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Lokalwahl: Erdrutschsieg für Sinn Féin.
Nordirland

Zum ersten Mal überhaupt errang die irisch-republikanische Sinn Féin diese Woche bei Lokalwahlen in Nordirland die meisten Sitze — und ist somit sowohl im Landesparlament (seit 2022) als auch in den elf Verwaltungsbezirken stärkste Partei. Die jetzt erzielten Zugewinne sind spektakulär: von 23,2% in 2019 legte die Partei um gut ein Drittel auf 30,9% (+7,7 Punkte) zu. Die Anzahl ihrer Sitze erhöhte sich von insgesamt 105 um 39 auf nunmehr 144, womit sie die unionistische DUP (mit unverändert 122 Sitzen) deutlich hinter sich ließ.

Die sozialdemokratische Sinn Féin, die sowohl in Nordirland als auch in der angrenzenden Republik vertreten ist, tritt für die Wiedervereinigung der beiden Landesteile ein. Dass die Stimmung auch in der Bevölkerung in diese Richtung gekippt ist, bringen Beobachterinnen unter anderem mit dem Brexit und den langwierigen Verhandlungen um den Status von Nordirland in Verbindung. Zudem boykottiert die unionistische DUP seit den Wahlen zum Landesparlament vom Mai 2022 die Regierungsbildung und bringt somit — aus Protest gegen das Handelsabkommen mit der EU — faktisch die gesamte Landespolitik zum Erliegen. Die Macht, dies zu tun, verleiht ihr die besondere Gesetzeslage in Nordirland, die eine Zusammenarbeit zwischen unionistischen und republikanischen Kräften nach dem Konkordanzprinzip vorschreibt.

Bei den soeben abgehaltenen Lokalwahlen konnten die Kräfte, die eine Wiedervereinigung des Nordens mit Restirland wünschen, insgesamt 185 (+16) und die unionistischen Parteien 177 (-23) Mandate erringen.

Ein Plus von 14 Sitzen verzeichnete außerdem die liberale APNI, die fortan 67 Rätinnen stellt, während die Grünen in Nordirland1ein Ableger der irischen Grünen von 7 auf 5 (-2) Sitze schrumpften. Zur territorialen Zugehörigkeit äußern sich APNI und Grüne nicht, weil sie die Bevölkerung darüber in einem allfälligen Referendum frei entscheiden lassen möchten.

Als besonders überraschend strichen Medien und politische Beobachterinnen nicht nur das Ausmaß der Zugewinne der Sinn Féin hervor, das so nicht vorhergesagt worden war, sondern insbesondere die Tatsache, dass sie Durchbrüche auch in Gebieten verzeichnen konnte, in denen traditionell das unionistische Lager stark war.

Die Abstimmung über eine Wiedervereinigung mit dem Rest der Insel steht Nordirland übrigens aufgrund des sogenannten Karfreitagsabkommens zu.

  • 1
    ein Ableger der irischen Grünen
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Französisch-Polynesien wählt Sezessionistinnen.

Bei Wahlen, die am 16. und 30. April stattgefunden haben, konnte die separatistische Linke Tāvini Huiraʻatira in Französisch-Polynesien (Pōrīnetia Farāni) 38 von 57 Sitzen in der Territorialversammlung erringen. Dank diesem Erdrutschsieg verfügt die Partei im eigenen Landesparlament erstmals über eine eigene, solide Mehrheit. Zum Vergleich: Bei der vorhergehenden Wahl (2018) hatten die Unabängigkeitsbefürworterinnen nur acht Sitze errungen. Das jetzige Ergebnis bedeutet also nahezu eine Verfünffachung.

Schon seit 2022 stellt die Partei im französischen Parlament sämtliche Polynesien zustehenden Abgeordneten (vgl. ‹1).

Es wird nun erwartet, dass das Parlament von Pōrīnetia Farāni den Kandidaten von Tāvini Huiraʻatira, Moetai Brotherson, zum neuen Präsidenten wählt. Der will dann mit Frankreich über die Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums verhandeln. Im Vorfeld der Wahl hatte Tāvini Huiraʻatira den Urnengang zu einem De-Facto-Referendum über die Loslösung von Frankreich erklärt — und war damit erfolgreich. Dementsprechend versteht die Partei den Wahlsieg als Auftrag, den Bürgerinnen des Südpazifikstaats die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts zu ermöglichen.

