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Kann Südtirol Staat?
Neuerscheinung

Der Verein Noiland Südtirol – Sudtirolo hat gestern im Rahmen einer Pressekonferenz bei der Eurac in Bozen sein Weißbuch zur Südtiroler Eigenstaatlichkeit vorgestellt.

Kann Südtirol Staat? — so der Titel der umfangreichen Publikation — entstand in Zusammenarbeit mit zahlreichen Expertinnen und unter der Aufsicht eines wissenschaftlichen Beirats. Die Autorinnen der insgesamt 40 Kapitel gingen der Frage nach, ob Südtirol als eigenständiger Staat bestehen kann und gelangten zum Schluss, dass das Land die politisch-demokratischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen hat, als unabhängiger Staat erfolgreich zu sein, so wie Luxemburg, Malta, Island oder die drei baltischen Staaten.

Beitrag zur Versachlichung

Der europäische Einigungsprozess spielt dabei eine wichtige Rolle, da sich im Zuge dieser Entwicklung für die europäischen Regionen neue Spielräume eröffnen. Im Buch wird nachvollziehbar aufgezeigt, welche Schritte erforderlich wären, um einen unabhängigen Staat zu gründen. Dargelegt werden Chancen, aber auch Risiken, Bedingungen und mögliche Strategien.

Noiland bekennt sich ausdrücklich zur Rechtsstaatlichkeit und gibt an, dass ein Prozess zur Erlangung der Unabhängigkeit bevorzugt in Abstimmung und Zusammenarbeit mit dem italienischen Staat erfolgen sollte. Dadurch wäre ein rechtlich und politisch unstrittiges Ergebnis gewährleistet.

Die Autorinnen — mit unterschiedlicher Haltung zur Eigenstaatlichkeit — beschäftigten sich eingehend mit der Frage, wie weit die politische Mitbestimmung gehen kann und was Demokratie darf. Soll es in einem geeinten Europa möglich sein, einen neuen Staat zu gründen, wenn die Mehrheit der betroffenen Bevölkerung es wünscht?

Das Autorenteam unterstreicht, dass ein Südtiroler Staat nur als gemeinsame Anstrengung aller hier lebenden Sprachgruppen gelingen kann. Ein unabhängiges Südtirol soll und muss allen offenstehen und zur Heimat werden.

Kann Südtirol Staat? ist ein Blick in eine vielleicht gar nicht so entfernte Zukunft. Die Idee zu dieser Publikation entstand vor fast zehn Jahren, als die Regionalregierungen in Schottland und Katalonien in Weißbüchern wichtige Fragen zur Unabhängigkeit einfach und verständlich erklärten.

Kann Südtirol Staat?
Noiland (Hrsg.)
Bozen, 2023
ISBN 979-12-210-0918-7
www.noiland.org
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Solidarität mit Salto.
Für Meinungs- und Pressefreiheit in Südtirol

Wir geben diesen wichtigen Appell als Zeichen der Unterstützung mit freundlicher Genehmigung des Autors in vollem Umfang wieder.

von Hans Heiss

Presse- und Medienfreiheit sind ein hohes Gut. Als Grundsäulen von Verfassung und Demokratie bilden sie eine Basis für eine offene Gesellschaft. In Südtirol hatten es Freiheit und Vielfalt von Presse und Medien lange nicht leicht. Sie wurden für die Sprachminderheiten mühsam errungen, der Medienpluralismus gewann nur langsam an Boden. Seit gut 40 Jahren hat sich langsam ein wenig Vielfalt eingestellt, wenn auch immer wieder mit Rückschlägen. Trotz der Dominanz eines Medienhauses, von Athesia, das rund 80 % der Medien kontrolliert, bleibt Pluralismus noch gewahrt, wenn auch unter großen Mühen. Dank Rundfunk, Presse, Online-Medien und eines bürgerschaftlichen citizen-journalism.

Umso schwerwiegender daher, wenn Athesia, der stärkste Akteur der Südtiroler Medienwelt, gegen einen kleinen Konkurrenten wie Salto mit Rechtsmitteln massiv und bedrohlich vor Gericht zieht. Der Präsident von Athesia-Druck, Michl Ebner, will Salto und Redakteur Christoph Franceschini wegen Beleidigung vor dem Landesgericht Bozen klagen und hohen Schadensersatz fordern. Die Liste der als beleidigend angeführten Artikel und Sachverhalte ist lang, bei näherer Durchsicht aber hat die Anklage wenig Substanz und Gehalt: Inhalt und Ton sind scharf, mitunter schmerzhaft, wahren aber den Ton bissiger Polemik.

