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Friendly fire in der Pandemie.

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von Felix von Wohlgemuth (Grüne)

Pandemien scheinen über die Jahrhunderte hinweg etwas gemeinsam zu haben: zu den gesundheitlichen Herausforderungen gesellt sich eine gefährliche gesellschaftliche Polarisierung. Im Mittelalter wurden wahlweise Minderheiten, Frauen oder Ausgegrenzte für Pest und Cholera verantwortlich gemacht und Pogrome durchzogen, der Pandemie folgend, Europa.

Der oder die Schuldige musste gefunden und bestraft werden; es wurde erschlagen, ertränkt oder verbrannt. Die Angst schürte den Hass und versperrte zu oft den Blick auf das Wesentliche — damals der kleine Floh und die Ratten, und heute?

Heute, hunderte Jahre später, verfallen wir wieder zusehends in mittelalterliche Denkmuster und unsere demokratische Gesellschaft scheint vor Telegram, Facebook und Youtube zu kapitulieren. Nicht die Falschinformation, nicht Quacksalber, Scharlatane oder Extremisten werden bekämpft, sondern Menschen, welche diesen glauben.

Die Versuche, durch Druck und Zwang zu erreichen, wo das Argument scheitert, führen zu einer unausweichlichen Stärkung extremer Positionen, gelten den Agitator*innen als vermeintlicher und auch willkommener Beleg ihrer verschwörungstheoretischen Ansätze.

Die Folgen sind verheerend, für die Gesellschaft, aber auch die Pandemiebekämpfung selbst.

Extreme Positionen und persönliche Anfeindungen durchseuchen den politischen und zwischenmenschlichen Diskurs und werden — leider früher als später — auch in konkrete Gewaltakte einiger Verblendeter umschlagen.

Forderungen, wie ungeimpfte Personen zur Zahlung der Krankenhauskosten zu verdonnern, ihnen gar die Behandlung zu verwehren, aber auch Pflichtimpfungen im Bereich des Sanitätspersonals, schaden bei weitem mehr, als sie nutzen.

Wenn man diese Pandemie weiterhin rational und wissenschaftlich betrachtet, ist die Impfung der beste Weg aus diesem Chaos. Aber eben diese rationale und nicht emotionale Betrachtung zwingt zur Feststellung, dass sich nicht alle impfen lassen wollen und wir daher dieser Entwicklung Rechnung tragen müssen.

Diesen Fakt, also die Weigerung zu einer Impfung zu ignorieren (und möge er für mich und viele andere auch noch so wenig nachvollziehbar sein), führt uns zwangsläufig in den nächsten problematischen Winter.

Wir hätten mit dem Grünen Pass ein gutes Instrument, um die Situation unter Kontrolle zu halten, auch und gerade bei einer niederen Durchimpfungsrate. Er muss dafür aber für alle einfach zugänglich bleiben, egal ob geimpft, getestet oder genesen.
Darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren, bevor es wieder zu spät ist.

Wir müssen den gegenseitigen »Beschuss«, dieses friendly fire, einstellen, denn unser gemeinsamer Gegner ist und bleibt das Virus, nicht der Mensch.


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Comentârs

7 responses to “Friendly fire in der Pandemie.”

  1. Simon avatar

    Es ist paradox, aber besonders rationale Menschen scheinen in dieser Krise zu vergessen, dass der Mensch nicht nur ein rationales, sondern auch ein emotionales Wesen ist — und das wiederum ist irrational.

  2. Almenwanderer avatar
    Almenwanderer

    Ich danke dem Autor für die ent-emotionalisierte Stellungnahme mit wichtiger Zurechtrückung von extrem verschobenen und gesellschaftlich äußerst bedenklichen Entwicklungen. Schade dass in den meistgelesenen Medien beider Landessprachen bisher solche Aussagen mit der Lupe gesucht werden müssen, insbesondere von den “Volksvertretern” wie in unserem Fall bei Landeshauptmann und Ministerpräsident. Rational möchte ich aber ebenso das bedenkliche extreme Setzen auf eine “einfache” Lösung in Frage stellen, so sehr auch dies psychologisch nachvollzogen werden kann. Wie sich immer mehr herausstellt, sind Impf-Methoden (konzeptionell von der Wirkungsweise her) ohne bisherige breite Erfahrung, eben nicht zwingend der einzige und beste Weg aus allen unseren Virus-generierten Problemen. Wenn es gut geht bleibt eine “Abfederung” für die Risikogruppe, aber bei weitem nicht die gewünschten und versprochenen und immer noch “geglaubten” absoluten und verlässlichen Wirkungen. Zumindest im Verhältnis zur natürlichen Immunität wird es immer enttäuschender und es braucht dringend zusätzliche neue Reaktionen und Planungen für den Winter, besonders für die Risikogruppen. Ich hoffe Israel bleibt ein Einzelfall aber ohne nüchterne Analyse und Konsequenzen wird es leider schwierig und der Greenpass ist eine falsche Sicherheit: bei mRNA-Impfung nach 3-5 Monaten kaum mehr feststellbare Wirkung bei Delta, Antigentests eher schlechte Aussagekraft bei in den letzten 60 Stunden neu Infizierten (Geimpfte wären zu inkludieren), Schutz am Ehesten bei Genesen lange anhaltend aber ohne entsprechende Immunitätstests für alle auch schwer zu individuell zu quantifizieren.

    1. Simon avatar

      bei mRNA-Impfung nach 3-5 Monaten kaum mehr feststellbare Wirkung bei Delta

      Gibt es dafür eine Quelle? Danke…

  3. Hartmuth+Staffler avatar
    Hartmuth+Staffler

    Herr von Wohlgemuth hat den wohl eher missglückten Versuch unternommen, es allen Recht zu machen.So geht das aber nicht.

