Interessant an den letzten Wochen ist die abrupte Verschiebung der Eigenwahrnehmung. Südtirol erkennt auf einmal, dass seine Autonomie eine Sonntagsautonomie ist. Im grauen Alltag der Schuldenkrise gibt es für Italien Wichtigeres als die Frage, ob ein paar Bergler selber über ihre Angelegenheiten entscheiden wollen.
In den letzten Wochen ist eine Art subkutaner Loslösungsprozess in Gang gekommen. Südtirol und Südtirols Politiker erkennen, dass es mit dem heutigen Italien nicht mehr weitergeht. Noch sagt es von den Machtträgern keiner so richtig laut, aber viele spüren unter der Haut, dass Rom nicht mehr der Partner der Zukunft ist.
Radikale Ideen hatten immer nur dann eine Chance, wenn sie von gemäßigten Politikern übernommen wurden. Das Projekt eines selbstständigen Staates Israel wurde zuerst auch nur von Extremisten vertreten. Machbar wurde es erst, als sich die maßvollen Kreise die Idee zu eigen machten. Genauso war es in der Slowakei, im Kosovo und im Südsudan. Solange hier nur die nationalistische Rechte die völlige Unabhängigkeit forderte, war die Sache chancenlos. Erst als gemäßigte Parteien die Idee übernahmen, wurde die Staatengründung realistisch.
Aus dem Leitartikel von Kurt W. Zimmermann (Verantwortlicher Direktor) in der dieswöchigen ff.
Siehe auch 1›
26 replies on “Sonntagsautonomie.
Quotation”
FF-Herausgeber Zimmermann sieht die Südtiroler schon in Massen in Sigmundskron für die Loslösung von Italien demonstrieren unter dem Motto “Entweder ihr zahlt, oder wir gehen”. Die Einschnitte bei den Landeseinnahmen sind jedoch kein ausreichender Grund, die ganze Autonomie in Frage zu stellen. Die Regierung hat zwar das notwendige Einvernehmen bei der Änderung der Finanzregelung missachtet, aber der italienische Rechtsstaat ist deshalb noch lange nicht ausgehebelt, genausowenig wie das restliche Autonomiesystem. Südtirol hat in der Form völlig Recht, in der Sache allerdings schlechte Karten.
Monti hätte das Mailänder Abkommen formell kündigen müssen und in Neuverhandlungen zu den Finanzbeziehungen zwischen Rom und den Autonomen Provinzen treten müssen. Nun hat das Verfassungsgericht zu entscheiden. Gespart werden müsste ohnehin, und die bisherige Finanzierung bestimmter autonomer Regionen einschließlich Südtirols wäre auch ohne die Schuldenkrise Italiens nicht nachhaltig aufrechtzuerhalten gewesen. Alle Regionen, nicht nur jene mit Sonderstatut, müssten zusammenfinden, um ein tragfähigeres System der Finanzierung und des Finanzausgleichs einzuführen.
Natürlich beharren Südtirols Politiker auf den verbrieften Rechten und auf den “diritti acquisiti”, das müssen sie, natürlich kann man bei uns mit dem Ruf nach Freistaat und Selbstbestimmung immer Druck erzeugen. Doch Zimmermann irrt, wenn er Südtirols Divergenzen mit Rom bei den Finanzen mit dem Unabhängigkeitsszenario im Südsudan, Kosovo und der Slowakei gleichstellt. Südtirol hat nach wie vor ein gutes Niveau an Autonomie, das allerdings rechtlich besser abgesichert werden muss.
Das Autonomiestatut ist ja ein Vertrag der dem Land Südtirol eine Teilverwaltung einräumt und dieses sollte im Gegenzug auf die Sezession verzichten. Wenn dieser Vertrag nun einseitig verletzt wird spielt es keine Rolle, ob diese Art der Finanzierung nachhaltig aufrecht zu erhalten ist oder nicht. Wenn Italien verbriefte Rechte nicht respektieren will bzw. sich diese nicht mehr leisten kann, wobei Südtirol ja letzthin über einen ausgeglichenen Haushalt verfügt und einen Steuerüberschuss produziert, kann alles in Frage gestellt werden, auch die Zugehörigkeit zu Italien.
