Die Südtiroler Volkspartei, welche über eine eigene Mehrheit im Landtag verfügt, war kürzlich gezwungen, dem Rechtsaußen Alessandro Urzì Zugeständnisse zu machen, um Julia Unterberger zur Landtagspräsidentin küren zu können. Die planmäßige Abwesenheit fast aller Oppositionsvertreter hatte die Beschlussfähigkeit des Landesparlaments verhindert, da Unterberger erklärt hatte, der Obstruktion einen Riegel vorschieben zu wollen.
Eines der Bonbons, mit welchen sich die Volkspartei die Anwesenheit Urzìs erkauft hatte, war die Zusage einer Toponomastikkommission, welche Vorschläge zur Lösung der Ortsnamenfrage erarbeiten soll. Vor wenigen Tagen wurde die Liste der »Experten« veröffentlicht, welche in der ersten Julihälfte von der Kommission angehört werden sollen. Darunter befinden sich Professor Carlo Alberto Mastrelli, Präsident des Istituto di Studi per l’Alto Adige (IsAA), sowie Prof. Johannes Kramer, welcher bereits mehrmals mit ebendiesem Institut zusammengearbeitet hat.
Die »Forschungseinrichtung« war noch vor der Angliederung Südtirols an Italien gegründet worden und hatte die offizielle Aufgabe, systematisch die geographische Italianisierung unseres Landes vorzubereiten und später umzusetzen. Die Arbeit des Istituto trug entscheidend dazu bei, dass die italienischen Vertreter in St. Germain nach dem ersten Weltkrieg eine Italianität unseres Landes vortäuschen und die Besetzung Südtirols rechtfertigen konnten.
Gründer und erster Vorsitzender des IsAA war kein geringerer als Ettore Tolomei, dessen Programm von 1906 noch heute unkommentiert vom Internetauftritt des Istituto geladen werden kann. Die Einrichtung ist Herausgeberin seines Prontuario sowie der nach wie vor erscheinenden Zeitschrift Archivio per l’Alto Adige. Am Ende des Faschismus wurden das Institut und sein Organ nicht umgetauft, bis heute ist die öffentliche Finanzierung sichergestellt. Im Jahr 1979 unterstrich der damalige und heutige Präsident Mastrelli eine Aussage seines Vorgängers Carlo Battisti:
Nell’affrontare i nuovi compiti, l’Istituto afferma la sua fratellanza con gli altri due Istituti regionali della Venezia Tridentina, l’ ‘Accademia degli Agiati’ di Rovereto e la ‘Società di Studi per la Venezia Tridentina’ di Trento, nell’ augurio che l’intera regione venga esplorata scientificamente con unità di intenti, sia mediante studi di particolare competenza dei tre Istituti nei singoli settori di specifica spettanza sia in opere comuni destinate ad illustrare aspetti unitari o tipici di carattere regionale, oppure parallelismi o divergenze peculiari delle due provincie che geograficamente, economicamente e storicamente costituiscono l’unità della Venezia Tridentina.
[Unterstreichung von mir.]
Carlo Battisti war schon ab 1906 Mitarbeiter von Tolomei, an der Gründung des Archivio beteiligt und wurde nach dem zweiten Weltkrieg Präsident des IsAA.
Ich empfinde es als eine schallende Ohrfeige, dass die Institutionen unserer Selbstverwaltung Vertreter dieses Instituts als »Experten« vorladen, anstatt seine sofortige Schließung zu fordern. Welche Ansichten Mastrelli und Kramer im Landtag vertreten werden, lässt sich wohl mit der hier wiedergegebenen Karte zusammenfassen, die die Homepage des IsAA ziert.
Ich hatte hier bereits die Gelegenheit, einige Aussagen Mastrellis zu kommentieren.
26 replies on “»Experten« für die Toponomastikkommission.
Der Bock als Gärtner”
Allegria: altri di quelli buoni… certo che andarseli anche a chiamare rasenta la perversione!
Kramer und Mastrelli…na gute Nacht. Ersterer ließ sich nicht davon abhalten, in der Zeitschrift des genannten Institutes zu publizieren und ebendort die Meinung zu vertreten, Tolomei habe im Übertragen der Ortsnamen ins Italienische “eine gute Arbeit geleistet”, wie er auch sonst voll des Lobes für den Prontuario ist (dieser sei schließlich “notwendig gewesen”, als Südtirol italienisch wurde), die erfundenen Toponyme im Englischen den historischen vorneanzustellen empfiehlt (da nationalsprachlich [!] und deswegen besonders gut geeignet), und all diese Aussagen durch mehr als fadenscheinige Argumente begründet.
