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Teure Fehleinschätzungen.

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Nach dem Ausscheiden von Nordostitalien für die Schlussrunde als “Kulturhauptstadt 2019” sehen sich Kritiker bestätigt, Betreiber in der Defensive und Oppositionspolitiker drohen wegen der unglaublichen Verschwendung rechtliche Schritte an. Erst jetzt wird bekannt, dass der Kandidat “Venedig und Hinterland” (so die Perspektive der Venezianer) fast so viel Mittel in die Bewerbung gesteckt hat, wie manche frühere Kulturhauptstädte in die Abhaltung des Jahrs selbst. Der Widersinn der Kandidatur einer solchen Region kann nur mit groben Fehleinschätzungen seiner Betreiber erklärt werden. Dabei gehöre ich nicht zu jenen, die es hinterher wissen, sondern habe diesen Beschluss schon vor zwei Jahren auf Blogs kritisiert.

Fehleinschätzung 1: Fast die Hälfte von Norditalien ist geografisch einfach zu groß und nicht vermittelbar als “Kulturhauptstadt”. Zwar meinte Kainrath, dass es kein Vorab-Veto seitens der EU gegeben habe, aber die jetzige Entscheidung Italiens in der Vorauswahl bestätigt, dass die Wahl von Städten die Regel und jene von Regionen (z. B. das Ruhrgebiet) die Ausnahme ist. Jetzt hat Italien ausschließlich Städte und keine Regionen benannt und auch in anderen Ländern war es bisher meist so. Es liegt aber auch an der EU, künftig solche teuren Missverständnisse zu vermeiden und einen Wettbewerb eben für Städte, und einen zweiten für Regionen auszuschreiben. Dabei sollten auch grenzüberschreitende, sich einer gemeinsamen Geschichte verbunden fühlende Regionen zugelassen werden.

Fehleinschätzung 2: Abgesehen davon, dass das “Triveneto” in Südtirol geschichtlich nicht positiv besetzt ist, ist Nordostitalien kulturgeschichtlich zu inhomogen. Schon Trient und Bozen tun sich schwer, an einem Strang zu ziehen, Udine und Triest stehen ihrerseits in Konkurrenz, Venetien wäre für sich allein schon mehr als eine Kulturregion, und das “Freilichtmuseum” Venedig spielt in einer anderen Kategorie: diese Kombination war von vornherein nicht plausibel, eher ein artifizielles Werbe-Konsortium. Die neu gewählte Trentiner Landtagsabgeordnete Lucia Maestri hat ganz recht, wenn sie sagt: “In Trient hatte der gesamte Gemeinderat eine andere Achse bevorzugt, nämlich jene zwischen Rovereto, Trient, Bozen und Innsbruck. Dieser Raum hat mehr kulturelle Gemeinsamkeit und hat den grenzüberschreitenden Dialog schon weit entwickelt. Nordostitalien ist zu groß und von Venedig ‘erdrückt’. Die Städte Trient und Rovereto sind nie einbezogen worden…Die alternative Option (der EUREGIO), die auch durch den Dreier-Landtag repräsentiert wird, hätte mehr Chancen gehabt” (Corriere dell’Alto Adige, 18.11.2013).

Fehleinschätzung 3: Anscheinend haben die Organisatoren der Bewerbung Nordostitaliens (Cipolletta, Tommasini und ihre carrozzoni) geglaubt, durch einen gewaltigen Aufwand an Veranstaltungsideen und Werbung die Kommission so zu beeindrucken, dass die Wahl schon durch diese Mittelverfügbarkeit entschieden würde. Diese Einschätzung hatte offensichtlich den gegenteiligen Effekt. Die Kommission hat daraus eher geschlossen, dass einerseits 3-4 touristisch so stark entwickelte Regionen eine weitere Bewerbung nicht benötigen, und andererseits diese Regionen sich jede Menge Kulturinitiativen auch ganz ohne EU-Zuschüsse und Kulturhauptstadt-Etikett leisten können. Dass die SMG den größten Brocken bekommen hat, beweist auch, dass das Projekt “Kulturhauptstadt” vor allem als Tourismuswerbung begriffen worden ist.

Eine letzte Fehleinschätzung. Politiker und Kulturimpresarios weisen immer wieder darauf hin, dass diese Operation auch eine Öffnung zur Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen bietet. Braucht es wirklich ein Etikett der EU für ein knappes Jahr, um mit Städten und Provinzen südlich von Salurn gemeinsam nachhaltigere kulturelle Projekte zu starten?

