Lissaboner Vertrag gleicht Demokratie-Defizit der EU nicht aus
Ein Schritt nach vorn, aber noch zu wenig Demokratie in der EU
Der am 1. Dezember in Kraft getretene Lissabon-Vertrag der EU enthält in Artikel 11, Absatz 4, die erste Regelung zur Direkten Demokratie, die es Bürgern unterschiedlicher Staaten erlaubt, gemeinsam ihre Stimme zu erheben: die Europäische Bürgerinitiative. Mindestens eine Million EU-Bürger können an die EU-Kommission eine Aufforderung richten, einen Rechtsakt zu erlassen. Diese Initiative ist jedoch nicht verbindlich: es genügt, dass die EU-Kommission sich damit befasst, gleich ob mit Annahme, Änderung oder Ablehnung. Somit kommt diese “Bürgerinitiative” nur einer Massenpetition gleich. Über diesen Artikel hinaus gibt es im Lissaboner Vertrag keine direktdemokratischen Beteiligungsformen, wie z.B. europaweite Volksentscheide oder obligatorische und fakultative Referenden. Das neue Instrument der EU-Bürgerinitiative muss auf jeden Fall mit einem Ausführungsgesetz bürgerfreundlich gestaltet werden, wozu EU-Parlamentarier Dorfmann einen Beitrag leisten kann.
Auf der Ebene der repräsentativen Demokratie hat der Lissaboner Vertrag die Mitwirkungsrechte des EU-Parlaments zwar gestärkt, insgesamt aber das gravierende Demokratiedefizit der EU nicht behoben. Ein Parlament, das wirklich entscheidend für die Legislative zuständig ist, also Gesetze einführt und abändert, gibt es auch mit diesem neuen Vertrag nicht. Die Gesetzgebung bleibt wesentlich in den Händen der Exekutive, nämlich der EU-Kommission und der Regierungschefs. Nach wie vor werden die EU-Gesetze von der EU-Kommission initiiert und vom Ministerrat beschlossen. Das EU-Parlament ist immer noch nicht berechtigt, die Kommission vorzuschlagen und zu wählen, wie dies in nationalen Parlamenten der Fall ist. Auch bei fundamentalen Personalentscheidungen – z.B. bei der eben erfolgten Wahl des Ratsvorsitzenden und der EU-Außenbeauftragten – blieb das EU-Parlament außen vor. Echte Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive ist in der EU noch lange nicht erreicht, weshalb jede Abtretung von Kompetenzen an die EU mit einem Verlust an demokratischer Mitbestimmung bezahlt wird.
Auch wenn der Lissabon-Vertrag in der Demokratisierung der EU einen Schritt nach vorne bedeutet, gibt es sowohl bei der direkten wie bei der repräsentativen Demokratie noch ganz erheblichen Nachbesserungsbedarf. Zum einen muss das EU-Parlament endlich das volle Haushalts- und Gesetzesinitiativrecht erhalten. Das von den BürgerInnen gewählte Parlament muss das Recht erhalten, bindende EU-Rechtsakte zu setzen. Zum andern müssen die BürgerInnen die Möglichkeit erhalten, direkt an den Entscheidungsprozessen der EU beteiligt zu werden. Ein transparentes, bürgernahes und gewaltenteiliges Europa braucht mehr direktdemokratische Instrumente als die jetzt geschaffene Petitionsmöglichkeit und eine weit stärkere Aufwertung des Parlaments.
Thomas Benedikter ist Wirtschafts- und Sozialforscher in Bozen. Er ist u. a. Autor von »Autonomien der Welt« (Athesia, Bozen 2007) und »The World’s Working Regional Autonomies« (Anthem, London/Neu-Delhi 2007).
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