Die große Frage ist, wie verbindlich diese Vorschläge für den Landtag letztendlich sind. Denn dass so ein Ergebnis aus dem Umfeld eines Radikalen wie Urzì nicht anders ausschauen kann wird hoffentlich den Volksparteilern klar gewesen sein, als sie dieses “Zugeständnis” gaben (wobei, wundern würde ich mich jetzt über gar nichts mehr…). Soweit ich mich erinnern kann, wurde Urzì von seinen üppig fraktionierten Rechtskollegen scharf gescholten, er ließe sich von der SVP über den Tisch ziehen. Mal schauen, ob sie richtig lagen…
Die Frage ist ledier eine ganz andere!!
Wie ist es möglich, dass die Jünger Tolomeis überhaupt die Möglichkeit bekommen, mit einer Toponomastikkommission die von ihrem Übervater erfundenen Namen zu beurteilen, das ist doch pervers!!!
Kann sich jemand vorstellen, dass in Deutschland die NPD beauftragt wird, den Nationalsozialismus zu beurteilen??
Ich gehe davon aus, dass die Empfehlungen keinerlei Verbindlichkeit haben. Trotzdem ist es ein — meiner Meinung nach inakzeptables — politisches Signal, dass heute als Berater dient, wer das Problem mit Hilfe eines totalitären Regimes geschaffen hat. Dies hätte die SVP kategorisch ablehnen müssen.
Der heutige AltoAdige würde den »Experten« zu genügend Sichtbarkeit und somit ihren Argumenten zu einer gewissen Verbindlichkeit (durch externen Druck) verhelfen. Vielleicht tut dies der neue AltoAdige ja nicht mehr.
Dies zeigt in frappierender Weise die Konzeptlosigkeit der SVP auf. Anstatt gediegene Arbeitspapiere auszuarbeiten und diese auch glaubwürdig zu vertreten wird ad hoc Politik betrieben. In diesem Falle eine unakzeptable Kommission für die Wahl der Landtagspräsidentin.
Dito. Die Signalwirkung aus diesem “Zugeständnis” ist alles andere als selbstbewusst und spricht jeden Minderheitenstandards unseres Kontinents Hohn. Aber das überhaupt peinlichste ist, da habt ihr ja sowas von recht: Wie können wir uns über den Nationalstaat, Fitto und Konsorten echauffieren, wenn unsere Regierungspartei (wohlgemerkt: der selbsternannte Garant der Autonomie schlechthin) aus eigener Schwäche heraus diesen Philotolomeianern institutionelles Gewicht zuspricht?
Der Alto Adige ist ja gerade sehr damit beschäftigt, seine Leser auf die jüngste STF-Plakataktion einzupeitschen. Aber das Sommerloch ist damit noch nicht genügend ausgefüllt: Toponomastikstreit reloaded 3.0?
Ich hoffe nicht.
Oha…diesen Kommentar habe ich total übersehen! Goile Nachricht!
Hoffen wir auf das Beste und erwarten das Schlimmste ;-)
Hier kann man auch ein paar Ausgaben lesen:
http://www.bpi.claudiaugusta.it/de/archivioaa.cfm
Starker Tobak…Das Ziel, das Tolomei erreichen wollte, scheint ihm jetzt im Ansatz schon aufzugehen. Man lese sich in dieser Zeitschrift nur die letzte Seite des Jahres 1919 durch (701). Das ist auch das, was in meinen Augen mit dem zweisprachigen Kindergarten und Immersionsunterricht bei uns in missbräuchlicher Art und Weise (also nicht mit dem demokratischen Spanien in Katalonien vergleichbar, wo es inklusivistisch für die katalanische Kultur ist) versucht wird.
Das ist genau das, was uns in Zukunft blühen kann, dass man wie es schon gegenüber den neuen Südtirolern passiert: das Deutsche verkommt oftmals zur “Eingeborenensprache”, die oft nur noch unter uns gesprochen wird, mit Leuten von Außen wird oft nur ital. kommuniziert. SMS, Briefe und auch sonst im WWW werden größtenteils vom Otto-Normalo in Südtirol in dialekt verfasst, das ist auch nicht mehr so schnell aus den Köpfen der Leute rauszubringen. Sinngemäß schreibt hierzu Tolomei auf Seite 700 von seiner Überzeugung, die “Altoatesini” werden “dei buoni e leali italiani, parlanti fra di loro la lingua avita, come i valdostani, e i sloveni del Friuli.”
