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Thomas Benedikter zum Landesreferendum.

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Thomas Benedikter hat uns folgenden Text zukommen lassen, den wir hiermit sehr gerne veröffentlichen.

Ein Drittel der Südtiroler stimmt — unter widrigsten Bedingungen — für eine moderne und bürgerfreundliche Regelung der direkten Demokratie. Dennoch:

Eine verpasste Chance

Die erste landesweite Volksabstimmung in der Geschichte Südtirols hat nicht das von uns erhoffte Ergebnis erbracht. “Jetzt nimmt das Volk Platz” titelten wir, doch aus verschiedensten Gründen haben 61,8% nicht den Weg zu den Wahlsektionen gefunden. Dennoch: die Bevölkerung des ganzen Landes hat zum ersten Mal ihren Willen zu konkreten Fragen ausdrücken können und das hat, unabhängig von der rechtlichen Wirkungslosigkeit aufgrund des verfehlten Quorums, politische Wirkung. Die politische Vertretung wird beginnen sich nicht nur im Hinblick auf Wahlen auf das Volk einzustellen.
Ohne Quorum hätten wir jetzt fünf neue Landesgesetze, die von der Mehrheit der interessierten und beteiligungswilligen Wähler/innen gutgeheißen worden sind. Dabei ist das Quorum in der deutschsprachigen Bevölkerung deutlich erreicht worden, während die große Mehrheit der italienischen Mitbürger/innen diese Chance nicht wahrgenommen hat. Unsere Vorlage zur direkten Demokratie hat überhaupt die größte Zustimmung erhalten: 83% JA-Stimmen. Etwa ein Drittel aller wahlberechtigten Südtiroler haben mit der Stimmabgabe gezeigt, dass sie solche modernen und wirksamen Mitentscheidungsrechte in der Landespolitik wünschen.

Ein Teil der Bevölkerung hat noch nicht den Mut oder hat keine Vorstellung von den Möglichkeiten einer konkreten politischen Mitentscheidung
Freilich, ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung aller Sprachgruppen hat noch nicht erkannt, dass die politische Vertretung ihre Vertretungsaufgabe viel besser erfüllt, wenn politische Entscheidungen nicht nur einigen Wenigen ganz oben überlassen bleiben, sondern Bürger ein umfassendes Recht auf Mitentscheidung wahrnehmen können. Offensichtlich muss in unserer Gesellschaft noch das Vertrauen der Bürger in die Mitbürger selbst wachsen. Sowohl Großprojekte wie Landesgesetze werden folglich weiterhin im kleinen Kreis der mächtigen Politiker und ihrer Hintermänner beschlossen, bislang ohne echte Mitentscheidungsrechte der Bevölkerung. Durnwalder behauptet, die Menschen wollten, dass der Landtag weiterhin das Entscheidungszentrum bilde. Doch ist es kein Geheimnis, dass auch die wesentlichen Entscheidungen für neue Landesgesetze in der Landesregierung fallen, und die Vorentscheidungen in ein-zwei Parteizentralen und einflussreichen Verbandsspitzen, nicht im Landtag. Mit dem geltenden Gesetz für direkte Demokratie bleibt dem Bürger der Zugriff darauf weiterhin verwehrt.

Strategie der SVP aufgegangen
Die Strategen der SVP haben ganze Arbeit geleistet, doch letztlich nicht nur zum Schaden der Bevölkerung, sondern auch zum eigenen: zunächst haben sie mit der Frage der angeblichen Verfassungswidrigkeit der Vorlagen zur direkten Demokratie die Menschen im Land verwirrt. Dann hat sich die SVP der inhaltlichen Diskussion bis zuletzt entzogen, vielmehr über den Landeshauptmann und Obmann klar gemacht, dass es eigentlich besser wäre, nicht hinzugehen. Mit dem hauseigenen Blatt “Das Land Südtirol” ist auf Geheiß von oben nicht rechtzeitig bzw. irreführend informiert und schließlich in der letzten Woche eine einzigartige Panikmache aufgezogen worden mit der Warnung, dass in Südtirol ein Verwaltungschaos ausbrechen würde, wenn die Bürger mehr Mitentscheidungsrechte bekämen. Den Rest haben die beiden größeren Tageszeitungen mit ihrer unfairen und jeder Gleichberechtigung Hohn sprechenden Art der Berichterstattung übernommen. Dieser Zangengriff hat die gewünschte Wirkung gehabt, ein Teil der Bevölkerung hat sich davon beeinflussen lassen. Möglich war das aber nur, weil die politische Vertretung “vorsorglich” mit dem Beteiligungsquorum die Entscheidungsmacht des Volkes unterwandert hat.

