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Die armen Traumatisierten.
Eine Beobachtung zur Einstufung psychischer Belastungen

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Es sei vorausgeschickt, dass es für Straftaten wie sexuelle Belästigung, Körperverletzung oder gar Mord keine Rechtfertigung, sondern maximal eine Erklärung geben kann. Jemand, der Straftaten begeht, muss – ohne Wenn und Aber – der Justiz zugeführt werden – völlig unabhängig von Rang, Herkunft, Geschlecht oder anderen Merkmalen.

Vielfach stellt sich bei Straftaten die Frage nach dem psychischen Zustand des Delinquenten; also ob eine psychische Erkrankung oder gar Unzurechnungsfähigkeit vorliegt. Wenn bei migrantischen Tatverdächtigen psychische Probleme vermutet werden, liest man in den Kommentarspalten und sozialen Medien nicht selten zynische Kommentare wie diese:

“Schon wieder einer dieser armen, traumatisierten Flüchtlinge!”

“Bei dem stellen sie sicher wieder psychische Probleme fest und er darf dann auf unsere Kosten in einer Klinik wohnen. Nur kein Gefängnis. Das wäre nicht gut für seine Psyche.”

Gleichzeitig liest man im Zusammenhang mit der Coronakrise auf den selben Plattformen wie sehr die getroffenen Maßnahmen die Psyche belasten. Maske tragen, Lockdowns, Social Distancing und “Eingesperrt sein”, Verwandte und Freunde nicht sehen dürfen, sporadischer Schulbesuch, eventuelle Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme usw. würden bei vielen Menschen massive und bleibende psychische Schäden verursachen (was bei manchen Menschen freilich durchaus der Fall sein kann und denen unbedingt geholfen werden muss) und das Problem häuslicher Gewalt enorm erhöhen (wogegen konsequent vorgegangen werden muss).

Bei Menschen, die Freunde und Verwandte – die eigenen Eltern zumal – oft seit Monaten, wenn nicht Jahren, nicht mehr gesehen haben und vielleicht nie mehr sehen werden; die bisweilen aus Kriegsgebieten stammen oder wegen Verfolgung um ihr Leben bangen mussten; die vielfach unter unmenschlichen Bedingungen über Wochen und Monate in libyschen Lagern eingesperrt waren, mitunter auch gefoltert wurden und anderen Menschen beim Sterben zugesehen haben; die in einer lebensgefährlichen Überfahrt Italien erreicht haben; die dort wiederum interniert und zum Nichtstun verurteilt waren; die weder Einkommen noch Zukunftsperspektive haben und dauerarbeitslos sind; die als Minderjährige schon seit langer Zeit keine Schule mehr gesehen haben – ja bei solchen Menschen hält man es dann plötzlich nicht für möglich, dass diese wesentlich drastischeren Erfahrungen traumatisierend sein könnten und dass deren psychischer Zustand eine Erklärung oder ein Auslöser – wohlgemerkt keine Rechtfertigung – für etwaiges Fehlverhalten sein könnte.



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