Gastbeitrag von Brigitte Foppa* (02.10.2010)
Ich bin in Montan, einem Dorf im Unterland, aufgewachsen. Mein Mann nicht. Er hat Montan vor fast 20 [Jahren] zu seinem Wohn- und Lebensort gemacht. Massimiliano, so heißt er, kommt aus Florenz. Seine Jugend hat er in der Nähe von Mailand, in Monza, verbracht.
Nach all diesen Jahren hier ist er zu einem echten Montaner geworden, mehr als ich es je sein werde. Er trainierte die Kinder beim Fußball, hat zusammen mit anderen eine Volleyballmannschaft gegründet, er spielt in einer Band des Dorfes, versumpft regelmäßig in der Sportbar oder auf den Wiesenfesten und im Mai ist er sogar in den Gemeinderat gewählt worden. Eigentlich ist er ein perfekter oder zumindest ganz gewöhnlicher Montaner.
Er hat nur einen Defekt. Er ist Italiener.
In den Jahren hier hat er viele Deutschkurse gemacht. Er war sogar in Berlin, um noch besser Deutsch zu lernen. Aber irgendwie gelingt es doch nicht so wirklich. Er ist vielleicht nicht sprachbegabt; oder aber es ist wegen jener Hürden, die schon vielfach analysiert worden sind: der Dialekt, die seltenen Gelegenheiten, deutsch zu reden (weil alle sofort mit ihm italienisch reden) – vielleicht auch ein wenig Resignation und Frust, dass man diese schwierige Sprache nie richtig erlernen wird.
Trotz allem ist Massimiliano ein Verfechter der “Südtiroler Welt”: des Zusammenlebens, der Ordnung, der Bewahrung der Natur, des Sinnes für Gemeinschaft und Verantwortung… Das alles liebt und schätzt er.
Dennoch ist er auch ein richtiger Italiener. Er hält zu seiner Fiorentina und wenn Italien im Länderspiel spielt, nimmt er aus ganzem Herzen und voller Kehle Anteil an diesem Event.
Vom Staat Italien hält er wahrscheinlich gleich viel oder gleichwenig wie wir alle. Er schämt sich für Berlusconi und hasst das parlamentarische Chaos, er verabscheut die Korruption und verachtet den Schlendrian in den Staatsbetrieben. Trotzdem ist er auch stolz auf die italienische Kultur. Massimiliano zitiert lange Passagen der “Divina Commedia”, er kennt die Promessi Sposi halb auswendig, ebenso die Filme des Neorealismus und jene von Totò und Benigni.
Massimiliano ist ein natürlicher Faschismusgegner. Was Mussolini und Hitler, Stalin und Pol Pot an der Menschheit verbrochen haben, löst seine innerste “indignazione” aus und so waren wir gemeinsam wohl auf sämtlichen Friedenskundgebungen der letzten Jahre zugegen.
Trotzdem sagt Massimiliano manchmal das Wort “Alto Adige”. Er sagt auch meistens “Montagna” statt “Montan”, “Ora” statt “Auer” und “Bolzano” statt “Bozen”.
Darin liegt nicht Nationalismus oder gar Faschismus, sondern einfach nur “Normalität”. So wie die Deutschen Mailand zu Milano sagen oder Florenz zu Firenze, so sagt er eben Montagna. Meistens sagt er auch Sudtirolo, weils sympathischer ist. Er weiß um den geschichtlichen Hintergrund, er weiß von Tolomei – und doch, manchmal sagt er Alto Adige. Und ich gestehe – ich auch. Ohne jemanden beleidigen zu wollen, sondern oft ganz bewusst um zu zeigen, dass neue Zeiten angebrochen sind. Dass wir Ortsnamen nicht verwenden müssen, um uns gegenseitig eins auszuwischen, sondern um uns zu zeigen, dass uns das Zusammenleben wichtiger ist als historische Machtkämpfe. Dass wir den jeweils anderen zugestehen wollen, die Namen zu benutzen, die sie für “normal” halten.
