Beim gestrigen Treffen des Netzwerks für Partizipation (NWP), das am Sitz des Raiffeisenverbandes in Bozen stattgefunden hat, haben Stephan Lausch, Erwin Demichiel und Martin Fischer (Initiative für mehr Demokratie und NWP) die sogenannte Landessatzungsinitiative vorgestellt.
Unter einer Landessatzung ist ein Gesellschaftsvertrag bzw. eine Verfassung zu verstehen, also eine Übereinkunft zwischen Menschen, die gemeinsam in einem bestimmten Territorium leben. Sie verständigen sich darüber, »wer, wann und wie, auf der Grundlage welcher Werte, welcher Ziele und in welchem Rahmen festlegt, nach welchen Regeln das Zusammenleben stattfinden soll« (Lausch).
Die derzeit in Südtirol geltende Rechtsordnung haben sich die Bürgerinnen nicht selbst gegeben: Unser Land war vom italienischen Referendum zur Staatsform (Monarchie oder Republik) ausgeschlossen, ebenso von der Wahl zum italienischen Verfassungskonvent von 1946. Über die Zugehörigkeit zu Italien durfte sich die Südtiroler Bevölkerung auch nie äußern. Das Südtirolpaket und das Autonomiestatut von 1972 wurden von Parteien aus Rom und Bozen ausgehandelt und umgesetzt, doch auch hierüber durften die Bürgerinnen niemals direktdemokratisch abstimmen — geschweige denn in einem partizipativen Prozess daran mitwirken. Sowohl die ‘dynamische’ Erweiterung der Autonomie, als auch deren geplante Reform spielen sich nach ebendiesem Muster ab. Es sind also bislang ausschließlich (Partei-)Eliten — und nicht die Bürger — die das Regelwerk ausarbeiten, gestalten und weiterentwickeln.
Das Entscheidende an dem Vorhaben zu einer Landessatzung ist die Auseinandersetzung der Menschen mit der Frage, welche Grundlagen, Werte, Absichten gelten sollen für die Regelung des Zusammenlebens. Sie sind der erarbeitete Wille der Bevölkerung zu einem gemeinsamen Fundament, von dem die Menschen meinen, dass sie darauf ihre gemeinschaftliche Ordnung zum Wohle aller aufbauen können. Das Entscheidende ist der kollektive Denkprozess, der stattfinden muss, um ein solches Fundament zu schaffen. Entscheidend deshalb, weil es in der Bevölkerung ein Bewusstsein schafft von diesem Fundament und entscheidend ist, dass die Menschen wissen, dass sie dieses Fundament selbst geschaffen haben. Deshalb ist es so wichtig, dass auch ständig an diesem Fundament weiter gearbeitet werden kann.
Die Idee eines geeinten Europa ist die Idee der Überwindung der Nationalstaaten. Ihre Verwirklichung wird verhindert von den Vertretern der einzelnen Nationalstaaten, die unter dem Deckmantel sogenannter nationaler Interessen, die Interessen von Wirtschaftsmächten betreiben. Europa muss also von unten nachgebaut werden von jenen, denen es nicht um die Nationalstaaten geht, sondern um jene Einheit, in der sie in Selbständigkeit und in ihrer Eigenart aufgehoben sind, von sich selbst konstituierenden, autonomen Regionen also – wenn es nicht selbst wieder ein Supernationalstaat werden oder wieder auseinanderbrechen soll.
– Stephan Lausch
Die Landessatzungsinitiative, zu der auch eingeladen wurde, wird sich im Rahmen des Netzwerks für Partizipation damit befassen:
- einen Weg zu finden, wie die Südtiroler Bürgerinnen auf partizipative und basisdemokratische Art zu Hauptakteurinnen in der Formulierung eines neuen Gesellschaftsvertrags gemacht werden können sowie
- dessen Umsetzung zu ermöglichen und ggf. zu begleiten.
Als vorbildlich und beispielhaft wurde etwa der Prozess genannt, mit dem sich der Kanton Zürich um die Jahrtausendwende eine neue Verfassung gab.
Das Projekt verspricht, sehr spannend und zukunftsweisend zu werden, sowohl für unser Land, als auch für die Idee von Europa, die wir ganz und gar unterstützen.
5 replies on “Landessatzungsinitiative.
Oder die Kunst, gemeinsam etwas bewusst zu wollen.”
Landessatzung??
Sind wir etwa ein Kaninchenzüchterverein?
So etwas heißt auf gut Deutsch “Landesverfassung”.
Das Updaten des 2. Autonomiestatutes soll angeblich in einer Art Südtiroler Verfassungskonvent passieren, doch da sich die SVP-Spitze grundsätzlich mit “Wichtigerem” (Posten, Tagespolitik) beschäftigt, wird es wohl nichts werden oder falls es etwas wird, liegt die Initiative nicht in der Hand eines Verfassungskonventes, sondern wieder einmal von ein paar römischen Ministerialbeamten.
Ich habe mit der »neutralen« Bezeichnung »Landessatzung« kein Problem — da dann offen bleibt, ob das Ergebnis ein neues Autonomiestatut oder die Verfassung für einen unabhängigen Staat sein wird. Nach meiner Vorstellung soll das auch weder BBD, noch die Initiative für mehr Demokratie oder sonst einer der beteiligten Akteure entscheiden. »Unsere« Aufgabe soll es sein, einen Weg anzudenken, wie die Bürger selbst in einem völlig ergebnisoffenen und partizipativen Prozess darüber befinden können.
(Ich möchte unterstreichen, dass dies mein persönlicher Standpunkt ist und ich noch nicht weiß, wie die Arbeit der LS-Initiative ablaufen wird. Sie hat noch nicht begonnen, soll aber nach meinem Dafürhalten keine wesentlichen inhaltlichen Vorgaben machen.)
Das hat nichts mit der Frage Autonomie oder Eigenstaatlichkeit zu tun. Nicht nur Staaten haben eine Verfassung. Siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung:
Das Autonomiestatut ist unsere Landesverfassung.
Eine Satzung ist hingegen Satzung das Organisationsstatut einer privatrechtlichen Körperschaft wie etwa eines Vereines.
Das ist schon klar, in Italien heißen Regionalverfassungen aber nicht »Verfassung«, sondern »Statut« (was nichts daran ändert, dass unser Statut de facto unsere Landesverfassung ist). Wenn man durch die Wahl des Begriffes »Landessatzung« nicht vorgreifen bzw. gewisse Assoziationen wecken wollte, geht das für mich in Ordnung. Wobei ich nicht so auf der Terminologie herumreiten würde, solange sie nicht falsch ist… mir persönlich wäre »Verfassung« ja sowieso lieber (am besten gleich »Staatsverfassung«, wobei ja auch Staaten nicht unbedingt souverän sind).
Übrigens hieß die Landesverfassung von Schleswig-Holstein bis
19902008 ebenfalls »Landessatzung«, so falsch (wenngleich ungewohnt) kann der Begriff nicht sein.Es sollte uns — obschon korrekte Terminologie wichtig ist — mehr um die Substanz, als um den Begriff gehen.
Ich bin nicht rechthaberisch, aber bei der von Dir zitierten Quelle zu Schleswig-Holstein heißt es am Ende:
Gerade weil es nicht nur um eine korrekte Terminologie, sondern um die Substanz geht, würde ich den Inititoren empfehlen, das befremdliche “Satzung”, das einen Verein erinnert, durch den seriösen Begriff “Landesverfassung” zu ersetzen.
Nomen est omen.
In der Sache selbst wäre ein Südtiroler Verfassungskonvent höchst an der Zeit.