Ich persönlich würde mich allerdings auch für die Unabhängigkeit einsetzen, wenn Italien keine Verträge verletzt. Letztendlich ist die Frage über die Zukunft Südtirols eine politisch/gesellschaftliche und keine juristische Frage. BBD hat sich immer dafür eingesetzt, dass die Frage der Unabhängigkeit im Kern nicht von ökonomischen Vorgaben geleitet werden sollte, sondern davon abhängig gemacht werden muss, ob es insgesamt (Zusammenleben aller Sprachgemeinschaften ohne Betonung der Ethnie, Garantie der Mehrsprachigkeit, Selbstverwaltung in allen Bereichen mit dem damit zusammenhängenden Nutzen für alle BürgerInnen Südtirols usw.) gesellschaftlilche Vorteile bringt. Von diesem gesellschaftlichen Mehrwert sind wir überzeugt.
… es ist nicht nur das wirtschaftliche und steuerrechtliche Moment! – Was mich umtreibt ist der gesellschaftspolitische Stillstand, die Dynamik vom Nebeneinander zu mehr Miteinander der Bürger aller unserer Sprachgruppen ist mit der Autonomie nicht mehr weiter zu entwickeln! – Zuviele Mitbürger wollen offenbar nicht darauf verzichten dem “Staatsvolk” anzugehören, – der Bandbreite italienischer Parteien-Zugehörigkeit “mit Sitz in Rom” in “Mamoni-Mentalität” weiter anzuhängen, deshalb bin ich strikt gegen einen Wiederanschluß an Österreich!
Es werden Zeiten kommen, wo es gilt “Solidarität in höchster Qualität” zu üben, sich einem GEMEINWESEN zuzuwenden und verpflichtet fühlen, welches überschaubar und Landes-identitätsstiftend wirkt! Und dies sollte im Sinne eines immer notwendiger empfundenen Subsidiaritätsprinzip im Europa der Zukunft insgesamt, möglichst mit weniger “Nation”, aber immer öfter und mehr mit “Region” weiterentwickelt werden! – Ich weiß, da gibt es überall in Europa das Ritual des “Finanzausgleichs”, für die einen immer schmerzhafter empfunden, für die anderen unverzichtbar, auch hier wird es ein “Umdenken” geben müssen!
Ob mein Gedanke zur Regionalisierung auch taugt um Geld zu sparen indem die Nationen der bisherigen Form zurücktreten?
Lieber Thomas, hältst du das Vorgehen des Zentralstaats wirklich nur für formal falsch? Ein Formfehler wäre nach meinem Verständnis, wenn nur eine Informationspflicht bestünde — und Monti verabsäumt hätte, sie zu erfüllen. Das Einvernehmen zu übergehen (oder aber einfach vorauszusetzen), halte ich nicht mehr für einen Formfehler. Insbesondere weil davon auszugehen ist, dass es unter den vorliegenden Bedingungen kein Einvernehmen gegeben hätte.
Darüber hinaus zeigt die Regierung fast im Tagesrhythmus, dass es ihr nicht allein um Einsparungen, sondern auch um Zentralisierung geht. Nicht nur, dass den Sparmaßnahmen keine neuen Zuständigkeiten entsprechen (wie vom theoretisch geltenden Mailänder Abkommen vorgesehen); die Regierung Monti beschneidet auch noch — legal oder nicht — die autonomen Befugnisse mit selten dagewesener Aggressivität. Dazu passt, dass sie sich nicht begnügt, die Höhe der Einsparungen zu diktieren, sondern im Detail vorschreibt, wo und wie sie anzusetzen sind. Ein Unterschied zu Normalregionen besteht diesbezüglich kaum noch.
