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Die Autonomie — des Verfassungsgerichts.
Primarstellen

Das Arbeitsgericht in Trient gab dieser Tage einem Primariatsanwärter recht, der eine Stelle in Bozen nicht bekommen hatte, und verurteilte das Land Südtirol unter anderem dazu, ihm 37.950 Euro Schadenersatz plus 3.450 Euro monatlich bis zur Wiederholung des Stellenwettbewerbs zu zahlen. In erster Instanz war der Arzt mit seinem Rekurs noch abgeblitzt.

Der Fall zeigt, welch unberechenbare Zeitbombe das italienische Verfassungsgericht, bei dem Südtirol keinerlei Repräsentanz hat (vgl. ‹1), sowie das Damoklesschwert der »grundlegenden Bestimmungen der wirtschaftlich-sozialen Reformen der Republik« darstellen.

In einem Präzedenzfall1Verfassungsgerichtsurteil Nr. 139/2022 war das traditionell zentralistisch urteilende Verfassungsgericht nämlich 2022 zum Schluss gelangt, dass das in Südtirol übergangsweise geltende Verfahren zur Vergabe von Primariaten2seit 2021 gilt ein neues Verfahren (gem. DLH 29/2021) nicht rechtens sei — und auf dieser Grundlage urteilte nun auch das Trienter Arbeitsgericht.

Doch warum hatte das Verfassungsgericht entschieden, dass das damalige Verfahren nicht in Ordnung war? Nicht etwa, weil die Südtiroler Norm an sich klar verfassungswidrig gewesen wäre. Dies bestätigten die Richter um Giuliano Amato in ihrem Urteil sogar ausdrücklich. Stattdessen beschloss das Gericht kurzerhand, dass das staatsweit geltende Auswahlverfahren ein »grundlegendes Prinzip« darstelle — und ein solches »sticht« per Definition jede autonome Kompetenz aus (auch primäre).

Eine Krux dabei ist, dass diese »grundlegenden Bestimmungen« keine bestimmte Form aufweisen müssen — dass da also nirgends draufsteht: »dieses Gesetz stellt eine grundlegende Bestimmung dar« — und somit der Landesgesetzgeber auch wenig Anhaltspunkte hat, sich diesbezüglich von vorn herein unterordnen (!) zu können, wie es von ihm verlangt wird.

Vielmehr kann sich das zentralistisch ausgerichtete Verfassungsgericht bei der Beurteilung von Landesgesetzen aus den Fingern saugen, ob das jeweilige Staatsgesetz (bzw. Teile davon), von dem sie abweichen, ein »grundlegendes Prinzip« darstellt. Auch das stellten die Richter in oben genannten Urteil3mit Verweis auf weitere Urteile, z.B. Nr. 170/2001 ausdrücklich fest. Genauso übrigens, wie sich das Verfassungsgericht die sogenannten staatlichen »Querschnittkompetenzen« aus den Fingern gesaugt hat, mit denen es die Zuständigkeiten von Regionen und Ländern (zum Beispiel im Umweltbereich) im Laufe der Jahre auf eigene Faust massiv ausgehöhlt hat. Für die Rechtssicherheit ist diese unvorhersehbare Praxis fatal, und Einspruchmöglichkeit gegen eine einseitige Einstufung als »grundlegendes Prinzip« bzw. als »grundlegende Bestimmung« gibt es keine.

Wenn das eine Autonomie ist, dann vor allem eine des Verfassungsgerichts gegenüber allem und jedem.

  • 1
    Verfassungsgerichtsurteil Nr. 139/2022
  • 2
    seit 2021 gilt ein neues Verfahren (gem. DLH 29/2021)
  • 3
    mit Verweis auf weitere Urteile, z.B. Nr. 170/2001
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Integration… im Alpenzoo.