Vor allem bieten die Artikel Informationen und Hintergründe, deren Kenntnis für die Öffentlichkeit Südtirols notwendig ist. Genau dies ist die Aufgabe eines kleinen Mediums wie Salto: Verschwiegenes und Vertuschtes aufzudecken, um so die Informationsrechte und Wissensgrundlage einer demokratischen Öffentlichkeit zu sichern. Werden dabei die Inhaber des Südtiroler Medienmonopols angegriffen und ihre Praktiken enthüllt, so ist dies legitim. Wenn aber der Angegriffene nicht die eigenen Medien nutzt und nicht mit journalistischen Mitteln antwortet, sondern stattdessen zur Klage greift, so lässt dies tief blicken. Warum nutzt die Athesia-Spitze nicht die mediale Feuerkraft des eigenen Konzerns, um den Salto-Artikeln zu begegnen, sondern beschreitet den Weg der Klage?
Journalismus wird von Athesia-Verantwortlichen offenbar nicht nur als Informationspflicht begriffen, sondern als Machtinstrument. Dasselbe Medium, das gegen politisch und persönlich Missliebige oft jede Objektivität vermissen lässt, nimmt gegen Angriffe eines kleinen Mediums den Gerichtsweg, um Salto einzuschüchtern oder gar zum Schweigen zu bringen.

Gegen solche Übergriffe muss sich eine demokratische Öffentlichkeit zur Wehr setzen. Wir bekunden unsere volle Solidarität mit Salto und Christoph Franceschini, den weiteren Autorinnen Lisa Maria Gasser, Paolo Ghezzi, Fabio Gobbato, Wolfgang Mayr und ermutigen sie, ihren Weg eines aufklärenden, investigativen und meinungsfreudigen Journalismus weiter zu beschreiten. Athesia hingegen ist gut beraten, die Klage zurückzuziehen: im Interesse der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch, um sich selbst ein hohes Maß an Peinlichkeit zu ersparen. Eine pluralistische und offene Presse- und Medienlandschaft in Südtirol ist kein Luxus, sondern dringend notwendig, heute vielleicht mehr denn je.

  • Die laufend aktualisierte Liste der Unterzeichnenden ist auf Salto abrufbar.
  • Weitere Unterstützungserklärungen für diesen Appell werden unter info[at]salto.bz entgegengenommen.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Autorinnen und Gastbeiträge

Die Stimmungsmache des Harald Stauder.
»Das wird man doch wohl noch sagen dürfen«

von Antifa Meran

Der SVP-Bürgermeister von Lana, Harald Stauder, veröffentlicht am 22. Februar ein Video auf Facebook, in dem er endlich das auszusprechen wagt, worunter so viele »unterdrückte« Bürger:innen Südtirols leiden: Sprachpolizei, Gutmenschen mit erhobenem Zeigefinger, »all jene, die überall Rassismus wittern«. Stauder spricht über vermeintliche Kostümverbote zu Fasching, angebliche Bäckerei-Boykotte aufgrund unangebrachter Krapfenmotive, voreilige Anschuldigungen. Und zwischen all diesen »Extremen« inszeniert er sich perfekt als der »Moderate«, der einen kühlen Kopf bewahrt, während allen vor lauter »Rassismus-Imaginationen« schon die Stirn glüht. Und vor allem verteidigt er eines: die Freiheit von Kindern!

Die Argumentationslinie ist bekannt: Es gibt die vermeintlichen Moralisten, die da draußen allen den Spaß verderben, die dafür sorgen, dass nichts mehr sagbar ist. Die Argumente kennen wir nicht nur von der AfD in Deutschland. Alle neuen rechten Strömungen haben dieses Mantra verinnerlicht. Es beschwört einen vermeintlichen Normalzustand herauf, der in Bedrohung steht (in der Forschung zur extremen Rechten nennt man dies auch Dekadenztheorie). Schuld an allem sind dann die Feminist:innen (Hilfe, hier wird gegendert!), die Schwulen und Lesben, die Klimabewegung, die Antifa oder alle weiteren Gruppierungen, die vermeintlich die natürliche Ordnung durcheinander bringen.

