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Die Pressefreiheit nach Berlusconi.

Solange Italien von Silvio Berlusconi regiert wurde, war es um die Pressefreiheit gar nicht gut bestellt. Kein Wunder, hatte der von einem enormen Interessenskonflikt geplagte Medienzar doch direkten Einfluss auf zahlreiche private Fernsehsender und gleichzeitig auf das Fernseh- und Radioprogramm der öffentlich-rechtlichen Rai. Diesen Einfluss, der sich zudem auf mehrere Zeitungen und Zeitschriften ausdehnte, übte Berlusconi rücksichtslos aus und scheute sich auch nicht, in aller Öffentlichkeit Edikte zu erlassen oder allzu kritischen Stimmen Platzverweise zu erteilen. Während der zahlreichen Wahlkämpfe griff er regelmäßig auf die Unterstützung seines Medienimperiums zurück, platzierte politisch genehme Berichterstatter wo es ihm nur gelang (es gelang fast überall) und versuchte auch Medienvertreter einzuschüchtern, auf die er keinen direkten Einfluss hatte. Folgerichtig dümpelte das Land während seiner langen Regierungszeit in der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen auf äußerst unrühmlichen Rängen herum und erreichte im Jahr der Amtsübergabe an Nachfolger Mario Monti — mit dem 61. Platz und einem Ranking von 19.67 (Minus-)Punkten — den bis dahin schlechtesten Wert. Im Vergleich mit anderen westlichen Ländern stand Italien nicht gut da.

Zum Glück folgten auf den untragbaren Medienzaren zunächst eine sogenannte »Technikerregierung« und dann zwei Kabinette um unverbrauchte, offene, dynamische und erneuernde Ministerpräsidenten mittelinker Gesinnung, wie Enrico Letta und Matteo Renzi. Gerade letzterer hat sich mit seinem Macherimage auf die Fahnen geschrieben, Italien wieder international konkurrenzfähig zu machen.

Die Erneuerung kann sich also nur in der wiedererstarkten Pressefreiheit spiegeln — könnte man vermuten. Doch in all den Jahren nach dem Abgang Berlusconis verschlechterte sich die Punktezahl von 19.67 zunächst auf 26.11, dann auf 23.75, bevor in diesem Jahr ein neuer Negativrekord von 27.94 Punkten erreicht wurde. Allein im Vergleich zum Vorjahr verlor Italien 24 Positionen und landete auf Rang 73. Nur drei Länder — Kongo, Timor und Andorra — büßten im letzten Jahr mehr Positionen ein, wobei der Kleinstaat in den Pyrenäen auf Rang 32 noch immer deutlich vor Italien liegt. Insgesamt liegt das Land somit weit unter der Performance, die es noch unter Silvio Berlusconi erreichte. Betrachtet man nur den sogenannten »Abuses Score«, der die allgemeine Bedrohungungslage (etwa durch Schikane und gerichtliche Verfolgung) sowie Gewalt gegen Journalisten zusammenfasst, landet Italien gar auf Rang 134 von insgesamt 176. Hinter Südsudan, Ruanda, Kosovo oder Nepal.

Siehe auch ‹1

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EU-K klärt über passive Euronutzung auf.

Wie die katalanische Nachrichtenagentur CNA/ACN in Übereinstimmung mit anderen Agenturen berichtet, stellte die EU-Kommission (EU-K) erstmals offiziell klar, dass eine passive Euronutzung auch für Staaten möglich ist, die nicht zur EU gehören. Dies ist eine Position, die schon seit geraumer Zeit vertritt und streng genommen auch keiner Bestätigung durch die EU-K bedurfte (da die passive Nutzung einer jeden verfügbaren Währung frei möglich ist).