All das ist doch nicht nur Form, sondern auch Substanz…
Es ist dies das Credo der SVP gegenüber der neuen Südtiroler Rechten: unsere Minderheit hat solange kein Recht auf Selbstbestimmung, wie das angeblich hierfür eingelöste Recht auf Autonomie unberührt bleibt. Meines Erachtens ein im hiesigen politisch-populistischen Diskurs reichlich geschickt lanciertes Antidot, das Durnwalder auf unnachahmliche Weise (nämlich im pragmatischen Duktus eines Bergbauern) zu propagieren versteht, und das sich in das Passepartout jener mehrheitsparteilich gewobenen master narrative der Autonomie als SVP-Erfolgsprodukt trefflich einfügt. Die rechtliche Wirklichkeit der Pariser Vertragsverhandlungen war aber eine ganz andere: Südtirols Rückkehr zu Österreich war von vornherein nicht vorgesehen, eine klassische “Selbstbestimmung” mehr als unrealistisch. Eher ging es den federführenden Alliierten darum, durch die Gewährung eines autonomen Status’ diplomatische Verwerfungen zwischen Österreich und Italien zu vermeiden, für gute Nachbarschaft der beiden Ländern zu sorgen (zumal im aufziehenden Kalten Krieg) usw.
Ich kenne mich in (völker)rechtlichen Dingen wenig aus, doch kann ich mir nicht vorstellen, dass besagtem quid-pro-quo-Argument — zumindest aus historischer Sicht — irgendein Gewicht zukäme. Ob man mit der Selbstbestimmung als politisches Argument erfolgreich “drohen” oder “wuchern” kann steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.
@1950er, du hast das sehr gut auf den Punkt gebracht!
Kurt W. Zimmermann bringt in seinem Leitartikel zwei Dinge auf den Punkt:
1. Das Thema ist mittlerweile in Südtirol auf diffuse Art und Weise auch in der Mitte der Gesellschaft wesentlich weiter verbreitet als dies die politische Konstellation bzw. die gesellschaftliche Diskussion vermuten ließe. Dies obwohl die Mehrheitspartei fast schon gebetsmühlenhaft den status quo als das Maß der Dinge beschreibt und das größte Medienhaus des Landes an einer Änderung dieses status quo wenig Interesse verspürt bzw. Änderungen sogar aktiv torpediert.
2. Um im Bereich Unabhängigkeit weiter zu kommen muss das Thema nun auch von der SVP aufgenommen werden bzw. durch evtl. Wahlergebnisse die SVP gezwungen werden sich seriös dieses Themas anzunehmen.
Meinungsäußerungen verschiedener SVP Exponenten zeugen freilich, abgesehen von einigen interessanten Ansätzen, von einer beängstigenden Konzept- und Orientierungslosigkeit. Klausur und Streichung der Augustferien im Sinne einer Neuorientierung wären empfehlenswert.
… Wort für Wort nachdrücklich zu unterstreichen! – Wann melden sich unsere italienischen Mitbürgern guten Willens?
Der hier diskutierte problematische Sachverhalt ressortiert im Anwendungsbereich der WVK 1969. Sämtliche gegenseitigen Rechte und Pflichten, auch jene, die aus Vereinbarungen jüngeren Datums folgen, fußen im Endeffekt auf den historischen Grundverträgen.