Neulich waren wir mit der ukrainischen Frau und ihren beiden Kindern im Pflichtschulalter, die im Frühling 2022 vom Krieg nach Südtirol geflüchtet waren und über die ich hier ab und an geschrieben habe, in Innsbruck.

Es geht dabei um jene Frau, die vom italienischen Staat bis Ende Oktober 2022 genau 900 Euro an finanzieller Unterstützung erhalten hatte, obschon ihr 1.800 Euro zugestanden hätten. Nicht monatlich, sondern in Summe wohlgemerkt. Inzwischen sind auch die fehlenden 900 Euro eingetroffen, womit sich die Unterstützung auf schwindelerregende 42,86 Euro im Monat (1.800 Euro ÷ 14 Monate ÷ 3 Personen) beläuft.

Dass mit diesem Budget keine großen Sprünge möglich sind, selbst wenn die Unterkunft kostenlos ist und der in der Ukraine nach wie vor einer Arbeit nachgehende Ehemann und Vater finanziell unterstützen kann, liegt auf der Hand.

Alpenzoo

Mehrmals konnten wir sie wenigstens zu Ausflügen überreden — so wie diesmal eben nach Innsbruck, wo wir den Kindern unter anderem den Alpenzoo zeigen wollten.

Als wir dort an der Kassa die Eintritte bezahlen wollten, fragte die freundliche Angestellte nach dem Alter der Kinder. Da selbst der Jüngere knapp über der Altersgrenze für eine Ermäßigung lag1was ich bei nachträglicher Überprüfung auf der Webseite des Alpenzoos nicht nachvollziehen kann, fiel mir noch ein, zu erwähnen, dass sie ukrainische Flüchtlinge sind.

Wenn sie ihre Aufenthaltserlaubnis dabei hätten — und das hatten sie — gäbe es da schon was. »Sie leben aber in Südtirol«, wandte ich noch ein, doch das erwies sich als unerheblich: die Mutter und beide Kinder konnten völlig kostenlos in den Zoo. Mit einem strahlenden Gesicht wie in diesem Moment habe ich die Mutter in diesen Monaten entsetzlicher Anspannung und Ungewissheit noch selten gesehen.

Sie hat uns dann noch mehrmals erzählt, wo in Südtirol sie schon überall nach einer Ermäßigung — von einem vollständigen Preisnachlass gar nicht zu reden — gefragt und nicht erhalten hatte. In der Gemeinde, in der sie in Südtirol gemeldet ist, hat sie meist noch nicht einmal Zugang zu den Ermäßigungen, die grundsätzlich allen Ansässigen zustehen. Als ihr einmal trotzdem eine gewährt wurde, hat man ihr sogar ins Gewissen geredet, dass das Geld jetzt für andere fehlen würde.

Diese Knausrigkeit hier bei uns finde ich beschämend und im Vergleich zur unbürokratischen Großzügigkeit, die wir in Innsbruck erleben durften (wiewohl sie vielleicht nicht repräsentativ ist), herzzerreißend.

Wieder einmal habe ich mich aufrichtig für unser Land geschämt.

Der kleinere Sohn hat irgendwann gefragt, ob Nordtirol viel reicher sei als Südtirol, weil sie »eingeladen« worden seien. Dies ist zwar auf dem Papier nicht der Fall, doch die Institutionen in Südtirol scheinen mir in vielen Fällen tatsächlich häufiger von Gier und Kaltherzigkeit geleitet zu sein.

Ein Land, dem bewusst ist, dass die Teilhabe aller am kulturellen, sportlichen und gesellschaftlichen Leben für eine funktionierende Gemeinschaft essenziell ist, macht hingegen schon vieles richtig. Und spart vielleicht unterm Strich sogar noch Geld.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

  • 1
    was ich bei nachträglicher Überprüfung auf der Webseite des Alpenzoos nicht nachvollziehen kann
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Rom legt Abfallgebühren auch für Südtirol fest.

