Den Unionisten, die jetzt voller Schadenfreude auf Katalonien verweisen, das bald pleite ist und möglicherweise beim Zentralstaat um Finanzhilfe ansuchen muss, sei erklärt: Katalonien ist während der letzten Jahre genau das widerfahren, was unter Monti — im Zeitraffer — jetzt auch Südtirol droht. Das reiche Land, das nie gegen einen gerechten Finanzausgleich war, wurde ausgenommen wie eine Weihnachtsgans und kann sich jetzt, da es ja kein souveräner Staat ist, selbstverständlich »nur« an Madrid wenden.
Hierzu ein erhellender Artikel, der vor wenigen Wochen im Wall Street Journal erschienen war:
Catalans have additional reasons to question the Spanish government’s capacity for change. Of late Mr. Rajoy has been blaming Spain’s regional governments for the country’s deficit overruns, saying that wayward local spending had jeopardized the entire nation’s creditworthiness. Madrid has threatened to intervene in the regional governments’ budgets if they don’t tidy their books on their own.
But according to Andreu Mas-Colell, Catalonia’s economy minister, the real story is a little different. He explains that with the exception of the Basque Country, Spain’s 17 regions enjoy spending autonomy but almost no revenue autonomy. It’s up to the central government to decide how nationwide revenue gets distributed between regions, and there’s no guarantee that what a region’s citizens pay to Madrid is returned euro-for-euro in funding to that region.
That means the central government can make its own budget shortfalls look smaller—and the regional governments’ look bigger—simply by keeping more of the revenue pot to itself.The result? Catalonia is the seat of Spanish industry and one of the most important industrial districts in Europe, lagging only the likes of Italy’s Lombardy and the German Ruhr in productivity. Yet each year since 1986, an average of 9% of Catalonia’s GDP in net terms has left the region to be redistributed or spent by Madrid. In Spain, only the Balearic Islands surrender a larger share of their annual output. Nowhere else in Europe or North America do intra-national transfers of such size occur as a matter of course.
16 replies on “Katalonien: Erklärung für Unionisten.”
Interessant in diesem Zusammenhang wäre zu erfahren, wieviel Prozent der Steuereinnahmen wieder zurück an den Zentralstaat fließen. Ich konnte leider keine entsprechenden Zahlen finden.
Wie meinst du das?
Zwischen dem, was Katalonien abgibt und dem, was es bekommt, bleibt ein Negativsaldo von ca. 9% des BIP.
Es wäre noch interessant zu erfahren, wieviel Prozent der Steuereinnahmen wieder zurückfließen (90 oder weniger?). Habe bisher noch keine konkreten Zahlen gefunden, nur, dass mehr eingezahlt wird als zurückfließt.
Viel weniger als 90%. Wenn 9% des BIP 10% der Steuern ausmachen würden, dann wäre das BIP ja nur wenig größer, als die Steuereinnahmen. Sprich: Die Katalanen würden dann Steuern in Höhe ihres gesamten BIPs bezahlen, das wäre ja unmöglich.
Katalonien war für Spanien das, was heute Deutschland für die EU (noch) ist: Eine Melkuh!
Die Deutschen müssen höllisch aufpassen, sonst droht denen ein ähnliches Schicksal wie den Katalanen! Dann geht aber ganz Europa den Bach runter!
Das kleine Südtirol wird auch bluten müssen, so wie ganz Norditalien, damit der chaotische Süden nicht verblutet ….aber die Südtiroler wollen es ja nicht anders …
Quelle mit zahlreichen Verweisen: Telepolis.
(Danke, succus, für den Link.)
Und was macht die römische Technokraten-Regierung nun mit Südtirol? Ach ja, das gleiche, was Madrid mit Katalonien macht.
Katalonien könnte eine blühender selbständiger Staat sein – so wie übrigens auch Südtirol!
Nur: Die einen (Katalanen) dürfen nicht – und die anderen (Südtiroler) wollen nicht…
Quelle: Daily Telegraph.
