Im Jahr 2012 hatte die Polytechnische Universität Mailand (Politecnico di Milano) beschlossen, ab 2014 Master- und Doktoratsstudiengänge in englischer Sprache anzubieten — eine Entscheidung, gegen die mehrere Professoren Einspruch erhoben. Nachdem sie vom Verwaltungsgericht der Lombardei Recht bekommen hatten, beschloss die Universität, sich an den Staatsrat zu wenden. Der wiederum rief das Verfassungsgericht (VfG) an, da er Klarheit darüber wünschte, ob das Gesetz, auf das sich das Polytechnikum bei der Einrichtung der englischsprachigen Studiengänge berufen hatte, verfassungskonform sei.
Am soeben vergangenen 21. Februar urteilte das VfG (Urteil 42/2017), dass die Norm nicht gegen die Verfassung verstoße — vorausgesetzt, sie werde entsprechend interpretiert und zur Anwendung gebracht. So dürfte »das legitime Ziel der Internationalisierung« die italienische Sprache an italienischen Universitäten nicht »durch Abwertung der ihr eigenen Funktion als Trägerin von Geschichte und Identität der nationalen Gemeinschaft« in eine »marginale oder untergeordnete Position« bringen. Andere Sprachen als die »unica lingua ufficiale« (!) dürften, wie das VfG bereits geurteilt habe (Urteil 159/2009), niemals als Alternative zur italienischen Sprache verstanden werden.
Im vorliegenden Fall könnte anderenfalls die Freiheit der Lehre eingeschränkt werden, da sich die Regelung wesentlich auf die Art der Unterweisung durch die DozentInnen auswirke. Die erforderlich werdende Kenntnis einer Fremdsprache habe »nichts mit der Vermittlung des spezifischen Wissens zu tun«.
Damit die Internationalisierung verfassungskonform bleibe, so das VfG, müssten die Universitäten also die Möglichkeit, Kurse in einer Fremdsprache anzubieten, »mit Vernunft, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit« nutzen und stets ein Gesamtangebot gewährleisten, das »die Vorherrschaft der italienischen Sprache« respektiere.
Geradezu ironisch ist, dass unser Autonomiestatut (Art. 99) vom Verfassungsgericht immer wieder als Beleg für die Vorrangstellung der Staatssprache genannt wird. Jedenfalls wird einmal mehr klar, wie sehr sich das »System Nationalstaat« allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz nach wie vor als Einheit von Staat, Kultur und Sprache versteht und neben sich nichts Ebenbürtiges duldet. Paritätischer »Plurilinguismo« ist nur etwas für Minderheiten.
5 replies on “VfG für Vorherrschaft der italienischen Sprache.
Universitäten müssen »unica lingua ufficiale« bevorzugen”
Interessant in diesem Zusammenhang, dass in der italienischen Verfassung (soweit ich weiß) nirgends von einer offiziellen Staatssprache die Rede ist. Neben Art. 6 zum Schutz der Minderheiten, wird hingegen im Art. 3 darauf verwiesen, dass alle Bürger, explizit auch unabhängig von ihrer Sprache, dieselbe gesellschaftliche Würde (pari dignità sociale) und dieselben Rechte besitzen.
Im Art.8, Abs. 1 der österreichischen Verfassung hingegen, wird sehr wohl und ausdrücklich auf eine Staatssprache verwiesen: “Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.” Bei einem gleichzeitigen Bekenntnis zur “sprachlichen und kulturellen Vielfalt”, allerdings beschränkt (?) auf die “autochtonen Volksgruppen” (Abs.2).
Bemerkens- und anerkennenswert übrigens, dass in Österreich (wie in einigen anderen, nicht allzu vielen Staaten) auch, die Gebärdensprache Verfassungsrang hat (Abs.3).
Nicht ausdrücklich, aber für die entsprechende Interpretation hat schon das VfG gesorgt. Sowohl Art. 6 der Verfassung, als auch Art. 99 unseres Autonomiestatuts müssen als Begründung für Italienisch als einzige Amtssprache herhalten. Der Minderheitenschutz wird hier vom VfG quasi in sein genaues Gegenteil umgedeutet.
Das lautet dann zum Beispiel so:
Aus dem VfG-Urteil 42/2017.
Der Wortlaut von Art. 6
wird also interpretiert in »Italienisch ist einzige Amtssprache«.
Das ist schon klar. Mein Kommentar war nicht als Gegenrede oder Wertung, sondern als ergänzender Verweis gedacht.
Ich finde es interessant, dass das aus dem habsburgischen Vielvölkerstaat hervorgegangene Österreich in seinem Grundgesetz ausdrücklich auf eine Staatssprache verweist und das in Italien nicht der Fall ist, obwohl bis heute von einem wünschenswerten, aber unvollendeten Nationswerdungsprozess gesprochen wird.
Österreich ist (zumindest teilweise) eben auch ein Nationalstaat — und der Umgang mit den Minderheiten ist ja auch alles andere als vorbildlich.