Im Anschluss an die jüngst stattgefundene Via Catalana — die 400km lange Menschenkette für die Unabhängigkeit Kataloniens — hatte Regierungschef Artur Mas in einer Ansprache mitgeteilt, er sei sicher, dass im Sezessionsfall eine Lösung für den Verbleib Kataloniens in der EU gefunden würde. In jedem Fall aber werde Katalonien — mit oder ohne Spanien, in oder außerhalb der EU — den Euro beibehalten. Zentralistisch ausgerichtete Madrider Medien bezichtigten ihn daraufhin der vorsätzlichen Täuschung und Falschinformation.

Auf Anfrage spanischer Journalisten stellte jedoch Simon O’Connor, Sprecher von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn, nun klar, dass der Euro auch von Nicht-EU-Mitgliedern genutzt werden könne. Konkret bestünden hierzu zwei Möglichkeiten: Monaco, San Marino, Vatikan und Andorra verfügten über ein Abkommen mit der EU und müssten sich deshalb der Finanz- und Währungspolitik der Union unterwerfen. Dafür hätten sie das Recht, eigene Euro-Münzen herauszugeben, die im gesamten Euroraum gültig sind. Kosovo und Montenegro hingegen nutzten den Euro de facto, hätten jedoch kein Abkommen mit der EU. Sie müssten sich die Währung auf dem Markt besorgen, ihre Zentralbanken agierten dabei (aus Sicht der Eurogruppe) wie Privatbanken.

P.S.: Damit ist auch eine diesbezügliche Aussage von Francesco Palermo von höchster Stelle widerlegt.

Siehe auch ‹1 ‹2

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Pressefreiheit 2013.

Pressefreiheit 2013.

Im Jänner wurde von Reporter ohne Grenzen die »Rangliste der Pressefreiheit« für 2013 veröffentlicht. Erstmals wurden in diesem Jahr auch die Kleinstaaten Andorra und Liechtenstein berücksichtigt.

Wir geben hier einen Auszug wieder, in dem sämtliche EU-Mitglieder (EU) und zudem die europäischen Länder mit bis zu einer Million Einwohnerinnen (1M) enthalten sind.

Unter den zehn Bestplatzierten gibt es eine besondere Dichte an solchen Kleinstaaten. Nur einer davon (Montenegro) schneidet hingegen schlechter ab, als Italien — welches unter den EU-Mitgliedsstaaten, vor Griechenland und Bulgarien, an drittletzter Stelle landet.

Die Rangzahlen beziehen sich auf die vollständige, weltweite Rangliste, die hier abgerufen werden kann.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3

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Militärfreie Staaten.

Als Unabhängigkeitsbefürworter werde ich bisweilen mit der Frage konfrontiert, ob denn ein eigenstaatliches Südtirol eines eigenen, kleinen Heeres bedürfe und dann natürlich: wer das denn bezahlen soll. Bricht man die Militärausgaben des italienischen Staates (laut NATO sind das horrende 30.000.000.000 Euro im Jahr) anteilsmäßig auf Südtirols Bevölkerungszahl herunter, gelangt man zum Ergebnis, dass wir ohne das aktuelle Niveau des Verteidigungsbudgets auch um nur einen Cent zu erhöhen rund 300 Mio. jährlich für eigene Streitkräfte zur Verfügung hätten. Damit lägen wir gleichauf mit Luxemburg und Estland, aber deutlich vor Ländern wie Lettland (270 Mio.), Bosnien/Herzegowina (230 Mio.) und Malta (60 Mio.). Es ist also gar keine Frage der Finanzierung, sondern vor allem eine Frage der Opportunität — und da liegt nichts ferner, als die Gründung eines Südtiroler Heeres.

Sagt man das, wirds einem häufig selbst von Pazifisten mit großen, ungläubigen Augen quittiert. Die Utopie der Unabhängigkeit verkommt da schon mal zum verzeihbaren Übel… doch ein Staat ohne Verteidigung — wo gibt es das? Es wär’ zwar schön, ist aber (mal wieder!) gänzlich unrealistisch. Nun, wenn man sich einschlägige Daten zu Gemüte führt, bemerkt man schnell, dass ein militärfreies Südtirol in guter Gesellschaft wäre: Rund 10% der heute existierenden, souveränen Staaten (etwas über 200 an der Zahl) sind entweder völlig militärfrei (15 Stück) oder verfügen in Friedenszeiten über kein eigenes stehendes Heer (6 Stück). Dabei handelt es sich vor allem um Klein- und Kleinststaaten, die sich zwar teils von größeren Staaten mitverteidigen lassen, teils aber auch gänzlich »schutzlos« dastehen, ohne gleich von anderen eingenommen zu werden — wogegen sie sich schließlich auch mit einem Kleinstheer kaum wehren könnten.

