Dass es in Europa und speziell am Brenner keine Grenze mehr gibt, wird vor allem von Unabhängigkeitsgegnern gerne verlautbart. Und überhaupt: Sie werde jeden Tag weniger spürbar.
Seit geraumer Zeit ist es möglich, im Binnenmarkt einzukaufen, ohne die Waren an der Grenze verzollen zu müssen. Das heißt für die meisten Südtiroler, dass sie am Wochenende in Innsbruck shoppen können, was durch die Gemeinschaftswährung zusätzlich vereinfacht wird. Was viele nicht wissen: Die grenzenlose Freiheit gilt in dieser unbürokratischen Form nur für Private. Unternehmen und Freiberufler müssen sich eigens eine umsatzsteuerfreie Rechnung ausstellen lassen und dem Zoll in regelmäßigen Abständen eine sogenannte Intrastat-Erklärung vorlegen, in der sämtliche Auslandseinkäufe gemeldet werden — und zwar getrennt für jedes EU-Land, in dem man eingekauft (oder in das man etwas verkauft) hat. Das ist nicht nur bürokratisch, sondern verursacht auch Kosten und Abgaben, sodass es sich mitunter nicht lohnt, für geringe Beträge überhaupt im Ausland einzukaufen. Damit wird die Grenze für Unternehmer sehr spürbar.
Vergangene Woche nun habe ich von meinem Steuerberater folgende Mitteilung erhalten:
Bezüglich Einkauf und Verkauf im Ausland gibt es eine neue Gesetzesbestimmung.
Jedes Unternehmen welches zukünftig Einkäufe und/oder Verkäufe im Ausland tätigen will, muss 30 Tage vor Ausführung eine Erklärung an die Agentur der Einnahmen abgeben.Wir bitten Sie deshalb das Formular im Anhang auszufüllen, zu unterschreiben und uns das Original innerhalb 25.01.2011 auszuhändigen.
Ob es dieses Formular auch auf Deutsch gibt, weiß ich nicht. Ich tippe sogar, dass es sich um eine Vorlage meines (zweisprachigen) Steuerberaters handelt, die in vorauseilender Unterwürfigkeit gegenüber der Steuerbehörde auf Italienisch verfasst wurde.
Was aber ein richtiggehender Wahnsinn ist: Ich muss jetzt also als Freiberufler schon mindestens einen Monat im Voraus wissen, ob — und vor allem wie viel! — ich im sogenannten Ausland (also ein paar Kilometer von zuhause entfernt) einkaufen will. Wirklich unbürokratisch und realitätsnah. Vermutlich ist bei Nichterfüllung sogar eine Richtigstellung vorzulegen, sonst hätte der Spuk ja keinen Zweck. Die Intrastat-Erklärung entfällt im Gegenzug freilich nicht.
Die Grenze wird von Tag zu Tag weniger spürbar? Dass ich nicht lache. Wenn das eine Maßnahme sein soll, um Ein- und Verkäufe im Ausland einzudämmen, dann hat sie bei mir ihr Ziel erreicht. Damit will ich nichts zu tun haben. Es lebe das vereinte Europa!
9 replies on “Grenzwahnsinnig.”
Erstaunlich, was ich in der Wikipedia über die Intrastat-Erklärung lesen muss:
Während wir hierzulande also auch für eine in Innsbruck erworbene Tube Uhu-Kleber eine Intrastat-Erklärung abgeben müssen, gilt diese Pflicht in Deutschland erst ab einem Handelswert von EUR 400.000,-/Jahr. Das ist also gar nicht europaweit einheitlich geregelt, sondern wurde mal wieder von Italien besonders »bürgernah« umgesetzt — und jetzt auch noch um diese wahnsinnige Vorab-Erklärung ergänzt. Fabelhaft!
dafür schreiten die wettbewerbshüter sofort mit aller strenge ein, wenn aus umweltschutzgründen ein sektorales fahrverbot auf der inntalautobahn eingeführt werden soll. verstößt gegen die regeln des freien warenverkehrs.
dafür greift der staat italien auch sofort ein, wenn südtirol seine kinder und jugendlichen vor der plage glücksspiel (in österreich liebevoll auch trottelrente genannt) schützen möchte.
dafür werden unsere persönlichsten daten (bis hin zur kreditkartennummer) an jeden verscherbelt, der sie will – hauptsache derjenige argumentiert mit irgendeiner dubiosen terrorgefahr.
…
Völlig durchgeknallt dieser Staat – aber wir sollen den erfolgreichen Weg der (Vorzeige) Autonomie ja nicht verlassen. Die Grenze am Brenner existert ja eh nicht mehr.
Die Liste der Wahnsinnsgesetze ließe sich leider noch weiter führen. Das neue Müll-Entsorgungsgesetz fällt in dieselbe Kategorie. Dieses wird das Problem in Neapel nicht lösen, aber den Südtiroler Betrieben jede Menge bürokratischen Ärger bescheren.
Dieser Staat tut doch alles mögliche um Selbstständige oder Firmen das Leben schwer zu machen. Man denke nur an Schwachsinn wie Sistri & Co.
Oder die absurden Vorauszahlungen, Branchenrichtwerte, usw.
Die Steuersätze untescheiden sich z.T. ebenfalls gewaltig.
wie sich die “nicht spürbare Grenze” auch sonst noch auswirkt:
Firmen aus dem Ausland weigern sich sogar nach Bella Italia zu liefern! Manche lassen sich überreden wenn per Vorauskasse gezahlt wird. Grund sind die guten Erfahrungen die sie mit diesem Land gemacht haben und auch auf uns anwenden.
Die Grenze mag nicht mehr sichtbar sein, sie mag für Private im täglichen Leben nicht “spürbar” sein oder fällt kaum auf, aber man muss nur ein wenig mit diesen Dingen zu tun haben oder genauer hinsehen und es werden zig-tausend kleinerer und grösserer Nachteile offensichtlich.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentliche ich hier den Leitartikel der dieswöchigen »Südtiroler Wirtschaftszeitung« (SWZ):
ich kenne einige ausländische international tätige Unternehmen, welche nach eingehender Evaluation sich gegen die Errichtung einer Produktionsstätte in Italien entschieden haben;
Allein diese Unternehmen hätten kurzfristig ca 280 Arbeitsplätze in Norditalien geschaffen.
Neben der mittlerweile sehr hohen Lohnstückkosten , waren auch die zunehmend ausufernde Bürokratie und die teils herrschende Rechtsunsicherheit (Langsamkeit der Justiz) für diese Entscheidung mitverantwortlich.
So, bin ja mal richtig gespannt, ob und welche Antwort ich vom EU-Wettbewerbskommissariat erhalte:
Ich habe eine Zwischenantwort erhalten… aus Zuständigkeitsgründen sei das Anliegen an ein anderes Ressort weitergeleitet worden. Obwohl meine Anfrage auf Spanisch verfasst war, wurde mir auf Italienisch geantwortet. Warum nicht auf Lettisch, Dänisch oder Slowakisch? Ach ja… das Nationalstaatsprinzip und die nicht existierende Grenze.
hast du sie gefragt, warum sie das gemacht haben? oder schreibst du ihnen das nächste mal auf katalanisch und wartest, was dann passiert. vielleicht bekommst du ja eine antwort auf spanisch :-)