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Unabhängigkeit, EU und Euro.

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Fünfzehn katalanische Wirtschaftswissenschaftler, darunter mehrere, die sich klar gegen die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien aussprechen, haben einen gemeinsamen Artikel für die Tageszeitung La Vanguardia verfasst, mit dem sie einige Mythen über die Unabhängigkeit ausräumen. Ihnen gehe es nicht um bessere Argumente für die Unabhängigkeit, sondern um eine möglichst objektive und demokratische Debatte.

Im Laufe der vergangenen Wochen wurde eine Debatte über die wirtschaftlichen Konsequenzen einer hypothetischen Unabhängigkeit Kataloniens eröffnet. Einer der Aspekte, die die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist die Frage, ob Katalonien »aus dem Euro und aus der Europäischen Union ausgeschlossen würde« (um es so zu formulieren, wie es üblicherweise gemacht wird) und was dies für die katalanische Wirtschaft bedeuten würde. In dieser Hinsicht wurde argumentiert, dass diese Ausschlüsse eine Wiedereinführung der Zölle und anderer Restriktionen im Handel zwischen Katalonien und der EU bedingen und deshalb der katalanischen Wirtschaft großen Schaden zufügen würden [ein Argument, das in Südtirol auch Kammerabgeordneter Karl Zeller (SVP) vorgebracht hat, Anm.].

Einige der Urheber dieses Artikels haben sich öffentlich für die Unabhängigkeit ausgesprochen, andere dagegen und wieder andere haben sich nicht positioniert. Dennoch halten wir es alle gemeinsam für unabdingbar, dass die Bevölkerung Zugang zu klaren Erklärungen über diese Angelegenheit hat, und sind überzeugt, dazu beitragen zu können.

Als Wirtschaftswissenschaftler halten wir es nicht für angemessen, uns darüber auszusprechen, ob die Unabhängigkeit den Ausschluss Kataloniens aus der EU mit sich bringen würde, da dies die Fachbereiche des Rechts und der Politik betrifft. Wir können hingegen das analysieren, was als das schlimmste Szenario betrachtet wird: dass das unabhängige Katalonien außerhalb der Europäischen Union geboren würde und dass es, um erneut beizutreten, einen kurzen, langen oder sehr langen Zeitraum warten müsste. Wenn wir diese hypothetische Situation annehmen, sind wir der Ansicht, dass man aus Sicht der wirtschaftlichen Analyse eine rationelle und klare Antwort auf die restlichen Zweifel geben kann, die wir in zwei Fragen zusammenfassen:

Falls die Unabhängigkeit Kataloniens den Austritt aus der EU bedingen würde, müsste dann Katalonien auch den Euro verlassen?

Die Antwort ist unzweifelhaft negativ: ein unabhängiges und außerhalb der EU befindliches Katalonien müsste den Euro nicht verlassen.

Unabhängige Länder können entscheiden, eine eigene Währung auszugeben, und das tun denn auch fast alle. Es handelt sich aber um eine Möglichkeit, nicht um einen Zwang: unabhängige Länder können auch auf strikt einseitige Weise beschließen, dass ihre offizielle Währung diejenige ist, die von einem anderen Land ausgegeben wird, was vor allem von sehr kleinen Ländern und in Sonderfällen auch von größeren Ländern gemacht wird.

Katalonien hat eine ökonomische Größe, die diejenige vieler europäischer Länder übertrifft (Dänemark zum Beispiel): trotzdem scheint es sinnvoll, dass Katalonien, wo der Euro bereits in Umlauf ist, diesen auch beibehält, wenn das Land ohnehin im Sinn hat, wieder der EU beizutreten.

Nun gut, was hingegen zutrifft, ist, dass Katalonien, selbst wenn es den Euro beibehält, keine eigene Kandidaten in die Entscheidungsgremien der EZB entsenden könnte, solange das Land nicht der EU beitritt.

Dies hätte aber keine Auswirkungen auf die katalanische Wirtschaft, wofür es drei Gründe gibt: Weil die Aktion der EZB aufgrund ihres Statuts unabhängig von den Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten ist, weil Katalonien auch heute nicht in der EZB vertreten ist und weil die Mitsprache eines einzelnen Landes wie Spanien in den entsprechenden Entscheidungsgremien nicht relevant ist, genausowenig, wie es jene Kataloniens wäre, sobald das Land der EU beiträte.

Wenn Katalonien nicht Teil der EU wäre, wären dann seine Exporte durch Wirtschaftsbarrieren eingeschränkt?

Auch in diesem Fall ist die Antwort unzweifelhaft negativ.

