Autorinnen und Gastbeiträge →

Spazieren auf dem Grat.
Meinungsfreiheit, Zensur und das Internet

Autor:a

ai

Wenn auf Social-Media-Plattformen oder in Online-Foren Kommentare gelöscht, Regeln (Netiquette) konsequent exekutiert oder Benutzer gesperrt werden, tauchen mit beinahe an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht schnell das Wort „Zensur“ sowie ein Verweis auf die „Meinungsfreiheit“ auf. Dass z. B. ein Blogbetreiber Zensur übe und Social-Media-Unternehmen eine Gefahr für die Meinungsfreiheit seien, wie dies auch Ulli Mair (F) nach Löschung einer ihrer Beiträge diagnostizierte, sind schwerwiegende Vorwürfe, die die so Adressierten in ein unvorteilhaftes Licht rücken. Dabei ist das Wort Zensur in diesen Zusammenhängen meist völlig fehl am Platz und auch von einer Einschränkung der Meinungsfreiheit kann in einem Großteil der Fälle nicht die Rede sein.

Zensur (Vor- und Nachzensur) bezeichnet staatliche Maßnahmen der Informationskontrolle und der Unterbindung bestimmter Meinungen und Formen des Ausdrucks. Wenn also ein privater Betreiber einer Plattform Regeln festlegt und diese exekutiert (ungeachtet dessen, wie sinnvoll oder absurd diese Regeln auch sind), dann hat das mit Zensur nichts zu tun. Es ist das gute Recht eines Blogbetreibers oder einer Firma wie Facebook innerhalb der geltenden Gesetze festzulegen, nach welchen Regeln auf deren Plattform – also in deren Haus – interagiert wird. Viele mögen beispielsweise Facebooks „Nippelregel“, der bereits Bilder stillender Mütter oder Kunstwerke mit barbusigen Frauen zum Opfer gefallen sind, für lächerlich halten. Dennoch ist es nicht Zensur, wenn Facebook diese Abbildungen nicht duldet. Diese Regeln sind vergleichbar mit einer Hausordnung. Als privater Hausbesitzer habe ich das Recht, eine Hausordnung zu erlassen (z.B. Haustiere zu verbieten, Nachtruhe festzulegen usw.) und Leute, die die Hausordnung nicht akzeptieren oder dagegen verstoßen, nicht ins Haus zu lassen. Demnach ist auch der scheinbar paradoxe Umstand zulässig, dass ein FKK-Club bekleideten und ein Restaurant unbekleideten Menschen den Zutritt verweigert.

Ähnlich verhält es sich mit der Meinungsfreiheit. Nur weil ich in meinem Haus (aka auf meiner Internetplattform) gewisse Ausdrucksformen nicht dulde, ist dadurch die Meinungsfreiheit noch lange nicht eingeschränkt. Meinungsfreiheit heißt, dass ich meine Meinung in Wort, Schrift und Bild verbreiten darf. Es bedeutet aber nicht, dass ich das überall uneingeschränkt tun kann – auf fremdem Grund zumal. Es bedeutet auch nicht, dass alle meine Meinung akzeptieren müssen, ich vor Kritik immun bin und nicht die Verantwortung für mein Tun übernehmen muss. Denn wir haben uns demokratisch geeinigt, dass die Meinungsfreiheit nicht absolut ist. Sie ist ein hohes Gut, aber man kann unter ihrem Deckmantel nicht alles sagen oder zeigen. Auf den gängigen Ausspruch “Das wird man doch wohl noch sagen dürfen”, kann die Antwort auch “Nein!” lauten. Wenn ich jemanden willkürlich als Kinderschänder bezeichne, ist das nicht Meinungsfreiheit, sondern erfüllt den Straftatbestand der Verleumdung. Wenn ich Kinder mit sexuell expliziten oder extrem gewalttätigen Inhalten konfrontiere, ist das nicht Meinungsfreiheit, sondern verstößt das gegen den Schutz Minderjähriger. Wenn ich fordere, jemand möge meinen Nachbarn erschießen oder wenn ich Menschengruppen pauschal verunglimpfe, dann ist das nicht Meinungsfreiheit, sondern Aufruf zum Mord bzw. Verhetzung.

Wie weit Meinungsfreiheit geht, ist in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt. Gemein ist aber allen, dass sie Grenzen hat. Die USA beispielsweise legen die „Freedom of Speech“ wesentlich weiter aus, als die meisten europäischen Demokratien. In den USA ist das Verbrennen der Flagge ein Ausdruck von Meinungsfreiheit, während es in vielen anderen Ländern einen Gesetzesverstoß darstellt (was ich persönlich absurd finde). In den USA können Mitglieder der Westboro Baptist Church auf Begräbnissen von an AIDS verstorbenen Homosexuellen ungestraft Schilder mit der Aufschrift „God hates Fags“ hochhalten, während dies in anderen Ländern wohl gegen Ehre und Sittlichkeit verstoßen und geahndet werden würde (was ich persönlich gut finde). Doch darf ich auch in den USA nicht in einem vollbesetzten Theater „Feuer“ oder „Bombe“ rufen, ohne dass es einen konkreten Anlass dafür gibt. Die öffentliche Sicherheit wiegt in diesem Falle für den Gesetzgeber schwerer als mein Recht auf „Freedom of Speech“.

Eine schwierige Frage in diesem Zusammenhang ist, wie wir mit offen antidemokratischen, die Grundrechte tangierenden Meinungen umgehen. Zugespitzt gesagt: Ist es von der Meinungsfreiheit gedeckt, wenn ich die Abschaffung derselben fordere? Oder weiter gedacht: Können wir es zulassen, dass die Demokratie auf demokratische Weise abgeschafft wird? Dies hätte nämlich zur Folge, dass wir kommenden Generationen Grundrechte verwehren sowie ihnen die Möglichkeit nehmen, auf demokratischem Wege über ihr Gemeinwesen zu befinden bzw. überhaupt zu einem demokratischen System zurückzukehren.

Einer der wenigen Umstände, wo ich im Moment sehr wohl den Ansatz von Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit sehe, ist das so genannte NetzDG (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) in Deutschland. Dieses schreibt nämlich vor, dass Betreiber von Social-Media-Plattformen, um sich nicht strafbar zu machen, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden löschen müssen. Es ist freilich keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn rechtswidrige Kommentare gelöscht und deren Verfasser zur Verantwortung gezogen werden, aber was ein „rechtswidriger Inhalt“ ist, hat in einer Demokratie die Justiz zu entscheiden und nicht eine Privatfirma wie Facebook oder Twitter. Diese Auslagerung der Verantwortung von Seiten des Staates, die in Richtung Beweislastumkehr geht und im Prinzip nur Symptombekämpfung ist, kann also sehr wohl zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen, da anzunehmen ist, dass die Betreiber – um einer empfindlichen Strafe zu entgehen – prophylaktisch eher löschen als stehen lassen. Dabei exekutieren sie nicht notwendigerweise ihre eigene Hausordnung (was legitim wäre), sondern müssen Vorgaben des Staates nach eigenem Gutdünken interpretieren.



Einen Fehler gefunden? Teilen Sie es uns mit. | Hai trovato un errore? Comunicacelo.

Comentârs

Scrì na resposta

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You are now leaving BBD

BBD provides links to web sites of other organizations in order to provide visitors with certain information. A link does not constitute an endorsement of content, viewpoint, policies, products or services of that web site. Once you link to another web site not maintained by BBD, you are subject to the terms and conditions of that web site, including but not limited to its privacy policy.

You will be redirected to

Click the link above to continue or CANCEL