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Kein faires Angebot.
Der SVP-Gesetzentwurf zur direkten Demokratie

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Kann man von einer Partei, die ihren Mitgliedern nur sehr begrenzte Mitbestimmung erlaubt, einen brauchbaren Vorschlag zur Regelung der Mitbestimmungsrechte erwarten? Kann man von der SVP, deren Mitglieder laut ihrem Statut nie per Urabstimmung zu irgendeinem wichtigen Thema befragt werden können, eine bürgerfreundliche Regelung der Volksabstimmung erwarten? Heiner Geißler scheint bei der letzten SVP-Landesversammlung umsonst für echte Bürgerbeteiligung geworben zu haben. Der von Schuler, Pichler-Rolle und Kuenzer jetzt vorgelegte Entwurf bringt zwar einen neuen Ansatz mit einigen positiven Neuerungen, wie etwa die Einführung des Informationsheftes und die Möglichkeit der Abstimmung über Beschlüsse der Landesregierung. Auf der anderen Seite würde eine Regelung nach diesem Muster die Bürgerbeteiligung an der Landespolitik wieder erschweren. Fünf emblematische Beispiele:

  1. Die für eine Volksinitiative nötige Unterschriftenzahl wird als Gegenleistung zur Abschaffung des Beteiligungsquorums mehr als verdoppelt, nämlich auf 27.500. Nicht umsonst hat man sich die in Bayern bestehende Hürde zum Vorbild genommen, wo auf Landesebene bei 10% Unterschriften alle 10 Jahre ein Volksentscheid zustandekommt. 2007 hat die Plattform der Vereine für ein besseres Gesetz zur direkten Demokratie 26.000 Unterschriften gesammelt, eine Oppositionspartei 15.000. Südtirol ist ein Land der Vereine. Wenn direkte Beteiligung vor allem den einfachen Bürgern und Vereinen zugänglich sein soll, sind 27.500 Unterschriften eher abschreckend. In der Schweiz liegt die durchschnittliche Unterschriftenhürde in den Kantonen bei 2,3%, was für Südtirol 9.000 Unterschriften entspräche. Bürgerfreundlich bedeutet einen zumutbaren Aufwand für die Einleitung einer Volksabstimmung, nicht der offenkundige Versuch, den Bürgern die Schneid auszutreiben.
  2. Das zweistufige Verfahren bei einer Volksinitiative ist der zweite große Rückschritt. Wiederum ausgehend vom Modell Bayern will die SVP, dass die Bürger zunächst eine Art Volksbegehren an den Landtag richten. Damit sollen Bürgerinitiativen daran gehindert werden, ihre Lösungsvorschläge der Allgemeinheit zur Debatte und Entscheidung vorzulegen. Sie sollen sich zunächst mit der Landtagsmehrheit herumschlagen und vermutlich mit halben Zugeständnissen abgespeist werden, die in der politischen Praxis dann völlig verwässert werden: “Nimmt der Landtag oder die Landesregierung die Bürgerinitiative in veränderter Form an, die jedoch dem Grundanliegen der Bürgerinitiative entspricht, so stellt die Richterkommission fest, dass die Bürgerinitiative angenommen wurde. Es kann kein Volksentscheid herbeigeführt werden.” (Art. 13, p.3 der SVP-Vorlage). Mit diesem Gummiparagrafen könnte die Landtagsmehrheit die Sache immer in ihrem Sinne zurecht biegen: die Flughafen-Mediation lässt grüßen. Laut SVP-Vorlage ist die in der Schweiz bewährte Methode auch vorgesehen, nämlich die Möglichkeit des Landtags, einen Gegenvorschlag zur Volksabstimmung zu bringen. Aus Sicht der Bürger wäre damit ein zweistufiges Verfahren überflüssig, weil vor der aufwändigen Sammlung von Unterschriften Mediationsversuche mit der politischen Vertretung gemacht werden.
  3. Die SVP will Projekte der Landesregierung nur dann einem Volksentscheid zugänglich machen, wenn sie mehr als 1% des Landeshaushalts (also mindestens 50 Mio. Euro) kosten: eine Grenze, die jenseits der heutigen Realität bei Großprojekten liegt. Die allermeisten in jüngster Zeit kritisierten Vorhaben lagen unter diesem Ausgabenvolumen, denn auch wenn 5 oder 10 Millionen Euro für ein unsinniges Projekt eingespart werden, ist dies eingespartes Geld der Steuerzahler, das in sinnvollere Ausgaben fließen kann.
  4. Aufgrund von Ausschlussklauseln vor und nach Landtagswahlen verringert sich die für Volksentscheide nutzbare Zeit auf weniger als die Hälfte der Legislatur. So darf etwa ein Antrag auf Volksabstimmung nicht mehr 12 Monate vor Ablauf der Legislatur beim Landtag eingereicht werden, Wäre der neue SVP-Entwurf schon in Kraft, könnte z.B. in der laufenden Legislatur 2008-2013 kein Volksentscheid zu einem aktuellen Problem mehr abgehalten werden, sondern erst wieder ab 2014. Damit wird die Bürgerbeteiligung unvertretbar lang hinausgezögert. Man tut so, als könnten die Bürger ein Jahr vor den Landtagswahlen an nichts anderes vernünftig denken als ans Kreuzchen zu Partei und Kandidatennamen.
  5. Der SVP-Entwurf birgt auch hinsichtlich der Volksabstimmungen, die irgendwie mit Fragen des Verhältnisses der Sprachgruppen berühren, einen gravierenden Stolperstein. Art. 13, Punkt 9, des SVP-Gesetzentwurfs lautet: “Über eine Bürgerinitiative, über die im Landtag gemäß Art. 56 des Statuts nach Sprachgruppen getrennt abgestimmt wurde, kann kein Volksentscheid abgehalten werden.” Im Klartext: es genügt, dass über einen Bürgerantrag die Mehrheit der italienischen Rechtsopposition die getrennte Abstimmung verlangt, und die Volksabstimmung wäre vom Tisch. Schon klar, dass die SVP sich mit einem solchen Passus der italienischen Rechten anbiedern will, doch aus der Sicht der an Mitsprache interessierten Bürger aller Sprachgruppen wird damit Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Die Initiative für mehr Demokratie hat in ihrem mit Volksbegehren vorgelegten Entwurf für solche Fälle besondere Schutzklauseln bei der Volksabstimmung selbst eingebaut.