Siehe auch ‹1 ‹2

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DFB zur Wettbewerbssprache.
Proporzumgehung

Am 4. Mai hat die rechtsrechte Regierung von Giorgia Meloni (FdI) ihre ersten beiden Durchführungsbestimmungen (DFB) zum regionalen Autonomiestatut genehmigt, wovon eine speziell Südtirol und den Minderheitenschutz betrifft. Die »Brüder Italiens« bringen sich damit weiterhin als künftige Partner der SVP nach der nächsten Landtagswahl in Position.

Aufgrund der jetzt erfolgten Abänderung müssen Kandidatinnen fortan zumindest eine der allfälligen schriftlichen und in jedem Fall die mündliche Prüfung zur Aufnahme in den öffentlichen Dienst in jener Sprache (Deutsch oder Italienisch) ablegen, der sie sich zugehörig erklärt bzw. zugeordnet haben — und für deren Gruppe sie die Stelle besetzen möchten.

Damit soll insbesondere die Praxis erschwert werden, dass Bewerberinnen aus reinem Opportunismus jene Sprachgruppe wählen, die ihnen bei Wettbewerben aufgrund des Proporzes bessere Erfolgsaussichten verspricht (vgl. ‹1), ohne die jeweilige Sprache auch tatsächlich zumindest so gut zu beherrschen, dass sie damit eine Prüfung bestehen könnten.

Bislang konnte auf diesem Weg der Minderheitenschutz ad absurdum geführt werden, indem Stellen besetzt wurden, die eigentlich der anderen Sprachgruppe zustehen würden.

Es ist zu sagen, dass diese DFB schon 2021 von der Sechserkommission verabschiedet worden war. Sie führt nicht zu einem Ausbau der Autonomie, sondern lediglich zu einer (durchaus wichtigen) Präzisierung von Minderheitenschutzmaßnahmen. Außerdem liegt die Norm durchaus im Interesse der italienischen Rechten, da sie nebenbei auch sicherstellt, dass das Verhältnis zwischen den Sprachgruppen nicht durch »Scheinerklärungen« zu Lasten der italienischen Sprachgruppe verfälscht wird.

Ein Beitrag zur Wiederherstellung der Autonomie, wie sie Rechtsrechts in Aussicht gestellt hatte, ist diese DFB also jedenfalls nicht.

Siehe auch ‹1 | 1›

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Autorinnen und Gastbeiträge

SVP-FdI: Operation Weichspülen.
Teil 2

Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. SVP und Fratelli d’Italia. Wirklich nicht?

Das Unternehmen Athesia hat der SVP mit der Meloni-Wahlpropaganda den Hinweis gegeben, mit einem großen Zaunpfahl, wohin es nach den Landtagswahlen im Herbst gehen soll.

Wolkig äußerte sich dazu — ganz in diesem Sinn — Landeshauptmann Arno Kompatscher im Corriere della Sera.

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen  […] Mit wem wir reden können, hängt dann auch vom Wahlverhalten der Bürger ab.

— LH Arno Kompatscher (SVP)

Vor fünf Jahren wurde die Lega zur stärksten italienischen Partei, laut SWZ-Umfrage werden aber die Fratelli die Lega ablösen. Die Italiener in Südtirol wählen meist nach dem gesamtstaatlichen Trend. Der liegt laut Umfragen für Fratelli d’Italia derzeit bei 30 Prozent der Stimmen.

Die Operation Weichspülen ist deshalb schon voll im Gange. Die SVP-Parlamentarier enthielten sich bei der Abstimmung über die Bildung der Regierung Meloni der Stimme. Meloni versprach, die angeknabberte Autonomie wieder herzustellen. Ein ernsthaftes Unterfangen? Als wohlwollend galt auch die Stimmenthaltung der SVP-Vertreter in der Sechserkommission, die damit die Wahl von Alessandro Urzì, gewählt im Kammerwahlkreis Vicenza, zum Präsidenten ermöglichten. Diese Kommission ist für den Ausbau der Autonomie zuständig.

Ohne sich mit dem zuständigen Landesrat abzusprechen, sicherte Landeshauptmann Arno Kompatscher dem Landtagsabgeordneten Marco Galateo von den Fratelli zu, den Ordnungs- und Streitkräften sowie den Bediensteten des Zivilschutzes Wohnungen billiger zur Verfügung zu stellen. Außerdem sollen sie den öffentlichen Personennahverkehr kostenlos nutzen können. Warum dieses Privileg? Das hätte sich das Pflegepersonal wohl auch verdient.