  4. Knecht Rootrecht avatar
    Knecht Rootrecht

    Lieber Felix,

    ich finde den Bogen im Anfang deutlich überspannt. Willst du wirklich die im Mittelalter verfolgten Minderheiten, Frauen und Ausgegrenzten auf eine selbe Stufe stellen, wie die, die letztens auf der Talferpromenade demonstriert haben?

    Ausserdem sind die Absätze

    Die Versuche, durch Druck und Zwang zu erreichen, wo das Argument scheitert, führen zu einer unausweichlichen Stärkung extremer Positionen

    Extreme Positionen und persönliche Anfeindungen durchseuchen den politischen und zwischenmenschlichen Diskurs und werden — leider früher als später — auch in konkrete Gewaltakte einiger Verblendeter umschlagen.

    einfach nur politisch inhaltsleere Totschlagargumente. Hätte ein Salvini zur Gender-Diskussion, ein Kickl zur Akademikerball-Diskussion oder ein Laschet zur Klima-Diskussion genau in diesem Wortlaut posten können, um es zu vermeiden, klar Stellung zu beziehen. Eine differenzierte Argumentation –gerade wir als Grüne nehmen gerne zu Recht als extrem gebrandmarkte Positionen z.B. bei den oben genannten Themen ein– wäre wünschenswert gewesen.

    Ansonsten stimme ich dir natürlich zu, dass Forderungen, wie Ungeimpfte Personen zur Zahlung der Krankenhauskosten zu verdonnern, nicht im Ansatz gerechtfertigt sind. Auch einer allgemeinen Impflicht stehe ich skeptisch gegenüber. Trotzdem bezweifle ich stark, dass wir mit dem Grünen Pass ein “gutes Instrument haben, um die Situation unter Kontrolle zu halten, auch und gerade bei einer niederen Durchimpfungsrate”. Ich vermisse konkrete Vorschläge. Für mich klingt das stark nach einem “weiter wie bisher”. Wie der letzte Winter trotz Testen verlaufen ist, wissen wir alle. Dann wird es eben –trotz Impfungen und dank der Delta-Variante– diesen Winter vermutlich genauso laufen. Und es werden die selben Bevölkerungsgruppen, die schon die letzten zwei Jahre darunter gelitten haben, es austragen müssen. Da hätte ich mir von dir deutlich konstruktivere Vorschläge erwünscht, wie das jetzt besser laufen sollte.

    1. Waltraud+Astner avatar
      Waltraud+Astner

      Konkrete Vorschläge wären einmal die in den letzten Jahren eingesparten Kapazitäten im Gesundheitssystem wieder hochzufahren, da dies sicherlich nicht die letzte Krise gewesen sein wird. Mit Suspendierungen des Personals wird das natürlich nicht zu machen sein. Zudem stellt sich die Frage wieso überhaupt eine neue Überlastung befürchtet wird, wenn ein Großteil der für eine Spitalsbehandlung relevanten Bevölkerungsgruppe geimpft ist, immer vorausgesetzt dass die Impfung auch über einen längeren Zeitraum hinaus wirkt. Wobei das wahrscheinlich von den Verantwortlichen in Medizin und Politik selbst bezweifelt wird, da eine Massenimpfung gegen Grippeviren die auch Zoonosen sind, noch nie etwas gebracht hat, zumal keine sterile Immunität erreicht wird.
      Aus gesellschaftspolitischer Sicht ist zu sagen dass es ein Menschenrecht darstellt medizinische Eingriffe von denen man nicht überzeugt ist, abzulehnen. Deshalb sind aufgrund der jetzt für alle zugänglichen Impfmöglichkeiten alle „Maßnahmen“ sofort aufzuheben. Geimpfte konnten sich schützen, ein bestimmter Impfungsgrad um Überlastungen des Gesundheitssystems zu verhindern ist erreicht (vorausgesetzt die Impfung wirkt) und die Ungeimpften gehen halt das Risiko ein sich ggf. anzustecken, was in einer freien Gesellschaft auch in anderen Bereichen üblich ist. Dass das nicht mehr toleriert wird zeigt den Zustand unserer Gesellschaft auf. Der freie selbstbestimmte Mensch der durch sein Handeln Eigenverantwortung übernimmt was auch Risiken miteinschließt, wird nicht mehr geduldet. Das zeigen die Wortmeldungen in den sozialen Netzwerken und auch von politischer Seite. Gewünscht wird der Mensch der konform mit allen Vorgaben geht und ohne Widerspruch Vorgegebenes umsetzt. Wenn nicht drohen Sanktionen die auch Bereiche von Grund- und Menschenrechten betreffen. Eine Schande für den Rechtsstaat. So gesehen sind die von Herrn von Wohlgemut angestellten Vergleiche mit dem Mittelalter zwar nicht was die Art der Sanktionen betrifft, aber grundsätzlich sehr gerechtfertigt . Wer hätte gedacht dass wir dahin noch mal zurückkommen.

  5. Simon avatar

    Über das Fehlerformular sind zu diesem Beitrag anonym zwei inhaltliche Hinweise eingegangen. Ich gebe sie hier wieder, da es sich um einen Gastbeitrag handelt, den ich nicht bearbeiten will und kann:

    Cholera ist in Europa erst seit der frühen Neuzeit bekannt

    und

    mit friendly fire ist irrtümlicher Beschuß durch die eigene Seite gemeint und darum geht es hier eindeutig nicht

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