Siehe auch: 01 02 03


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3 responses to “Teure Fehleinschätzungen.”

  1. pérvasion avatar

    Die neu gewählte Trentiner Landtagsabgeordnete Lucia Maestri hat ganz recht, wenn sie sagt: “In Trient hatte der gesamte Gemeinderat eine andere Achse bevorzugt, nämlich jene zwischen Rovereto, Trient, Bozen und Innsbruck. Dieser Raum hat mehr kulturelle Gemeinsamkeit und hat den grenzüberschreitenden Dialog schon weit entwickelt. Nordostitalien ist zu groß und von Venedig ‘erdrückt’. Die Städte Trient und Rovereto sind nie einbezogen worden…Die alternative Option (der EUREGIO), die auch durch den Dreier-Landtag repräsentiert wird, hätte mehr Chancen gehabt” (Corriere dell’Alto Adige, 18.11.2013).

    Auch Frau Maestri sagt dies übrigens nicht erst jetzt: Wie sie erwähnt, war der Trientner Gemeinderat schon lange für die Euregio, und sie selbst hatte sich als Gemeindereferentin immer schon für diese Variante stark gemacht. Das Bekenntnis zur Euregio ist inzwischen im Trentino deutlich ausgeprägter, als hierzulande… welcher Südtiroler Mehrheitspolitiker hat sich denn öffentlich gegen Venedig und für die Euregio ausgesprochen?

  2. succus avatar
    succus

    Vor lauter Blumendiskussion geht dieser Beitrag ein bisschen unter. Schade, ich finde Thomas hat das sehr gut analysiert. Was mich immer wieder befremdet, ist die Eigendynamik, die gefällte (Fehl) Entscheidungen entwickeln. Da wird auf Teufel komm raus gepusht und hinterher wundern sich alle, wie es dazu kommen konnte. Ich wünsche mir einfach mehr Hausverstand.

  3. m.gruber avatar
    m.gruber

    Erst jetzt wird bekannt, dass der Kandidat ”Venedig und Hinterland” (so die Perspektive der Venezianer) fast so viel Mittel in die Bewerbung gesteckt hat, wie manche frühere Kulturhauptstädte in die Abhaltung des Jahrs selbst.

    Hier ist die Rede von einer Million Euro: http://www.provinz.bz.it/lpa/service/285.asp?aktuelles_action=4&aktuelles_article_id=442563

    1 Mio. dürfte für derartige Vorhaben für Südtirol Standard sein.

    Ich hab mal einen Vortrag am Konservatorium Bozen besucht. Es ging um Kulturmanagement. Referent war Peter Paul Kainrath. Ist jetzt schon 5-6 Jahre her, aber dort wurde unter anderem über das Budget von Transart geredet. Dies bewegt sich in ähnlichen Sphären. Die Rede war von 800.000 Euro. Vielleicht kann das jemand hier bestätigen?

    Allein bei einem Wettbewerb im Rahmen von Transart 2012 gab’s 15.000€ Prämie für den Gewinner: http://www.gemeinde.bozen.it/news_detail.jsp?ID_NEWS=1114&areaNews=22&GTemplate=news_detail.jsp

    Bei sowas wird also generell geklotzt und nicht gekleckert.

    Wenn man die Veranstaltungen des Kultur-Zirkus-Monopolisten Kainrath mal über den Daumen rechnet, kann man vielleicht denken, dass derart viel Macht und Geld in einer Hand nicht gut ist:

    – Transart
    – Südtiroler Jazz Festival
    – Busoni
    – Meraner Musikwochen
    – Bolzano Festival Bozen

    Dass die SMG den größten Brocken bekommen hat, beweist auch, dass das Projekt ”Kulturhauptstadt” vor allem als Tourismuswerbung begriffen worden ist.

    Südtirol hat für derartige Vorhaben eigentlich ein zu kleines Einzugsgebiet. Um solche Summen dennoch zu rechtfertigen spielt man eben den Tourismus-Joker. Das schlimme dabei ist, dass für die Kultur-Basis, sprich für die einheimischen Kulturschaffenden im Verhältnis nur mehr die Brotkrumen übrigbleiben.

    Schöner formuliert, zum einrahmen:
    Wenn Kultur abhängig von Tourismus ist, wird der Speck eben mit holländischen Schweinen gemacht. ;)

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