In der Kommentarspalte unter dem Beitrag von Herr Stauder geschieht genau das, was immer passiert, wenn rechtspopulistisch Stimmung gemacht wird. Es tönt sinngemäß »genau« und »das muss doch mal aufhören mit diesem Unfug«, »endlich sagts mal wer«. Dazwischen auch rassistische Kommentare und Bilder. Der Beitrag gefällt auch Gabriele Morandell. Als Volksanwältin leitet sie unter anderem auch die Antidiskriminierungsstelle.

Es zeigt sich: Die Aussagen des Bürgermeisters sind an diesem historischen Zeitpunkt nicht nur beschämend, sie sind gefährlich. Ja, es gibt Kritik an rassistischen Faschingskostümen. Und nur weil Stimmen dagegen lauter werden, heißt es nicht, dass die Kostüme nicht schon vorher rassistisch waren.

Aber diese Debatte berührt nur die Spitze des Eisbergs, wenn es um Rassismus geht. Und viele Schwarze Menschen machen sich wohl auch mehr Gedanken über rechten Terror als über Faschingskostüme und Krapfen. Aber Rassismus ist nunmal ein System und da spielt das alles mit rein. So zu tun, also würde Rassismus konstruiert, indem er als Vorwurf in den Raum geworfen wird, spricht ab, dass er für viele Menschen eine bittere und lebensgefährliche Realität darstellt.

Und ja Herr Stauder, auch viele Verkleidungen, die an Fasching kritisiert werden, haben eine blutige Geschichte. Blackfacing etwa, also sich das Gesicht schwarz anmalen, entstand in den amerikanischen Südstaaten zur Zeit der Sklaverei. Das schwarz gemalte Gesicht als Witz hat seinen Ursprung in dem rassistischen Stereotyp Jim Crow, einem ebenso fröhlichen wie vermeintlich dummen Schwarzen. Das war vor 200 Jahren rassistisch und ist es heute.

Diese Kostüme mit Witzen über den Papst zu vergleichen ist nicht nur platt, sondern falsch: Der Papst hat seine Rolle gewählt, er genießt Macht und Ansehen. Ein Kostüm, welches sich auf Identitäten bezieht, die sowohl historisch als auch gegenwärtig unterdrückt wurden, ist nicht nur falsch, sondern auch schwach. Man nennt es auch »nach unten treten«, Herr Stauder.

Als Bürgermeister sind Sie zwar oben — aber in einem Jahrzehnt, in dem rassistischen Anschläge wie Hanau, Halle, Christchurch immer wieder Menschenleben kosten, in dem das NSU-Trio in Deutschland Menschen, die nicht weiß sind, ermordet, in so einem Jahrzehnt nach unten zu treten, ist das Allerletzte.

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Autorinnen und Gastbeiträge

Ebners Loblied auf Meloni.

von Felix von Wohlgemuth (Grüne)

Ich habe gerade das Loblied, Verzeihung, den »Leitartikel« von Chefredakteur Toni Ebner über Giorgia Meloni (FdI) in den heutigen Dolomiten gelesen. Sie habe

glaubhaft kommunizieren können, dass sie mit dem Faschismus gebrochen hat und dass es ihr nur um das Wohl der Bürger geht. Diese Glaubwürdigkeit hat sich Meloni erarbeitet.

– Toni Ebner

Weiter geht der Lobgesang mit Hinweisen auf die Abstammung aus einem Arbeiterviertel in Rom und ihrer Eigenschaft als alleinerziehende Mutter einer sechsjährigen Tochter (dass Meloni schlicht nicht verheiratet ist, aber mit dem Vater ihrer Tochter zusammenlebt, gilt bei Athesia wohl schon also als »alleinerziehend«).

Erstaunlich ist schließlich die Feststellung, dass »die smarte und redegewandte 45-jährige Römerin« sich nun um die Probleme des Landes zu kümmern habe, woraus Herr Ebner ableitet:

Meloni dürfte folglich anderes auf der Agenda haben, als die Südtirol-Autonomie zu beschneiden.

– Toni Ebner

Herr Ebner scheint leider vollkommen auszublenden, dass es eigentlich gängige Praxis von Nationalist:innen ist, auf Minderheiten einzuprügeln, um von eigenen Fehlern und Problemen abzulenken.

Das lehrt jedenfalls die Geschichte und das sollten wir Südtiroler:innen — und mit uns auch das größte Medienhaus im Lande — nicht leichtfertig vergessen.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Autorinnen und Gastbeiträge

Nestor Machno.
Die Ukraine der Machnowtschina

von Wolfgang Mayr

Der Bauern-Anarchist Nestor Machno behauptete seine Ukraine der Arbeiter und Bauern fünf Jahre lang gegen den Ansturm der zaristischen, deutschen, österreichischen und Roten Armee.