Landesrat Massimo Bessone von der Lega fühlt sich zurecht übergangen, ist er doch für den Bau von vergünstigten Wohnungen zuständig. Vom Deal Kompatscher-Galateo erfuhr Bessone aus den Medien. Respektvoll ist das keineswegs. Der Mohr hat offensichtlich seine Schuldigkeit getan, um den großen englischen Literaten Shakespeare zu zitieren.

Galateo kann gleichzeitig beim Besuch des Südtirol-Ausschusses in Wien gegen die österreichische Schutzmacht poltern und deren Aufhebung fordern. Weil — ja weil Südtirol eine inneritalienische Angelegenheit sei. Der Widerspruch der Volkspartei blieb aus.

Wahrscheinlich wird die SVP den Wunsch von Galateo unterstützen, das faschistische Siegesdenkmal bombastisch zu beleuchten. Möglicherweise wird diesem Anliegen auch die geschrumpfte italienische Linke zustimmen. Galateo möchte auch, dass in den 115 Gemeinden des Landes — dem Beispiel Bozens folgend — Gedenkstätten an die jugoslawischen Karsthöhlenmassaker an den italienischen Istriern nach 1945 errichtet werden.

In seiner Eigenschaft als Vertreter der italianità versuchte Galateo auch, die Vorstellung des Buches »Kann Südtirol Staat?« des Vereins Noiland Südtirol-Sudtirolo im Landtag zu verhindern.  Galateo bezeichnete die Studie über eine mögliche Eigenstaatlichkeit Südtirols als »Schlag für die Autonomie und das friedliche Zusammenleben«. Als besonders verstörend empfand er die Tatsache, dass der Verein für sein Buch eine Landesförderung erhielt.

Galateo, ein ethnischer Einpeitscher? Urzì, inzwischen ein Südtirol-Versteher? In mehreren Interviews mit der Tageszeitung skizzierte Urzì seine Grundzüge für ein Koalitionsprogramm mit der SVP. Er gibt sich autonomiefreundlich — die Autonomie ist ja immerhin in der italienischen Verfassung verankert. Kein Wort aber zum Pariser Vertrag, zur internationalen Dimension der Autonomie. Urzì lässt die SVP wissen, dass die Autonomie nicht ihr gehört, sondern allen. Wer kann da auch schon was dagegen haben?

Urzì und seine Thesen

Urzì wirbt auch mit angeblich alle verbindenden Werten wie Familie, unternehmerische Freiheiten, Wettbewerb und weniger Steuern. »Wir treten für eine stolze Idee ein: den Wiederaufbau Italiens«, sagte Urzì in einem Interview mit der Tageszeitung.

Die unverblümten Worte von Urzì vor den Parlamentswahlen scheinen in der Brennerstraße angekommen sein. Er ließ die SVP in der Tageszeitung wissen, wenn sie ihr Verhalten nicht ändere, seien die Bedingungen für eine Zusammenarbeit schlecht, falls FdI in Rom regieren sollte. Eine Zusammenarbeit, um das von der SVP unterstützten Mitte-Links-Regierungen heruntergewirtschaftete Land wieder aufzubauen, schob er hinterher. Diese Töne freuen hier im Land besonders die Wirtschaft, wie schon Professor Pallaver auf Salto angedeutet hatte.

Urzì sucht zwar die Nähe zur SVP, wirft ihr aber gleichzeitig Opportunismus vor. Hätte seine Partei bei den Landtagswahlen vor fünf Jahren mehr Mandate erhalten als die Lega, gäbe es bereits eine Koalition aus SVP und FdI.

Grundlage für eine solche Koalition müsste eine Vereinbarung sein, ergänzte Urzì in der Tageszeitung, »die nicht nur in der Brennerstraße geschrieben werden darf«. Als eine weitere Grundlage beschreibt der rechte Rechtspolitiker eine mehrsprachige Schule, gegen die sich die SVP noch versperrt.

Und Urzì rammte im Tageszeitungs-Gespräch eine weitere Leitplanke ein: Einen Ausbau der Autonomie wird es nicht geben, sondern eine Verbesserung der Autonomie, eine unmissverständliche Botschaft an den möglichen Koalitionspartner SVP.

