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Welcher Kniefall, Herr Pöder?

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Laut dem Landtagsabgeordneten Andreas Pöder von der BürgerUnion (BU) beabsichtigt die Landesregierung, sich selbst mittels Gesetz dazu zu verpflichten, EU-Verordnungen künftig rasch und ohne den Umweg über Rom umzusetzen. Eine offizielle Bestätigung für diese Behauptung konnte ich auf Anhieb nicht finden.

— Gemeint dürften EU-Richtlinien und nicht EU-Verordnungen sein, denn letztere bedürfen keiner Umsetzung, sondern sind unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten wirksam. —

Laut Pöder beabsichtige die Landesregierung mit ihrem Schritt, die Zuständigkeiten unseres Landes wahrzunehmen, eine Interpretation, der er jedoch »entschieden« entgegentritt.

Der BU-Vertreter behauptet, eine rasche Umsetzung von EU-Recht käme einem »Kniefall vor Brüssel« gleich:

Das bedeutet, dass man sich in Südtirol künftig selbst die Brüsseler Daumenschrauben anlegt. Dass damit keine zusätzliche Zuständigkeit oder Wichtigkeit oder gar regionale Eigenständigkeit gegenüber Rom und Brüssel verbunden ist, verschweigt die Landesregierung.

Pöders Aussagen sind jedoch irreführend und wahrscheinlich auf eine gewisse Europhobie Aversion gegen die EU zurückzuführen.

Selbstverständlich muss das derzeit in der EU herrschende Demokratiedefizit hinterfragt werden und natürlich ist nicht alles gut, was aus Brüssel kommt.

Die Übernahme von EU-Recht in staatliche Normen gehört inzwischen zu den wichtigsten Aufgaben staatlicher Parlamente. Wenn der Südtiroler Landtag in dieser Funktion weitgehend die Befugnisse des römischen Parlaments übernehmen könnte, wäre dies von äußerst großem Nutzen.

Denn bei der Umwandlung von EU-Richtlinien in »nationale« Bestimmungen bestehen große gesetzgeberische Spielräume, die Südtirol für sich ausschöpfen könnte. Gerade Italien erweist sich immer wieder als sehr einfallsreich, wenn es darum geht, EU-Normen besonders bürokratisch und realitätsfern umzusetzen. Denken wir nur an die schikanöse Umsetzung der Intrastat-Erklärungspflicht (in Italien ab einem Handelsvolumen mit dem Ausland von über null Euro, in Österreich erst ab einem jährlichen Volumen von 400.000 Euro) oder an das italienische Vergabegesetz, das die öffentlichen Aufträge in Südtirol über Wochen und Monaten praktisch zum Erliegen brachte.

Dass EU-Recht nicht automatisch Schikane bedeutet, sondern in vielen Fällen erst eine schlechte Umsetzung desselben zu großen Problemen führt, zeigt die nahe Eidgenossenschaft. Obschon gar nicht Teil der EU, setzt die für ihre hohe Kompetitivität und bürokratische Schlankheit bekannte Schweiz EU-Recht in der Regel schneller um, als die meisten EU-Mitgliedsstaaten. Wenn sich Südtirol daran orientiert — und bei der Umsetzung tatsächlich frei agieren kann — könnte das Vorhaben der Landesregierung einer der wichtigsten autonomiepolitischen Schritte der letzten Jahre und eine enorme Aufwertung des Landtags werden.



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Comentârs

7 responses to “Welcher Kniefall, Herr Pöder?”

  1. Andreas Pöder avatar
    Andreas Pöder

    Europhobie? Das ist eine schwache Argumentationslinie! Damit unterstellt man mir eine Phobie, eine Art Psychose, ähnlich der Klaustrophobie oder der Agoraphobie etc. Phobie bedeutet Angststörung. Im neuen sozialwissenschaftlichen Sinne will man es zwar auch als ‘Aversion’ begreifen, aber es ist und bleibt ein medizinischer Begriff aus der Psychoanalyse, spekulativ zumal, der in einer sachlichen Diskussion nichts zu suchen hat. Wer eine bestimmte Meinung hat, wird durch das Wort ‘phobie’ quasi in eine kollektive Massenpsychose verschoben. Das Wort Phobie wird mittlerweile immer dann als Wortteil angehängt, wenn eine Art Totschlagargument gebraucht wird, das die eigene Argumentationsschwäche verdecken soll. Mit Psychoanalyse politisch-sachliche Argumentationslinien umgehen? Kann man das als Arguphobie bezeichnen? Angst vor Argumenten?
    Meine Argumentation ist klar, der Gesetzentwurf auch, meine Interpretation des Gestzentwurf deutlich und schlüssig. Mein Jubel darüber, dass wir uns mit einem handwerklich schlecht geschriebenen Gesetz zur kritiklosen Umsetzung der EU-verordnungen und -anweisungen verpflichten hält sich in Grenzen.
    Das Subsidiaritätsprinzip wird mit diesem Gesetzentwurf meiner Meinung nach ins Gegenteil verkehrt. Man kann weder davon ausgehen, dass alles, was aus Brüssel kommt schlecht ist, noch, dass alles positiv ist. Ein Gesetzentwurf sollte jedoch keinesfalls derart ausgelegt sein, dass a priori angenommen wird, dass die Bestimmungen aus Brüssel in jedem Fall positiv sind.
    Man kann den Gesetzentwurf gerne auch anders interpretieren, das liegt im Wesen einer demokratischen Dialektik über die Gesetzgebung.
    Aber mit Phobien zu argumentieren ist für mich das Verlassen jeder halbwegs intellektuellen Dialektik.