Die russische Propaganda über die ukrainischen »Nazis« zeigt überraschenderweise Wirkung, setzt sich auch in Köpfen im Westen fest. Als Beweis für die Richtigkeit der russischen Fake News verweisen Pazifisten, Kriegsgegner und Linke auf das rechtsradikale Asow-Regiment, das sich der Ideologie von Stepan Bandera verpflichtet fühlt. Putin will mit seinem Krieg die Ukraine »Entnazifizieren«, so die Begründung für den russischen Eroberungskrieg. Die Linke im Westen, im Schatten US-amerikanischer Raketen und der damit garantierten Freiheit, applaudiert ihrem »Führer« zu. Zynisch oder dümmer geht immer.

Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder, Autor der »Bloodlands«, erinnert daran, dass im Zentrum des deutschen Vernichtungskrieges im Zweiten Weltkrieg vor allem die Ukraine stand. Snyder zitiert russische Historiker, laut denen mehr Einwohner der Sowjet-Ukraine starben als Einwohner Sowjetrusslands. Die Ukrainer, Opfer der Hitler-Ideologe der »slawischen Untermenschen«.

Es gab nicht nur den Nationalisten und Antisemiten Bandera, der für einen ukrainischen Staat kämpfte. Die Nazis ließen Bandera 1941 außerdem fallen, einige Angehörige seiner Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) wurden von den Nazis ermordet. Die OUN war zweifelsohne antipolnisch, antirussisch und antisemitisch.

Aber nicht nur Bandera kämpfte, eingezwängt zwischen den deutschen Nazis und den sowjetischen Kommunisten, für eine eigenständige Ukraine. Es gab noch eine ganze lange Reihe von Persönlichkeiten, die für die Ukraine den aufrechten Gang einforderten. Und das schon Jahre zuvor.

1917, im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges, knickte das zaristische Russland im Krieg gegen Deutschland ein. Grund: In diesem Jahr brach die Revolution aus, die zaristische Armee wandte sich vom äußeren Feind ab hin zum inneren Feind. Der in Moskau wegen anarchistischer Aktivitäten bereits 1908 zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilte Nestor Machno kehrte in den Revolutionswirren in die Ukraine zurück.

Der Sohn russischer Kleinbauern organisierte die bäuerliche Guerillabewegung »Machnowtschina«. Machno gelang es, in der zentralen Südukraine mit mehreren Millionen Menschen eine Keimzelle für eine unabhängige Ukraine zu verwirklichen. Diese Anarcho-Ukraine glich der spanischen Republik von 1936, in der die Anarchisten in Katalonien tonangebende politische Kraft waren. In der Ukraine setzten Machno und seine Bewegung schon vor der Oktoberrevolution eine weitreichende Bodenreform durch, die Großgrundbesitzer wurden kurzerhand enteignet, viele auch ermordet. Die Nestor-Anarchisten gingen äußerst gewalttätig gegen die alte Herrscher-Elite vor.

Während die Bauern auf dem Land zuerst die Großgrundbesitzer und dann die zaristische Armee samt deutschen und österreichischen Verbündeten vertrieben, wurde in Kyjiw von der Zentralna Rada, der Vollversammlung der Nationalbewegung, die unabhängige Ukrainische Volksrepublik ausgerufen. In Charkow proklamierten die Bolschewiki die Ukrainische Sowjetrepublik.

Das Anarchisten-Experiment in der russischsprachigen südlichen Zentralukraine, das zaristische Russland ließ dort im 18. Jahrhundert russische Bauern ansiedeln und nannte das Land »Neurussland«, provozierte überraschende Koalitionen. Es formierte sich eine Allianz aus Kriegsgegnern, so ging das zaristische Heer gemeinsam mit der deutschen und der österreichischen Armee gegen die ukrainischen Bauern vor.

Die Mittelmächte drängten die Rote Armee zurück, die gesamte Ukraine – von Don bis Bug – kam unter die Kontrolle des deutschen Kaiserreiches und von Österreich-Ungarn. Der erste ukrainische Staat entstand. Die Koalition mit der Ukrainischen Volksrepublik der Zentralna Rada zerbrach, die Mittelmächte unterstützen den Putsch des russischen Großgrundbesitzers und zaristischen Generals Pawlo Skoropadskyj.  Er revidierte Entscheidungen des Volksrepublik Ukraine, kehrte zur zaristischen Eliten-Politik zurück und nannte sein Staatswesen »Ukrainischer Staat«.