Die Autonomie muss allen Bürgern Möglichkeiten bieten, unabhängig von der Sprachgruppe. Derzeit wird die italienische Sprachgruppe aufgrund von ideologischen Vorurteilen benachteiligt. Wir brauchen kein System von Herren und Sklaven, sondern gegenseitigen Respekt. Damit dies gelinget, muss die SVP, was ihr demokratisches Bewusstsein betrifft, reifen.

— Alessandro Urzì (FdI) in der Tageszeitung

Urzì stellt der SVP ein undemokratisches Zeugnis aus, sie diskriminiere mit ihrem Sklavensystem die italienische Sprachgruppe. Warum will Urzì mit einer solchen Partei unbedingt in eine Koalition? Magnago wird angesichts dieser Entwicklung die Reste seines Sarges vollkotzen.

Serie I II

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Autorinnen und Gastbeiträge

SVP-FdI: Operation Weichspülen.
Teil 1

Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört. SVP und Fratelli d’Italia. Wirklich nicht?

Landwirtschaftsminister Lollobrigida, fratello von »Ministerpräsident« Meloni, geißelte die Migration als »Umvolkung«. Auf die Grenzen, Migranten rein. Europaweit schwafeln Rechtsradikale, bekanntermaßen gesponsert vom russischen Kriegspräsidenten Putin, von einem »Bevölkerungsaustausch«. So als ob eine geheime Macht diese Migration — um Italien zu schaden — steuern würde.

Ministerpräsidentin Meloni lässt Anti-Terror-Einheiten gegen »Klimakleber« ausrücken. Der Applaus der Autofans und Klimaleugner ist ihr gewiss. Auch in Südtirol. Wo bleiben die Anti-Terror-Einheiten im Kampf gegen die Mafia?

Eine der ersten Maßnahmen dieser rechts-rechten Regierung war das Rave-Verbot. Raven, ein Anschlag auf die Einheit des Staates? Raven, eine Gefahr für Land und Leute?

Aus den Reihen dieser Regierung tönt es immer wieder lesben- und schwulenfeindlich, gegen Queere, kurzum gegen »Andere«. Kinder und Jugendliche müssen gegen diese »sexuellen Abartigkeiten« geschützt werden, so die Begründung für die Hetze. Das katholische Lager und viele Südtiroler klatschten begeistert.

Rechtskonservativ, reaktionär ist dieses Arsenal, extrem nationalistisch wird es, wenn die Fratelli die italienische Sprache zur ausdrücklichen Pflicht erheben wollen. Simon Constantini bezeichnete dieses Ansinnen von Fabio Mollicone (FdI) als besorgniserregend. Bisher galt das Prinzip, dass jede Staatsbürgerin das Recht genießt, die italienische Sprache zu gebrauchen. Mollicone will daraus eine Pflicht basteln.

»Insbesondere … in Südtirol, wo die deutsche der italienischen Sprache laut Autonomiestatut gleichgestellt sein sollte, hätte die Pflicht zur Kenntnis der Staatssprache unabsehbare Folgen«, warnte Constantini in seinem Artikel »Zwang zur Beherrschung der italienischen Sprache«.

Halb so schlimm? Die Äußerungen von Vertreterinnen der Fratelli d’Italia über Faschismus und Antifaschismus sind erschreckend. Schon der ehemalige Ministerpräsident Berlusconi, der sich immer wieder abfällig über den Antifaschismus geäußert hatte, ebnete damit den Faschisten des 21. Jahrhunderts den Weg. Er holte Alleanza Nazionale, vormals der noefaschistische MSI, aus dem politischen Eisschrank der italienischen Nachkriegsdemokratie. Die Erben des Faschismus haben sich in dieser Republik eingenistet, eine Republik, die auch von Antifaschistinnen erkämpft worden ist.

Aber wen kümmert das?