    1. pérvasion avatar

      Es mag zwar im ersten Augenblick nach einem schlauen Schachzug aussehen, sich einen einzelnen Begriff aus dem Artikel herauszufischen und ihn bewusst misszuverstehen (dass Sie seine eigentliche Bedeutung im Kontext verstehen, macht Ihr Kommentar ja deutlich) — diese Strategie ist aber weder klug noch redlich.

      Ich hab mal das Wort »Europhobie« mit »Aversion gegen die EU« ersetzt, und siehe da, der Inhalt des Artikels ändert sich um keinen Beistrich. Wie denn auch? Dafür läuft nun aber Ihre ganze (aufgesetzte) Empörung ins Leere.

      Den eigentlichen Succus meines Beitrags schieben Sie in Ihrem Kommentar in den Hintergrund, indem Sie ihn ganz geschickt zur Meinung, zur demokratischen Dialektik über die Gesetzgebung definieren.

      Doch damit irren Sie: Eine Meinung ist es, ob man eine EU-Verordnung gut oder schlecht findet, oder ob man es für besser hält, dass Rom EU-Richtlinien umsetzt (Zentralismus), statt dies im Südtiroler Landtag (Autonomismus) zu machen. Dazu kann man Meinungen haben.

      Keine Meinung ist aber, dass EU-Verordnungen keiner Umsetzung bedürfen — Sie aber schreiben auch in Ihrem Kommentar wieder von der Umsetzung von EU-Verordnungen. Und keine Meinung ist auch, dass die Umsetzung von EU-Richtlinien durch den Südtiroler Landtag einen deutlichen Zugewinn an »Macht« und Handlungsspielraum bedeuten würde, was Sie aber beharrlich leugnen.

      1. libertè avatar
        libertè

        Obacht:
        Eine Verordnung ist ein verbindlicher Rechtsakt, den alle EU-Länder in vollem Umfang umsetzen müssen.
        europa.eu/eu-law/decision-making/legal-acts/index_de.htm
        Und auch
        https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_%28EU%29

      2. pérvasion avatar

        Ich zitiere:

        Gemäß Art. 288 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind die Verordnungen diejenigen Rechtsakte, welche allgemeine Geltung haben, in allen ihren Teilen verbindlich sind und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten. Sie müssen von den EU-Mitgliedstaaten nicht in nationales Recht umgesetzt werden (“Durchgriffswirkung”). Modifikationen der vorgegebenen Regelungen durch die einzelnen Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nicht möglich (“Umsetzungsverbot”).

      3. Libertè avatar

        Die englische Wikipedia formuliert es schön:
        A regulation is a legal act of the European Unionthat becomes immediately enforceable as law in all member states simultaneously.Regulations can be distinguished from directives which, at least in principle, need to be transposed into national law. Regulations can be adopted by means of a variety of legislative procedures depending on their subject matter.
        Das Problem liegt also eher in der deutschen Sprache.

      4. Libertè avatar

        Der Text von Herrn Pöder macht aber als ganzes keinen Sinn, und scheitert nicht erst an der Wortwahl, wo schon mehr nicht passt.

        Ich halte eine Diskussion um die Wortwahl für ohnehin etwas leicht. Gerade in diesem Fall.

        Alles in Allem ist das Ganze sicher (sofern vollumfänglich umgesetzt) ein deutlicher Kompetenzgewinn. Was sicherlich sinnvoller wäre, man ließe die Nationalstaatsebene weg.

    2. pérvasion avatar

      Das Subsidiaritätsprinzip wird mit diesem Gesetzentwurf meiner Meinung nach ins Gegenteil verkehrt. Man kann weder davon ausgehen, dass alles, was aus Brüssel kommt schlecht ist, noch, dass alles positiv ist. Ein Gesetzentwurf sollte jedoch keinesfalls derart ausgelegt sein, dass a priori angenommen wird, dass die Bestimmungen aus Brüssel in jedem Fall positiv sind.

      Von einer Wertung — positiv oder negativ — spricht auch gar niemand. Wenn aber EU-Richtlinien erlassen werden, müssen diese vom »nationalen« Gesetzgeber rezipiert werden, egal ob gut oder schlecht. Das kann man nun befürworten oder nicht, es ist aber im Moment so. Wird eine EU-Richtlinie nicht umgesetzt, drohen Vertragsverletzungsverfahren und Strafzahlungen. Die Alternative ist also nicht »umsetzen« versus »nicht umsetzen« sondern »von Rom umsetzen lassen« versus »in Südtirol autonom umsetzen«. Wenn wir in Hinkunft versuchen, möglichst viel EU-Recht autonom umzusetzen, verstehe ich nicht, wo das eine Umkehrung des Subsidiaritätsprinzips sein soll. Ganz im Gegenteil: Das Subsidiaritäts- und Autonomieprinzip wird dadurch massiv gestärkt (vorausgesetzt natürlich, wir haben auch die Kompetenz, EU-Recht ohne Einmischung aus Rom umzusetzen).

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