Im Frühling 1918 gelang es also den national-ukrainischen und österreichisch-ungarischen Truppen in der südlichen Zentral-Ukraine – in der Machno-Hochburg – die Anarchisten zu vertreiben, die Sowjets wurden abgeschafft. Machno floh nach Sowjetrussland, traf sich dort mit führenden Bolschewiki und Anarchist*innen, um den Partisanenkampf in der Ukraine zu organisieren. Illegal kehrte Machno in die Ukraine zurück, als Verbündeter der Sowjets.

Im November 1918 brach der ukrainische Staat zusammen, dem General gingen die Alliierten verloren. Deutschland und Österreich-Ungarn zogen nach ihrer Kriegs-Niederlage die Truppen zurück. Die Rote Armee nutzte das Vakuum und flutete das Land. Sie stieß aber auf Widerstand, auf ihren vermeintlichen Partner Nestor Machno.

Machno war nicht vorrangig ein Verfechter der staatlichen Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu den russischen und ukrainischen Sozialdemokraten trat Machno nie für die Idee eines unabhängigen ukrainischen Staates ein. Er wollte »das Leben des Dorfes in die eigenen Hände nehmen« und nicht einem Nationalstaat überlassen.

Besonders diese Position machte Machno zum Gegner der bolschewistischen Revolutionsregierung im russisch-ukrainischen Krieg von 1917 bis 1922. Die bolschewistische Regierung agierte russisch, wollte die im Krieg und durch die Revolution verloren gegangenen Gebiete, Polen, das Baltikum und die Ukraine wieder zurückholen in ein großrussisches Reich unter dem Firmennamen Sowjetunion.

Die Bewegung von Mancho wehrte sich gegen die Vereinnahmung aus dem kommunistischen Russland, die Bauern wurden zur tragenden Säule im Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine. Obwohl Mach­no gegen die antibolschewistische Weiße Armee auf der Seite der Kommunisten kämpfte, wurde die Machnowstschina von Kriegskommissar Leo Trotzki und General Frunse hartnäckig gejagt und brutal niedergeschlagen. Die Kommunisten waren geschickte Staatspolitiker. Solange sie Machno brauchten, ha­ben sie ihn ausgenutzt. Als sie ihn nicht mehr brauchten, wurde er liquidiert.

Das blutige Ende der Machno-Bewegung und ihrer basisdemokratischen Ukraine besorgte also nicht die Bourgeoisie. Zwischen 1917 und 1922 hatten die Bolschewiki viermal die »Machnowzi« gegen ihren gemeinsamen zaristischen Feind um Hilfe angefleht. Die gutgläubigen Machnowzi waren verlässliche Verbündete der Roten Armee, die Bolschewiki von Lenin hingegen ließen die ukrainischen Anarchisten bei Bedarf immer wieder fallen.

Ende 1921 wurde Machno bei Kämpfen schwer verletzt. Er war verwundet, die 1917 erkämpfte Freiheit von den Bolschewiki abgeschafft. Seine Truppen waren zerschlagen, nur einige wenige kämpften noch hartnäckig bis Anfang 1922 weiter. Bauern, die Sympathie für die Machnowtschina zeigten, wurden von den Rot-Armisten niedergemetzelt. Schätzungen sprechen von bis zu einer Million Menschen. Zehn Jahre später erklärte Lenin-Nachfolger Stalin den ukrainischen Bauern den Krieg. Kulaken, angebliche Großbauern, wurden zwangskollektiviert, die Folge war eine Hungersnot riesigen Ausmaßes. Eine politisch herbeigeführte Katastrophe mit drei bis sechs Millionen Toten.

Die Bolschewiki gingen nach ihrem Sieg über die Zaristen brutal gegen die linke Konkurrenz vor. Gegen Matrosenräte von Kronstadt, gegen Arbeiter- und Bauernräte, nichtkommunistische Linke, Linke, die in nichtrussischen Regionen ihre eigenen Staatsgebilde errichten wollten.

Machno floh vor seinen kommunistischen Killern über Ungarn und Deutschland nach Frankreich. Dort lebte er als gebrochener und mittelloser Mann bis zu seinem Tod 1935 in einem Armenasyl.