Ansonsten hält sich diese doch sehr rechte Regierung mit krassen radikalen Tönen strategisch zurück. Kreidefressen scheint angesagt zu sein. »Warum agiert die Regierung so unauffällig?« fragte sich Rainald Manthe vom Zentrum Liberale Moderne: »Die Regierung muss nun liefern — nicht nur für gute Wahlergebnisse sorgen. Als Regierungskoalition muss man sich an Verträge und Zusagen halten, die Verwaltung muss rechtskonforme Gesetzesvorschläge machen, die Wirtschaft laufen — und die Öffentlichkeit schaut zu. All dies schränkt die Handlungsmöglichkeiten Melonis ein.“

Manthe hat noch eine andere Erklärung zur Hand: »Meloni und ihre Partei haben es von Anfang an darauf angelegt, durch Mitregierung zu gestalten, nicht durch Populismus aus der Opposition. Melonis Regierung wäre dann ein Ausdruck des „Techno-Populismus“, einer Verbindung von Populismus und Technokratie. War der Populismus also nur Wahlkampftaktik, gepaart mit dem nicht aufgearbeiteten Erbe des Faschismus von Fratelli d’Italia und Italien?«

Südtirol ist Italien

Diese Strategie geht auf, italienweit, aber auch und besonders in Südtirol. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist mit der Arbeit der Regierung Meloni zufrieden. Die bereits bekannte Apollis-Umfrage der SWZ, aufgearbeitet von der Neuen Südtiroler Tageszeitung, belegt, dass die Zustimmung unter der deutsch- und ladinischsprachigen Bürgerinnenschaft höher ist als unter der italienischsprachigen. Die Mehrheit der SVP, Team-K-, F- und STF-Wählerinnen äußert sich positiv über Meloni. Südtirol ist Italien.

Diese Sympathien müssen verwundern. Constantini schaute sich die parlamentarische Aktivität von Francesco Lollobrigidia, ausgewiesener Freund des Bauernbundes, in seiner Oppositionszeit genauer an. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der Fratelli in der Abgeordnetenkammer und Schwager von Giorgia Meloni fiel durch eine besondere Südtirolbesessenheit auf. Die Vorstöße waren untergriffig, eine besessene Südtirolfeindlichkeit quillt aus seinen Anfragen. Tatkräftig unterstützte der ehemalige Landtagsabgeordnete Alessandro Urzì das Treiben seines Kameraden.

Die Erklärungen für die Zustimmung zu Meloni sind vielfältig. Als »klar, kohärent, konkret, seriös und verantwortungsvoll« lobt der Meloni-Mann Alessandro Urzì seine Chefin. »Meloni wird als staatstragend wahrgenommen, dieses Image hat sie konsequent aufgebaut«, ergänzt die Grüne Brigitte Foppa. »Die SüdtirolerInnen waren einerseits auf das Schlimmste gefasst und sind jetzt erleichtert, dass es nicht so gekommen ist. Andererseits ist Meloni eine kompetente junge Frau, die bis jetzt noch nicht viel falsch gemacht hat. Das honorieren die SüdtirolerInnen«, analysiert die ansonsten Meloni-kritische SVP-Senatorin Julia Unterberger.

Zu einem gänzlich anderen Schluss kommt der emeritierte Universitätsprofessor und Politikwissenschaftler Günther Pallaver auf Salto. Die Südtiroler leiden in Sachen Faschismus anscheinend an Vergesslichkeit, frotzelte der Professor. Er erinnerte an den Sager »Se fossi italiano, probabilmente sarei fascista« des Südtiroler Abgeordneten Friedrich Graf Toggenburg 1921. Gilt das heute auch noch?

»Der Faschismus war in den 1920er Jahren einem Teil des Südtiroler Bürgertums durchaus willkommen, wie heute die rechtsrechten Fratelli d’Italia. Die Wirtschaft Südtirols denkt gleich wie vor 100 Jahren an den Profit. Hauptsache, die Kassa stimmt. Law and Order sind wichtiger als Demokratie und Menschenwürde. Wer gegen die angebliche „Invasion der Ausländer“ poltert, ist in Südtirol willkommen. Wer eine reaktionäre Familienpolitik propagiert, erhält in Südtirol Applaus«, konstatiert bedauernd der Wissenschaftler Günther Pallaver. Der Toggenburg-Spruch von 1921 klingt heute, leicht abgewandelt: »Se fossi italiano, probabilmente voterei Fratelli d’Italia.«

»Se fossi italiano, probabilmente voterei Fratelli d’Italia.«

Tatsächlich sagte dies Angelika Kaufmann von der Initiative Zomholtn in der Corona-Ära. Als Südtirolerin wähle sie zwar die Lega, heute Partner in der Meloni-Regierung, als Mailänderin würde sie Meloni wählen. Viel Applaus erntete Lega-Chef Matteo Salvini, im Oktober 2018 Innenminister, bei einem Auftritt der Kastelruther Spatzen. »Salvini wurde herzlich empfangen«, fand die Neue Südtiroler Tageszeitung. Weil er radikal feindlich gegen Migranten und Flüchtlinge auftrat, deutsche Seenotretter populistisch als Kriminelle verunglimpfte oder weil die Lega einst föderalistisch und minderheitenfreundlich war?