Der katalanische Präsident Artur Mas hat Madrid davor gewarnt, die Krisensituation zu nutzen, um die katalanische Autonomie einzuschränken. Das katalanische Volk werde sich widersetzen.
Und was machen die Südtiroler?
Ein heißgeliebter Freund dieses Blogs (Martin G.) verbreitet seit einiger Zeit in Internetforen die Botschaft, Katalonien sei als Modell Geschichte.
Das Gegenteil ist der Fall. Gerade die gesellschaftliche Vorbildhaftigkeit lässt sich nicht so schnell aus den Angeln heben — ihre wahre Güte zeigt sich erst in Notsituationen.
Spaniens Rechtsregierung hat soeben die Sozialleistungen für Immigranten gestrichen; seitdem bezahlt sie das fast zahlungsunfähige Katalonien selbst, weil dem Land der gesellschaftliche Zusammenhalt wichtiger ist, als die Sparmaßnahmen (lieber kürzen sie an anderer Stelle noch etwas mehr).
Es macht jedenfalls Spaß zu sehen, dass jemand wie Martin G., der wirtschaftliche stets als »niedere Gründe« für die Unabhängigkeit bezeichnet hat, kein Problem damit hat, dieselben Gründe für den Unionismus zu benützen. Schneid muss man eben haben.
Katalonien wird gerade mit katalanischem Geld von Spanien gerettet, wie einerseits aus den obigen Zitaten hervorgeht und wie andererseits auch der katalanische Finanzminister erst kürzlich unterstrich. Trotzdem werden die Zuständigkeiten des Landes weit mehr geachtet, als zur Zeit jene des wirtschaftlich (noch) gesunden Südtirol.
Inzwischen ist jedoch laut offizieller Erhebung durch das katalanische Statistikamt der Anteil der Unabhängigkeitsbefürworter (im Falle einer Abstimmung) auf 70% angestiegen. Am katalanischen Feiertag, dem 11. September, ist die größte Unabhängigkeitskundgebung der katalanischen Geschichte geplant. Wir werden von diesem Land, das (anders als unseres) die Kraft aufbringt, zu reagieren, also demnächst noch lesen.
Von wegen »wer in der Warteschlange der Suppenküche steht hat andere Prioritäten« — wie Martin G. schreibt.
Hier ein Bericht über die 1,5 Mio. Teilnehmer starke Unabhängigkeitskundgebung heute in Barcelona (immer noch zum Thema »wer in der Warteschlange der Suppenküche steht hat andere Prioritäten«).
Der gute Martin G. hat sich immer schon alles zurecht gedreht wie er es gerade benötigt, während er stichhaltigen Gegenargumenten gerne aus dem Weg ging.
Für mich zeigt diese Vorgangsweise die typischen Züge von reiner Propaganda, nur dem eigenen Ziel verpflichtet. Ausblenden was nicht in diese Sichtweise passt, zurechtbiegen was sich für die eigenen Ziele nutzen lässt. Mit Wahrheit hat das wenig zu tun und durch ständiges Wiederholen wird es auch nicht wahr.
Ist die Erhebung durch das katalanische Statistikamt irgendwo online?
Hier ist der Link zu einem Artikel in englischer Sprache (auf der Homepage des angesehenen Ciemen-Instituts), welcher wiederum einen Link zu den offiziellen Daten auf den Seiten der Generalitat de Catalunya beinhaltet.
Nebenbei bemerkt finde ich es schon erstaunlich, dass das Katalanische Statistikamt diese Werte erhebt. Befragt das ASTAT sowas auch in Südtirol? ich bezweifle.
Leider nein. Das wäre aber ein guter Schritt, um diese Art der Erhebung auf eine möglichst objektive Ebene zu holen.
Die Äußerungen einiger Unionisten zeigen letzthin nicht selten kabarettistische Züge. Emotionale Entgleisungen und in sich nicht schlüssige Vermengung von Themen, die zusammen nichts zu tun haben, ersetzen stichhaltige Argumente. Diesbezüglich lesenswert folgendes Gustostückerl: http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?p=12362&cpage=1#comment-123233
Hier ein interessanter Kommentar in der Financial Times.