Die bolschewistische Propaganda versuchte nachträglich, ihren ehemaligen Verbündeten und späteren Widersacher Nestor Machno anzuschwärzen — als radikalen Antisemiten. Als Initiator von Pogromen gegen Juden mit mindestens 30.000 Toten. Die übliche bolschewistische Umschreibung der Geschichte. Verantwortlich dafür war aber die Armee der bürgerlichen Ukrainischen Volksrepublik von Symon Petljura.

Desinformationen und Fake News waren schon immer eine besondere Spezialität der russischen Bolschewiki. Der politische Erbe, Wladimir Putin, verfeinerte diese Tradition der Miesmachung und Verunglimpfung politischer Kontrahenten.

Weitere Links zu Nestor Machno:

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Brutaler Angriffskrieg in Europa.
Überfall auf die Ukraine

Seit den Morgenstunden von Donnerstag, dem 24. Februar attackiert die Armee der Russischen Föderation auf Geheiß von Wladimir Putin das Territorium der Ukraine in einem massiven und brutalen Angriffskrieg.

Selbst wenn man sämtliche Fehler im Vorfeld dieses Krieges nur auf der Seite der Ukraine und der NATO sehen wollte und dem Agieren der Russischen Föderation mit dem größten Wohlwollen begegnen wollte:

Es würde trotzdem nichts davon diesen entsetzlichen Angriffskrieg auch nur ansatzweise rechtfertigen, der nun enormes Leid über viele Millionen Menschen in Europa bringen wird.

Wir schließen uns denen an, die eine sofortige und bedingungslose Beendigung dieses Wahnsinns, die umgehende Aufnahme von Geflüchteten und die breitest angelegte humanitäre Hilfe für die Bevölkerung vor Ort fordern.

◊ ◊

Medienberichten zufolge soll das Land Südtirol die Konvention zur Führung des sogenannten Zarenbrunn-Komplexes in Meran mit der Stadt Moskau auf Eis gelegt haben.

Ein Aufnahmeangebot für Geflüchtete und Solidaritätsbekundungen der Landesregierung an die in Südtirol lebenden Ukrainer:innen, die derzeit jede, auch symbolische Unterstützung gebrauchen können, bleiben aus.

 NACHBAR IN NOT   WEIẞES KREUZ 

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Autorinnen und Gastbeiträge

Covid in der Schweiz.

Gastbeitrag von Adelheid Mayr, Südtirol/Schweiz

Die globale Pandemie hat letztes Jahr alle Länder der Welt überrascht und keines hat, meiner Meinung nach, bisher die beste Reaktion auf die Pandemie gefunden. So auch die Schweiz nicht.

Die Schweiz ist ein Land, in dem die direkte Demokratie gelebt wird. Das Volk wird bei Entscheidungsprozessen eng involviert. Dementsprechend müssen getroffene Maßnahmen gut erklärt und begründet werden. Die direkte Demokratie hat in Zeiten der Pandemie jedoch einen entscheidenden Nachteil: Entschlüsse zu durchdenken und die Zustimmung verschiedenster Kantone, Parteien oder des Volkes zu sichern, dauert Zeit. Dies ist während einer Pandemie, die sich rasant ausbreitet, nicht optimal. So agierte die Schweiz im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in der Pandemiebekämpfung vor allem anfangs eher zögerlich.

Aufgrund dieser zögerlichen Vorgehensweise haben sich in der Schweiz bisher 2% der Bevölkerung mehr mit Covid infiziert als in Italien, jedoch sind in der Schweiz ungefähr 1180 Personen pro million Einwohner weniger an Covid gestorben.1  Das kann daran liegen, dass die Schweiz ca. 100 Intensivbetten pro 100.000 Einwohner mehr hat als Italien2 und auch an der relativ gesehen jüngeren Bevölkerung in der Schweiz.3

In der Schweiz wurde bereits 2012 ein Epidemiengesetz erlassen. Dieses sieht vor, dass wenn eine besondere Lage wie eine globale Pandemie vorliegt, der Bundesrat den Kantonen Maßnahmen zur Konsultation vorlegt. Nach Anhörung der Kantone können Maßnahmen gegenüber einzelnen Personen oder der Bevölkerung angeordnet werden. Weiters können Gesundheitsfachpersonen verpflichtet werden bei der Bekämpfung der Krankheit mitzuwirken und eine Impfpflicht für besonders gefährdete, exponierte oder spezifische Tätigkeiten ausübende Personen verhängt werden. Vom Eidgenössischen Departement des Innern, das mit einem Innenministerium vergleichbar ist, werden die getroffenen Maßnahmen koordiniert.4

Schließungen von Betrieben und Restaurants wurden in der Schweiz im Vergleich zum restlichen Europa stets sehr spät in Betracht gezogen. Ein Grund dafür ist sicher auch, dass die Schweiz ein wirtschaftsfreundliches Land ist und diese Linie auch in der Pandemie weiter verfolgte.

