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Brennertransit: Geht es intelligenter?

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Bestwegroute und Energieeffizienzmodus könnten die Leitlinien einer nachhaltigen Steuerung des Schwerlastverkehrs über den Brenner wie im ganzen Alpenraum sein. Ein gesamtalpines Verkehrsleitsystem für den Güterverkehr ist fällig, aber nicht erst 2032.

Der europäische Green Deal will einen wesentlichen Teil der heute auf der Straße transportierten Inlandsfracht in der EU auf die Schiene verlagern. In der Kommissionsempfehlung Für eine nachhaltige und intelligente Mobilität steht zu lesen:

Intelligente, entfernungsabhängige Straßenbenutzungsgebühren mit unterschiedlichen Gebührensätzen je nach Fahrzeugtyp und Nutzungsdauer sind ein wirksames Instrument, um nachhaltige und wirtschaftlich effiziente Entscheidungen zu fördern, den Verkehr zu steuern und die Verkehrsüberlastung zu verringern.

– Punkt 50

Als Etappenziel, so die EU-Kommission, soll der Schienengüterverkehr bis 2030 um 50 Prozent und bis 2050 um 100 Prozent steigen. Was für die ganze EU gilt, gilt auch für den Brenner, der allein 54 Prozent des alpenquerenden Gütertransits aufnimmt.

Die Realität sieht bekanntlich anders aus: am Brenner beträgt der Modal Split ziemlich konstant 73:27 Prozent zugunsten der Straße. Über den Brenner fuhren 2023 2,4 Mio. Lkw, während insgesamt nur 880.000 Lkw die Übergänge der Schweiz nutzten, mit einem genau umgekehrten Modal Split: 74:26 Prozent zugunsten der Bahn (Semesterbericht alpenquerender Güterverkehr 2023).

Laut CAFT-Studie nahmen 2021 29,7 Prozent des Schwerlastverkehrs am Brenner einen Umweg von mindestens 60 km in Kauf, also mindestens 700.000 Lkw im Jahr. Am Gotthard hingegen sind 97 Prozent der Lkw auf ihrem Bestweg unterwegs. Während in der EU von Verlagerung auf die Schiene immer nur geredet wird, hat die Schweiz genau das getan, was es braucht: sie hat gesetzlich festgelegt, dass es in wenigen Jahren nur mehr 650.000 Lkw-Transitfahrten durch die Schweiz geben darf (Bundesgesetz vom 19.12.2008). Von den heute 880.000 Lkw-Fahrten könnten noch 12 Prozent auf die Schiene verlagert werden, weil das NEAT-System (Gotthard und Simplon) erst zu 55 Prozent ausgelastet ist (Semesterbericht, S. 7).

Laut der Schweizer Perspektiven für den alpenquerenden Güterverkehr (S. 52) hätten 14 Prozent der über den Brenner verkehrenden Lkw-Fahrten einen schnelleren Weg über die Schweiz gehabt, immerhin 356.000 Fahrten. Das heißt, die Schweizer wundern sich, warum dieser Umwegverkehr nicht über ihre freien Kapazitäten gelenkt wird, und zwar im Sinne der Verlagerung von der Straße auf die Schiene:

Somit ist es durchaus realistisch anzunehmen, dass die dann vom Brenner verlagerten Fahrten nicht via Straße durch die Schweiz fahren, sondern direkt auf die Schiene gebracht werden.

– Perspektiven für den alpenquerenden Güterverkehr, S. 55

Für diese Lösung spricht auch die Energieeffizienz im transitierenden Güterverkehr. Der letzte Tiroler Verkehrsbericht 2022 kommt zum Ergebnis, dass die bestehende Bahnstrecke im Vergleich zum Lkw-Gütertransport sehr energieeffizient ist:

Der spezifische Endenergiebedarf je t/km reduziert sich bei einem Einsatz der Bahn um -72% gegenüber einem Diesel-LKW auf der Autobahn. Mit dem BBT und der Flachbahn kommt es zu einer noch höheren Reduktion.