Der Klagenfurter Universitätsprofessor Hans-Karl Peterlini zitiert in der Neuen Südtiroler Tageszeitung den ehemaligen Grünen-Politiker Alexander Langer mit der Frage, »warum Südtirol, das doch von rechts nie gutes erfuhr, genau auf dem rechten Auge blind ist […]«

Südtirols Autonomie gibt es auch deshalb, weil die kommunistische Partei PCI im Parlament 1971 dem Zweiten Autonomiestatut zugestimmt hatte. Ein Gemeinschaftswerk von DC und SVP, gesponsert von Österreich. Fast verzweifelt weist der langjährige SVP-Parlamentarier Karl Zeller darauf hin, dass die nach 1992 erlassenen 88 Durchführungsbestimmungen zum Ausbau der Autonomie Mitte-Links-Regierung erlassen haben. Im Land macht sich ein autonomistischer menefreghismo breit — stattdessen begrüßen Südtirolerinnen das Meloni-Projekt eines starken Staates, scheinen ihren Sager verdrängt zu haben, Südtiroler sollen nach Österreich auswandern, wenn sie sich nicht mit Italien identifizieren.

Wenn sich nun die Mehrheit der SVP-Wählerinnen positiv zu Meloni äußert, wird sich die SVP wohl auf den Weg in die Arme von Meloni machen. Der Maschinenraum der SVP, so die Wochenzeitung ff über den Bauernbund (SBB), brummt bereits für Meloni und ihre Partei. Der SBB fühlt sich bei Landwirtschaftsminister Lollobrigida gut aufgehoben, weil er laut Sonntagsreden Bären und Wölfe »entnehmen« möchte. Der Chef im Maschinenraum, der Landtagsabgeordnete Franz Locher, schwafelte von einer starken Region, nicht von einer starken »Provinz«. Wie sein offensichtliches Vorbild Meloni?

In der Tageszeitung Dolomiten durfte sich vor den Parlamentswahlen im Herbst 2022 Spitzenkandidatin Giorgia Meloni auf einer ganzen Seite ausbreiten. Ja, starke Autonomie, aber ein noch stärkerer Staat, textete sie unwidersprochen im Tagblatt der Südtiroler. Die Tageszeitung Dolomiten nimmt noch immer massiven Einfluss auf die politische Stimmung, sagt Peterlini in der Tageszeitung zur Meloni-Zustimmung im Land.

Serie I II

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So viele Italienerinnen könnten SVP wählen.

Einer der interessanteren Aspekte der Apollis-Umfrage für die SWZ ist meiner Meinung nach, dass 21% der Italienischsprachigen angaben, ihre Stimme der SVP geben zu wollen, wenn bald Landtagswahlen wären. Damit könnte die Volkspartei auch bei den Wählerinnen der italienischen Sprachgruppe zu einer der Parteien mit dem größten Zuspruch aufsteigen.

Dem Politologen und Apollis-Projektleiter Hermann Atz zufolge sei es nichts Neues, dass sich Italienerinnen speziell bei Landtagswahlen für die Sammelpartei entscheiden.

In der Tat fällt aber auf, dass das Phänomen jetzt besonders stark zu sein scheint. Bisher galt als Faustregel, dass die SVP ein Landtagsmandat den italienischen Wählern und Wählerinnen zu verdanken hat. Mit diesem Ergebnis wären es zwei.

— Hermann Atz1SWZ 12/23 vom 31. März 2023, S. 3

Wiewohl sie sich im Vergleich zu früheren Umfrageergebnissen wieder erholen konnte, ist der Gesamtzuspruch für die Volkspartei der Umfrage zufolge noch immer geringer als bei der Landtagswahl 2018.2LTW18: 41,9% – SWZ-Umfrage März 2023: 40%

Wenn sie unterm Strich verliert, während sie in der Gunst der Italienischsprachigen zulegen kann, heißt das, dass die Sammelpartei bei den Deutsch- und Ladinischsprachigen umso mehr verliert.