Ein weiterer Mangel macht die SVP-Vorlage vollends unakzeptabel: es fehlt das in der Schweiz am häufigsten genutzte Instrument der direkten Demokratie gänzlich: das bestätigende Referendum! Damit können die Bürger nach Verabschiedung eines Beschlusses durch Landtag oder Landesregierung vor dessen Inkrafttreten ein Veto einlegen und einen Volksentscheid verlangen. Diese “Notbremse” will die SVP den SüdtirolerWahlberechtigten gänzlich vorenthalten.

Zur Ausgangsfrage, ob man sich von der SVP eine gute Regelung der direkten Demokratie überhaupt erwarten kann. Natürlich ja: eine moderne Volkspartei muss eine halbwegs bürgerfreundliche Regelung des Volksentscheids zuwege bringen. Mit etwas Druck von unten hat auch die CSU die Bürgerbeteiligung in Bayern zumindest auf Gemeindeebene gut geregelt. Die SVP hat sich mit diesem Vorschlag zwar bewegt und einige Verbesserungen gegenüber dem Status quo aufgenommen. Doch wäre von Arnold Schuler, der sich mit Noggler für mehr Eigenständigkeit und Beteiligung von Bürgern und Gemeinden schlägt, mehr zu erwarten gewesen. Wenn dieser Entwurf nun etwa mit Hilfe der italienischen Rechtsopposition im Landtag durchgewunken wird, können die Bürger nur mit dem sog. “bestätigenden Referendum für die Satzungsgesetze” reagieren. Dies bedeutet, dass nach wahrscheinlicher Verabschiedung des SVP-Entwurfs im Landtag 1/50 der Wählerschaft darüber einen Volksentscheid ohne Quorum verlangen und auf einem faireren Angebot seitens der Gesetzgeber beharren kann.


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