Viele Entscheidungen zur Pandemiebewältigung wurden anfänglich den einzelnen Kantonen überlassen, so zum Beispiel die Bestimmungen über die Maskenpflicht. Im Dezember letzten Jahres, wo in anderen europäischen Ländern wie Italien schon ein umfangreicher Lockdown umgesetzt wurde, diskutierte man in Bern noch über schweizweite Vereinheitlichungen von Maßnahmen. Die Bestimmungen zur Maskenpflicht wurden großteils landesweit vereinheitlicht, manche Bestimmungen blieben jedoch kantonal geregelt, wie zum Beispiel die Entscheidung zur Öffnung von Skiliften.

Die direkte Demokratie hat auch Vorteile: So zeigt sie klar auf, wenn die Mehrheit die Vorgehensweise der Regierung unterstützt und weist Gegner in die Schranken. Ende November konnte das schweizer Stimmvolk, zum zweiten Mal in diesem Jahr, im Rahmen der direkten Demokratie zu einem neuen Covid-Gesetz abstimmen. Neben Ausweitung der wirtschaftlichen Hilfen für Betroffene, verbessertem Contact-Tracing, Quarantänebefreiung für Geimpfte und Genesene, war unter anderem auch die gesetzliche Grundlage des eingeführten Covid-Zertifikats (das faktisch identisch mit dem Green-Pass ist) Teil der Abstimmung. Bei einer Ablehnung wäre das Covid-Zertifikat in einem Jahr ausgelaufen. Die Gegner des Covid-Gesetzes argumentieren vor allem mit drohender Spaltung der Bevölkerung, einem indirekten Impfzwang durch strenge Quarantänevorschriften, die nur Ungeimpfte treffen, sowie der elektronischen Massenüberwachung. Der Schweizer Bundesrat konterte, dass das Covid-Zertifikat Schließungen vermeide und freiwillig ist, es also auch Getestete erhalten können und Reisen erleichtert werden. Auch das Contact-Tracing und die wirtschaftlichen Hilfen seien wichtig, um die Pandemie zu bewältigen. Die Stimmbeteiligung für dieses Covid-Gesetz war die vierthöchste in der Schweiz seit Einführung des Frauenwahlrechts. Das Ergebnis der Abstimmung fiel sehr deutlich aus: Eine Mehrheit von 62,01% stimmte für das Gesetz und somit für die Beibehaltung des Covid-Zertifikats und der für die Pandemiebewältigung vorgeschlagenen Maßnahmen.5

Weil Applaus nicht reicht: Eine weitere, gleichzeitig abgehaltene Abstimmung fiel positiv aus. Zum ersten mal in der Geschichte der Schweizer Demokratie wurde vom Stimmvolk eine gewerkschaftliche Initiative gut geheißen. Zur Abstimmung kam eine Pflegeinitiative, die Pflegeberufe attraktiver gestalten soll und die Arbeitsbedingungen verbessert. Durch die Pandemie in den Fokus gerückt, traf diese Initiative sicherlich den Nerv der Zeit und die Maßnahme würde auch vielen anderen Ländern helfen.6

Ein weiterer Vorteil von direkter Demokratie und Einbezug der Bevölkerung ist, dass bürokratische und nicht zweckmäßige Maßnahmen in der Schweiz nur schwer eine Chance haben. Dem Volk wird Eigenverantwortung zugesprochen. So durfte ich mich bisher komplett frei in der ganzen Schweiz zu jeder Tages- und Nachtzeit und auch über die Grenzen hinweg, ohne eine Eigenerklärung, bewegen. Infiziert habe ich mich bisher trotzdem nicht und ich hoffe, das wird so bleiben.

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Digitalianisierung – Digitalianizzazione.
Pressemitteilung - Comunicato stampa

Die Plattform Brennerbasisdemokratie (BBD) zeigt sich aufgrund des rapiden Abbaus zwei- und dreisprachiger öffentlicher Dienste tief besorgt. Eigentlich böte die Digitalisierung hervorragende Voraussetzungen für eine deutliche Aufwertung der Mehrsprachigkeit sowie der Bürgerfreundlichkeit im Allgemeinen. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall: Immer häufiger sind öffentliche Onlinedienste auch in Südtirol nur noch in italienischer Sprache verfügbar. Dadurch ist nicht nur der Minderheitenschutz in Gefahr, sondern unser Gesellschafts- und Autonomiemodell insgesamt.