– Tiroler Verkehrsbericht 2022, S. 45

Zwar würde auch ein batterieelektrischer Lkw gegenüber dem Diesel-Lkw um 35 Prozent einsparen, aber die Schiene ist bereits heute doppelt so energieeffizient wie der Elektro-Lkw und drei Mal so effizient wie der Diesel-Lkw. Dazu kommt die hohe Einsparung von CO2-Emissionen. Das höchste Potenzial an Energieeinsparung, so der Tiroler Verkehrsbericht, wird realisiert, wenn möglichst viele Lkw auf die Schiene verlagert werden. Interessant: die Gütertransportkapazität der Schiene auf der Strecke Kufstein-Wörgl ist noch bei weitem nicht ausgelastet. Sogar die Kapazität der RoLa-Transport kann in geringer Zeit auf 450.000 hochgefahren werden, mehr als das Doppelte der 2023 real transportierten Lkw.

Auf der italienischen Seite gibt es eine noch stärkere Unterauslastung: von 29 Mio. Tonnen an Gesamtkapazität werden nur 11 Mio. Tonnen in Anspruch genommen, während auf der Autobahn fast 30 Mio. Tonnen im Jahr rollen. Das Gegenteil von Energieeffizienz und CO2-Reduktion.

Man muss nur mehr 1 und 1 zusammenzählen: fast 30 Prozent Umwegverkehr über den Brenner, nur 55 Prozent Auslastung der Gotthard-Achse, hunderttausende Lkw die jährlich über den Brenner fahren, statt durch den Gotthard- oder Bernardino-Tunnel (Straße). Die heutige Brennerbahn ist nicht einmal zur Hälfte ausgelastet. Eine gewaltige Energieverschwendung, weil die Bahn mit 72 Prozent weniger Energie pro Tonne auskommt, und ein gewaltiger Schaden für Mensch, Umwelt, Infrastruktur und Klima.

Die Lösung liegt auf der Hand, sofern man die Kostenwahrheit und Nachhaltigkeit überhaupt im Blick hat: eine gesamtalpine Steuerung des transalpinen Güterverkehrs nach Bestweg und umweltfreundlichem Modal Split. Soweit noch Kapazitäten auf der Bahn frei sind, müssen diese genutzt werden, andernfalls wird eine Ausgleichsmaut in der entsprechenden Differenz eingehoben. Ein zwischen Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz koordiniertes Leitsystem ist denkbar: jede Lkw-Fahrt muss gebucht werden, mit digitaler Transitgenehmigung. Diese wird wie eine Mautgebühr an den Zufahrtsstellen der wichtigsten Alpentransversalen geprüft. Wenn die gewählte Route nicht dem gebuchten Ticket laut Bestweg entspricht, wird der Lkw umgelenkt. Wenn Plätze in der RoLa frei sind, wird der Lkw ebenfalls umgelenkt. Auf ein Lkw-Leitsystem zur besseren Abwicklung des transitierenden Verkehrs haben sich Bayern und Tirol bereits verständigt, nur muss man es bis zum Ende denken und grenzüberschreitend für den ganzen Korridor ausbauen.

Das ist die Zukunft, wenn die EU intelligente Mobilität beim Güterverkehr durchsetzen will: ein Maut- und Leitsystem über den gesamten Brennerkorridor im ersten Schritt und in Abstimmung mit der Schweiz im gesamten Alpenraum im zweiten Schritt. Das System würde die Lkw automatisch auf den Bestweg und auf den energieeffizientesten Modus lenken, solange Kapazitäten auf der Bahn frei sind. In der Schweiz funktioniert das schon. Wir müssen für eine derartige Lösung auch nicht bis 2032 (Inbetriebnahme des BBT) oder bis 2040 warten, sondern könnten diese Chance anlässlich der Schließung der Lueg-Brücke nutzen. Damit zur Ausgangsfrage: ja, es ginge intelligenter.


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