Andorra und Liechtenstein (das nicht einmal ein Verteidigungsbündnis mit der Schweiz eingegangen ist), aber auch der Viermillionenstaat Costa Rica zählen zu den Ländern, die gar kein Heer führen. Island ist sogar NATO-Mitglied, ohne (seit 1869) eigene Streitkräfte zu unterhalten, was freilich auf die für die nordatlantische Allianz strategische Lage zurückzuführen ist. Andorra, Monaco und San Marino haben ihre Verteidigung hingegen ihren großen Nachbarstaaten Spanien, Frankreich und Italien anvertraut.

Siehe auch 1› 2›

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Unabhängigkeit und EU-Mitgliedschaft.
Pressemitteilung

Brennerbasisdemokratie (BBD), Plattform für ein mehrsprachiges und unabhängiges Südtirol, widerspricht Zellers Angstkampagne

Mit Bedauern stellt die Plattform Brennerbasisdemokratie (BBD) fest, dass Senator Dr. Karl Zeller (SVP) gegen die Loslösung Südtirols von Italien eine Kampagne begonnen hat, die nicht auf objektive und nachvollziehbare Informationen, sondern vor allem auf Angst setzt. Aus diesem Grund sieht sich BBD veranlasst, einigen Fehlinformationen zu widersprechen. Dr. Zeller prognostiziert Südtirol im Falle der Unabhängigkeit ein Weltuntergangsszenario, dessen Kernthese der EU-Ausschluss unseres Landes ist.

Er verschweigt jedoch, dass es unter EU- und Völkerrechtsexperten gar keinen Konsens darüber gibt, ob Katalonien, Schottland oder Südtirol im Falle einer Loslösung von ihren Mutterstaaten die EU tatsächlich verlassen müssten. Es gibt Argumente, die für ein solches Szenario sprechen, aber auch Argumente, die es als unwahrscheinlich erscheinen lassen. Beispielsweise wird von einigen Experten darauf verwiesen, dass der EuGH einen Verlust der EU-Bürgerschaft in Regionen, die seit Jahrzehnten der EU angehören, nicht zulassen würde.

Selbst wenn man jedoch der durchaus realistischen Annahme folgt, dass Südtirol die EU zunächst verlassen müsste, ist mit einem mehrjährigen Ausschluss, wie er von Dr. Zeller in Aussicht gestellt wird, nicht zu rechnen: Weder Italien, noch die EU als Ganzes hätten ein Interesse an EU-Außengrenzen, die Italien verkehrs- und zolltechnisch von Nordeuropa abtrennen würden. Rom wäre wohl einer der größten Befürworter eines raschen und unkomplizierten Wiedereintritts unseres Landes in die EU.

Von langjährigen Beitrittsverhandlungen ist ohnehin nicht auszugehen: Solche Verhandlungen haben vor allem die rechtliche und wirtschaftliche Harmonisierung zum Ziel. Da Südtirol aber schon seit Jahrzehnten zur EU gehört und sämtliche Kriterien erfüllt, gibt es auch kaum zusätzlichen Harmonisierungsbedarf. Eine reine Verzögerungstaktik zum Zwecke der “Bestrafung” wäre hingegen nicht nur gegen die Prinzipien und die Interessen der Union, sondern, wie Dr. Bardo Fassbender, Professor für Internationales Recht, in der FAZ vorzüglich beschrieben hat, auch (rechts-)missbräuchlich.