Ich wage zu behaupten dass diese Mentalität noch immer in vielen Verantwortlichen aus dem ital. politischen Spektrum in Rom und Bozen vorhanden ist…Diese Dinge müssen doch auch angesprochen werden dürfen. Zum Thema Interkulturalität usw., das sehr viel von Leuten aus dem grünen politischen Spektrum behandelt wird: man soll mir ein Gebiet auf unserer schönen Erde zeigen, wo interkulturalität gelebt wird und nicht nur ein Wort ist. Die Geschichte hat uns doch gezeigt (auch in der Schweiz und überall in der demokratischen Welt), dass man besser miteinander auskommt, wenn man friedlich aber doch einigermaßen getrennt lebt…ich hoffe dies wird nicht zensiert…
Ich habe Hans Heiss auf diese Definition hingewiesen; er will sich — notfalls mit einer Landtagsanfrage — der Sache annehmen und dafür sorgen, dass dies geändert wird.
Frage an pervasion: Falls Südtirol von Italien loskäme (wie auch immer), wärst du da für eine Entfernung aller ital. Ortsnamen? Oder was wäre dein Vorschlag?
Die kurze Antwort lautet: Nein.
Und das ist die lange Antwort: Wir müssen zuerst differenzieren, denn es geht nicht um deutsche, italienische oder ladinische Ortsnamen, sondern um im Lauf der Zeit gewachsene und solche, welche uns mit einem feindlichen Akt aufgezwungen wurden.
Es wären verschiedene Lösungen denkbar: a) die rein sprach- bzw. namenswissenschaftliche, welcher im großen und ganzen die Ortsnamenserfindungen von Ettore Tolomei sowie die deutschen und italienischen Ortsnamen in den ladinischen Tälern zum Opfer fallen könnten, aber nicht Bezeichnungen wie Bolzano, Bressanone, Vadena oder Caldaro, welche bereits vor Tolomei belegt sind; b) eine Prozentlösung, wie sie die UNO empfiehlt und wie sie etwa in Finnland angewandt wird.
Ich würde mich aber für c) eine basisdemokratische Lösung starkmachen: Wie in der Schweiz sollten die Ortsbezeichnungen Zuständigkeit der Gemeinden werden. Über die amtliche Form sollten die Bürger in Volksabstimmungen befinden dürfen, wobei in Südtirol ein Mehrheitsschlüssel angewandt werden sollte, der einen einfachen Mehrheitsentscheid verhindert. Durch die Abstimmungen können Namen abgeschafft und eingeführt, ja sogar Bezeichnungen, welche von Tolomei erfunden wurden, nachträglich demokratisch legitimiert und von ihrem Makel befreit werden. Zudem würde dadurch (trotz eines einheitlichen Systems) eine Lösung möglich, die der jeweiligen Sensibilität vor Ort am besten entspricht — und die kann ja zwischen Bozen, Mals oder Niederdorf völlig unterschiedlich sein.
@ ida
ich erlaube mir einige ergänzungen, die – so hoffe ich wenigstens – auch in pervasions sinne sind (ansonsten distanziere er sich bitte):
es gibt hier mehrere ebenen bzw. aspekte, die wir beachten müssen.
wenn wir über toponomastik in südtirol sprechen, geht es immer um die amtlichkeit, die offizialität der namen. wer wie zu einem ort sagt, bleibt davon unberührt. d.h. niemand verbietet irgend jemandem zu durnwald im gsies “durna in selva” zu sagen. jeder darf, wenn er/sie will zu urtijei “st. ulrich” sagen und ich könnte für mich bozen in “durnigrad” umbenennen, wenn ich das wollte.
dann geht es um exonymischen und endonymischen gebrauch. genau genommen gibt es ja keine deutschen und italienischen ortsnamen. während siebeneich eindeutig germanisch ist, ist naturns wahrscheinlich keltisch und kastelbell – schwer zu erraten – romanisch. der endonymische gebrauch des namens sollte daher ausschlaggebend sein.
das heißt nicht, das exonyme schlecht sind. sie sind nur in der regel nicht offiziell. in feldthurns etwa leben 0.98 % italienischsprachige südtiroler. daher von einem endonymischen gebrauch von velturno zu sprechen, hielte ich für übertrieben. in milano leben bestimmt mehr deutschsprachige als italienischsprachige in feldthurns. trotzdem muss ich in milano nicht auch “mailand” auf die ortstafel schreiben. dennoch kann, darf, soll und wird jeder deutschsprachige die stadt “mailand” nennen.
ein weiterer aspekt ist das zustandekommen der meisten von den italienischsprachigen südtirolern gebrauchten namen. ein imperialistisch-kolonialistischer akt, der schon in differenzierte art und weise betrachtet werden muss – wie pervasion bereits richtig ausführte.