Gem. Art 60 WVK können Völkerrechtsverträge bei ERHEBLICHER Vertragsverletzung einseitig durch eines der kontrahierenden Völkerrechtssubjekte gekündigt werden. Die Legaldefinition in Abs 3 dieser Bestimmung erhellt, dass die vorausgesetzte “Erheblichkeit” ua “die Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels wesentlichen Bestimmung” meint. Wird die Möglichkeit der ethnischen Selbstverwirklichung, wie sie ursprünglich vereinbart und gesichert werden sollte, nunmehr in irgendeiner Form beeinträchtigt? Zu einem Ergebnis kommt man durch Zusammenschau der etwaigen Wortbrüche und Verletzungen in ihrer Summe und jeweiligen Schwere. Es gilt also zunächst die Vertragsverletzung(en) festzustellen und in der Folge auf ihre Qualität (Erheblichkeit) zu untersuchen. Nach der im internationalen Schrifttum herrschenden Meinung gilt für die Geltendmachung des Art 60 WVK idS: “ausreichend, aber auch notwendig, ist die Verletzung von Vorschriften, die für die Parteien beim Beitritt wichtig waren” (Vgl zB Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns; Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, Bd 1/3, 2. Aufl., Walter de Gruyter, Berlin 2002, Fn 43, S. 735; siehe auch books.google). Diese Regelung gilt für fast alles Völkerrechtssubjekte und stellt eigentlich eine Selbstverständlichkeit dar. Es ist das Produkt einer verzerrten Wahrnehmung, wenn die Ausübung eines Rechts, dessen Regime (WVK) sich sämtliche Vertragspartner freiwillig unterworfen haben, als extrem oder radikal gewertet wird.
Fazit?
Du bist nicht so der Exeget, oder? Vl könntest Du Deinen Einwurf mit etwas Substrat füllen. Ich verstehe nicht ganz, was Du meinst.
Ich habe die juristische Seite beleuchtet. Das will sagen, die überpositive Ebene wird mir in dieser Diskussion zu sehr betont. Sämtliche Vertragsparteien der WVK (auch Österreich und Italien) haben vereinbart, dass bei “erheblicher Vertragsverletzung” (hier der Grundverträge bzw Nachverträge bzw des transformierten Rechts) die Rechtsfolge der Kündigung greifen soll. Das ist ein recht technischer Vorgang, der nichts mit Politik ieS zu tun hat. Es handelt sich daher auch nicht um “radikale Ideen”, die ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft finden, um eine neue “Eigenwahrnehmung” oder ähnliches. Es handelt sich einfach um eine neue Situation, die eben unter die Bestimmung des Art 60 WVK subsumierbar sein könnte. Ob dies der Fall ist, bleibt Argumentationssache.
Naja, ganz so trocken juristisch, wie du es darstellst, geht es in der Realität (glücklicherweise) kaum zu.
Argumentationssache = Politik? (Ich weiß schon: Du meinst juristische Argumentation — aber der muss ja die politische Entscheidung vorausgehen, dass so argumentiert werden soll.)
Die rechtliche Frage ist allerdings etwas problematischer und keineswegs so eindeutig zu sehen, wie landläufig dargestellt (“internationale Verankerung”, usw.):
Das für uns wesentliche Zweite Autonomiestatut ist ein ital. Verfassungsgesetz (DPR vom 31. August 1972, Nr. 670 “Genehmigung des vereinheitlichten Textes der Verfassungsgesetze, die das Sonderstatut für Trentino-Südtirol betreffen”) und eben kein völkerrechtlicher Vertrag.
Ein Verfassungsgesetz ist eine innerstaatliche Rechtsquelle, die im Stufenbau der Rechtsordnung über den einfachen Gesetzen steht, welche ihrerseits über den einfachen Verordnungen der öff. Verwaltungen stehen.
Verstößt eine primäre Rechtsquelle (also ein einfaches Gesetz = legge, ein Gesetzesdekret = decreto legge, oder ein Gesetzesvertretendes Dekret = decreto legislativo) gegen die Verfassung oder ein Verfassungsgesetz (bzw. gegen unser Autonomiestatut), so kann es u.a. von der jeweils betroffenen Körperschaft (Staat, Region, Autonome Provinz) vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten werden (Art. 134 Verfassung), der dann gegebenenfalls die Verfassungswidrigkeit feststellt, womit die verfassungswidrigen Bestimmungen aufgehoben werden (sie verlieren gemäß Art. 136 Abs. 1 der Verfassung “ihre Wirksamkeit vom Tage nach der Veröffentlichung der Entscheidung”).