Es ist klar, dass Katalonien, wenn es nicht Teil der EU wäre, Zölle und andere Restriktionen auf den Import von EU-Produkten einführen könnte, so wie die EU Zölle und andere Restriktionen auf die katalanischen Exporte einführen könnte. Nun gut, so wie im Falle der Währung handelt es sich dabei um eine Möglichkeit, nicht um eine Pflicht und, genauso wie im Fall der Währung handelt es sich um ein irreales Szenario. Gehen wir davon aus, dass der katalanische Staat mit dem Wunsch geboren würde, in die EU einzutreten; es hätte also keinen Sinn, dass Katalonien Restriktionen auf die Einfuhr von EU-Produkten einführt.

Was die EU anlangt, so wäre die Einführung von Zöllen im Widerspruch zu den Interessen internationaler Konzerne, die in Katalonien tätig sein möchten. […] Die Behinderung der katalanischen Exporte in die EU würde sie auf’s Schwerste schädigen, ohne irgendeinen konkreten Vorteil für irgendjemanden zu bedeuten, sowie es auch nicht im Interesse der in Katalonien tätigen Banken wäre, Beschränkungen im freien Geldverkehr einzuführen. Deshalb ist das einzige sinnvolle Szenario im Falle, dass Katalonien nicht von vornherein Teil der EU wäre, die Beibehaltung des freien Waren-, Personen- und Kapitalverkehrs zwischen beiden Wirtschaftsräumen. Das eine wäre mit dem anderen nicht kompatibel, und es gibt genügend Präzedenzfälle, die das beweisen.

Fazit: Wir sind der Meinung, dass die Vorhersagen, die manchmal gemacht wurden, und die besagen, dass der EU-Austritt aufgrund von Restriktionen negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte, unbegründet sind. Wir halten die Aussagen, die zu diesem Thema die Vertreter von BASF und Dow Chemical gemacht haben, als sie ihre neuen Investitionen in unserem Land präsentierten, gemacht haben, für signifikant: Sie sagten, dass eine etwaige Unabhängigkeit ihre Absichten in keinster Weise beeinflussen würde.

Nun gut, was die Vertreter dieser Firmen sehr wohl gesagt haben, ist, dass vor allem die politische Ungewissheit die Investitionen behindere. Welchen Ausgang der demokratische Prozess auch nimmt, wird es erforderlich sein, die Aufteilung der Staatsschulden und die Beziehungen zwischen Katalonien und dem restlichen Spanien zu klären, die ja zweifelsohne durch den Prozess und die gewählte Lösung beeinflusst werden — und zwar in einem Maße, das davon abhängt, wie man mit Prozess und Lösung umgeht.

In diesem Sinne befürworten wir einen unaufgeregten Dialog, der auf Improvisationen und Katastrophismen verzichte und baldestmöglich zu einer Einigung führt.

Alà­cia Adserà , Oriol Amat, Enriqueta Aragonés, Germà  Bel, Núria Bosch, Ramon Caminal, Xavier Cuadras, Marta Espasa, Francesc Granell, Modest Guinjoan, Elisenda Paluzie, Alfredo Pastor, Clara Ponsatà­, Miquel Puig, Jacint Ros

Übersetzung:

Siehe auch: 01 02



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Comentârs

7 responses to “Unabhängigkeit, EU und Euro.”

  1. niwo avatar
    niwo

    In diesem Sinne befürworten wir einen unaufgeregten Dialog, der auf Improvisationen und Katastrophismen verzichte und baldestmöglich zu einer Einigung führt.

    Genau dieser Dialog und das was in Katalonien und in Schottland derzeit an kultivierter politischer Diskussion und Debatte abläuft bringt Europa und die Demokratie weiter.
    Politischen Exponenten und Intellektuellen (in unserem Lande in hoher Dichte vorhanden), die mit Totschlagargumenten und Katastrophenszenarien hantieren, wäre empfohlen ihr Argumentations-Instrumentarium einem Realitätscheck zu unterziehen.

    1. pérvasion avatar

      Auch in Spanien bedienen sich die Unionisten der schmutzigsten Methoden und Argumente… mittlerweile hantiert die PP-freundliche Madrider Tageszeitung El Mundo im Tagesrhythmus mit unnachweisbaren (und unwiderlegbaren!) Anschuldigungen gegen Artur Mas, CiU und sogar die Landespolizei Mossos d’Esquadra. El Mundo zitiert dabei aus angeblichen geheimen Papieren der Staatspolizei: Artur Mas sei korrupt, er und sein Vorgänger Jordi Pujol hätten Konten in der Schweiz und Liechtenstein usw. usf. Ob das alles stimmt oder nicht, ist dabei völlig irrelevant — Beweise hat El Mundo bislang jedenfalls keine vorgelegt, Ermittlungen der Staatsanwaltschaft oder ein Gerichtsverfahren gibt es auch nicht.

      Die PP und die ihr nahestehenden Medien hatten bereits im Vorfeld der Kongresswahlen 2004 versucht, die Terroranschläge in Madrid der ETA in die Schuhe zu schieben, um daraus politisches Kapital zu schlagen*. Die Wahrheit, nämlich dass es sich um islamistische Anschläge handelte, was die Aznar-Regierung bereits wusste, kam jedoch noch rechtzeitig vor der Wahl ans Tageslicht und Zapatero wurde Ministerpräsident.

