2016 war für Italien ein Rekordjahr bei der Ankunft von Migranten und Flüchtlingen (über 181.000), wovon die meisten Asyl in Italien beantragt haben, weil die Weiterreise nach Norden versperrt ist. Die von der EU 2015 ausgehandelte Verteilung auf alle Mitgliedsländer funktioniert nicht, denn 2016 sind nicht mehr als 2.350 in Italien Gelandete weitergeleitet worden. Dabei wollte die EU eigentlich 2015 und 2016 40.000 in Italien gelandete Asylwerber aufnehmen. Doch Österreich hat eine Obergrenze eingeführt, die bisherigen Hauptaufnahmeländer Deutschland und Schweden sind überlastet und die Visegrad-Staaten weigern sich, überhaupt Asylwerber aufzunehmen. So wird Italien von der EU praktisch allein gelassen, doch ist es nicht in der Lage, so viele Migranten unter menschenwürdigen Bedingungen aufzunehmen und in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Warum kann sich die EU auf diese Weise aus der Affäre ziehen? Ist die EU nicht verpflichtet, im Rahmen einer Gemeinsamen Asylpolitik die Lasten solidarisch aufzuteilen, die Verfahren anzugleichen und die Grenzen zu sichern? In der Tat sieht das der AEUV-Vertrag (Art. 78 und 80) klar vor, dass die EU ein gemeinsames Asylrecht im Sinne der Genfer Konvention von 1951 festzulegen hat. Seit über 20 Jahren wird in Brüssel am Asylrecht gebastelt und reformiert, doch die große Reform steht noch aus. In ihrer “Agenda zur Migration” von 2015 definierte die EU-Kommission die vier Säulen einer besseren Steuerung der Migration:
- Den Anreiz für illegale Migration senken;
- Grenzen managen: Leben retten und Außengrenzen sichern
- Eine starke gemeinsame Asylpolitik
- Eine neue Politik für legale Migration.
Am 4. Mai 2016 legte die EU-Kommission ein Reformpaket für ein “Nachhaltiges und faires gemeinsames europäisches Asylsystem” vor, am 13. Juli 2016 eine Vorlage für eine EU-Verordnung für ein System zur Umsiedlung und Verteilung der Flüchtlinge in der EU. Bisher ohne Erfolg, denn Großbritannien, Dänemark und osteuropäische Staaten legten sich quer und auch vielfache Beschlüsse und Appelle des Europaparlaments zu diesem Thema fruchteten nichts. Dabei hätte dieser Vorschlag durchaus Sinn gemacht: alle in der EU ankommenden Asylwerber würden nach einem objektiven Schlüssel auf alle Mitgliedsländer aufgeteilt. Erst wenn ein Land 150% der ihm zugerechneten Aufnahmequote erreichte, tritt ein Mechanismus zur Aufteilung der Asylwerber in Kraft, um dieses Land unter 150% seiner Quote zu halten. Wenn ein anderes EU-Land nicht für die Übernahme gewillt wäre, könnte es sich mit 250.000 Euro pro Flüchtling “freikaufen”. Das EU-Parlament geht freilich weiter und fordert eine echte Zentralisierung des gesamten Asylverfahrens auf europäischer Ebene durch EU-Behörden.
Nun geht in Sachen Asyl auf EU-Ebene derzeit nichts weiter, obwohl allen klar ist, dass das Asylrecht und die Migrationspolitik nur auf EU-Ebene gelöst werden kann, wenn die EU ein einheitlicher Rechtsraum mit Reise- und Niederlassungsfreiheit bleiben soll. Dabei muss die EU den Spagat schaffen, das Grundrecht auf Asyl und den humanitären Schutz und Betreuung für Flüchtlinge zu gewährleisten, andererseits aber verhindern, dass Migranten Rechte in Anspruch nehmen, die ihnen nicht zustehen. Es geht im Kern darum, Flüchtlinge aus Krisengebieten, die des Schutzes bedürfen, aufzunehmen, nicht aber jene, die aus sicheren Herkunftsländern kommen. In einer neuen gemeinsamen Migrationspolitik sollen jene arbeitsuchenden Migranten aufgenommen werden, die die Arbeitsmärkte und Sozialsysteme der EU aufnehmen können. Man will auch keine weiteren Anreize schaffen, das Asylrecht für die Migration aus Arbeitsgründen zu missbrauchen. Dies geht freilich nur unter der Voraussetzung, dass man temporäre Flüchtlinge, “echte Asylanten” und Migranten aus Arbeitsgründen unterscheiden kann. Diese Unterscheidung, so die EU-Kommission, muss bei der Einreise bzw. an den Außengrenzen der EU getroffen werden. Ein effizienteres Asylverfahren schließt schließlich auch konsequentere Rückführung (Abschiebung) ein, um nicht das Grundrecht auf Asyl bei individueller Verfolgung zur Farce werden zu lassen. In Italien funktioniert die Rückführung bekanntlich fast überhaupt nicht, mit der Folge, dass sich unzählige abgelehnte Asylwerber illegal im Land aufhalten.
Das Asylrecht ist einer der Prüfsteine für die Fähigkeit der EU. dringende Fragen gemeinsam zu lösen. Gelingt dies nicht bald, ist dies Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Ein neues europäisches Asylrecht mit vereinfachten und effizienteren Verfahren, gemeinsame Grundrechtsgarantien für die Asylwerber in der gesamten EU, strengere Regeln zur Verhinderung von Missbrauch und die solidarische Verteilung der Asylwerber sind eines. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kooperation mit den Auswanderungsländern, der Grenzschutz und die gemeinsame Organisation der Flüchtlingsaufnahme. Schließlich die EU-weite Koordination der Migrationspolitik. Es gibt viel zu tun für die EU.
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