Der Rechtsweg bei den vorliegenden Verstößen gegen das Autonomiestatut ist also vorwiegend ein innerstaatlicher: Das Regierung erlässt z.B. ein Gesetzesdekret oder das Parlament verabschiedet ein Gesetz, das die Autonomiebestimmungen (beispielsweise die Finanzregelung der Autonomie) verletzt -> das Land Südtirol kann die Maßnahmen der Regierung oder des Parlaments vor dem VerfG anfechten.
Problematisch dabei ist in praktischer Hinsicht Folgendes: Erstens werden damit nur die “Krankheitssymptome kuriert”, ohne dass zukünftige Verletzungen der Autonomie ausgeschlossen werden (auch wenn es dann evt. Präzedenzfälle zugunsten des Landes geben sollte, wäre die “mala fede” des Staates beim Erlass neuer Bestimmungen nie gänzlich auszuschließen) und zweitens ist das VerfG ein Verfassungsorgan des Staates, welches – obschon zu einem guten Teil aus Richtern und nicht etwa aus staatlichen Politikern bestehend – generell eine zentralistische Position einnimmt, also “im Zweifel für den Staat” entscheiden wird.
Auch das sog. “Paket” (eine Vereinbarung mit 137 Maßnahmen zur Verbesserung der Südtirolautonomie), auf dem das Zweite Autonomiestatut fußt, ist kein völkerrechtlicher Vertrag.
Zum Völkerrecht möchte ich in diesem Zusammenhang kurz aus meinem ehemaligen Lehrbuch zitieren: “Obwohl bilateral zwischen den beiden Staaten vereinbart, ist weder das Paket noch der Operationskalender ein völkerrechtlicher Vertrag. Italien sah nämlich mit dem Ersten Autonomiestatut das Pariser Abkommen als bereits erfüllt an und lehnte jede weitere völkerrechtliche Bindung ab” (Hummer W., Der internationale Status Österreichs seit 1918, in: Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, 4. Auflage, Manz Verlag, Wien, Seite 602, Randziffer 3292).
Insofern ist es sehr zweifelhaft, ob auch die Einhaltung des Pakets vor dem Internationalen Gerichtshof eingeklagt werden könnte, wenn es hart auf hart kommt:
“Unklar ist ferner die völkerrechtliche Verankerung und damit die Klagbarkeit auch des Pakets und nicht nur des Gruber-De Gasperi-Abkommens vor dem IGH. Nach österreichischer, von Italien nicht geteilter Ansicht ist das Paket als spätere Auslegungsübereinkunft gem. Art. 31 Abs. 3 lit. a) WVK völkerrechtlich relevant” (Hummer W., a.a.O., Randziffer 3296).
Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass die Autonomie keineswegs so unangreifbar ist, wie es eigentlich wünschenswert wäre. Im Worst-Case-Szenario wäre nämlich nur der Pariser Vertrag (also das Gruber-De Gasperi-Abkommen) völkerrechtlich abgesichert, und jenes Dokument enthält so dermaßen allgemeine Bestimmungen, dass Italien sich auch bei faktischer Aushöhlung der Autonomie (insbesondere durch noch gravierendere Beschneidung der uns laut Statut zustehenden finanziellen Ressourcen) immer noch auf die formelle Einhaltung des Pariser Vertrags berufen könnte.
Siehe diesbezüglich auch die absolut generische Fassung des zweiten Artikels des Abkommens: “Der Bevölkerung obengenannter Gebiete wird die Ausübung einer autonomen Gesetzgebungs- und Vollzugsgewalt für den Bereich ihrer Gebiete zuerkannt. Der Rahmen, in welchem die besagte Autonomie Anwendung findet, wird noch bestimmt, wobei auch örtliche Vertreter der deutschsprachigen Bevölkerung zu Rate gezogen werden.”
Außerdem könnte nicht das Land Südtirol (als reine Provinz Italiens), sondern allenfalls Österreich selbst Italien vor dem IGH verklagen, und man darf in Anbetracht der außenpolitischen Haltung unserer Schutzmacht jedenfalls daran zweifeln, ob sie im Ernstfall gegen ihre italienischen Freunde klagen würde.
