Wiewohl auch das Land keineswegs brilliert hat, zeigen sowohl die strukturellen Schwächen als auch der politische Umgang mit der Coronakrise in meinen Augen wieder einmal deutlich, wie uns die Zugehörigkeit zu diesem Staat und eine zu schwache Autonomie im Zweifelsfall schaden können. Zu unterschiedlich ist die Sensibilität, zu verschieden sind vielfach auch die grundsätzlichen Prioritäten.
Tatsächlich scheinen sich einige Menschen, die bislang nicht für eine Loslösung von Italien zu haben gewesen wären, in Anbetracht der jüngsten Erfahrungen konkrete Gedanken über die Eigenstaatlichkeit zu machen. Sie wären also bereit für eine ergebnisoffene Diskussion, die — um erfolgreich zu sein — behutsam, pragmatisch, möglichst faktenbasiert geführt werden und auf größtmögliche Inklusion bedacht sein müsste.
Geradezu kontraproduktiv scheinen Rezepte aus der Vergangenheit, die lediglich verschrecken, alte Beißreflexe auslösen und Menschen in ihre altbewährten Positionen zurückjagen. Dazu zähle ich, obwohl per se nichts Außergewöhnliches, auch Feuer und Spruchbänder der Schützen. Jedem seine Ausdrucksmittel, aber einige Gedanken an die Wirkung — über die eigene Klientel hinaus — hätte man durchaus verschwenden können.
Von einer ganz anderen Qualität, die energischen Widerspruch erforderlich macht, sind aber Töne wie die, die in einer gestern vom Schützenbund veröffentlichten Mitteilung angeschlagen werden. Dort heißt es unter anderem:
Allein durch die Sprache, die Geschichte, die Kultur, die Bräuche und Traditionen haben ein Tiroler und ein Italiener wenig gemeinsam. Es sind wohl zwei verschiedene Völker…
Woher würden die Tiroler südlich des Brenners ihre Forderung nach Selbstbestimmung also nehmen, wenn sie nicht Teil eines abgetrennten Volkes, nämlich des Tiroler Volkes wären? Darauf – und auf nichts anderes – stützt sich der moralische Anspruch auf die Selbstbestimmung Südtirols.
Die (eine) Sprache? Die (eine) Kultur? Tiroler und Italiener haben wenig gemeinsam, sind zwei verschiedene »Völker«? Was diese Leugnung der für Tirol — historisch und gegenwärtig — geradezu typischen sprachlich-kulturellen Vielfalt bezwecken soll, wenn nicht Exklusion, Diskriminierung und letztlich Entzug der Existenzberechtigung, wissen wohl nur die Autorinnen selbst. Wer soll mit einer völkischen Interpretation, die derart an der Realität unseres Landes vorbeigeht, angesprochen werden?
Natürlich gibt es (gerade aus »moralischer« Sicht, wenn das schon sein muss) eine andere Rechtfertigung für die Selbstbestimmung, als die völkisch-nationale: die der demokratischen Willensbildung. Stichwort Schottland.
Im Verspielen von Chancen macht Schützen und vielen anderen »Patriotinnen« bekanntlich kaum jemand etwas vor. Wenn wir noch tausend Jahre bei Italien bleiben wollen, ist das vermutlich genau der richtige Weg
Doch Aussagen wie diese, die die Gesellschaft spalten und den gesellschaftlichen Frieden gefährden, können wir in keinem Fall stillschweigend hinnehmen. Sie sind ein Angriff auf uns alle.
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Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Beitrags war die Mitteilung der Schützen (aufgrund des Titels: »Selbstbestimmung für Südtirol – IATZ!«) der Gruppe Iatz! zugeschrieben worden. Mitglieder von Iatz! legen Wert auf die Feststellung, dass sie den Text nicht verfasst haben. Ich bitte um Entschuldigung.
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