So eine Autonomie, die man bei der UNO in New York als Musterbeispiel für Minderheitenschutz und Selbstverwaltung vorstellen darf, ist wirklich was Feines. Damit einher geht — selbstverständlich — eine weitgehende Steuerhoheit. Gut: Eigentlich ist sie nicht so weitgehend, und es ist auch keine Steuerhoheit. Doch bei lokalen Steuern und Gebühren: da kann man gestalten und Akzente setzen.

Bei den Abfallgebühren zum Beispiel, so berichtet der Corriere in seiner heutigen Südtirolbeilage, sind dem Bürgermeister der Landeshauptstadt die Hände gebunden. Komponenten und Berechnungsmethode werden nun nämlich direkt von der zentralstaatlichen, nicht gewählten Regulierungsbehörde Arera festgelegt und die Kommunen — auch im autonomen Südtirol — haben sie im Großen und Ganzen einfach anzuwenden. Dabei kommt in Bozen eine Steigerung von fünf Prozent heraus, die aber, wegen der Nähe zum Verbrennungsofen, laut Bürgermeister Renzo Caramaschi (und Arera) noch immer eine deutlich geringere Gebühr ergibt  als etwa in Trient.

Die Tarife sind nicht mehr Zuständigkeit der Gemeinden. […] Wir mussten uns an das neue, auf Staatsebene geltende System anpassen, jetzt entscheidet Arera über die Komponenten. Auf diese Normen können wir nicht einwirken, ob sie uns gefallen oder nicht.

– BM Renzo Caramaschi

Bisher hatte die Gemeinde die vollständige Zuständigkeit zur Festlegung der Tarife, womit der erforderliche Ermessensspielraum vor Ort gegeben war. Jetzt werden die Lokalkörperschaften entmachtet.

– Giulio Angelucci, Direktor des Amtes für Abfallwirtschaft beim Land

Übersetzungen von mir – Quelle: Corriere

Subsidiaritätsprinzip — was ist das?

Das mit den autonomen Steuern und Gebühren war also nix, aber wer möchte schon das unfassbare Glück missen, dass sich die von römischen Bürokratinnen erdachten Regeln zufällig »zu unseren Gunsten« auswirken?

Ich sag mal so: Hauptsache in New York (und beim Kompetenzzentrum für weltbeste Autonomien in Bozen) kriegen sie keinen Wind von dieser kleinen Peinlichkeit. So wie sie auch das mit der Bushaltestelle nicht unbedingt wissen sollten. Sonst ist womöglich Schluss mit dem Tokenismus — und das wäre freilich äußerst schade.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Open to Strafalcioni.

Il Sudtirolo è stato oggetto di un «lungo processo di germanizzazione» subito dopo il crollo dell’Impero romano d’Occidente. Il suo territorio «è stato incluso nella Contea del Tirolo per oltre 5 secoli per poi passare in gran parte sotto il Regno di Baviera tra il 1806 e il 1918», e quindi durante la prima guerra mondiale, alla fine della quale «torna» in mano all’Italia, il Sudtirolo faceva parte… della Baviera.

Sono solo alcune delle novità — e falsità — del tutto «meravigliose» che apprendiamo navigando su Italia.it, ancora una volta al centro di uno scandalo per via della campagna Open to meraviglia, presentata pochi giorni fa dal governo «della Nazione» che tra l’altro vorrebbe vietare gli inglesismi (di cui anche il video di presentazione, ufficialmente ritirato, è zeppo); e più concretamente dalla ministra del turismo Daniela Santanchè (FdI), orgogliosamente fascista, il cui dicastero è anche riuscito a farsi sfuggire il relativo dominio internet.

La sezione in lingua tedesca del sito intanto è stata completamente eliminata, in fretta e furia, per via delle imbarazzanti traduzioni dei nomi delle città: Garderobe per Camerino, Stillstand per Fermo o Kokosnussschneider per Tagliacozzo. E quindi uno dei mercati esteri più importanti è rimasto orfano di una versione nella sua lingua (tuttavia manca anche una versione in francese).