Das Beteiligungsquorum ist der Ruin funktionierender Bürgermitbestimmung
Fehlgeschlagen ist unser Projekt allein wegen des Beteiligungsquorums. Die SVP konnte es sich leisten, keine ernsthafte Debatte zu den Inhalten der Vorlagen zu führen und Durnwalder hat das Nicht-Wählen und Nicht-Beteiligen zur demokratischen Tugend erklärt. Die mangelnde Information, die bewusste Irreführung der Wähler, die Panikmache kurz vor der Abstimmung durch die gesamte Landesregierung (“In Südtirol bricht bei direkter Demokratie das Verwaltungschaos aus”) und die einseitige Berichterstattung in großen Printmedien haben das Übrige getan. Die beträchtlichen Subventionen, die diese Zeitungen jährlich vom Staat als “Minderheitenzeitungen” erhalten, sind mit diesem Hohn auf jede par condicio schlecht vereinbar. Die Rechnung der SVP ist jedenfalls aufgegangen: mit einem Quorum werden die Enthaltungen und Nichtbeteiligung immer mit den echten Nein-Stimmen summiert; mit dem Quorum wird immer ein Abstimmungs- und Diskussionsboykott gefördert, und mit dem Quorum können sich Regierungsparteien immer der freien, demokratischen Auseinandersetzung entziehen. Überall ist dies zu beobachten, in Italien, in Deutschland und anderen Ländern. Die regierenden Parteien wollen nicht, dass die Bürger frei abstimmen können nach dem Prinzip: “Wer hingeht entscheidet; wer nicht hingeht, überlässt die Entscheidungen anderen.”

Klärung durch Volksabstimmung
Volksabstimmungen führen zu einer Klärung der politischen Positionen, für die Bürgerinnen selbst und der Position der politischen Vertreter/innen. Wer aufgerufen ist, zu entscheiden, überlegt, wie er abstimmen soll und bildet sich eine Meinung. Die Volksabstimmung hat lebhafte Diskussionen zum Für und Wider ausgelöst. Eine größere Weiterbildungsveranstaltung zur Demokratie als diese Volksabstimmung ist nicht denkbar. Es ist grundfalsch – wie eine Tageszeitung heute scheibt – dass 3 Millionen Euro “für die Katz” ausgegeben worden seien. Volksabstimmugnen sind ein wichtiger Lernprozess und die Bevölkerung ist in die Lage versetzt worden, zu beurteilen, wer z.B. bessere Mitbestimmungsrechte begrüßt, wer z.B. eine glaubwürdige Klimaschutzpolitik betreibt, wer die Zersiedlung durch Zweitwohnungsbau einschränken will, aber auch welche Zeitungen ausgewogen informieren und welche nicht. Als Bürger und Bürgerinnen sind wir nicht machtlos, sondern können eine Partei eben nicht mehr wählen, die sich modernen politischen Bürgerrechten entgegenstellt; wir können eine Zeitung nicht mehr abonnieren oder lesen, die ganz krass jede Regel ausgewogener Berichterstattung bricht. Als kritische Bürger/innen dieses Landes bleibt uns trotz solcher Rückschläge der Ausbau der Mitentscheidungsrechte aller ein Herzensanliegen.


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Comentârs

4 responses to “Thomas Benedikter zum Landesreferendum.”

  1. G0RGIAS avatar
    G0RGIAS

    Südtirol befindet sich was direkte Demokratie anbelangt in einem Lernprozess. Es ist auch gewöhnlich so, daß die Bevölkerung für demokratische Rechte auch eingesetzt hat. Wo Demokratien von oben herab installiert wurden, war die Gefahr immer groß, daß die Bevölkerung nicht dahinter stand. Diese wurden dann auch sukzessive augehölt oder abgeschafft. Südtirol befand sich nach dem Krieg in einem Außnahemzustand, der eine demokratische Entwicklung verlangsamt hat. Volksabstimmungen können das demokratische Bewußtsein stärken, doch damit wir den Normalzustand erreichen, ist es unbedingt nötig, dass die Partei, die schon Jahrzente lang dieses Land regiert, ihre absolute Mehrheit verliert.

  2. Valentin[o] avatar

    Semi-off topic: per caso qualcuno riesce a procurarsi l’editoriale di flor Kronbichler (CdAA) di domenica scorsa sul referendum e gli italiani?

  3. pérvasion avatar

    Eine interessante Stellungnahme hierzu bei zeit.de: http://www.zeit.de/2009/52/Schweiz-Widerspruch

  4. anonym avatar
    anonym

    Lesenswerter Artikel! Besonders gefällt mir diese Ausage:

    Weil Plebiszite als Ergänzung zu einem geölten parlamentarischen Betrieb vorgesehen sind. Sie unterstützen das politische Echolot, indem sie Signale verstärken, die die Bevölkerung »nach oben« sendet. Ja mehr noch: Die direkte Demokratie ist auch eine Kontrollinstanz für die politische Klasse. Zu unser aller Wohl.

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