Die Lehrergewerkschaftsmitglieder des ASGB1Autonomer Südtiroler Gewerkschaftsbund und des SGB/CISL2Südtiroler Gewerkschaftsbund/Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori sind dieser Tage in jeweils einer Online-Befragung dazu aufgerufen, Rückmeldung zur weiteren Vorgehensweise der Gewerkschaften im Umgang mit der Landesregierung zu geben. Die Befragungen sind nicht bindend, sollen aber in einer durchaus aufgeheizten Situation ein Stimmungsbild der Südtiroler Lehrerschaft bzw. zumindest der Gewerkschaftsmitglieder ergeben, an dem sich sowohl die offiziellen Sprachrohre (Gewerkschaften) als auch die inoffiziellen (Lehrerinitiativgruppen) orientieren können.
Ob das Ergebnis allerdings dazu beitragen kann, die Wogen etwas zu glätten und die erwünschte Klarheit zu bringen, darf bezweifelt werden. Die Befragung ist nämlich dermaßen unverständlich, dass Chaos vorprogrammiert erscheint.
Die beiden großen Gewerkschaften führen die Befragungen unabhängig voneinander durch und haben es verabsäumt, ihre Fragestellungen aufeinander abzustimmen, um am Ende ein vergleichbares Ergebnis zu haben und an einem Strang ziehen zu können.
Während die Intention beim ASGB einigermaßen klar formuliert ist
ist beim SGB auch nach mehrmaligem Lesen nicht wirklich verständlich, warum die erste Frage überhaupt gestellt wird und was die eindeutigen Konsequenzen einer Ja- bzw. Nein-Stimme sind.
Im Vorspann zur Befragung liest man nämlich folgendes:
Aufnahme der Verhandlungen – deine Meinung zählt!
Die Inflationsanpassung 2025 ist umgesetzt. Unser Blick richtet sich nun auf die Verhandlungen zur strukturellen Erhöhung der Reallöhne ab 2026.Die Landesregierung hat folgendes Angebot unterbreitet:
- Geldmittel für strukturelle Lohnerhöhungen ab 2026 von durchschnittlich mindestens 5.200 € jährlich;
- Angleichung der Gehälter zwischen Schulen staatlicher Art und Landesschulen;
- 10 Millionen € jährlich für Zusatzaufgaben;
- Jährliche Verhandlungen zum Inflationsausgleich;
- Maßnahmen zur Stärkung der Inklusion, insbesondere durch zusätzliches Personal;
- Entlastung der Lehrpersonen von administrativen Aufgaben durch Stärkung der Schulsekretariate.
Nicht billigen können wir die Haltung der Landesregierung, Vertragsverhandlungen erst zu beginnen, wenn Protestmaßnahmen oder sonstige Formen der Einschränkung von Leistungen im breiten Umfang ausgesetzt werden.
Die Gestaltung des Bildungsangebots ist Zuständigkeit des Lehrpersonals!
Um die nächsten Schritte zu planen und ein klares Stimmungsbild unter unseren Mitgliedern zu erhalten, führen wir die Online-Erhebung durch.
Vom 01.12.2025 (00:00 Uhr) bis zum 04.12.2025 (23:59 Uhr) kannst du abstimmen. Die Abstimmung erfolgt einmalig und anonym.
Nutze die Gelegenheit und stimme mit!
Natürlich trägt auch die Landesregierung Mitschuld an der Konfusion und an der aufgeheizten Stimmung, weil sie die Verhandlungen an eine unmögliche und eine erpresserische Bedingung geknüpft hat:
- Unterrichtsbegleitende Aktivitäten sind nicht verpflichtend. Niemand kann dazu gezwungen werden, etwas zu tun, was in der Tätigkeitsbeschreibung nicht vorgeschrieben ist und rechtlich im Ermessensspielraum der Lehrenden bzw. Kollegien in den einzelnen Schulen liegt. Dementsprechend haben die Gewerkschaften auch keinen direkten Einfluss auf die Beendigung der “Proteste”, weil es sich dabei nicht um klassische, durch das Arbeitsrecht geregelte Maßnahmen wie beispielsweise einen Streik handelt.