In Montan hat man voriges Jahr, noch vor der letzten Schildbürgerdebatte, per Gemeinderatsbeschluss das Wort “Alto Adige” aus den offiziellen Gemeindedokumenten gestrichen.
Damit wollte man vermutlich geschichtliche Gerechtigkeit walten lassen. Unsere italienischen MitbürgerInnen haben das anders aufgenommen: Für sie war es viel eher ein klares Signal, dass sie sich (auch sprachlich – und symbolisch!) unterzuordnen haben. Dass sie die “Normalität” der anderen als die ihre anzuerkennen haben. Dass SIE an der Geschichtsbewältigung zu arbeiten haben, während die deutschsprachigen SüdtirolerInnen selbstzufrieden davon ausgehen, dass sie selbst das schon erledigt haben.
Der heurige Schilderstreit ist die Fortführung und Ausweitung dieser ersten, lokalen Ansätze und mein “walscher” Mann hat immer noch die gleichen Gefühle. Er findet, dass er (und all jene, die heute die Sprache sprechen, die Tolomei gerne allen aufgezwungen hätte) seinen deutschsprachigen Landsleuten wichtiger sein müsste als Tolomei und seine imperialistische Aktion vor 80 Jahren.
Mein Mann weiß, welches Unrecht von den Faschisten ausgegangen ist, er hat von Gatterer bis zum soeben erschienenen und sehr lesenswerten Buch von Francesca Melandri so ziemlich alles gelesen, was mit der Geschichte Südtirols zu tun hat – vermutlich sogar mehr als mancher deutsche Südtiroler.
In unserem Land aber ist eine ebenso verbreitete wie falsche Gleichung üblich: Wer für die Beibehaltung der von Tolomei übersetzten Namen ist = faschistisch oder zumindest unzugänglich für die Südtiroler Geschichte. Mit diesem kleinen Porträt eines mittleren aufgeschlossenen Italieners möchte ich eben dieses oft so bequeme Missverständnis ausräumen und behaupten, dass das Wissen um die faschistische Ungerechtigkeit nicht automatisch einher geht mit der Bereitschaft zur Aufgabe der Ortsnamen, die längst in den Alltagswortschatz eingegangen sind. Diese Namen sind Teil einer italienischen “Normalität” in Südtirol und Teil jener (leider, darin liegt der Kern des Problems) so zerbrechlichen italienischen Identität in Südtirol.
Diese prekäre und flüchtige Identität wird immer dann in Gefahr gewähnt, wenn es um neue Streichungen geht und so schlage ich eine Art Abkommen vor, um aus der vertrackten Situation heraus zu kommen: Die deutschen SüdtirolerInnen akzeptieren diese Ängste ihrer italienischen Landsleute ebenso wie deren Unbehagen als ewige “Zweite” in unserer Gesellschaft. Die italienischen SüdtirolerInnen ihrerseits setzen sich mit der Geschichte dieses Landes auseinander und finden Verständnis für das historische Unbehagen der deutschen Landsleute. Gemeinsam entscheidet man sich für die Beibehaltung der italienischen und Veramtlichung der deutschen Ortsnamen in der Toponomastikfrage – im aktiven Bewusstsein des ganzen geschichtlichen Gewichtes unserer Ortsnamen.
Es wird nur mit Aktionen dieser Art gehen, wenn sich hier irgendwann alle daheim fühlen sollen und nicht als Gäste im eigenen Land. Ob das allen Recht ist, daran habe ich meine Zweifel, denn gar manche ziehen es vor, dass die Walschen Walsche bleiben und Südtiroler-Sein Vorrecht der Deutschen und LadinerInnen bleibt. Bei dieser Frage müssten wir deshalb zu allererst ansetzen.
* Brigitte Foppa ist (zusammen mit Sepp Kusstatscher) Landesvorsitzende der Südtiroler Grünen.
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