Fazit: Es ist alles nicht so einfach, wie es manchmal von interessierter Seite dargestellt wird, und es zeigt sich immer mehr, dass Herr Zimmermann mit der Bezeichnung “Sonntagsautonomie” vielleicht nicht ganz unrecht hat. Aber endgültig wird das in diesen schnelllebigen und unsicheren Zeiten wohl erst die Zukunft weisen…
Brisant ist dies auch deshalb, weil in Südtirol während rosigerer Zeiten schon öfter das Argument zu hören war, dass sich die Schutzmachtfunktion überlebt habe und obsolet sei. Jetzt zeigt sich, wie falsch eine solche Einschätzung war und ist.
Florian, das Paket ist ebenfalls ein internationaler Vertrag im völkerrechtlichen Sinn. Immerhin hat neben den Südtirolern und Italien auch Österreich das Regelwerk ratifiziert. Es liegt also eine Willenseinigung verschiedener Völkerrechtssubjekte vor. Spätestens ab dem Austausch der Verbalnote vom 22.4.1992 (siehe insb. Z 6, arg. “nicht einseitig”) zwischen den diplomatischen Vertretern, dürfte dies außer Streit stehen. Vgl http://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/library/19920611.html
Vgl Staffelmayr, Überlegungen zum Österreichbild in Italien, in: Rathkolb et al (Hrsg.), Mit anderen Augen gesehen. Internationale Perzeptionen Österreichs 1955-1990. Österreichische Nationalgeschichte nach 1945, Böhlau, Wien 2002, S. 312.
Wie Du selbst geschrieben hast, ist der verfassungsrechtliche Weg vom völkerrechtlichen zu trennen. Sie beschäftigen sich formal mit unterschiedlichen Dingen. 1.) Verfassungswidriges innerstaatliches Recht und 2.) ua eben Vertragsverletzungen zwischen Völkerrechtssubjekten.
Das ist, wie Du auch konstatiert hast, insbesondere für die Frage der Aktivlegitimation, der gerichtlichen Zuständigkeiten usw. relevant.
Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen in dieser Frage sind aber Regelungen, die letztendlich aus den historischen völkerrechtlichen Grundverträgen folgen. Das ist wie am Dominoday, wenn der erste Dominostein fällt.
Kündbar wären die völkerrechtlichen Grundverträge bei “erheblicher Vertragsverletzung” durch einen Vertragspartner (hier also Österreich; wobei mEn auch eine völkerrechtliche Identität der Minderheit bzw. deren autonomen Regierung argumentierbar wäre). Dann wäre das gesamte darauf aufbauende innerstaatliche Regelwerk hinfällig.
Ich verstehe die Diskussion nicht. Braucht denn Schottland für die Volksabstimmung dort denn auch irgendwelche Paragraphen die es Ihnen erlaubt abzustimmen u. sich evtl. abzuspalten? Kümmern die sich überhaupt um so etwas?
Südtirol kam mit dem Recht des Stärkeren und gegen den Willen der Bevölkerung an Italien. Und jetzt diskutieren irgendwelche selbsternannte und gelangweilte Rechtswissenschaftler ob eine Selbstbestimmung rechtens wäre oder nicht. Eine absurdere Diskussion kann ich mir nicht vorstellen.
Würde der Durnwalder das Volk zur Selbstbestimmung rufen, diese Leute würden in unzähligen Podiumsdiskussionen dies zu verhindern wissen. Ja darf er denn das, ohne uns zu fragen? Uns, die Hüter von Recht und Unrecht, von Wissen und Unwissenheit?
Demokratie wird nicht auf Hochschulen und Universitäten gelehrt und nicht von Professoren erklärt. Selbstbestimmung ist das wichtigste aller Menschenrechte, ohne die jede Demokratie unmöglich wäre. Darüber zu diskutieren, ist Anmaßung, grenzenlose Arroganz und Präpotenz.