ich sehe keinen grund, warum leute, die 100 kilometer weit weg wohnen darüber zu entscheiden haben, wie ein berg im hintersten ahrntal – den sie noch nicht einmal sehen – heißt. das haben die menschen vor ort zu entscheiden. so wie der höchste berg der erde für mich chomolungma oder sagarmatha und nicht mt. everest heißt. so wie die australier den roten felsen von ayers rock nach uluru zurückbenannt haben und wie in grönland und südafrika die städte wieder ihre endonymen bezeichnungen zurückerhalten. nach der vetta d’italia-logik hätten doch auch ganz südtirol oder ganz italien und nicht nur die bozner darüber abstimmen müssen, wie der platz rund ums “siegesdenkmal” heißen soll. und wenn man klockerkarkopf mit “vetta d’italia” übersetzen kann, kann man doch auch piazza della vittoria mit friedensplatz übersetzen, oder nicht? :grins:
Die sehr ausführliche Pressemitteilung des Landtags zur Anhörung der »Fachleute« bestätigt leider die schlimmsten Befürchtungen:
Positiv überrascht bin ich lediglich über Johannes Ortner (Toponomastikexperte beim Landesarchiv), welcher eine ähnliche Position vertritt, wie ich. Ich kannte bisher in Südtirol niemanden, der den basisdemokratischen Weg in Betracht zieht.
👍
es ist zum plärren
viele der politiker und einige der experten argumentieren auf kindergartenniveau und scheinen keine ahnung von konventionen und begrifflichkeiten der toponomastik zu haben.
wahnsinn. sonst fällt mir dazu nichts ein.
Es ist derart schlimm, dass man gar nicht weiß, wo man mit der Kritik anfangen soll… eigentlich sollten sich die Aussagen der meisten dieser Experten von alleine disqualifizieren — doch anscheinend sehen das »unsere« Abgeordneten anders.
Sì… all’inizio volevo cominciare a criticare alcuni punti… ma andando avanti ho preso paura. Boh… sembra che alla fine siano quasi tutti d’accordo a salvare gran parte dei nomi di Tolomei, chi per un motivo, chi per l’altro. Si arriva persino al ridicolo quando si afferma che la sua opera è scrupolosa perchè si affida a ben 11 criteri diversi… wow… queste sì che son argomentazioni!
@ fabivs ed altri
völlige zustimmung.
chaos pur.
argumentation unter kindergartenniveau.
einerseits werden argumente zugelassen, innerhalb derer sich institutionen selbst legitimieren. das ist ungefähr so, wie wenn jemand in einem streitfall sich selbst als sachverständigen zu rate zieht und den streitgegenstand als beweismittel vorbringt. d.h. beispielsweise vor gericht wird über ein stück grund gestritten. eine partei behauptet, die andere hätte sich das stück grund unrechtmäßig einverleibt, indem es einfach sich selbst als besitzer ins grundbuch eingetragen hat. als rechtfertigung bringt die andere partei nun das argument, dass der besitz ja im grundbuch vermerkt sei und spricht diesem vermerk auch noch eine höherrangige legitimität zu. das ist absurd.
der absurditäten nicht genug, befürchte ich, dass auch bei der “gesamtlösung” alles andere als transparent vorgegangen werden wird. da wird einfach von irgendwelchen personen (wie kommen die dazu das zu entscheiden???) über einzelne namen gefeilscht wie am basar. keine regeln, keine linie, keine internationalen standards. einfach nur gutdünken. nachvollziehbar oder gar begründet sind die entscheidungen nicht.
heinrich, mir graut’s vor dir
Ein konkreter Hinweis, dass unser aller Denk- und Diskussionsarbeit hier nicht für die Katz’ ist: Hans Heiss hat mir geschrieben, dass sich Herr Ortner vom Landesarchiv (den er als Referenten vorgeschlagen hatte) in der Toponomastikkommission explizit auf die Brennerbasisdemokratie berufen hat.
👏👍
Bravo!
tolle nachricht.
wäre schön, wenn der blog tatsächlich ein faktor in der regionalen politlandschaft werden könnte. wenn er das nicht bereits ist, da ja wie’s scheint gar einige politiker mitlesen.
Macht einfach weiter so, es werden immer mehr, die verstehen, was BBD wirklich erreichen will, und das ist gut so.
Gratuliere
Jonny
Ich bin sehr darüber erleichtert, dass mein “Bauchweh-Thema” bei so viel Engagement im BBD nun etwas entspannter verläuft!