Ma non è da meno tutto il resto.

Per quanto riguarda il Sudtirolo, ad esempio, apprendiamo che nella «meravigliosa Val Gardena si susseguono gli splendidi borghi» di Kastelruth, Seis, Völs e Tiers (che lì cercheremo invano), mentre per sciare il «punto di riferimento deve essere il Dolomiti Superski con oltre 1.200 chilometri di piste suddivise in 12 diverse zone sciistiche» (ma sono 15), inclusa «l’area di Plan de Corones con 8 impianti da provare» (ma sono 32).

Per chi è in cerca «di luoghi insoliti» e «lontani dalle rotte più turistiche» il sito consiglia addirittura «l’area escursionistica di Obereggen» con «oltre 48 chilometri di piste», mentre «per una pausa dallo sci» ci si può recare ai Giardini di Castel Trauttmansdorff — che da metà novembre a fine marzo sono chiusi.

Sorprendente anche la famosa «regione dolomitica Tre Zinnen».

La gastronomia

Impossibile resistere davanti ai prodotti tipici del Sudtirolo: «Dai deliziosi brezel ai gustosi bratwurst, la cucina del territorio presenta ancora oggi le influenze» del «dominio germanico».

Invece «se amate il formaggio dovete assaggiare il Fontal», questa tipica specialità sudtirolese.

Città e borghi

Scopriamo poi che Bolzano è il capoluogo della regione Trentino-Sudtirolo (ruolo che però ufficialmente spetta a Trento), e che lo scontro tra i vescovi di Trento e i conti di Tirolo nel medioevo vide «la sua fine con l’arrivo degli Asburgo» — e dove arrivarono? — «in Italia». Infine, «merita una visita» anche l’immancabile «Monumento alla Vittoria, una controversa opera marmorea» voluta «da Mussolini dopo l’occupazione italiana» e «in ricordo della vittoria contro l’impero austro ungarico».

A Meran torniamo ai Giardini di Castel Trauttmansdorff, con «ben 80 varietà di piante», pochine. Mentre nella Torre della Memoria di Castel Tirolo troviamo «una mostra permanente sulla storia dell’Alto Adige e del Sud Tirolo». Zone contigue.

Nel capoluogo pusterese, Bruneck, troviamo «il lanificio Muessmer». E per quanto invece riguarda Sterzing, «non tutti sanno» che la cittadina «ha origini romane», e infatti è una balla inventata da Ettore Tolomei. In cambio in questo luogo della Valle Isarco (Wipptal) si trova: «l’ottimo speck trentino».

Sapore amaro

Insomma, anche senza navigare tutte le pagine dedicate al Sudtirolo, ci si accorge presto che sono un’accozzaglia di strafalcioni più o meno grossolani. Nel caso specifico poi hanno anche il «pregio» di aumentare la confusione e propagare la disinformazione sulla storia di questa terra e quindi sulle rivendicazioni autonomistiche — sulle quali in Italia già l’ignoranza regna sovrana.

Se da un lato non sono tra quelli che pensano che il Sudtirolo debba continuamente spiegarsi e giustificarsi, dall’altro trovo vergognoso (e al contempo illuminante) che nel 21° secolo un ente pubblico come l’Enit continui a diffondere falsità storiche «colonialistiche» di questa entità.

Sarà forse più facile che anche i sudtirolesi prima o poi accettino la mistificazione secondo cui siamo tutti italiani, inconsapevolmente — o brutalmente — germanizzati, che devono solo tornare alle loro origini culturali.

Open to Masochismo

Il sito opentomeraviglia.it, il cui dominio il ministero s’è fatto sfuggire

Più in generale, personalmente trovo che la campagna con la Venere influencer (attenti all’inglesismo) sarebbe di un’oscenità e «bruttezza» imbarazzante anche senza gli incredibili errori nei contenuti, che ne sono solo il logico completamento.

