Unter dem Titel »Wer ist Südtiroler?« ist heute in den Dolomiten ein Leserbrief von Kurt Duschek aus Dorf Tirol erschienen:
Laut einer Meinungsumfrage wollen 56 Prozent der Südtiroler eine Abspaltung von Italien. Diese Aussage hat mich sehr erstaunt, aber auch verunsichert. Wie aus meinem Namen leicht ersichtlich, kommen meine Vorfahren aus der Tschechei, ich bin hier geboren, war bis zum 36. Lebensjahr Österreicher, anschließend italienischer Staatsbürger, wurde als Gemeinderat in Meran gewählt, bin ein “Grüner”, meine Kinder besuchen italienische Schulen, und ich möchte mich bei der nächsten Gelegenheit aus Proporzüberlegungen der ladinischen Volksgruppe zugehörig erklären. Sollte nun eine Abspaltung von Italien Wirklichkeit werden, muss ich dann auswandern, darf ich bleiben oder bin ich dann ein unechter Südtiroler in Österreich mit einem Doppelpass, zur ladinischen Sprachgruppe zählend und deutscher Muttersprache? Bei dieser Umfrage wurde ich nicht gefragt, vermutlich weil ich ein durch artfremde Gene und komische Gedanken verseuchter Südtiroler bin.
Das einzige wirkliche Problem, nämlich dass nicht 56%, sondern 41% der Südtirolerinnen für die Unabhängigkeit sind, hat Herr Duschek nicht erkannt. Alles andere ist wohl bewusste Täuschung.
Warum sollte man sich Sorgen machen, wenn die Bevölkerungsmehrheit etwas am Istzustand ändern möchte, sofern dies auf demokratischem Wege geschieht? Sicher nicht, weil man aus einem unabhängigen Südtirol auswandern muss: Die Heimat von Duscheks Vorfahren hat sich friedlich von der Slowakei getrennt, ohne die Bürgerinnen slowakischen Ursprungs auszuweisen.
Warum sollte sich jemand für Duscheks Gene interessieren? Das ist freilich nur Panikmache, ein billiger Versuch, die Unabhängigkeit mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Denn wenn man weiß, was eine Umfrage ist, dann weiß man auch, aus welchem Grund nicht jeder einzelne befragt wird — das hat weder mit den Genen, noch mit Sympathie oder »komischen Gedanken« irgendwas zu tun.
Freilich: Aus Proporzgründen Ladiner werden ist in einem unabhängigen Südtirol vielleicht nicht mehr möglich. Dann nämlich, wenn wir es schaffen, uns vom Proporz zu verabschieden.
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