Einen Verlust des Euro müsste Südtirol in keinem Fall hinnehmen, da Währungen auch passiv genutzt werden können. Eine Mitgliedschaft in der “Eurogruppe” bzw. bei der Europäischen Zentralbank (wo Südtirol schon heute nicht unmittelbar vertreten ist) ist keine zwingende Voraussetzung für die Nutzung der Gemeinschaftswährung. Kleinstaaten wie San Marino, Monaco und Andorra, aber auch die jungen Staaten Kosovo und Montenegro sind Beispiele für Länder, die den Euro schon heute passiv nutzen, ohne Eurogruppen- und EU-Mitglieder zu sein.

Selbst wenn Südtirol, was weder wünschenswert noch zu erwarten ist, längere Zeit außerhalb der EU (aber nicht außerhalb des Euroraumes) bliebe, erschließt sich nicht, warum uns das in den Ruin treiben sollte — während der Verbleib bei Italien, dessen Staatsverschuldung im letzten (Spar-)Jahr wieder drastisch angestiegen ist, als Sicherung unseres Fortbestandes dargestellt wird. Es gibt genügend (auch europäische) Staaten, die ohne EU-Mitgliedschaft überleben, obwohl deren Wirtschaft mitunter deutlich schwächer ist, als jene Südtirols.

Abschließend appelliert BBD an die Verantwortung sämtlicher Diskussionsteilnehmer, in der Hoffnung, dass Argumente von Befürwortern und Gegnern in Hinkunft mit Besonnenheit, Redlichkeit und gegenseitigem Respekt vorgetragen werden. Die Südtiroler Bevölkerung hat sich eine ernsthafte Zukunftsdebatte verdient, die frei und demokratisch sowie ohne falsche Angstargumente zu führen ist.

Brennerbasisdemokratie (www.brennerbasisdemokratie.eu)

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1› | [Manifest] [FAQ]
Medienschau: ‹1 ‹2 ‹3

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Ban Ki-moon: »Volkswillen respektieren.«

Als erster UN-Generalsekretär besuchte Ban Ki-moon am gestrigen Dienstag das Fürstentum Andorra, von wo aus er unter anderem einen Aufruf an Nord- und Südkorea richtete, ihre Auseinandersetzung im Dialog zu lösen. Anlass für die Reise war das zwanzigjährige Jubiläum der UN-Mitgliedschaft Andorras.

Nach seiner Ansprache, die er teilweise in der katalanischen Amtssprache des Landes hielt, wurde Ban Ki-moon von Journalisten auch zum Unabhängigkeitsprozess im angrenzenden Katalonien befragt. Auch diesbezüglich plädierte der UN-Generalsekretär erwartungsgemäß für einen friedlichen Prozess und für Dialog. Er fügte jedoch auch hinzu, der Volkswille solle respektiert werden. Damit positionierte er sich, ausdrücklich mit Bezug auf Katalonien, zugunsten eines demokratischen Entscheidungsrechts.

Nachgereicht: Das Video.

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Palermo und die Unabhängigkeit.

Auf Anregung der Kommentatorin Ida habe ich mir dieses Video von Francesco Palermo, gemeinsamer Senatskandidat von SVP und PD, angesehen, in dem es unter anderem um die Eigenstaatlichkeit geht:

Zunächst muss anerkannt werden, dass Palermo diesem Thema unaufgeregter begegnet, als manch ein Berufspolitiker. Andererseits möchte er das Problem wohl von der politischen auf die kühlere Ebene der Wissenschaftlichkeit verschieben, um ihm die Aura des Wahren und Unanfechtbaren zu verleihen.