Che poi gli autori — l’agenzia Armando Testa — abbiano anche il coraggio di sfoderare il sempiterno «purché se ne parli» è veramente il massimo. Qui non solo si sperperano soldi pubblici, ma lo si fa abusando della fiducia di chi si affida alle informazioni che trova su un sito pubblico; e se anche si contribuisce a diffondere «il marchio» (ma l’Italia non dovrebbe essere un «marchio» bisognoso di diffusione) al contempo si conferma, anche e soprattutto all’estero, il giudizio sugli italiani casinisti, caotici e incapaci.

Per chi da cittadino, accademico, professionista o azienda all’estero — volente o nolente — viene identificato con questo paese è l’ennesimo schiaffo alla reputazione.

Vedi anche ‹1 ‹2

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Autorinnen und Gastbeiträge

»Alles ist teurer als ukrainisches Leben.«

Ein Teil der europäischen Öffentlichkeit fühlt sich keineswegs mit den überfallenen Ukrainerinnen und Ukrainern solidarisch.

Das ist auf Kundgebungen der Friedensbewegten zu hören: »Was geht uns die Ukraine an?«. Sie, Pazifisten, Beton-Linke, nützliche Idioten des Kremls, lehnen westliche Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Sie protestieren nicht gegen den russischen Staat und seine Armee, sondern gegen die widerstandsleistenden Ukrainerinnen und Ukrainer. Ihren Widerstand empfinden die »Kriegsgegner« im Westen als einen Angriff auf ihr Leben. Das teurer empfunden wird als ukrainische Leben.

Damit befassen sich Alek­san­dra Konar­zewska, Schamma Schahadat und Nina Weller in ihrem Alles ist teurer als ukrai­ni­sches Leben: Texte über West­s­plai­ning und den Krieg (edition.fotoTAPETA). Ein schonungsloses Buch, das den grenzenlos toleranten Westlern den Spiegel vorhält. Alles ist teurer als ukrainisches Leben, ja: der Wohlstand, die eigene Freiheit, die eigene Welt, die mit der Ukraine nichts zu tun haben will.

Für diese Öffentlichkeit gilt die Ukraine als Hinterhof Russlands, nicht als Vorhof der EU. Diese Öffentlichkeit wird politisch vertreten von Teilen der Linken und der SPD, begeistert von der AfD und der großen Leugner-Gemeinde unterschiedlicher Couleur.

Keine Ahnung von Russland

Das Herausgeberinnen-Trio und die vielen Mitautoren wie Vasyl Cherepanyn, Kateryna Mishchenko, Wolodymyr Rafejenko oder Oksana Sabuschko — um nur einige zu nennen — setzten sich mit dem »Westsplaining« auseinander. Der Begriff bezieht sich auf die westliche, herablassend-paternalistische Haltung von Intellektuellen gegenüber Europäerinnen und Europäern aus Osteuropa. »Liebe westeuropäische Intellektuelle«, schreibt der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch

ihr habt keine Ahnung von Russland. Russland hat euch nie berührt, weder euch noch eure Vorfahren. Ihr versteht es nicht, noch weniger versteht ihr Osteuropa …

– Szczepan Twardoch

So kümmern sich westliche, besonders deutsche, Intellektuelle wenig um die russische koloniale Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der »kleinen Nationen«. Auch dort wütete der deut­sche Kolo­nia­lis­mus des Dritten Reichs, in Polen, in der Ukraine, in Belarus. Dieser Teil der deutschen Geschichte verschwindet noch immer in der Lücke der Vergangenheitsbewältigung. Erfolgreich verdrängt wurde der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 — von den Rechten und den Linken.

Den Fokus auf den russischen Kolonialismus richtet das FATA collective mit seiner Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst in Berlin. Es ist eine beeindruckende Dokumentation über die immer noch anhaltenden Auswirkungen des russischen Kolonialismus auf ethnische Minderheiten. Zurecht fragt sich die FAZ »macht Hass auf den Kapitalismus blind für Stalins und Putins Untaten?«. Ist Russland antikolonial, antiimperialistisch? Deutsche Linken glauben das.

