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Mehrheitsschutz und Kandidaturverbot.
Senatswahlkreis Bozen-Unterland

Autor:a

ai

Südtirol genießt eine Autonomie, weil damit die deutsche und die ladinische Minderheit geschützt werden sollen. Verstöße gegen eben die Maßnahmen, die dies gewährleisten müssten — Gleichstellung der Sprachen, Zwei- und Dreisprachigkeitspflicht, Proporz — stehen aber an der Tagesordnung.

In diesem Kontext will sich die SVP nun selbst einschränken und möglicherweise von einer Kandidatur im Senatswahlkreis Bozen-Unterland absehen, weil dies, wie es heißt, gegen »Paketmaßnahme 111« verstoßen würde. Der Wahlkreis sei für eine Italienerin bestimmt.

Wohlgemerkt, diese Zurückhaltung wird nicht von italienischen Parteien eingefordert, sondern aus welchen Gründen auch immer von der Volkspartei vorauseilend so postuliert.

Wenn es tatsächlich ein Kandidaturverbot für Deutschsprachige in dem Wahlkreis gäbe (oder zumindest das Verbot, den Wahlkreis für sich zu entscheiden), wäre es sowohl aus Sicht des Minderheitenschutzes als auch demokratiepolitisch höchst problematisch.

Karl Zeller und Meinhard Durnwalder (beide SVP) sprechen ja gegenüber der TAZ tatsächlich von einer Art Autonomie- oder Paketverstoß und nicht lediglich von der politischen Opportunität, den Wahlkreis aus Parteisicht einer Vertreterin der italienischen Sprachgruppe zu überlassen.

Insgesamt gibt es in Südtirol drei Senatswahlkreise: Bozen-Unterland, um den es hier geht, und zudem noch Brixen-Pustertal sowie Meran-Vinschgau. Laut Paketmaßnahme 111, mit der die Ungerechtigkeit behoben wurde, dass das Trentino vier und Südtirol mit nahezu gleich vielen Einwohnerinnen nur zwei Wahlkreise hatte, sollte eine gerechte Vertretung der Sprachgruppen begünstigt — und nicht mit Sicherheit gewährleistet1vgl. Mehrheitswahlrecht contra Proporz, Die Senatswahlkreise in Südtirol 1988 – 2012, Oskar Peterlini 2012 — werden. Es gibt ja auch keine Garantie (sondern nur eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit), dass in Brixen mit Pustertal und Meran mit Vinschgau eine deutschsprachige Kandidatin gewinnt. Weshalb italienische Parteien nie davon abgesehen haben, in jenen Wahlkreisen zu kandidieren, auch dann nicht, wenn die Wahl einer Italienerin im dritten Wahlkreis »sicher« war.

Aus demokratischer Sicht wäre es äußerst bedenklich, einen oder mehrere Wahlkreise für Kandidatinnen einer Sprachgruppe de facto mit einem Verbot zu belegen. Dies umso mehr, als dies in diesem Fall nicht einmal mit dem Minderheitenschutz zu rechtfertigen (und dagegen abzuwägen) wäre, weil es ja konkret ein Schutz für die nationale Mehrheit wäre. Wenn es tatsächlich eine Garantie und nicht nur eine Begünstigung der »gerechten Vertretung« geben sollte, wäre aus demokratischer Sicht wohl am ehesten eine Proporzlösung vertretbar. Dann würde zum Beispiel am Ende der Wahl, falls zum Beispiel drei deutschsprachige Kandidatinnen vorn lägen, bei Berücksichtigung des heutigen Sprachgruppenverhältnisses die meistgewählte »Italienerin« aller Bezirke die gewählte »Deutsche« mit dem schlechtesten Ergebnis überholen. Vielleicht wäre das dann meistens dennoch im Wahlkreis Bozen-Unterland der Fall, aber nicht immer und nicht von vorn herein.