- Überdies übt die Landesregierung zusätzlichen Druck aus, indem sie droht, die Gelder für die strukturelle Gehaltserhöhung nicht rückwirkend bis 1. Jänner 2026 auszuzahlen, wenn nicht bis 31. März 2026 ein Ergebnis ausverhandelt ist.
Aber auch der SGB verspielt mit seinem Wording aus der Amtsdeutschhölle dem Vernehmen nach gerade ungemein viel Vertrauen, schwächt somit die Position der eigenen Klientel und gibt wüsten Spekulationen Raum: Entweder sind die Verantwortlichen im Gewerkschaftsbund nicht in der Lage, klar verständliche deutsche Formulierungen zu treffen oder die Fragestellung ist eine verunglückte Übersetzung aus dem Italienischen oder aber hinter dem Verwirrspiel steckt die Absicht, die Mitglieder zu einer bestimmten Antwortmöglichkeit fehlzuleiten bzw. das Ergebnis dann beliebig interpretieren zu können. Denn einerseits wird betont, dass man die Bedingungen der Landesregierung nicht billige und die Gestaltung des Unterrichtsangebots (inklusive etwaiger Zusatzaktivitäten) im Sinne der freien Lehre Entscheidungsbefugnis der Lehrenden bzw. der Kollegien an den jeweiligen Schulen sei, andererseits wird gefragt, ob trotz dieser Tatsache und der Missbilligung der Bedingung der Landesregierung, Verhandlungen aufgenommen werden sollen. Ein “Ja” kann also heißen, dass man Verhandlungen möchte und die Protestmaßnahmen aufgibt, obwohl man nicht dazu verpflichtet wäre oder aber dass man Verhandlungen befürwortet und dennoch weiter keine Zusatzaktivitäten durchführt. Ein “Nein” kann heißen, dass die Gewerkschaften nicht verhandeln sollen, solange die Landesregierung diese Bedingungen stellt und/oder dass man weiter an den Protestmaßnahmen festhalten möchte oder aber dass man mit dem unterbreiteten Angebot nicht einverstanden ist. Oder bedeutet die Frage gar, dass der SGB grundsätzlich erhebt, ob sie verhandeln sollen, was ja wohl die Aufgabe einer Gewerkschaft ist. Wobei Verhandlungen zu führen nicht notwendigerweise heißen muss, dass man ein Angebot akzeptiert oder zu einem Abschluss kommt. Jedenfalls hat das Ergebnis – wie auch immer es ausfallen mag – null Aussagekraft. Es unterstreicht lediglich die Absurdität der Bedingung der Landesregierung. Aber dafür bräuchte es keine Mitgliederbefragung.
Wer angesichts der Verwirrung versucht hat, sich einen Reim zu machen und telefonisch beim SGB Informationen darüber zu erhalten, was denn nun die Konsequenzen der jeweiligen Antworten seien, erhielt keine befriedigende Auskunft. Weder die SGB-Vertretungen in Bozen und Meran, noch jene in Bruneck (Brixen war nicht erreichbar) konnten Aufklärung leisten. Mehrfach hieß es, dass die entsprechenden Verantwortlichen bzw. Auskunftspersonen derzeit in Rom weilten und daher nicht zur Verfügung stünden. Eine weitere professionelle Glanzleistung des SGB also: Man führt eine viertägige Mitgliederbefragung durch und in den Gewerkschaftsbüros ist niemand zugegen, der Auskunft zu inhaltlichen Fragen dazu geben kann.
Wobei – wenn man die Befragung folgendermaßen formuliert hätte, wären wohl keine Unklarheiten auszuräumen gewesen:
- Soll die Gewerkschaft die Bedingung der Landesregierung akzeptieren, dass Verhandlungen erst nach Beendigung der Protestmaßnahmen aufgenommen werden?
- Ich bin angesichts des vorliegenden Angebots der Landesregierung für die Aussetzung der Protestmaßnahmen.
- Soll die Gewerkschaft riskieren, das Ultimatum der Landesregierung (Einigung bis zum 31. März, andernfalls wird die strukturelle Gehaltsaufstockung nicht rückwirkend bis zum 1. Jänner 2026 ausbezahlt) verstreichen zu lassen?
- Das vorliegende Angebot der Landesregierung ist für mich zufriedenstellend.
- 1Autonomer Südtiroler Gewerkschaftsbund
- 2Südtiroler Gewerkschaftsbund/Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori




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