Auch Pazifisten und sonstige Friedensbewegte, die aus Angst vor einem Atom­krieg bereit sind, die Kriegsverbrechen und den gezielten Terror in den von Russ­land besetz­ten Gebie­ten zu akzeptie­ren. Ihrer Friedenssehn­sucht ordnen sie den Unfrieden der Ukrainer unter, der russische Eroberungskrieg in der Ukraine wird verdrängt, nicht erwähnt, igno­riert.

Die deutsche Moskau-Connection

Intellektuelle erhöhen die russische Literatur, ihr ver­klärter Blick darauf verhindert, die auch impe­ria­len Ideen in der verherrlichten russischen Literatur zu erkennen. Russ­land wird mystifiziert, die deut­schen Sla­wis­tik konzentriert sich auf Russ­land. Angefeuert wurde dies auch von der SPD mit ihrer Ostpolitik, dokumentieren Reinhard Bingener und Markus Wehner in Die Moskau Connection – Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit.

Die geistige Kumpanei mit Russland führt Sebastian Christ auf das Erbe des nicht auf­ge­ar­bei­te­ten deut­schen Impe­ria­lis­mus in Ost­eu­ropa zurück. Oder auf die Idee einer »beson­de­ren Bezie­hung« zwischen den eins­ti­gen Impe­rien Deutsch­land und Russ­land. »Dieser Blick auf die Welt, der Länder und Völker in gleich­wer­tige und nicht gleich­wer­tige Gesprächs­part­ner ein­teilt, ist typisch für das Erbe des Imperialismus«, analysiert Christ auf ukraineverstehen.

Friedensbewegte, Pazifisten, Gegner von Waffenlieferungen an die Ukraine verdrängen — offenbar eine weitverbreitete deutsche Eigenschaft — in ihrem Engagement gegen die Ukraine die Vergewal­ti­gun­gen und sexu­elle Folter russischer Soldaten, Wagner-Söldner, tschetschenischer Islamisten und linksradikaler »Internationalisten« der Donbasser »Volksrepubliken«. Massenhafte sexuelle Gewalt gehört bereits seit 2014 zum Kriegs­all­tag in der Ukraine.

Eine Abtei­lung der ukrai­ni­schen Staats­an­walt­schaft ent­wi­ckelt besondere Ermitt­lungs­stra­te­gien für sexu­elle Gewalttaten. Das Netzwerk The Reckoning Project – Ukraine Testifies sammelt Informationen aus den russisch besetzten ukrainischen Regionen. Dokumentationen, die tatsächlich belegen, dass alles teurer ist als ukrainisches Leben.

Weit mehr als 400 Milliarden US-Dollar beträgt der Schaden, den die Armee des russischen Staates in der Ukraine mit ihrem Eroberungskrieg bereits verursacht hat. Der Wie­der­auf­bau­ wird noch weit teurer werden. Endlich Zeit, die ständig wachsenden Milliardenvermögen der russischen Oligarchen, die auch in den europäischen Banken deponiert sind, zu beschlagnahmen. Sie waren und sind die Nutznießer des größten Mafiastaates der Welt. Warum sollen europäischer Steuerzahlerinnen und -zahler für Schäden der russischen Invasion aufkommen? Derweil wirbt der russischen Kriegspräsident Putin für Kriegsteilnehmer, er appelliert an die »echte Männlichkeit«. Dafür bekommt er Applaus, von den AfD-Kameraden, den Wagenknecht-Genossinnen, wohl auch vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Sonntagsgequatsche.
Beim Transit hört die Gesamttiroler Einheit auf

Der Auftritt des italienischen Verkehrsministers auf der Bozner Klimahaus-Messe in Bozen verkam zu einer undiplomatischen Attacke gegen Österreich. Minister Matteo Salvini (Lega), in einer der Vorgängerregierungen für die Innenpolitik zuständig, machte sich zum Lautsprecher der Frächter und Spediteure.