Allerdings wäre eine solche Lösung meiner Meinung nach aus Sicht des Minderheitenschutzes immer noch problematisch. Minderheitenschutz soll ja eine gerechte oder gar überproportionale Vertretung von Minderheiten sicherstellen. Warum aber sollte der staatlichen Mehrheitsbevölkerung sogar in Südtirol eine überpoportionale (!) Vertretung in ihrem eigenen nationalen Parlament gesichert werden — also ein Drittel der Mandatarinnen bei rund einem Viertel der Bevölkerung? Es ist ja nicht so, dass die staatliche Mehrheitsbevölkerung im Senat nicht angemessen vertreten wäre.

In Wales oder Schottland die gerechte Vertretung der Engländerinnen (in Westminster), im Baskenland oder Katalonien die gerechte Vertretung der Spanierinnen (im spanischen Kongress) zu fordern — das würde niemand verstehen. Schon gar nicht, wenn zu diesem Zweck in einem proportionalen Anteil der Wahlkreise die Kandidatur (oder Wahl) von Minderheitenverteterinnen verboten würde.

Hierzulande wäre im Sinne des Minderheitenschutzes (wennschon) wohl eher eine angemessene Vertretung der Ladinerinnen zu thematisieren.

Siehe auch: 01

  • 1
    vgl. Mehrheitswahlrecht contra Proporz, Die Senatswahlkreise in Südtirol 1988 – 2012, Oskar Peterlini 2012


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Comentârs

One response to “Mehrheitsschutz und Kandidaturverbot.
Senatswahlkreis Bozen-Unterland

  1. artim avatar
    artim

    Auch Oskar Peterlini, eh. Senator des Wahlkreises Unterland und Uni-Rechtsprofessor, widerspricht zurecht dieser Position:
    “Der Senatswahlkreis Bozen Unterland ist nicht geschaffen worden, um der italienischen Sprachgruppe einen Sitz zu garantieren.
    Das Paket, hat mit der Maßnahme 111 erstens Gerechtigkeit zwischen Bozen und Trient geschaffen, da bei ungefähr gleicher Bevölkerung Trient vier Wahlkreise und Bozen nur zwei hatte. Bei den Verhandlungen wollten die Regierung und die Rechte von Bozen (Entwürfe Rognoni, De Mita, Dragogna u. a. ), dass die Maßnahme einen Sitz für Italiener garantiere. Der Wahlkreis sollte nur Bz und die mehrheitlich ital. Gemeinden links der Etsch umfassen. Wir haben uns erfolgreich gewehrt, das Unterland zu teilen und eine Garantie für die Italiener vorzusehen. Der Text des Pakets sagt bzgl. der Schaffung des Wahlkreises, um eine proportionale Vertretung der Sprachgruppen zu „begünstigen“, aber nicht zu „garantieren“. Auch hatten die Italiener den Sitz, von 4 Jahren von
    Karl Ferrari und 12 Jahren von mir im Senat abgesehen, in der langen Zeit immer für sich, auch die letzten 10 Jahre. Eine Rotation wäre fällig.
    In der nachstehenden Studie bringe ich die langen von Magnago und Riz geführten Verhandlungen für den Senatswahlkreis Bozen Unterland. Daraus geht hervor, dass die Svp absolut gegen einen garantierten Senatssitz für Italiener war und deshalb eine Lösung durchgesetzt hat, die eine Chance auch der deutschen Gruppe lässt, zumal sie ein Drittel der Bevölkerung stellt. Man findet in der Studie auch die Protokolle der Sitzungen der Svp Parteileitung und des Parteiausschlusses. Dieser langwierige Kampf darf nicht mit einer oberflächlichen Interpretation der Maßnahme 111 verspielt werden.”
    Es mutet schon seltsam an, dass gerade jene, die ansonsten stets so vehement gegen Minderheitenschutz samt Quote sind bzw. jene, die über all die Jahre diesen Schutz aushöhlt haben, hier nun bei einer freien demokratischen Wahl gar ein Kandidaturverbot für Deutschsprachige behaupten. Und das auch noch als Minderheitenvertretung.

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