Im Einzelnen:

  • Nicht nur Rom würde sich gegen Südtirols Unabhängigkeit wehren, sondern auch und viel mehr Wien, Brüssel und viele andere europäische Hauptstädte.
    Hier legt Palermo Österreich und anderen europäischen Ländern ein Verhalten in den Mund bzw. »in den Kopf«, das man nicht vorhersehen kann. Was etwa sollte Wien dagegen haben, wenn sich Südtirol friedlich und demokratisch von Italien löst? Es kann natürlich sein, dass viele europäische Staaten keine Freude mit einem solchen Prozess hätten — sein kann aber auch das genaue Gegenteil. Und das wird auch wesentlich davon abhängen, wie man diese Entwicklung angeht, verhandelt und kommuniziert.
  • Für Europa ist es natürlich wichtig, dass die Grenzen auch behalten werden.
    Warum dies »natürlich wichtig« sein soll, ist unverständlich. Vor allem wenn man bedenkt, dass die Palermo unterstützende SVP stets das genaue Gegenteil behauptet: Man könne keinen neuen Staat schaffen, da Europa die Grenzen abschaffen wolle.
  • Laut den Verträgen ist es ziemlich klar so, dass ein neues Land die Mitgliedschaft beantragen muss. Wer würde dann einer Südtiroler Mitgliedschaft zustimmen?
    So klar ist das gar nicht, denn die Verträge sehen den Fall einer internen Erweiterung gar nicht vor — machen also weder eine positive, noch eine negative Aussage dazu. Die Auffassungen von Völkerrechtlern zu diesem Thema sind widersprüchlich, Gewissheit hätte man also wohl erst, wenn es zum Erweiterungsfall — zur Unabhängigkeit Schottlands, Kataloniens oder eben Südtirols — käme.
    Sobald Südtirol unabhängig wäre, hätte Italien jedenfalls großes Interesse daran, dass das Land in der EU bleibt, da sonst die wichtigsten Verkehrswege nach Deutschland und in den Norden (Gotthardpass, Brenner) über Drittländer führen würden.
  • Südtirol wäre als unabhängiges Land nicht automatisch im Euro.
    Diese Aussage ist sogar nachweislich falsch: Südtirol wäre vielleicht nicht (von vornherein) Mitglied der Eurogruppe, könnte aber sehr wohl den Euro als Währung behalten. Auch Andorra, Montenegro, Kosovo, Monaco, San Marino und der Vatikan verwenden den Euro als amtliches Zahlungsmittel, ohne Mitglied der EU oder gar der Eurogruppe zu sein. Das heißt, sie haben kein direktes Mitspracherecht in der Währungspolitik. Die Einflussnahme Südtirols auf die EZB hält sich aber ohnehin in Grenzen — als Teil Italiens oder als eigenständiges Eurogruppenmitglied.*
  • Es stimmt nicht, dass Südtirol dann nicht mehr die Schulden Italiens mittragen müsste.
    Hier hat Palermo absolut Recht. Südtirol müsste einen angemessenen Anteil an Italiens Staatsverschuldung »mitnehmen«. hat übrigens niemals das Gegenteil behauptet. Allerdings haben wir diese Schulden auch, wenn wir bei Italien bleiben. Der Unterschied ist, dass wir als unabhängiges Land selbst entscheiden könnten, wie und innerhalb welchen zeitlichen Rahmens es uns sinnvoll erscheint, die mitgenommenen Schulden zu senken oder (wenn möglich) abzutragen. Heute haben wir darauf keinerlei Einfluss und müssen trotz erhöhter Steuerlast sogar zusehen, wie »unser« Schuldenberg kontinuierlich ansteigt.
  • Als Projekt ist die Unabhängigkeit durchaus vertretbar, machbar ist sie aber sicherlich nicht, mindestens nicht in den kommenden Jahren.
    Das ist eher eine astrologische, denn eine wissenschaftliche Prognose. Der Realismus und die Durchführbarkeit sind in der Politik kaum vorhersehbar. Und: Wenn man den Prozess nicht irgendwann beginnt, wird die Eigenstaatlichkeit auch in mehreren Jahren ziemlich sicher nicht kommen. Denn was man nicht verfolgt, tritt wohl kaum von selbst ein.

*) Diese Antwort wurde von Harald Knoflach verfasst.

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Verfassung: Kommentar².