Salvini solidarisierte sich mit den Südtirolerinnen, sie litten unter den in Nordtirol gegen den ausufernden Transitverkehr ergriffenen Maßnahmen. Laut Salvini »nutzlose« Maßnahmen.

Kein Wort darüber, dass die Stickstoffdioxidbelastung in Bozen und Trient laut der Umweltschutzorganisation Legambiente hoch ist und bis 2030 um ein Drittel gesenkt werden müsste. Zu hoch sind in Bozen aber auch die Feinstaubwerte, die bis 2030 um 20% zu senken sind. Eine der Ursachen dafür ist der Verkehr. Darunter scheinen die Boznerinnen und die Autobahnanrainerinnen aber nicht zu leiden.

Die Südtirolerinnen leiden laut Salvini also unter Transitbeschränkungen und Tempolimits, nicht unter Lärm und Luftverschmutzung.

Der Lega-Politiker scheint die Lage nicht zu kennen oder — das kann unterstellt werden — nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Seit Oktober 2002 ist es amtlich: Die EU-Grenzwerte bei Stickstoffdioxid werden in Tirol massiv überschritten. Inzwischen hat sich die Luft zwar gebessert, aber die Belastung ist immer noch zu hoch.

Es könnte noch besser sein, ist sich Fritz Gurgiser vom Transitforum Austria sicher, wenn die Politik nicht ihre schützende Hand über den Transitverkehr halten würde. Gurgiser verweist erklärend auf die fehlende Einigkeit zwischen Bayern, Nordtirol, Südtirol und Trentino in Bezug auf Transitbeschränkungen. Im europäischen Prinzip der kurzen Transportwege sieht er das große Probleme, dadurch würden die Lkw-Kolonnen wissentlich, vorsätzlich und bewusst auf den Brenner gelockt und die Verlagerung des Straßengütertransits auf die Eisenbahn unterlaufen. Gurgiser schätzt, dass die Hälfte der am Brenner gezählten 2,5 Millionen Lkw wegen billigem Diesel und niedriger Gesamtmaut zwischen Rosenheim und Verona durch Tirol fährt.

Peter Plaikner von der Kleinen Zeitung sieht in der Transitfrage den spaltenden Keil für die Europaregion Tirol. Der Transit lasse sie auseinanderdriften. »Wie aus Bozen die in Innsbruck ersonnenen Lkw-Fahrverbote bekämpft werden, das entlarvt alle Euregio-Bemühungen als politische Sonntagsreden. Sobald ökonomische Interessen im Spiel sind, hat die Landeseinheit Pause«, kommentierte Plaikner.

Er machte ein schweres Zerwürfnis zwischen der Handelskammer im Süden und der Regionalregierung im Norden aus. Akteur dabei ist laut Plaikner Michl Ebner, Präsident der Handelskammer Bozen, ehemals SVP-Europaparlamentarier und Athesia-Präsident. Plaikner wirft Ebner vor, europaweit ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen seine Nordtiroler Parteifreunde zu orchestrieren. Und Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) kann dabei ebenso bloß hilflos zusehen, bedauert Plaikner.

Tatsächlich hörte sich Kompatscher hilflos die antiösterreichische Attacke von Salvini an. Wo blieb die energische Gegenrede des Landeshauptmannes?

Immerhin wies das Europäische Gericht (EuG) eine Klage des italienischen Frächterverbands Anita unter dem Vorsitz von Thomas Baumgartner (Fercam) gegen die EU-Kommission zurück. In ihrer Klage warf Anita der Kommission vor, es verabsäumt zu haben, wegen der verkehrsmindernden Maßnahmen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einzuleiten.

