Fast die Hälfte der Bevölkerung boykottierte die Parlamentswahlen. Zum Schaden der Demokratie.
»Ich weiß nicht, was ich wählen soll«, war eines der Argumente. Blühendes Desinteresse am demokratischen Gemeinweisen. »Ich wusste gar nicht, dass gewählt wird«, ein weiterer Einwurf. Dabei ständig am Handy hängen. »Sind alle gleich«, ein drittes Argument, nicht zu wählen. Das übliche Stammtisch-Gerotze. Es gibt eine lange Reihe von Motiven, das Nichtwählen zu begründen.
Nichtwählen ist aktives Ausklinken aus der Demokratie. Das war bei diesen Parlamentswahlen besonders ausgeprägt. Ein bisschen mehr als die Hälfte der WählerInnenschaft ging zur Wahl, 62 Prozent. Die restlichen 38 Prozent zogen es vor, die Wahlsektionen zu boykottieren. Ein doch triftiger Grund, sich damit ordentlich auseinanderzusetzen und nicht zur Tagesordnung überzugehen.
Dramatisch zeigten die VinschgerInnen der Demokratie ihre kalte Schulter. Das spürte besonders SVP-Senatskandidatin Julia Unterberger, die liberale »Frontfrau« der Volkspartei, ungeliebt bei den hausgemachten Rechten und beim Verlagshaus Athesia. Mehr als ein Drittel der Stimmen im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen gingen Unterberger »verloren« — an die Nichtwählenden. Unterberger erklärte sich diesen Boykott mit dem Fehlen eines eigenen Vinschgauer Kandidaten. Der langjährige Vinschger Parlamentarier Albrecht Plangger war bei den parteiinternen Vorwahlen gescheitert.
Es ist doch reichlich absurd — und wenig demokratiereif — das Wählen am Kandidaten vor der Nase festzumachen. Wollten die Vinschger ihren Plangger, der als seinen größten parlamentarischen Erfolg die »rechtliche Sanierung« von 800 Jägern bezeichnete? Die Verankerung vor Ort ist zweifelsohne eine der Stärken der SVP, eine Stärke, die den übrigen Parteien abgeht. Es ist aber Kirchturmlogik der reinsten Art, die Wahl zu boykottieren, nur weil der Talschaftskandidat von einem Gegenkandidaten in der SVP verdrängt wurde.
Der »Vinschgauer« Wahlkreis ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Aus welchen Gründen auch immer zogen es viele Südtirolerinnen und Südtiroler vor, ins Café statt ins Wahllokal zu gehen. Zu faul, lustlos, uninteressiert, unmündig? Diese eine Hälfte des Wahlvolkes delegitimiert die Demokratie, trägt zumindest zu deren Beschädigung bei.
Wahlschwänzerinnen und Wahlschwänzer: Anderswo kämpfen Menschen um das Recht auf freie Wahlen. Im Iran, in Weißrussland, in Russland, in der Türkei, einst in Hongkong, und werden dafür niedergeknüppelt, eingesperrt, auch erschossen. Ihr hingegen bleibt zuhause. Zum Schämen.
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