Kürzlich haben die Freiheitlichen ihren Verfassungsvorschlag für ein unabhängiges Südtirol unterbreitet, der auf bereits thematisiert wurde. Am vergangenen Donnerstag ist in den Dolomiten — unter dem Titel »Freistaat wäre ein Schuss ins Knie« — ein Artikel erschienen, der Karl Zellers (SVP) Kritik an einzelnen Punkten des Entwurfes zusammenfasst. Ein Kommentar zum Kommentar:

Freiheitliche: Der Freistaat strebt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union an. (Art. 8)

Karl Zeller: De facto bedeutet der Freistaat einen Austritt aus der EU. Ein Beitritt dauert Jahre und muss von allen Staaten, also auch von Italien, gebilligt werden, was kaum der Fall sein dürfte. Bis zum Ende der Beitrittsverhandlungen ist Südtirols Wirtschaft ruiniert und der Brenner eine EU-Außengrenze. Südtirol baut die Grenzbalken wieder auf, die Italien 1998 mit Schengen-Abkommen abbaute.

Verfassungs- und Völkerrechtsexperten in Katalonien und Schottland sind zum Schluss gekommen, dass ein Land, das sich von einem EU-Mitglied abspaltet, voraussichtlich Anspruch auf Beibehaltung der Mitgliedschaft hätte. Diese Auffassung ist zwar nicht unumstritten — weshalb sie sich erst in einem konkreten Fall beweisen müsste — doch Zellers absolutes Urteil ist nicht gerechtfertigt. Womöglich wird auch gar nicht Südtirol, sondern Schottland den Präzedenzfall proben, so sich die Mehrheit der dortigen Einwohner für eine Abspaltung vom Vereinigten Königsreich entschließt.

Selbst falls Südtirol die EU zunächst verlassen müsste, wäre jedoch kaum zu erwarten, dass sich Italien einem Wiedereintritt widersetzen würde: Schließlich läge sonst neben dem Gotthard- mit dem Brennerpass die zweite wichtige Verkehrsverbindung zwischen Italien und der übrigen Zollunion außerhalb der EU.

Warum Südtirols Wirtschaft bis zum Abschluss etwaiger Beitrittsverhandlungen ruiniert sein soll, erschließt sich nicht: Die Schweiz, Andorra, Norwegen und all die erst zu einem späteren Zeitpunkt in die EU eingetretenen Länder sind Beispiel genug dafür, dass man auch außerhalb der Union wirtschaftlich überlebensfähig ist (wenngleich ich diesen Status nicht für erstrebenswert halte). Schließlich bietet die derzeitige Wirtschaftssituation Italiens ja auch nicht rosige Aussichten.

Was die Währung anlangt, gibt es — für den Fall, dass Südtirol die Eurozone vorübergehend verlassen müsste — mehrere Möglichkeiten: 1. Passive Euronutzung (wie Andorra, Kosovo und Montenegro) ohne Mitgliedschaft in der EZB, wo wir ja schon heute nicht bzw. nur über Italien vertreten sind; 2. Passive oder aktive Nutzung einer anderen Währung; 3. eigene Übergangswährung. Die erste dieser Varianten wäre wohl vorzuziehen.

Freiheitliche: Die Mehrheit der deutschen, ladinischen und italienischen Abgeordneten im Landtag muss der Verfassung zustimmen. (Art. 88)

Karl Zeller: Die Italiener werden dies nicht tun, wenn man ihnen sogar Gemeindenamen nimmt, sofern sie nicht 15% der Ortsbevölkerung stellen (Art. 4)

Dass der Verfassung die Mehrheit der Abgeordneten aller Sprachgruppen zustimmen müssen, damit sie in Kraft tritt, sagt im Grunde nichts über die Güte der Unabhängigkeit aus. Im Gegenteil: Dass die Freiheitlichen eine solche Beschränkung in Kauf nehmen, ist grundsätzlich positiv. Schließlich könnte die Verfassung (und somit die Unabhängigkeit, als deren Voraussetzung sie sich ja sieht) nur im Konsens beschlossen werden. Dass dies mit dem vorliegenden Entwurf schwierig ist, ist ein anderes Thema — und diese Auffassung Zellers teile ich auch.

