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Wider den Stammtisch.

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Zitat Hall.

Lieber Benno*, ich liebe Ironie und ich mag auch Polemik, wenn sie trifft. Ob dein “zynisch-böser Rundblick” jedoch zielführend ist, in einer Diskussion die ohnehin jeder Sachlichkeit entbehrt und nahezu ausschließlich von Polemik sowie Fehlinformation und –interpretation getragen ist, weiß ich nicht. Auf welchem Niveau die Diskussion geführt wird zeigen ja allein schon die Begrifflichkeiten “Freistaat” und “Vollautonomie”, die in Südtirol ziemlich sinnentfremdet verwendet werden (siehe -Glossar).

Wer Sezessionbestrebungen mit Kleinstaaterei, Isolationismus und Egoismus gleichsetzt, macht es sich leicht. Zu leicht. Wenn man sich die führenden Unabhängigkeitsbewegungen in Europa ansieht, so haben sie etwas gemein: sie sind allesamt meist solidarischer, ökologischer, europafreundlicher und basisdemokratischer – linker, wenn man so will – als jene Staaten, von denen sie sich lossagen möchten. Die schottische SNP steht für eine soziale Marktwirtschaft a la Skandinavien, nicht für den von der Londoner City getriebenen Turbo-Finanzkapitalismus der Konservativen. Die SNP hat Studiengebühren abgeschafft, den Etat für die Entwicklungshilfe verdoppelt und propagiert das Modell des “inclusive nationalism” – d.h. Schotte ist, wer in Schottland lebt – egal welcher Herkunft. Die SNP betreibt überdies den Ausstieg aus der Kernenergie, forciert erneuerbare Energien und ist Schengen und dem Euro nicht abgeneigt. Alles Dinge, die man in London nur vom Hörensagen kennt oder verabscheut. Dinge, die mir jedoch sehr sympathisch sind. Ähnliche Programmatik findet man auch in den Parteiprogrammen der katalanischen Selbstbestimmungsbefürworter. Warum Südtirol also nicht auf einen solchen Zug aufspringen sollte, wo es doch die besten Voraussetzungen dafür hätte, verstehe ich nicht. Ich glaube, was hier passiert, ist das Gegenteil von rückwärtsgewandt – es ist zukunftsweisend.

Wenn es je ein unabhängiges Südtirol geben sollte, dann wäre es aufgrund seiner demographischen Zusammensetzung zwangsläufig ein multiethnisches – ein Staat, der sich eben nicht national im klassischen Sinne sondern wie Schottland und Katalonien über das Territorium definiert. Ein “deutscher Freistaat” wäre freilich und zum Glück nicht machbar und hieße nur eine Umkehrung der derzeitigen Verhältnisse.

Ein weiterer Trugschluss, dem du aufsitzt, ist, dass sich eine etwaige Unabhängigkeit und die Zusammenarbeit mit den Nachbarregionen widersprächen. In den EU-Staaten herrscht in vielen Bereichen Europarecht. In dieser Beziehung wäre es also völlig egal, ob Südtirol ein Teil Italiens, Österreichs, Schwedens oder ein unabhängiges EU-Land wäre. Die “neue Grenze” zu Osttirol bliebe in dieser Hinsicht dieselbe. Aber überspitzt formuliert wurden in Europa ja nicht die Grenzen, sondern die Grenzkontrollen abgeschafft. Das heißt, die Staatsgrenzen haben nach wie vor einen wesentlichen Einfluss auf alle Lebensbereiche (als “Österreicher” in “Italien” weiß ich, wovon ich spreche). Es kommt daher auch sehr darauf an, wie durchlässig die einzelnen Staaten ihre Grenzen untereinander gestalten. Es wäre für mich undenkbar, dass ein unabhängiges Südtirol seine Grenzen zu den Nachbarregionen weniger durchlässig anlegen würde, als es Italien heute macht. Die Zusammenarbeit und der Austausch würden also erleichtert, nicht erschwert. Wahnwitzige Regelungen wie die einseitig limitlose Intrastat-Erklärung, die Italien von Unternehmern bei Einkäufen in Österreich fordert, würde ein unabhängiges Südtirol niemals aufrechterhalten (siehe). Bestimmte “Sonderbehandlungen” für Nordtiroler Unternehmen würden wohl auch eher fallen als beibehalten werden (siehe).

Von anderen sehr wahrscheinlichen positiven Effekten wie der Normalisierung der Südtiroler Parteienlandschaft, da der autonomistische Rechtfertigungsdruck des “Andersseins” entfiele, will ich gar nicht sprechen. Kann aber auch sein, dass sich viele “offene und tolerante” Südtiroler dies gar nicht wünschen, da mit dem Zerfall der SVP der gemeinsame Feind, über den man sich definiert und somit die Existenzberechtigung wegfällt. Andererseits wären “Nordtiroler Verhältnisse” doch auch recht schön: ein ökosozialdemokratisches Wählerpotential von rund 40 Prozent inklusive einer Grünpartei, die in der Landeshauptstadt an der 20-Prozent-Marke kratzt.

Was das Belluno betrifft ist es vielmehr so, dass nicht Südtirol sich Souramont unter den Nagel reißen will, sondern dass die dortige Bevölkerung direktdemokratisch ihren Willen kundgetan hat. Das ist zu respektieren. Ganz ohne Polemik.

*) Dieser Beitrag ist bei Salto.bz als Antwort auf einen Artikel von Benno Kusstatscher erschienen.



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