Nur meine absolute politische und wirtschaftliche Ignoranz konnten mich bereits vor Jahren dazu führen, in einem Südtiroler Onlineforum einen utopischen Vorschlag zu unterbreiten, wie man meiner Einschätzung nach die Ausbeutung der sogenannten »dritten Welt« beenden und deren Entwicklung ernsthaft ankurbeln könnte — nämlich indem man endlich das Interesse der sogenannten »ersten Welt« an einer derartigen Dynamik weckt. Es geht mir also gar nicht darum, Entwicklungsmethoden aufzuzeigen, sondern einen Mechanismus ausfindig zu machen, wie man die Staaten zu mehr Fairness und echter Solidarität bewegen könnte.
Nicht der Tatsache, dass mein absolut blauäugiger Vorschlag so gut ist, verdanke ich es, dass ihn mir bis heute niemand widerlegt hat, sondern dem gar nicht so großen Zufall, dass man in einem kleinen Forum nicht wirklich auf Experten in internationaler Politik oder auf Leute stößt, die sich seriös mit einem derart abstrusen Vorschlag befassen möchten. Dies hat dazu geführt, dass er bis heute irgendwo in meinem Hinterkopf geblieben ist, und dass ich ihn heute auch hier erneut der Diskussion stellen möchte.
Mir scheint evident zu sein, dass sich die Solidarität zwischen armen und reichen Regionen dieser Erde wortwörtlich in Grenzen hält, und dass dieser Umstand der ordnenden Wirkung der räumlichen, sozialen und politischen Abschottung geschuldet ist, sodass wir zwar einerseits von der Armut anderer Länder profitieren, indem wir sie ausbeuten, ohne jedoch andererseits jemals verpflichtet zu sein, dafür in irgendeiner Weise konkret geradezustehen.
Die einzige Perspektive — außer, dass einzelne Länder aus eigener Kraft und gegen den Widerstand des sogenannten »Westens« den Aufstieg in eine höhere Liga schaffen — ist, dass sich Wut und Frust von Milliarden Menschen über die Ausweglosigkeit ihrer Situation anstauen und irgendwann gewaltsam zu explodieren drohen. Die heutige Gegenüberstellung zwischen okzidentaler und islamischer Welt ist meines Erachtens auch in diesem Lichte zu sehen.
Mein damaliger Vorschlag, um dieser Lage Herr zu werden und die untragbare Weltlage drastisch zu verbessern, ist zugleich bestechend einfach und vermutlich fast unmöglich umzusetzen: Und zwar sollte eine internationale Organisation (eine Ad-Hoc-Institution, idealerweise aber die UNO) darauf hinarbeiten, die gesamte Staatengemeinschaft zur Verabschiedung einer rechtlich bindenden Vereinbarung zu bewegen, dass ihre Grenzen in absehbarer Zeit (zum Beispiel in 40 oder 50 Jahren) grundsätzlich für den Personenverkehr durchlässig gemacht werden.
Diese unaufschiebbare Perspektive — einschließlich der Gefahr eines riesigen Wirtschaftsflüchtlingsstroms — vor Augen, wäre das ernsthafte Interesse der »ersten Welt« an einer echten, nachhaltigen Entwicklung unterentwickelter Länder sicher. Mit Fairness, Verhandlungen auf Augenhöhe und interessierter Zusammenarbeit ließe sich bis zum Zeitpunkt der Grenzöffnungen ein derart diffuser weltweiter Wohlstand herstellen, dass der Wille der heute Armen gebremst wird, Europa, Nordamerika oder Japan in riesigen Massen zu »überfluten«. Ich bin der Überzeugung, dass bereits faire Bedingungen genügen — und gar nicht exakt gleicher wirtschaftlicher Wohlstand vonnöten ist — um die ganz große Mehrheit der Weltbevölkerung von einer neuen Völkerwanderung abzuhalten.
Die einzige (fast) unüberwindbare Schwierigkeit, die ich an diesem Vorschlag erkenne, ist, die Staatengemeinschaft geschlossen zur Unterzeichnung eines derartigen Abkommens zu bewegen, welches das Schicksal des gesamten Planeten verändern würde. Allein die wesentlich bescheideneren Klimaschutzverhandlungen führen uns den Vorrang kleinkarierter nationaler Interessen vor jenen der gesamten Erdbevölkerung regelmäßig vor Augen. Und trotzdem: Warum sollte man nicht zumindest den Versuch starten? Könnte die Gefahr globaler Konflikte aufgrund von Ressourcenknappheit und Ressourcenverteilung nicht als Katalysator für eine solche Entwicklung wirken?
Vor 100 Jahren hätte vermutlich auch niemand geglaubt, dass eine »Europäische Union« realisierbar wäre. Eine Union übrigens, die sich heute zwar nach innen solidarisch, aber nach außen abgeschottet und unnahbar gibt.
Siehe auch: 01
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