Freiheitliche: Auf Vorschlag der betreffenden Sprachgruppe wird festgelegt, ob in den Grundschulen ab der 2. und 3. Klasse sowie in Sekundarschulen der Unterricht in der Zweitsprache Pflicht ist. (Art. 84)

Karl Zeller: Damit könnte eine Sprachgruppe sogar festlegen, dass kein Zweitsprachenunterricht ab der 2. oder 3. Klasse und in den Sekundarschulen mehr stattfindet. Wenn es nach den Freiheitlichen geht, sagen wir also Adieu zum mehrsprachigen Südtirol. Das wird den Italienern sicher gefallen: Sie müssen Deutsch büffeln, weil die Deutschen sie nicht mehr verstehen.

Dieser Aspekt wurde auch bei angesprochen, die Kritik Zellers teile ich — wobei unklar ist, warum das nur die Italiener stören sollte.

Freiheitliche: Staatsbürger des Freistaates werden alle im Staatsgebiet ansässigen Personen. (Art. 87)

Karl Zeller: Staatsvolk sind nur die drei offiziellen Sprachgruppen. Die Staatsbürgerschaft wird aber allen Ansässigen, das heißt also auch allen Nicht-EU-Bürgern verliehen, die mehr sind als die Ladiner.

Aus -Sicht ist mir lieber, dass die Freiheitlichen mit ihrem Entwurf großzügig sind, als wenn sie versucht hätten, hier ihre Vision von einem möglichst zuwanderungsarmen, »exklusivistischen« Südtirol einzuflechten. Dass das Staatsvolk aus den drei Sprachgruppen besteht ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die Freiheitlichen nach wie vor eine Zugehörigkeitserklärung (der sich auch die Migranten unterzuordnen hätten) vorsehen. Dies halte ich zwar für anachronistisch, weil es die Vorzüge eines unabhängigen Staates m.E. ad absurdum führt, ist aber per se kein Widerspruch.

Freiheitliche: Die Ladiner von Cortina, Colle Santa Lucia und Buchenstein gehören zum Volk Südtirol und können sich über das Selbstbestimmungsrecht mit dem Freistaat Südtirol vereinigen. (Art. 2)

Karl Zeller: Aus Cortina dürfen nur die Ladiner kommen. Das sind aber höchstens 40 Prozent. Was ist mit den Italienern?

Zeller hat Recht. Ist zwar vielleicht gar nicht so gemeint, steht aber so da.*

Freiheitliche: Der Ministerpräsident ernennt und entlässt die Richter. (Art. 49)

Karl Zeller: Wo hat man das schon gesehen? Wie kann da ein Richter unabhängig sein?

Ich habe diesen (in der Tat bedenklich erscheinenden) Punkt in meiner Auseinandersetzung mit der Vorlage nicht erwähnt, da er — was Zeller verschweigt — in Artikel 59 abgeschwächt wird. Dort heißt es: »Im Übrigen dürfen Richter nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen auf Grund einer förmlichen richterlichen Entscheidung ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. […]« und »die Ernennung, der Amtseid und die Rechtsstellung der Richter werden im Übrigen durch Gesetz geregelt. Dieses Gesetz hat auch vorzusehen, dass bei Ernennung und Anstellung der Richter ein richterlicher Senat mitzuwirken hat«. Dem Ministerpräsidenten werden also wohl vor allem exekutive Befugnisse zukommen. Insgesamt bin aber auch ich der Meinung, dass hier die Gewaltenteilung Lücken aufweist.

Der Ministerpräsident kann uneheliche Kinder auf Ansuchen der Eltern zu ehelichen erklären. (Art. 49)

Was hat die Anerkennung unehelicher Kinder in einer Verfassung zu suchen? Will man die Ehe durch einen Fürstenerlass ersetzen?

Voll und ganz mit Zeller einverstanden.