”Das Recht geht vom Volke aus …” Auch in Südtirol??
oder etwas anders formuliert:
Keinem Volk kann auf Dauer das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt werden, wenn es nicht irgendwie selbst darauf verzichtet …
Deine Empörung in Ehren, aber mit dieser Susi-Sorglos-Mentalität kommt man nicht weit. Es gibt halt doch die eine oder andere Sache zu bedenken. Hier wurde (in der juristischen Diskussion) nicht vom Recht auf Selbstbestimmung gesprochen, sondern von den aktuellen Vertragsverletzungen. Wie Du vl bemerkt hast, gibt es seitens der demokratischen Mehrheit keine nennenswerten Bestrebungen in Richtung Selbstbestimmung. Man muss also (vorausgesetzt man interessiert sich dafür) Mehrheiten überzeugen/finden. Das schafft man mit Argumenten.
Ich schließe mich der Meinung von Franz an.
In der Theorie mögen die rechtlichen Fragen sehr interessant sein. In der Praxis aber kommt es vor allem auf den Willen der betroffenen Bevölkerung an.
Wären Estland, Lettland, Litauen, …., Slowenien, Kroatien, usw. heute unabhängige Staaten, wenn sie sich auf juristische Diskussionen eingelassen hätten? Wohl kaum!
Außerdem wissen wir seit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag zur Kosovo-Frage, dass das Völkerrecht die Ausrufung der Unabhängigkeit erlaubt, weil dies im Völkerrecht nicht ausdrücklich verboten ist.
Wir sollten uns also nicht mit juristischen Detailfragen befassen, sondern endlich in einer demokratischen Abstimmung die Loslösung Südtirols von Italien erreichen.
@ Franz und Vinschger
Grundsätzlich stimme ich Euerem Einwand zu.
BBD ist mEn aber eine Plattform auf der verschiedene Argumente iSd Manifests ausformuliert werden, damit diese in weitere Bereiche ausstrahlen bzw von Gleichgesinnten übernommen werden können. Da sich die Gegner dieser Idee teilweise auch auf (falsche) juristische Behauptungen kaprizieren, sollte auch diese Ebene mitabgedeckt werden.
Die Bestrebungen (u Wählerstimmen) der Freiheitlichen, der STF und der Union in Richtung Selbstbestimmung sind für SIE nicht nennenswert?
Das ist entlarvend!
Du solltest öfter mal Podiumsdiskussionen besuchen. Dort hättest Du vielleicht erfahren, dass die Autonomiepartei SVP die demokratische Mehrheit repräsentiert.
Was mir besonders gut gefallen hat, ist die Reaktion von Hanspeter Niederkofler, grüner Gemeinderat in Bruneck, auf Zimmermanns Leitartikel, welche in ff 33 vom 15.08.2012 als Leserbrief erschienen ist:
Wenn solch argument- und inhaltlose, emotionale Rundumschläge von Unabhängigkeitsbefürwortern kommen, werden sie zu recht zerfetzt, unter anderem von den Grünen. Aber solange man sich im vermeintlichen Mainstream befindet, scheint alles erlaubt zu sein — auch, dass man mit reiner Gehässigkeit reagiert und keine einzige von Zimmermanns Aussagen auch nur ansatzweise widerlegt.
was das eine (unabhängige kleinstaaten) mit dem anderen (ausbeuterischer neoliberaler kapitalismus) zu tun hat, ist mir völlig schleierhaft. vielleicht kann mich herr niederkofler aufklären!
ich versteh auch nicht, warum ein unabhängiger kleinstaat notwendigerweise mit abschottung einhergehen soll? im gegenteil, kleinstaaten sind bisweilen wesentlich durchlässiger, multikultureller und offener als große nationalistische zentralstaaten.
und zuletzt: sind kleinstaaten immer parasitär?
hunter, du bringst es mit deinen Fragen auf den Punkt: Da werden völlig sinnfreie Zusammenhänge konstruiert, die einzig und allein dazu dienen, die Unabhängigkeit durch negative Assoziationen zu delegitimieren. Argumente? Fehlanzeige.