Um nur einige Beispiele zu nennen, ist die Berücksichtigung der deutschen Sprache bei Onlinediensten wie SPID, Digitaler Unterschrift, Zertifizierter E-Mail, Elektronischer Fakturierung, IO-App bzw. bei Webauftritten und Services von NISF, Agentur der Einnahmen, Digitalem Meldeamt, Arbeitsamt ANPAL, KfZ-Register (PRA) und vielen anderen gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße gewährleistet.

Obschon Europarat und OSZE ihre Mitgliedstaaten dazu aufgerufen hatten, gerade in Krisenzeiten mehrsprachige Angebote auszubauen, um Bürgerinnen und Bürger niederschwellig zu erreichen, gibt es etwa auch kaum Möglichkeiten, den Online-Antrag für den Green-Pass in deutscher oder ladinischer Sprache zu stellen.

All diese nicht hinnehmbaren Missstände gesellen sich zu strukturellen, historischen Defiziten wie etwa den einsprachigen Packungsbeilagen von Medikamenten, einsprachiger Lebensmittel- und Gefahrstoffkennzeichnung oder der vom Astat ermittelten unzureichenden Mehrsprachigkeit von Polizei und Gesundheitsbetrieb.

Dass es auch anders geht, zeigen viele Staaten, in denen ebenfalls Sprachminderheiten oder mehrsprachige Gemeinschaften beheimatet sind: Belgien, Spanien, Finnland, Slowenien, Vereinigtes Königreich, Kanada, die Schweiz. In vielen Bereichen machen sie deutlich größere und vor allem erfolgreichere Anstrengungen, um Mehrsprachigkeit auch im digitalen Umfeld sicherzustellen.

In Südtirol muss endlich wieder die Erkenntnis einkehren, dass eine mehrsprachige Verwaltung und ein mehrsprachiger öffentlicher Dienst zu den Grundversprechen der Autonomie gehören. Sie sind für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unerlässlich und nicht verhandelbar.

◊ ◊ ◊

La piattaforma BBD si dice preoccupata e indignata per la rapida riduzione del bi e trilinguismo nell’erogazione dei servizi pubblici. In teoria la digitalizzazione offrirebbe possibilità eccellenti per estendere il plurilinguismo, tuttavia sta accadendo l’esatto opposto e molti servizi online sono ormai disponibili solamente in lingua italiana. Ciò non mette in pericolo solamente la tutela delle minoranze, ma il patto sociale e autonomistico in se.

A titolo esemplificativo, la presenza della lingua tedesca non è garantita — o non lo è comunque in maniera sufficiente — da SPID, firma digitale, posta elettronica certificata (PEC), fatturazione elettronica, app IO e dai servizi online di importanti enti e amministrazioni come INPS, Agenzia delle Entrate, Anagrafe digitale, ANPAL, PRA e molti, moltissimi altri che purtroppo sono in costante aumento.

Nonostante il Consiglio d’Europa e l’OSCE avessero raccomandato ai paesi membri di ampliare l’offerta plurilingue proprio in tempi di crisi pandemica, in modo da raggiungere più facilmente la popolazione, anche la procedura di richiesta online del Green pass non tiene adeguatamente conto delle lingue tedesca e ladina.

Tutte queste carenze inaccettabili si aggiungono a deficit strutturali e storici come il monolinguismo dei foglietti illustrativi dei farmaci, dell’etichettatura dei prodotti alimentari o pericolosi oppure il plurilinguismo insufficiente di forze dell’ordine e servizi sanitari rilevato dall’Astat.

Altri paesi con presenza di minoranze linguistiche o comunità plurlingui come Belgio, Spagna, Finlandia, Slovenia, Regno Unito, Canada o Svizzera in molti di questi ambiti fanno sforzi maggiori e soprattutto più efficaci per garantire l’inclusione linguistica anche nel digitale.

Per quanto riguarda il Sudtirolo bisogna ribadire che la presenza di un’amministrazione e di un servizio pubblico pienamente plurilingui è una promessa essenziale dell’autonomia. Essa è necessaria per garantire la coesione sociale e quindi risulta innegoziabile e irrinunciabile.

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