Freiheitliche: Die Mitglieder der Staatsregierung behalten die Abgeordneten-Immunität, bis ihr Mandat erlöscht. (Art 46)

Karl Zeller: Nicht nur die Mitglieder der Staatsregierung, sondern alle Abgeordneten erhielten totale Immunität vor Strafverfolgung. Sofern die Mehrheit im Landtag nicht zustimmt, könnte die Justiz nicht einmal Ermittlungen aufnehmen. Das geht weit über das heute geltende System in Italien hinaus, wo jederzeit ermittelt werden kann, ohne Parlamentsbeschluss, bis zum rechtskräftigen Urteil aber keine Inhaftierung möglich ist.

Davon abgesehen, dass die Immunität meines Wissens nicht »erlöscht«, sondern »erlischt«, ist diese Regelung auch meiner Ansicht nach viel zur weitreichend (vgl. -Artikel). Eine Immunität muss, falls überhaupt nötig (und da bin ich sehr skeptisch), so eng wie möglich gesteckt sein. In keinem Fall sollte sie über die während der Ausübung des Amtes begangenen Rechtsbrüche hinausgehen.

Freiheitliche: Dem Volk des Freistaates gehören die Bürger der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppen an: Ihre Sprachen sind Staatssprachen. (Art. 4)

Karl Zeller: Ladinisch wird Amtssprache im ganzen Land, womit ein Ladiner z.B. das Recht hat, auch in Meran oder Neumarkt auf Ladinisch mit einem Amt zu verkehren. Gleichzeitig wird Ladinisch aber nicht zur Gerichtssprache, was weniger ist als heute, wo Ladinisch zumindest vor den Friedensgerichten in den ladinischen Tälern als Gerichtssprache anerkannt ist.

Dass ein Ladiner automatisch das Recht hätte, in Meran oder Neumarkt auf Ladinisch mit einem Amt zu verkehren, ist wohl blödsinn. Die Bundesverfassung der Schweiz definiert Rätoromanisch (neben Deutsch, Französisch und Italienisch) ebenfalls als »Landessprache«, ohne dass deren Sprecher das Recht hätten, sich auf Rätoromanisch an ein lokales Amt in Zürich oder Lugano zu wenden. Dass aber die Ladiner das Recht bekommen, mit einem Staatsamt in Bozen ihre Sprache zu benützen, wäre durchaus zu begrüßen (und ist auch im -Verfassungsvorschlag vorgesehen).

Die Vernachlässigung des Ladinischen als Gerichtssprache hatte ich ebenfalls kritisiert.

Freiheitliche: Voraussetzung für das passive Wahlrecht zum Landtag ist die Vollendung des 18. Lebensjahres sowie eine vierjährige Ansässigkeit im Freistaat. (Art. 34)

Zeller: Die vierjährige Ansässigkeitsklausel beim Wahlrecht beizubehalten ist ein Nonsens, wenn Südtirol sich von Italien trennt, da sie als Schutz vor italienischer Zuwanderung kurz vor Wahlen gedacht ist.

Dasselbe gilt aber auch für den Proporz.

Freiheitliche: Der Freistaat bekennt sich zur Trägerschaft der Europäischen Akademie in Bozen als besondere Forschungseinrichtung. (Art. 83)
Zeller: Die Europäische Akademie erhält Verfassungsrang, die Universität Bozen aber nicht.

Stimmt — müsste man ändern.

Alles in allem könnte man sagen, dass ein unabhängiges Südtirol mit dieser Verfassung wohl ein Schuss ins Knie wäre. Grundsätzliche Argumente gegen ein unabhängiges Südtirol habe ich aus Zellers Argumentation jedoch nicht herausgelesen, jedenfalls nicht stichhaltige.

*) wobei diese Formulierung vielleicht in Anlehnung an das Völkerrecht — demzufolge das Selbstbestimmungsrecht ja auch nur den Mitgliedern indigener Völker zukommt — so gewählt. Mit dem Völkerrecht kommen wir in dieser Angelegenheit aber wohl nicht weiter bzw. ist dies eher nicht erstrebenswert.

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