      *) Aznar war im Trio mit Bush und Blair einer der stärksten Verfechter des Irakkrieges, weshalb islamistische Anschläge als eine Folge seiner Außenpolitik ausgelegt worden wären. Andererseits gehört seine PP zu den ETA-Hardlinern und hätte von ETA-Anschlägen profitieren können, da sich die Bürger von einer PP-Regierung im Allgemeinen ein strengeres Vorgehen gegen die baskischen Terroristen erwarten, als von Zapateros PSOE.

  2. niwo avatar
    niwo

    mittlerweile hantiert die PP-freundliche Madrider Tageszeitung El Mundo im Tagesrhythmus mit unnachweisbaren (und unwiderlegbaren!) Anschuldigungen gegen Artur Mas, CiU und sogar die Landespolizei Mossos d’Esquadra. El Mundo zitiert dabei aus angeblichen geheimen Papieren der Staatspolizei

    Dieser Teil dürfte in Südtirol ebenfalls noch anstehen. Der Zentralstaat dürfte Pläne für den Fall im Hemdsärmel haben, dass die Unabhängigkeitsbewegung stärker wird. Zentralstaatliche Organe (Polizei, Geheimdienste, Militär) gehen dann meist eine unheilvolle Allianz ein. Es wäre naiv zu denken in Südtirol würden diese Exponenten nicht auch (wieder) reagieren.

    1. pérvasion avatar

      Ja, man muss sich gefasst machen und ein dickes Fell zulegen. Wenn die Bevölkerung jedoch den Willen hat, ein paar Anfeindungen durchzustehen, wird es in einem EU-Land ziemlich schwierig, einen demokratischen Prozess zu verhindern.

      In Spanien geht das schmutzige Spiel indes weiter: Die Zentralregierung hat die Gemeinden Figueres und Girona verklagt, weil sie für den 11. September Züge nach Barcelona organisiert und dafür Geld bereitgestellt haben. Die Bürgermeister haben bereits geantwortet, die Fahrkarten hätten EUR 2.500,- mehr eingebracht, als die Züge gekostet haben — und dieser Überschuss sei gespendet worden.

      1. pérvasion avatar

        Der Gemeinderat von Girona hat gestern auf Vorschlag der CUP, mit den zusätzlichen Stimmen von CiU und Grünen (ICV) sowie der Enthaltung der Sozialisten (PSC), die Vertreterin der spanischen Regierung in Katalonien* zur ’persona non grata’ erklärt.

        *) entspricht dem hiesigen Regierungskommissär, hat allerdings in Katalonien wesentlich geringere Befugnisse

  3. Steffl avatar
    Steffl

    Dieser Teil dürfte in Südtirol ebenfalls noch anstehen

    Wenn alles bleibt wie es immer war, dann müsste es schon kurz vor den Parlamentswahlen eine immense Schmutzkampagne bestimmter Medien gegen die Selbstbestimmugsparteien geben. Ich hoffe diesmal geht es etwas demokratischer und fairer zu. Es wird wohl irgend ein europäisches Gesetz geben, das solche Sachen eindämmt. Man sollte jedenfalls alles kritisch hinterfragen, was da noch kommen wird. Laut heutigem Bericht in den “Dolomiten” gibt es nämlich das erste Mal eine Chance für das “Los von Rom” (für die Selbstbestimmungsparteien) nach Rom ins Parlament zu ziehen, also wird es wohl spannend.

  4. pérvasion avatar

    Gestern wurde Alicia Sà¡nchez-Camacho, Spitzenkandidatin der konservativen spanischen Volkspartei (PP), bei einem Einzelinterview im katalanischen Fernsehen (TV3) vom interviewenden Journalisten Xavier Bosch entlarvt: Bereits bei der TV-Debatte vom Sonntag auf demselben Sender, an der sie mit den Kandidaten der anderen Parteien teilgenommen hatte, zitierte sie aus einem Dokument der EU-Kommission unter Romano Prodi, in dem sinngemäß davon die Rede sei, ein Land, das sich von einem Mitgliedsland unabhängig erkläre, »könnte den Mitgliedsstatus verlieren, mit anderen Worten: es könnte zu einem Dritte-Welt-Land werden.« Auf diese Angststrategie hatte sich Xavier Bosch vorbereitet. Als Camacho auch in seiner Sendung dasselbe »Zitat« vorbrachte, zeigte er ihr eine Kopie des EU-Dokuments, in dem nicht von einem Dritte-Welt-Land, sondern von einem Drittland die Rede war. Camacho gestand das schmutzige Spiel nicht, sondern beharrte trotz gegenteiligen Beweises auf ihrer Version. Bemitleidenswert.

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