitte Foppa & Valentino Liberto

Ort der Veranstaltung: Römersaal, Schloss Maretsch (Bozen).
Zeitpunkt: Mittwoch, 24. Oktober um 18.00 Uhr.

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