Hermann Atz veranlasst die Erkenntnis, das mehr als jede fünfte Italienerin nach derzeitigem Stand bereit wäre, die SVP anzukreuzen, unter anderem zu folgender Aussage:

Freilich stellt sich die Frage, wie lange es der SVP noch durchgeht, sich zwar von Italienerinnen und Italienern wählen zu lassen, zugleich aber die ethnische Mauer nicht abzubauen. Womöglich muss die SVP über eine Öffnung für italienischsprachige Kandidierende zumindest nachdenken […]

— Hermann Atz

Dies halte ich nun ehrlich gesagt für einen Trugschluss.

Ob sich die SVP für italienischsprachige Mitglieder und Kandidatinnen öffnen sollte, will ich an dieser Stelle gar nicht erörtern. Dass aber der hohe Zuspruch von italienischer Seite der Anlass für eine derartige Entscheidung sein sollte, finde ich gerade nicht. Eher im Gegenteil: Südtirolerinnen italienischer Zunge, die heute SVP wählen, tun dies ja im Bewusstsein, dass die Partei nur Kandidatinnen deutscher und ladinischer Muttersprache aufstellt. Möglichkeiten, italienischsprachige Kandidatinnen zu wählen, hätten sie ja bereits zuhauf.

Sie scheinen also die SVP genau dafür zu bevorzugen, wie sie ist und wie sie verwaltet. Für eine andere, eine italienischere SVP würden sich diese Wählerinnen vielleicht gar nicht mehr entscheiden.

Ähnliches dürfte übrigens auch für die Inhalte gelten: Wenn sich italienische Parteien — rechts wie links — in ihrem Nationalismus kaum unterscheiden, könnte dies dazu führen, dass Bürgerinnen italienischer Muttersprache, die das nicht goutieren, die Volkspartei wählen. Daraus aber womöglich den Schluss ziehen zu wollen, dass sich die SVP in Autonomie- und Minderheitenfragen3z.B. Abschaffung des Regierungskommissariats oder Ortsnamenregelung den Positionen der italienischen Parteien annähern sollte, wäre wohl ebenso kontraproduktiv.

Siehe auch 1›

  • 1
    SWZ 12/23 vom 31. März 2023, S. 3
  • 2
    LTW18: 41,9% – SWZ-Umfrage März 2023: 40%
  • 3
    z.B. Abschaffung des Regierungskommissariats oder Ortsnamenregelung
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LH schließt Koalition mit FdI nicht aus.

Sitzen bald schon Neofaschistinnen in der Südtiroler Landesregierung? Vom Corriere befragt, wollte LH Arno Kompatscher (SVP) von dieser Möglichkeit keineswegs Abstand nehmen:

Aber wären Sie zu einer Allianz aus SVP und Fratelli d’Italia bereit?

Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen. Vor den Wahlen müssen sich die Parteien auf ihre eigenen Themen konzentrieren und darauf, die Bürger zu überzeugen. Mit wem wir reden können, hängt dann auch vom Wahlverhalten der Bürger ab. Was die SVP betrifft, wollen wir alle legitimen Interessen der Gruppen [vermutlich: Sprachgruppen] vertreten. Wir werden nicht das Blaue vom Himmel versprechen: den Populismus überlassen wir der Opposition. Wir tragen die Verantwortung einer Regierungspartei.

aus der heutigen Südtirolbeilage des Corriere della Sera1Übersetzung von mir. Original: Ma sareste pronti per un’alleanza Svp-Fratelli d’Italia? Non è il momento di parlarne. Prima delle elezioni i partiti devono pensare ai loro temi e a convincere i cittadini. Poi, con chi potremo parlare dipenderà anche dalle scelte degli elettori. Per quanto riguarda l’Svp, vogliamo rappresentare tutti gli interessi legittimi dei gruppi. Non prometteremo la luna: il populismo lo lasciamo alle opposizioni. Abbiamo la responsabilità di un partito di governo.

Rote Linien gibt es nach der bereits unsäglichen Koalition mit der Lega für die SVP offenbar keine mehr, es herrscht totale Beliebigkeit vor. Wenn die neofaschistische Partei von Alessandro Urzì und Marco Galateo eine relative Mehrheit der italienischsprachigen Abgeordneten erringt, wird wohl auch der »progressive« Landeshauptmann für eine Zusammenarbeit mit ihnen zu haben sein.