Das Gericht in Luxemburg entschied aber, dass die Frächter nicht berechtigt seien, die EU-Kommission wegen Unterlassung zu verklagen. Der Vorstoß sei »unzulässig«, weshalb ein Verfahren erst gar nicht eröffnet wird.

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Gender Pay Gap und Ländervergleich.
Vorbild Island

Anlässlich des Weltfrauentags war gestern bei FM4 Katharina Mader zu Gast, ihres Zeichens Volkswirtin und Ökonomin in der Frauenabteilung der Arbeiterkammer.

Sie hat dabei auf die vorbildliche Gleichstellungspolitik im Kleinstaat Island (mit weniger Einwohnerinnen als Südtirol) und auf das relativ schlechte Abschneiden Österreichs beim Gender Pay Gap hingwiesen.

Gleichzeitig hat sie auch erklärt, warum Ländervergleiche in diesem Bereich oft problematisch sind — und zwar unter anderem am Beispiel Italien. Es gebe dort zwar einen sehr viel niedrigeren Pay Gap als in Österreich, allerdings sei die Frauenerwerbsquote ebenfalls sehr viel niedriger. Vor allem die gut ausgebildeten Frauen seien in Italien erwerbstätig, während diejenigen, die in Österreich häufig im schlecht bezahlten Teilzeitsegment beschäftigt sind, in Italien oft gar nicht arbeiteten.

Ich hatte mich schon öfter gefragt, warum Südtirol einen höheren Gender Pay Gap hat als Italien. Da es hierzulande aber auch eine höhere Frauenerwerbsquote gibt als durchschnittlich in italienischen Regionen, dürfte es sich ähnlich verhalten wie beim Vergleich zwischen Österreich und Italien.

Das macht den Gender Pay Gap als solchen natürlich um keinen Deut besser — doch Vergleiche mit schlecht vergleichbaren Daten anzustellen, ist für die Ursachenforschung eben auch nicht hilfreich.

Besser wäre wohl ohnehin, sich an der offensiven Gleichstellungspolitik von Island zu orientieren.

Siehe auch ‹1

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Die Schmerzen des Sailer F.
Quotation

Es tut den Tiroler Busunternehmern weh, wenn ein italienischer Unternehmer, der in Österreich ein Unternehmen betreibt, dieses Los bekommt.

Franz Sailer, Obmann der Tiroler Autobusbetriebe in der Wirtschaftskammer

Diese auf orf.at zitierte Aussage Sailers anlässlich der Vergabe einer Buslinie zwischen Innsbruck und Nassereith an Ingomar Gatterers SAD Austria tut noch mehr weh, als den Busunternehmern der Verlust des Loses. Freilich sind Ingomar Gatterer und seine Praktiken nicht unumstritten. Aber darum soll es hier nicht gehen.

Wenn in den Sonntagsreden wieder einmal die Euregio gepriesen, von nicht existierenden Grenzen und vom Kampf gegen den Nationalismus gesprochen wird, können wir dieses Zitat hervorkramen, um zu zeigen, wie verinnerlicht wir das vereinte Tirol Europa haben.

Für Franz Sailer ist ein Südtiroler Busunternehmer kein Tiroler, sondern ein italienischer Unternehmer. Franz Sailer schmerzt es offenbar, wenn Unternehmen innerhalb der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino konkurrieren. Dabei tritt Gatterer ja gar nicht mit der Südtiroler SAD AG an, sondern mit dem österreichischen Ableger SAD Austria GmbH  – also einem österreichischen Unternehmen mit Sitz in Schönwies. Aber um ein solches zu betreiben hat Gatterer nach Ansicht Sailers wohl die falsche Staatsbürgerschaft. Ja wo kämen wir hin, wenn jetzt schon “ausländische Oligarchen” innerhalb der Euregio respektive der EU Unternehmen gründen dürfen? Herr Sailer, das 19. Jahrhundert hat angerufen und möchte seine Weltsicht zurück!

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 ‹6

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