Ein bisschen Kreidefressen nach Jahrzehnten ultranationalistischer, autonomie- und minderheitenfeindlicher Hetze dürfte reichen — wenn nicht, wird eben schnell ein Wertekatalog unterschrieben.

Alle, die im Herbst die SVP ankreuzen, sollten sich also bewusst sein, dass sie damit FdI den Weg in die Landesregierung ebnen. Eine Abgrenzung gibt es nicht.

Siehe auch ‹1 ‹2 ‹3 ‹4 ‹5 | 1›

  • 1
    Übersetzung von mir. Original: Ma sareste pronti per un’alleanza Svp-Fratelli d’Italia? Non è il momento di parlarne. Prima delle elezioni i partiti devono pensare ai loro temi e a convincere i cittadini. Poi, con chi potremo parlare dipenderà anche dalle scelte degli elettori. Per quanto riguarda l’Svp, vogliamo rappresentare tutti gli interessi legittimi dei gruppi. Non prometteremo la luna: il populismo lo lasciamo alle opposizioni. Abbiamo la responsabilità di un partito di governo.
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Sonntagsfragen von Apollis und Demox.

Kürzlich wurden die Ergebnisse zweier Umfragen bekanntgegeben, in deren Rahmen — in Hinblick auf die diesjährigen Landtagswahlen — ermittelt wurde, was die Wahlberechtigten ankreuzen würden, wenn »am nächsten Sonntag« Wahlen stattfänden.

Eine Umfrage wurde im Auftrag der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) von Apollis (Bozen)1Durchführungszeitraum: 9. Februar bis 12. März 2023. durchgeführt, die zweite im Auftrag der SVP von Demox (Wien).2Durchführungszeitraum: 21. bis 29. März 2023.

Dabei ergaben sich teils erhebliche Unterschiede:

In beiden Fällen bliebe die SVP erwartungsgemäß stärkste Partei. Laut Apollis hätte sie im Vergleich zur letzten Landtagswahl (LTW18: 41,9%) mit einem Rückgang von knapp zwei Prozentpunkten (40%), laut Demox jedoch mit deutlich größeren Verlusten (36-37%) zu rechnen.

Während das derzeitige Potenzial des Team K (TK) von beiden Instituten ungefähr gleich hoch eingestuft wird3Apollis: 13%; Demox: 12-13%; LTW18: 15,2%, ist der Unterschied bei den Grünen erheblich.4Apollis: 14%; Demox: 10-11%; LTW18: 6,8% Sowohl Apollis als auch Demox sehen STF und F relativ stabil bei 6-7%5LTW18: STF 6% und F 6,2%, FdI im Aufschwung6Apollis: 6%; Demox: 7-8%; LTW18: 1,7% und die Lega im Sinkflug.7Apollis: 3%; Demox: 5-6%; LTW18: 11,1% Der PD bliebe unverändert bei rund 4%.8Apollis: 4%; Demox: 3-4%; LTW18: 3,8%

Die Umfragen sind selbstverständlich keine Wahlprognosen, sondern aktuelle Stimmungsbilder, die zum Beispiel durch politische Entwicklungen, Wahlkampf einschließlich Bündnisentscheidungen, Kandidierende, geänderte Prioritäten in der Bevölkerung oder Wahlbeteiligung entscheidend beeinflusst werden können.

Zusätzliche Daten, Erhebungsmethoden und -zeitraum sowie Größe des jeweiligen Stichprobenfehlers können in den Herkunftsmedien nachgelesen werden.

Siehe auch ‹1 ‹2 | 1› 2›

  • 1
    Durchführungszeitraum: 9. Februar bis 12. März 2023.
  • 2
    Durchführungszeitraum: 21. bis 29. März 2023.
  • 3
    Apollis: 13%; Demox: 12-13%; LTW18: 15,2%
  • 4
    Apollis: 14%; Demox: 10-11%; LTW18: 6,8%
  • 5
    LTW18: STF 6% und F 6,2%
  • 6
    Apollis: 6%; Demox: 7-8%; LTW18: 1,7%
  • 7
    Apollis: 3%; Demox: 5-6%; LTW18: 11,1%
  • 8
    Apollis: 4%; Demox: 3-4%; LTW18: 3,8%
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